Für Wildnis im Garten

Datum: Donnerstag, 28. März 2024 15:49

Ein Plädoyer für einen naturnahen Familiengarten

Das Garten-Spezial in diesem Jahr ist eine Hommage an die Natur und dürfte dem ein oder anderen Baumarktbetreiber und Baumschuleninhaber eher missfallen. Ein Projekt im heimischen Grün der lausebande hat sich in diesem Jahr nämlich dem Natur- und Artenschutz verschrieben. Und wen man sich in diesem Zusammenhang einmal gründlich informiert, stellt man schnell fest, dass viele herkömmliche Ratgeber und Ratschläge – und vor allem Angebote für den Anbruch der Gartensaison in allerlei Märkten – völlig an den Bedürfnissen der Natur vorbeigehen, teils ökologisch sinnlos oder überteuert sind. Wer also mit seinen Kindern einen Garten verwirklichen möchte, der tatsächlich Mutter Natur und ihren vielen kleinen fliegenden und krabbelnden Wesen hilft, dem geben wir hier Inspiration. Wer auf akkuraten Rasen, unkrautfreie und hackschnitzelbedeckte Rabatten mit exotischen Sträuchern steht, der kann gern vier Seiten weiterblättern.

Die Planung

Warum ein Familiengarten, der gut für Flora und Fauna ist, wichtig sein kann? Ganz einfach: vor sieben Jahren hat der Entomologische Verein Krefeld in einer Studie festgestellt, dass in den zurückliegenden 30 Jahren die Biomasse der Fluginsekten selbst in Schutzgebieten um rund 75 Prozent zurückgegangen ist. Inzwischen haben zahlreiche weitere Studien diesen negativen Trend für alle Landschaftstypen bestätigt. Deshalb hilft jedes Stück „wildes“, naturnahes Grün. Dafür ist auf jeder Außenfläche Platz. So kann der ökologisch wirksame Familiengarten von einer Miniversion im Hochbeet bis zur Streuobstwiese reichen.

Zuerst sollte man sich informieren, welche Pflanzen für den zur Verfügung stehenden Platz infrage kommen – und tunlichst Baumärkte und Baumschulen meiden, da hier meist Zuchtgewächse angepriesen werden. Es empfehlen sich eher Seiten von Naturschutzverbänden, allen voran der NABU mit einem sehr umfangreichen Informationsangebot. Für kleine Flächen eigenen sich Gräser und Wildkräuter, Wildblumen und kleine Stauden – bei größeren Flächen kann es auch ein Obstbaum oder eine kleine Obstbaumwiese sein. Wussten Sie, dass gerade Streuobstwiesen als Hotspots der Biodiversität gelten – und eine einzige davon über 5.000 Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten kann?
Bei der Auswahl der Pflanzen spielen Böden und Sonneneinstrahlung natürlich eine Rolle – beim naturgerechten Garten aber vor allem die Nützlichkeit für heimische Wildtiere von Insekten bis zu Vögeln. Hier sollte man nicht auf die Siegel „gut für Bienen“ hereinfallen, das hat nichts mit Artenschutz zu tun und ist eine Verkaufsmasche. In vielen Märkten werden zudem Pflanzen als insektenfreundlich ausgewiesen, die aus dem Ausland (ab)stammen und einheimischen Arten oft wenig Nutzen bieten. Beispiele sind Hortensien und Forsythie. Viele Pflanzen werden auf eine Blütenpracht hin gezüchtet und locken tatsächlich Insekten an, bieten diesen aber viel zu wenig Nährstoffe. Beispiele für nützliche insektenfreundliche Pflanzen mit deutlich höherem Nektaranteil sind Kornblume oder Storchschnabel – also all das, was auf der Wiese wächst und nicht im Baumarkt zu haben ist. Grundsätzlich ist alles, was auf Feld und Wiese blüht, auch im naturnahen Familiengarten gut aufgehoben. Anbieter für Wildblumensamen findet man problemlos bei einer kleinen Webrecherche.

Zudem sollte man auf Saisonalität achten – besonders Frühblüher im Frühjahr sind wichtig als erste Nahrungsquelle für Insekten wie Hummel- oder Bienenkönigin. Ein gut geplanter Wildgarten bietet fast das ganze Jahr Nahrung für Insekten.

