Ein Plädoyer für einen naturnahen Familiengarten
Passend zum Titelthema Naturschutz ist in diesem Jahr auch das Garten-Spezial ein Aufruf zum Erhalt unserer Umwelt. Die rund 17 Millionen Privatgärten in Deutschland haben nämlich das Potenzial, einen wichtigen Beitrag für die Biodiversität zu leisten, gerade als eine Art „Rettungsinsel“ inmitten von Siedlungsgebieten. Und trotzdem bevorzugt laut der Gartenumfrage 2023 von GARDENA rund die Hälfte der Besitzer eines eigenen Stückes Grün einen eher klassischen Stil – der mit englischem Rasen, exotischen Sträuchern und einer kurzgeschorenen Hecke allerdings kaum Lebensraum für heimische Tiere bietet. „Solche Flächen sind oft artenarm, fast tot“ lautet dazu die Wertung von Sophie Lokatis, Natur- und Artenschutzexpertin bei der Deutschen Wildtier Stiftung.
Wir wollen deshalb zeigen, wie man Leben zurück in seinen Garten bringt – und ganz nebenbei Kindern einen Ort gibt, um Natur hautnah zu erleben.
Wurzel allen Übels
Der Studie gARTENreich aus 2024 zufolge besteht gut ein Drittel der deutschen Gärten aus reiner Rasenfläche. Alleine das stellt bereits ein enormes Potenzial für die biologische Vielfalt dar. Richtig gelesen, Wiesen zählen in Mitteleuropa tatsächlich zu den artenreichsten Lebensräumen, die besonders reich an Insekten und Amphibien sind, welche wiederum weitere Tiere anlocken. Nur ist dieser Fakt anhand vieler deutscher Gärten wohl kaum noch nachzuvollziehen, wo der Rasen ja auch nicht nur einen Zentimeter zu hoch sein darf – in einigen Gartenverbänden scheint es hierzu tatsächlich klare Vorschriften zu geben. Die Folge: Während des Mähvorgangs mit dem typischen Sichelmäher erwischt es Larven, Raupen & Co. – Heuschrecken beispielsweise werden um bis zu 80 Prozent dezimiert. Weiter geht es dann mit dem geschnittenen Gras, in dem verfangen sich nämlich weitere Kleinstlebewesen, die so mit entsorgt werden. Und als Ergebnis bleiben lediglich einige wenige Grasarten zurück, die schneller nachwachsen und so durch das regelmäßige Mähen andere Pflanzen verdrängen. Von nährstoffreichen Blüten fehlt jede Spur.
Lazy Gardening
Immer noch nicht von den Nachteilen des künstlichen englischen Rasens überzeugt? Dann sorgt vielleicht das Detail, dass mit dem Lossagen vom Zierrasen auch viel Zeit und Geld gespart werden kann, für den letzten nötigen Anreiz. Neben mehr Biodiversität bietet ein natürlicher Ansatz nämlich folgende und noch viele weitere Vorteile:
- gemäht werden muss nur zwei bis vier Mal im Jahr – hoher Rasen mit vielen verschiedenen Pflanzen sieht vielfältiger und gesünder aus
- einzelne Grünstreifen werden gänzlich unberührt gelassen – noch weniger Aufwand und dafür Rückzugsmöglichkeiten für Insekten
- wenn es doch mal zu hoch wuchert, wird mit Handmäher oder Sense selbst Hand angelegt – verspricht mehr Spaß für Mensch und Tier
- es wird über Wochen gemütlich Stück für Stück gemäht – das ist leichter und so können sich Insekten verkriechen und Pflanzen versamen
- die Grashaufen werden einfach mal liegen gelassen werden – Entspannung nach der Arbeit und Fluchtmöglichkeit für Kleinstlebewesen
- weniger wässern und düngen – ein Biogarten braucht auch weniger künstliche Zuwendung
Nicht alles, was blüht, ist bienentauglich
Das zweite Drittel der deutschen Gärten besteht aus weiteren Pflanzen wie Bäumen, Sträuchern oder Blumen. Hier sollte man vor allem darauf achten, einheimischen Arten den Vortritt zu lassen, da Gewächse aus dem Ausland sehr oft keinen Mehrwert für die hiesige Tierwelt bieten. Gerade Zuchtgewächse sollte man tunlichst vermeiden. Nur weil die Blüten ein erfreulicher Anblick für das menschliche Auge sind und oftmals sogar tatsächlich Insekten anlocken, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch einen Beitrag für die Biodiversität leisten. Da helfen auch Siegel wie „gut für Bienen“ nichts, die meist reine Verkaufsmasche sind. Letztendlich ist es nämlich die Menge an Nektar mit seinen Nährstoffen, die zählt – und die ist naturgemäß bei allen Pflanzen besonders hoch, die auch auf einer normalen Wiese zu finden sind, wie Schafgarbe, Dahlien, Kornblumen, Löwenmäulchen oder Storchschnabel – Wildblumen also. Statt im Baumarkt oder der Baumschule, sollte man sich hier also lieber nach Nischen-Anbietern für Wildblumen umgucken, viele bieten oft sogar gleich eine ganze Bandbreite von verschiedenen heimischen Arten in einer Samenmischung an.
