Die Welt eines Vaters steckt voller Gefahren. Manchmal habe ich dunkle Erinnerungen an meine eigene Kindheit, wie ich allein an Gräben herumstromerte, auf Bäume kletterte, an den Bahngleisanlagen am Stadtrand spielte oder auf der Müllkippe zwischen dampfenden Hügeln und Schrotthaufen nach Schätzen forschte. Das war vor vielen Jahrhunderten. Heute bin ich ein moderner Rundumüberwachungsvater, der die Umgebung seiner Kinder unaufhaltsam nach Andeutungen abtastet, die den Hauch einer Gefahr mit sich bringen könnten. Das Auge eines normalen Menschen kann 24 Bilder je Sekunde wahrnehmen. Wenn ich mit den Kindern auf dem Spielplatz bin, Fahrrad fahren übe oder wir uns in ein hochfrequentiertes unbekanntes Einkaufszentrum begeben, mutiert meine Wahrnehmung zu der eines fliegenhaften Komplexauges mit 330 Bildern je Sekunde. In jedem zweiten Bild lauert eine potentielle Gefahr: überstehende Fliesenkanten, von debilen Rentnern gesteuerte Einkaufswagengeschosse, Wackelautos zur Elternabzocke, um sich herum niesende fremde Kinder mit ganz sicher tropischen Erkrankungen. Die Frequenz eines Stroboskops in der Technodiskothek wirkt gegen meine Gehirnaktivität wie ein sich langsam wiederholender, stundenlanger Sonnenunter- und –aufgang. Ich glaube, diese unnatürliche Gefahrabwehr besorgter Väter im Hochfrequenz- bereich ist die eigentliche Ursache für das frühere Ableben der Männer im Geschlechterwettstreit. Das kann ja auf die Dauer auch nicht gesund sein. Kürzlich habe ich mit meiner Kleinen Fahrrad fahren geübt. Während sie fröhlich den Lenker schlenkerte, war ich parallel neben ihr, schob sie von hinten an, wehrte von der Seite kampflustige Brennnesseln ab, observierte vorn und hinten die Straße, ebenso oben (könnte auf unserem Gartenweg ein Hubschrauber abstürzen?), strich ihr die Haare aus dem Gesicht, rückte den viel zu großen Fahrradhelm wieder gerade. Das ganze Programm circa zehn Mal je Sekunde. Im Vergleich zu mir als rotierendem Fahrradtrainer wirkt Mister Octopus aus Batman wie ein menschgewordenes Gähnen mit der Dynamik eines Dreifingerfaultieres (nicht nur das faulste, auch das langsamste Säugetier der Welt). Manchmal frage ich mich, wie das Väter von Zwillingen oder gar Drillingen machen. Das schafft doch nicht einmal das Duracell-Häschen. Insgeheim glaube ich ja, dass es sich dabei um Angehörige einer außerirdischen Spezies handeln muss, die das dann mit Gedanken steuern. Oder so ähnlich. Oder das sind Kryptonier wie Superman. Mir wird jedenfalls schon bei dem Gedanken schwindlig, parallel zwei Kindern mit im Gleichtakt schlenkerndem Lenker das Fahrrad fahren beizubringen. Wahrscheinlich thronen Väter auch deshalb lange vor sich hinmeditierend auf der Toilette oder tauchen für Stunden mit entleertem Gesichtsausdruck in den Fernseher ein. Das brauchen wir, um den Akku aufzuladen und uns auf den nächsten Ausflug mit unseren Kleinen vorzubereiten – und das Ausflugsprogramm nimmt mit dem Sommerbeginn ja drastisch zu. Genau darauf werde ich mich jetzt vorbereiten, meine Freunde Amphetamin, Ephedrin und Koffein besuchen und mir in diesem Sommer das gelbe Trikot vom besten Papa der Lausitz holen.