Wichtig ist bei der Planung auch, auf (Klein)Kinder und Haustiere zu achten. Wo Tiere und Kinder spielen, haben es Pflanzen vielleicht schwer – und letztendlich soll der Garten ja nicht den einen helfen und den anderen die Freude nehmen. Zudem sollten Bereiche, die z.B. Wildbienen einen Lebensraum geben, nicht gleichzeitig von Kleinkindern als Spielraum genutzt werden.

Erde und Pflege

Für die Pflanzerde und fürs Düngen empfiehlt sich ebenso der Verzicht auf den Baumarkt. Torf ist tabu und schadet den Mooren. Ein Kompost ist die beste Langzeitinvestition in eigene Erde, man kann Pflanzenerde aber auch sehr günstig beim manch lokalen Wertstoffhof erwerben, selbst als Privatperson. Das spart Plastikverpackung und bei größeren Vorhaben viel Geld. Laub gehört im naturnahen Garten auch dazu und wird nicht zur Deponie gefahren – sondern auf Beete und in Rabatten verteilt, gern für Tiere im Herbst und Winter auf Haufen gepackt. Und was übrig bleibt, kann zerkrümelt auf den Kompost. Auch „Hackschnitzelchen“ kann man selbst aus Gartenresten herstellen und auf Marktware mit geringer Qualität verzichten. Beschnitt von Sträuchern und Bäumen wird im eigenen Schredder zu biologisch hochwertigem Streu. Apropos Beschnitt: bei Bäumen und Sträuchern sollte man diesen genau prüfen und nicht zu früh durchführen. Im Frühjahr sind oft Eiablagen von Schmetterlingen und anderen Insekten im Geäst.

Vom Tiny Forrest zum Tiny Garden

Ein naturnaher Garten kann zudem wild und dicht bepflanzt sein. In vielen Städten ist der sogenannte Tiny Forrest zum Trend geworden. Hierbei werden auf kleiner Fläche möglichst dicht Sträucher und Bäumchen gepflanzt, die nicht die Höhe herkömmlicher Wälder erreichen, sondern deutlich kompakter Biomasse generieren. Sie beherbergen eine deutlich größere Artenvielfalt und sind gut fürs Mikroklima im Umfeld, sie wirken sogar Temperatur-mildernd. Auf den Garten bezogen kann man den Tiny Garden ebenso zum Trend machen. Je dichter und wilder ein Gartenstück bepflanzt wird, desto besser für die Biodiversität. Auch Rasen muss man nicht auf Kante mähen, eine urige Wiese hilft Insekten und Vögeln bei der Nahrungssuche. Und überhaupt sollte man Unkraut lieber in Wildkraut umtaufen.

Anzucht und Aussaat für Sparfüchse

Ein Familiengarten lässt sich gerade bei kleineren Kindern mit dem Abenteuer einer kleinen Selbstversorgung kombinieren. So kann man Kräuter oder Gemüse selbst aussäen und anzüchten. Sparfüchse schlagen bei Samen im Sale mit frisch abgelaufenem Haltbarkeitsdatum zu – auch hier lohnt der Weg in den Baumarkt mit überteuerten Samen meist nicht. Spannend für Kinder ist die Aufzucht mit Kokosquelltöpfchen im Haus, wo man sie noch in Übergangstöpfchen umtopft, bevor sie in den Garten kommen. So sind sie vom ersten Keimen bis zur Ernte dabei und wissen, wie Nahrungsmittel entstehen. Wer draußen wenig Platz hat, für den empfehlen sich Standregale mit Pflanzbecken in mehreren Ebenen.

Accessoires für wilde Kreaturen

Auch bei ergänzenden Lebensräumen für Tiere kann man viel verkehrt machen. In Baumärkten werden nicht selten Vogelhäuser mit Anflugstangen und kleine Insektenhotels angeboten, die zwar schick, aber manchmal sogar schädlich sind. So nutzen Marder & Co. Anflugstangen für schnelle Beute und Wildbienen verenden in zu eng konzipierten Insektenhotels oder nutzen diese gar nicht. Für Ergänzungen in einem durchdachten Artenschutzgarten sollte man Folgendes beachten:

