Merkmale von Computerspielen, die ein besonders hohes Suchtpotenzial aufweisen
- Vergabe virtueller Belohnungen in Abhängigkeit von der im Spiel verbrachten Zeit
- Spielprinzipien, die dem Nutzer Nachteile einbringen, sofern er nicht regelmäßig die Spielwelt aufsucht (z.B. entgangene Belohnungen)
- Langwieriges Level-System, das so ausgelegt ist, dass die Weiterentwicklung des eigenen Spiels bis zur letzten Erfahrungsstufe ein ausdauerndes und zeitintensives Spielen über einen Zeitraum von mehreren Monaten erfordert
- großflächige und komplexe Spielwelt, deren Erkundung und Nutzung aller Spieloptionen ein ausdauerndes und zeitintensives Spielen über einen Zeitraum von mehreren Monaten erfordert
- komplexe Aufgabenstellungen, die nur innerhalb einer eingespielten und sich funktional ergänzenden Spielergemeinschaft gelöst werden können und den starken Verpflichtungscharakter eines sozialen Gefüges begünstigen, sodass die Präsenz in der Spielwelt mit einer Verantwortung (gegenüber Mitspielern) oder einer Verlustangst (Ausschluss bei Abwesenheit) einhergeht
- Vergabe besonders seltener und für Spieler prestigeträchtiger virtueller Belohnungen unter Rücksicht auf Mechanismen mit wiederkehrender Verstärkung
Risiken digitalen Medienkonsums
In Südkorea, dem fortschrittlichsten Land bei der Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien, sind heute bereits 12 % der Kids internetsüchtig. Das Suchtpotenzial der Computerspiele trifft bei uns vorwiegend Jungen in sozial schwachen Haushalten, bei den sozialen Netzwerken sind es eher die Mädchen. Der Konsum digitaler Medien wird zudem kaum mit Glücksgefühlen erlebt, Emotionen wie bei realen Spielen mit Freunden bzw. Familie oder einem anderen Austausch im realen Leben finden kaum statt, selbst wenn bei einem Spiel ein Ziel erreicht wurde. Auch die starke Zunahme von Depressionen unter Kindern und Jugendlichen werden mit dem vermehrten Medienkonsum in Verbindung gebracht. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren auch die Neigung zum Übergewicht zunehmend mit Suchtverhalten erklärt wird. Für viele junge Menschen entsteht so ein Teufelskreis aus Sucht, Depression, Übergewicht, mangelnder Akzeptanz und Rückzug – natürlich in die digitale Welt.
Nicht zu unterschätzen ist vor allem die Konkurrenz digitaler Medien zum Schlaf. Egal ob Spielkonsole, Tablet oder Smartphone, immer mehr junge Menschen nutzen die Abende für Beschäftigung mit diesen Medien. Bei nicht wenigen liegt das Smartphone auch nachts griffbereit. Wir wissen heute, dass der Schlaf mit seinen verschiedenen Phasen für die Entwicklung des Gehirns große Bedeutung hat. Entgegen früheren Erwartungen ruht das Gehirn nachts nicht, es arbeitet unentwegt. Alle tagsüber gesammelten Eindrücke und Erfahrungen werden verarbeitet. Man kann sich das so vorstellen, dass alles am Tag Erlebte in Briefen in einem vollgestopften Briefkasten gesammelt wurde. Eine Schlafphase leert den Briefkasten, die nächste packt die Briefe aus und schaut, was darin ist, und schließlich werden die Briefe in einer weiteren Phase beantwortet. Die neuen Erfahrungen werden also auf vorhandenes Wissen bezogen und Fragen beantwortet, für die wir tagsüber keine Lösung gefunden haben. Deshalb wachen wir nachts manchmal auch mit der Lösung für ein Problem auf, das uns tagsüber gequält hat. Bei Kindern passiert das im Schlaf beständig. Wer viel lernt, braucht also auch viel Schlaf. Deshalb sollten Grundschulkinder auch ihre 10 Stunden Schlaf genießen. Wird Kindern durch digitale Medien Schlaf genommen, bestraft sie das in ihrer Entwicklung gleich mehrfach: zum einen hinterlassen die vergleichsweise oberflächlichen Erfahrungen geringere Spuren, zum anderen werden sie auch noch schlechter verarbeitet. Zudem sind sie am nächsten Tag in der Schule müde, unaufmerksam und leistungsschwächer. Zu wenig Schlaf schwächt zusätzlich die Immunabwehr, steigert die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten und Krebs und für ein Übergewicht, das zur Diabetes führen kann. Dabei sind Kinder insbesondere für Werbung mit ungesunden Lebensmitteln zugänglich. Die Gesundheitskosten durch direkt an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel werden auf jährlich 15 Milliarden Euro geschätzt, verbunden mit 10.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Sie begünstigt Übergewicht bei unzähligen Kindern mit den Folgen chronischer Erkrankungen und psychischer Störungen. Die Briten mit einem Anteil von über 30% übergewichtiger Kinder haben deshalb entsprechende Werbung vor 21 Uhr verboten, in Schweden und anderen skandinavischen Ländern ist an Kinder gerichtete Werbung gänzlich untersagt. In Deutschland ist das anders. Nach Schätzungen von Experten sitzen hier noch um 22 Uhr ca. 800.000 Kita-Kids vorm Fernseher, von Grundschulkindern ganz zu schweigen. Das unterstreicht die gesellschaftliche Dimension des Problems.
