Ich gestehe: Ich habe sie alle gelesen. Na gut, fast alle. In den ersten Wochen und Monaten als Erstmama war ich zwischenzeitlich so verzweifelt und verunsichert, dass ich alle Ratgeber durchgeblättert habe, die ich zwischen Wickeln und Stillen (manchmal auch währenddessen) lesen konnte. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, wie ich es überhaupt geschafft habe während des Vollzeitjobs als Mama, zu dem noch ein Teilzeitjob mit Gelderwerb kam, überhaupt ein Buch zu lesen. Es muss eingangs erwähnte Verzweiflung gewesen sein. Meine drängendsten Fragen in den ersten Wochen nach der Geburt waren: Ist es normal, dass mein Baby so viel schreit? Wieso schläft es nur ein, wenn ich daneben liege und das Händchen halte? Wieso wird immer behauptet, dass Säuglinge etwa 16 bis 20 Stunden am Tag schlafen? Wieso komme ich trotzdem zu nichts? Zwei weitere Geburten und einige Jahre später bin ich etwas entspannter. Mein Mann und ich genießen es gerade sehr, dass die Jüngste dem Trotz-, Wutzwerge-, Nicht-allein-einschlaf-, Nicht-durchschlaf-, Kannst-du-mir-mal-den-Po-abwischen-Alter entwachsen ist und der Älteste noch nicht in der Pubertät ist. Wir haben das Glück, dass sie die Schule (noch?) nicht doof finden, höchstens mal ihre Geschwister und manchmal auch uns Eltern, aber damit kommt mein Ego gut klar. Ich verbuche diese Momente, wenn sie sich schmollend in ihr Zimmer zurück ziehen, als „Jetzt hab ich kurz Zeit für mich“-Augenblicke.
Schwierig fand ich immer jene Ratschläge, die sich im Grunde widersprechen: „Gewöhnen Sie Ihr Kind nicht zu früh an Süßes.“ und „Stillen Sie Ihr Kind möglichst lange.“ (Haben die Autoren zufällig mal Muttermilch gekostet? Die ist verdammt süß.) „Lassen Sie Ihr Kind selbständig entscheiden, wofür es sein Taschengeld ausgibt.“ und „Achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht mehr als eine Handvoll Süßes pro Tag nascht.“ (Klar kannst du dir von deinem Taschengeld drei Lollis, zwei Überraschungseier und eine Tüte Gummibärchen kaufen, aber zu Hause wird alles einkassiert.) „Verbringen Sie Zeit mit Ihren Kind, spielen Sie gemeinsam, lesen Sie ihm vor.“ und „Verbiegen Sie sich nicht für Ihr Kind, das Kind spürt, wenn Sie nur halbherzig bei der Sache sind.“ (Äh, na klar spiele ich jetzt total gerne Barbie mit dir.) „Für die gesunde Entwicklung von Kindern ist eine abwechslungsreiche, vielfältige Ernährung wichtig.“ und „Es ist völlig normal, wenn Kinder am liebsten morgens, mittags und abends nur Nudeln essen wollen.“ (Zählt es schon unter abwechslungsreich, wenn wir zwischen Spirelli, Spaghetti und Muschelnudeln variieren?)
Heute tausche ich mich lieber mit anderen Mamas aus statt Ratgeber zu lesen. Denn es ist unfassbar tröstlich zu hören, dass es anderen Eltern ganz genauso geht wie uns, dass auch andere Kinder keine Lust aufs Training haben, dass auch andere Kinder während der Mahlzeit nicht die ganze Zeit still sitzen, dass auch andere Kinder den Erwachsenen reinquatschen, obwohl wir sie deswegen schon so oft ermahnt haben, dass auch andere Kinder regelmäßig die Sporttasche in der Schule vergessen.
Und eben weil wir Eltern so oft an uns zweifeln, nur weil Kinder so sind wie sie sind, kommt bestimmt bald der nächste Elternratgeber auf den Büchermarkt. Daher an dieser Stelle ein kleiner Hinweis für die Redaktion: Ich hätte da noch die eine oder andere Frage, die mir bisher noch kein Ratgeber beantworten konnte. Warum hat der Tag von Müttern eigentlich nur 24 Stunden? Warum haben Mütter von drei oder mehr Kindern auch nur zwei Hände („Mama, ICH will auch an deiner Hand laufen!“)? Wieso schmecken die Fischstäbchen/Chicken Nuggets/ Plinse aus der Kita immer besser als die selbst panierten und gerührten von glücklichen Hühnern, Fischen und Eiern? Wieso sind Papas so viel entspannter, und das obwohl sie keine Ratgeber lesen?
Kolumne von Anett Linke, Redakteurin der lausebande