Insektenhotel & Co.
Wenn aus dem klassischen englischen Rasen dann eine eigene kleine Wiese voller Artenvielfalt geworden ist, kann es an die für die Biodiversität besonders wichtigen Strukturelemente gehen – aber wirklich erst, wenn die Umgebung als Grundlage für alles Weitere naturnah angelegt wurde. Hier gilt nämlich die Regel, dass man zum Beispiel so viele Vogelhäuser mit Körnerfutter aufstellen kann, wie man will – solange der restliche Garten nicht auch tierfreundlich gestaltet ist, werden Vögel trotzdem keine Nester bauen. So gibt es viele Vogelarten, die besonders für die Aufzucht der Küken auf Insekten als Nahrungsquelle angewiesen sind – ein Ort ohne das entsprechende Futterangebot wird also auch nicht als attraktiver Nistplatz gesehen. Ist die richtige Grundlage aber erstmal geschaffen, können dann viele verschiedene Kleinbiotope einen Lebensraum für weitere Tiere bieten. Einige Beispiele wären hier Trockenmauern für Eidechsen, Totholzhaufen für Igel, Stein- und Reisighaufen für Wildbienen, die beliebten Insektenhotels für alle möglichen Krabbler, Teiche und Sumpfbeete für Amphibien oder Komposthaufen für Regenwürmer und Blindschleichen.
Saisonalität: Außerordentlich wichtig für einen Naturgarten ist über alle Bereich hinweg übrigens auch das Thema Saisonalität. Das fängt schon bei den Blumen an. Bei einer gut geplanten Mischung blüht es nicht nur im Sommer, sondern über das ganze Jahr hinweg und besonders zum Frühlingsbeginn. So haben Insekten ein beständiges Futterangebot, wobei Früchte wie Beeren nochmal zusätzlich unterstützen können. Wahre Wunder wirken hier übrigens auch Obstbäume, die nicht nur als Nahrungsquelle für Tiere von klein bis groß dienen, sondern über Laub und Baumhöhlen auch für Unterschlupf in kalten Jahreszeiten sorgen. Nicht umsonst gelten Streuobstwiesen als Hotspots der Biodiversität, wobei eine einzige davon über 5.000 Tier- und Pflanzenarten beherbergen kann. Ansonsten kann man viele Potenziale im eigenen Garten auch intuitiv erkennen – ist es heiß, kann man zum Beispiel eine Schale mit Wasser aufstellen, nicht nur der Mensch hat Durst.
Mut zur Veränderung
Das letzte Drittel der deutschen Gärten machen Gemüsebeete mit rund 10 Prozent der Fläche, versiegelte Bereiche mit demselben Anteil und weitere Nutzungsformen aus. Und hier könnte für viele die Umstellung auf einen Naturgarten vielleicht als stärkste Hürde gesehen werden. Laut der Gartenumfrage 2023 von GARDENA hat so jeder Dritte das Ziel, sich mit seinem Garten auch selbst zu versorgen – die Sorge, dass ein Insektenparadies in der Nähe heute für den Befall der eigenen Ernte morgen sorgen könnte, dürfte also bei nicht wenigen auf offene Ohren treffen. Gerade in einem artenreichen Garten ist diese Befürchtung aber unbegründet – hier hält sich die Natur die Waage, auf eine Welle an Blattläusen folgt eine Schar Marienkäfer – und Raupen werden von Raubfliegen in Schach gehalten. Und auch bei den versiegelten Flächen kann man ohne großen Aufwand für Biodiversität sorgen. Für Häuser kommt so eine Fassaden- oder sogar Dachbegrünung in Frage und von einbetonierten Bereichen sollte man natürlich besser vollends die Finger lassen – mit unversiegelten und wasserdurchlässigen Bodenbelägen wie Kräuterrasen, Schotterrasen, Rasengittersteinen oder Holz für Terrassen gibt es auch hier perfekte Alternativen.