  • Richtig sind Vogelhäuser mit glatten Außenwänden, gern mehrere Vogelhäuser zur Vermeidung von Futterkonkurrenz aufhängen – und Vogelhäuser, die auf mehreren Etagen Futter anbieten und die unterschiedlichen ökologischen Nischen der Vogelarten berücksichtigen
  • Für die Auswahl von Vogelhäusern zuvor die Vogelarten im Garten beobachten und artengerecht auswählen – artenschutzgerechte Vogelhäuser kann man auf der NABU-Seite bestellen
  • Das Futter nach den Vogelarten ausrichten, am besten einen Körnermix, der ein breites Nahrungsangebot ermöglicht
  • Einrichten von Insekten und Vogeltränken insbesondere in der trockenen Jahreszeit, da sowohl Insekten als auch Vögel in der Natur immer weniger Wasser finden
  • Wo immer Platz ist – am besten an Grundstücksgrenzen – Totholzhecken (sogenannte Benjes-Hecken) einrichten, die Insekten aber auch Kleintieren wie Igel ein Zuhause bieten
    Vor Zugang (Haustiere & Kids) geschützte Sandstellen für Wildbienen einrichten, die oft im Boden leben

Inspiration

Wieviel Spaß ein naturnaher Garten machen kann und wie unsinnig manch behaupteter Natur- und Artenschutz bei vielen Produkten ist, zeigt „Robinga Schnögelrögel“ in so lustigen wie informativen Kurzvideos auf seinem YouTube- und Instagram-Kanal. Unsere unbedingte Empfehlung für Natur- und Tierfreunde, die bei allem Ernst der Gesamtentwicklung auch einmal lachen möchten.

Wer so inspiriert mit dem eigenen naturnahen Familiengarten loslegt und nach ersten Ergebnissen mag, kann die Verwirklichung des wilden Paradieses gern mit uns teilen. Für gelungenen Natur- und Artenschutz gibt es dann in künftigen Ausgaben gern eine kleine Bühne. Insofern sind Bilder und Gartengeschichten unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! gern gesehen.

Bienen schützen

Die Honigbiene ist bei vielen Produkten und selbst Unternehmen zum Symbol für Naturschutz geworden. Wer sich einen grünen Anstrich geben will, hält ein Bienenvolk. Tatsächlich bedroht sind aber viele Wildbienenarten in unserem Land. Eine, die sich gegen den Trend sogar verbreitet, ist die Blaue Holzbiene – die zur Wildbiene des Jahres 2024 gekürt wurde. Wegen ihrer Größe wird sie häufig für eine Hummel gehalten. Die Holzbiene brummt laut, ist aber sehr friedfertig. Besonders auffällig sind die blau schillernden Flügel und der metallisch-schwarz glänzende Panzer. Achten Sie einmal darauf – heute erreicht die Holzbiene sogar die Top 10 der am häufigsten gemeldeten Arten; was auch daran liegt, dass man unsere größte heimische Wildbiene kaum übersehen und leicht bestimmen kann.

Mitmachen: Insekten- & Vogelzählung

Ist der naturnahe Garten einmal eingerichtet, kann man mit Kindern dem Naturschutz in zwei großen Mitmachaktionen helfen. Der NABU ermittelt als breit angelegte Studie die Entwicklung der Insekten- und Vogelarten – und jeder kann mitmachen. Die Insektenzählung erfolgt im Zeitraum vom 31. Mai bis 9. Juni und vom 2. bis 11. August 2024, die nächste Vogelzählung läuft vom 9. bis 12. Mai 2024. Einfach eine Stunde in den Garten gesetzt – und dann Insekten und Vögel nach jeweiligen Arten gezählt. Das macht den Kindern besonders Spaß und kann als kleiner Wettbewerb umgesetzt werden. So lernen die Kleinen die wichtigsten Insekten- und Vogelarten kennen, sie lernen zählen – und helfen dem Artenschutz. Denn alle Zählungen gehen in die Studie ein, die quasi als Bürgerwissenschaft zählt. Die QR-Codes siehe oben führen jeweils zu einem Erklärvideo, weitere Informationen gibt es auf der NABU-Webseite.

Robinga Schnögelrögel

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Insektenzählung

Vogelzählung

Viele weitere Hinweise zum Natur- und Artenschutz auch im Familiengarten gibt es auf der Webseite des NABU unter:

www.nabu.de