… so kann er was erzählen“, heißt es in einem etwa 250 Jahre alten Gedicht. Diese Weisheit hat nichts an Aktualität eingebüßt. Wie in der vergangenen Kolumne angedeutet, wagten wir mit Kind und Kegel eine Städtereise und noch dazu die An- und Abreise mit dem Nachtzug. Die Nachtzugfahrt steht auf der Liste der Dinge, die wir unbedingt als Familie erleben wollen. Wenig überraschend, war diese Art der Anreise zwar ausgesprochen nachhaltig, aber wenig komfortabel. Unsere Liegen im 6er-Abteil, das wir uns auf der Hinfahrt mit bis dato unbekannten Personen teilten, maßen schätzungsweise gut 80 Zentimeter Breite. Ich bin eher schmal gebaut, das schien mir also unproblematisch. Das Problem kam gegen 22 Uhr auf der Leiter nach oben geklettert und flüsterte mir wegen der weiteren Mitschlafenden zärtlich ins Ohr: „Mama, ich kann nicht allein einschlafen.“ Das Abteil gab weder Raum noch Akustik für ausführliche Diskussionen, Einschlaflieder oder ähnliches her. Ich versuchte mein Kind davon zu überzeugen, dass die Liegen nicht für zwei Personen geschaffen wurden. Natürlich war mein Bitten vergebens. Das Kind kletterte nun schon fast tränenerstickt zu mir und wärmte mich in dem unzureichend klimatisierten Abteil zusätzlich. Ich konnte mich weder nach rechts noch nach links drehen. Immerhin: Das Kind schlief irgendwann ein. Aber offenbar war die Liege auch aus Kindersicht zu breit. Weit nach Mitternacht kletterte das Kind wieder eine Etage tiefer und schlief – allein – wieder ein.
Am nächsten Morgen waren die Kinder deutlich ausgeschlafener als wir Eltern und hatten die nächtlichen Schwierigkeiten vergessen: „Das war toll, können wir jetzt immer mit dem Nachtzug fahren?“ Doch vor der nächsten planmäßigen Nachtzugfahrt stand uns noch eine Woche Paris inklusive Abstecher ins Disneyland bevor. Städtereisen hatte ich bis dato nur zu zweit unternommen – mit meiner besten Freundin oder meinem besten Ehemann. Ich habe sie als sehr schön, aber auch wenig erholsam in Erinnerung. So war es auch dieses Mal. In Frankreichs Hauptstadt war Olympia zu diesem Zeitpunkt bereits sehr präsent, hatte aber noch nicht gestartet. Die Stadt war trotzdem voll. Daher bestand dieser Urlaub vor allem aus Anstehen und Warten. Wir standen am Eiffelturm, am Louvre, vor der Mona Lisa und wir standen vor diversen Achterbahnen, Karussells und Shows. Unterbrochen wurde das Anstehen durch laufen, laufen, laufen und Treppen steigen: zum Beispiel 700 Stufen auf den Eiffelturm, die der Nachwuchs sehr viel sportlicher nahm als wir.
Die zweite große Herausforderung bestand in der zunehmenden Digitalisierung. Es ist fast aussichtslos, die berühmtesten Sehenswürdigkeiten ohne vorab online gebuchtes Zeitfenster spontan besuchen zu können. Wir hatten also jeden Tag einen festen Termin, den es einzuhalten galt. Das war mitunter sportlich, denn je größer die Reisegruppe, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Verzögerungen: Ich muss auf Toilette. Ich hab Hunger – jetzt. Kannst du mir einen Eiffelturm kaufen? Kannst du hier ein Foto von mir machen? Guck mal, der Hütchenspieler, können wir da bitte auch mitmachen?
Wir hatten uns in weiser Voraussicht auf eine Attraktion pro Tag beschränkt. Viel mehr wäre auch nicht drin gewesen. Trotzdem fielen wir jeden Abend viel zu spät und viel zu müde in unsere Betten. An unserem letzten Paristag waren es wieder die Zugbetten. Immerhin hatten wir dieses Mal ein Privatabteil. Die Kinder waren ja jetzt schon Profis und schliefen allein in ihren Betten ein. Es hätte eine entspannte Nacht werden können. Doch ich hatte den Zugbegleiter gebeten, die Liege über mir nicht aufzuklappen. Wir brauchten ja nur fünf Liegen und so hatten wir mehr Platz zum Sitzen. Was ich nicht bedacht hatte: Meine Liege war dadurch so schmal, dass an Schlafen nicht zu denken war. Und so kam es, dass ich dieses Mal mein Kind um Erlaubnis bat, zu ihm ins Bett klettern zu dürfen. Damit können wir das Erlebnis Nachtzug von unserer Löffelliste streichen.
Kolumne von Anett Linke, Redakteurin der lausebande