Vereinbarkeit mit Kindern
Ein naturnaher Garten ist voller Leben, es kreucht und fleucht in jeder Ecke. Da kommt natürlich die Frage auf, ob das auch der richtige Ort für Kinder ist – und die einfache Antwort lautet: Ja! In einem artenreichen Stück Grün gibt es nämlich viel zu entdecken, ob Hummeln und Zitronenfalter oder Lavendel und Krokusse. Auf einer natürlichen Wiese mit den Maßen eines Baskettbalfeldes lassen sich so rund 60.000 Insekten in den unterschiedlichsten Farben, Formen und Größen finden, während der klassische kurze Rasen vor allem von Spinnen und Ameisen dominiert wird. Und der Bau von Insektenhotels, Trockenmauern, Totholzhaufen, Stein-, Reisig- und Komposthaufen ist ein beliebtes Gemeinschaftsprojekt, das nicht nur die Kreativität fördert und über die Zeit für immer neue Beschäftigung sorgen kann, sondern Kindern in Form von Tierbesuchen auch ganz praktisch zeigt, welche Früchte ihre Leistung tragen können. Apropos Früchte, welche Pflanzen wären wohl besser für den perfekten Familiengarten geeigent als Brombeere, Zitronenmelisse, Katzenminze, Salbei & Co., bei denen sowohl Mensch als auch Tier mal knabbern dürfen. Und wem das Komplettprogramm letztendlich doch etwas zu viel ist, der kann mit „Akzeptanzstreifen“ – also eher etwas kurz gehaltenen Wegen und Flächen inmitten der naturnahen Wiese – etwas Freiraum zum ungehinderten Spielen schaffen, ohne allzu große Abstriche bei der Biodiversität machen zu müssen. Wobei ein Garten mit heimischen Pflanzenarten in einem guten Gleichgewicht sowieso etwas resistenter ist, sodass sich problemlos auch mal ein Ball im Gestrüpp verirren oder auf der Wiese ausgelassen getobt werden kann.
Bienen schützen: Der Begriff „Bienensterben“ dürfte wahrscheinlich den meisten bekannt sein. Weniger bekannt dagegen ist, dass es hierbei nicht um die gewöhnliche Honigbiene geht, deren Bestand ganz im Gegenteil sogar durch ihre Haltung als Nutztier wächst, sondern um Wildbienen. Wer zur Lösung des Problems beitragen will, steht also erstmal vor der Herausforderung, die richtigen Pflanzen für die richtige Art von Wildbiene zu finden – die beziehen nämlich aus jeweils unterschiedlichen Quellen ihre Nahrung. Hier kann man sich im Internet schlau machen, zum Beispiel auf der Seite des Niederlausitzer Projektes „Bienenburgen“, das in seiner Studie unsere wichtigsten Wildbienengruppen von 2023 und die hiesigen Bienengattungen gelistet hat und zeigt, wie man sie bei sich im Garten identifizieren kann.
Inspiration zum Loslegen
Wieviel Spaß ein naturnaher Garten machen kann und wie unsinnig manch behaupteter Natur- und Artenschutz bei vielen Produkten ist, zeigt „Robinga Schnögelrögel“ in so lustigen wie informativen Kurzvideos auf seinem YouTube- und Instagram-Kanal. Unsere unbedingte Empfehlung für Natur- und Tierfreunde, die bei allem Ernst der Sache auch einmal lachen möchten.
Naturgarten ohne Garten
Ein anderer Ort, der eine genauso wichtige Bedeutung für die Biodiversität haben kann, wie naturnahe Gärten, ist der Balkon. Dieser hat nämlich das Potenzial, nicht nur uns Menschen einen Zufluchtsort vom Alltag zu schenken, sondern auch Tieren, die es in der Betonwüste unserer Städte bereits schwer genug haben. Gerade in der Kombination mit Kräutern und Gemüse, die auch noch Verwendung in der Küche finden können, besteht so selbst bei kleineren Bauten die Möglichkeit, für sich und andere ein kleines grünes Paradies zu schaffen. Geeignete Pflanzen sind hier zum Beispiel Wandelröschen, Löwenmäulchen oder Kapuzinerkresse – und jedem, der auch selbst etwas von der Bepflanzung haben will, seien vor allem Salbei, Rosmarin, Lavendel, Pfefferminze und Thymian ans Herz gelegt.
Wer so inspiriert mit dem eigenen naturnahen Familiengarten loslegt und nach ersten Ergebnissen mag, kann die Verwirklichung des wilden Paradieses gern mit uns teilen. Für gelungenen Natur- und Artenschutz gibt es dann in künftigen Ausgaben gern eine kleine Bühne. Insofern sind Bilder und Gartengeschichten unter redaktion@lausebande.de gern gesehen.
Mitmachen: Insekten- & Vogelzählung! Ist der naturnahe Garten einmal eingerichtet, kann man mit Kindern dem Naturschutz in einer großen Mitmachaktionen helfen. Der NABU ermittelt in einer breit angelegten Studie die Entwicklung der Vogelarten in Deutschland – und jeder kann mitmachen. Einfach eine Stunde in den Garten setzen – und dann Vögel nach den jeweiligen Arten zählen. Das macht den Kindern besonders Spaß und kann als kleiner Wettbewerb umgesetzt werden. So lernen die Kleinen die wichtigsten Vogelarten kennen, sie lernen zählen – und helfen dem Artenschutz. Denn alle Zählungen gehen in die Studie ein, die quasi als Bürgerwissenschaft zählt. Die nächste Zählung findet vom 9. bis 11. Mai 2025 statt, über den QR-Code oben geht es zu der Webseite des NABU. Außerdem fand bis letztes Jahr auch eine ähnliche Aktion für Insekten statt. Die gibt es zwar nun nicht mehr, aus Spaß kann man sich daran aber privat auch mal probieren.
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