Das Vorlesen einer guten Geschichte oder das Lesen eines Buchs macht müde und stimmt auf den Schlaf ein. Beide Vorgänge bringen eine vertiefte Erfahrung mit sich. Computerspiele und Chats hingegen sind wie „TV-Erlebnisse“ nicht abgeschlossen. Schlafstörungen bei Kindern werden heute vielfach mit dem Konsum digitaler Medien in Zusammenhang gebracht.
Bewegung und Lernen
Der Zusammenhang zwischen dem Suchtfaktor digitaler Medien und dem Übergewicht scheint logisch. Wer viel sitzt und sich wenig bewegt, der nimmt nun mal schneller zu. Leider wirkt auch hier eine zusätzliche negative Verstärkung auf die Entwicklung von Kindern aus. Mangelnde Bewegung geht meist auch mit einer mangelnden geistigen Entwicklung einher. Wie sehr Bewegung und Lernen zusammenwirken, wird in den ersten Grundschuljahren beim Laufdiktat deutlich. Bewegung ist nicht nur gut für Körper und Gesundheit, sondern auch für den Kopf.
Multitasking – ein Gewinn?
Bislang war es Frauen vorbehalten, etliche Dinge gleichzeitig tun zu können. Heute nimmt bei Kindern und Jugendlichen der Anteil des Multitaskings enorm zu. Sie machen Hausaufgaben, daddeln nebenbei am Smartphone, streamen Musik und klicken sich durchs Internet. Nicht selten schwirrt Eltern da der Kopf. Man könnte meinen, dass dieser Umgang unseres Nachwuchses beim Verarbeiten einer neuen Informationsvielfalt gut für die Zukunft wäre, eine Errungenschaft der digitalen Evolution. Leider zeigen auch hier Studien eher das Gegenteil. Die Steigerung des Multitaskings führt vielmehr dazu, dass die Konzentrationsfähigkeit sinkt, die Tiefe der Verarbeitung deutlich abnimmt und die Ablenkbarkeit zunimmt. Es wird schlichtweg weniger gelernt.
Die Rolle der Eltern
Bis hierhin wird dieser Beitrag bei vielen Eltern sicher Kopfschütteln auslösen. Wie soll man seinen Kindern Spielkonsole, Smartphone und Tablet schon verbieten? Alle Kinder spielen das. Man kann die eigenen Kinder nicht ausgrenzen und unter ihren Altersgenossen in Kita oder Schule zu Außenseitern machen, wir leben ja in keinem luftleeren Raum.Die Lebenswirklichkeit zeigt uns tatsächlich, dass wir im normalen Alltag nicht an digitalen Medien vorbei erziehen können. Sie zu verbieten, bewirkt wie andere Verbote auch das Gegenteil, sie werden noch interessanter, noch begehrenswerter. Das Stichwort lautet eher – wie in allen anderen Erziehungsbelangen auch – Konsequenz. Wer um die negativen Auswirkungen des Konsums digitaler Medien weiß, der kann diesen auch entsprechend einschränken. Streng geregelte Zeiträume für Computerspiele, nachts ausgeschaltete Smartphones, der Verzicht auf Spiele und andere digitale Ausflüge mit Suchtpotenzial, das Gespräch mit Kindern über die Nutzung digitaler Medien und ihre Erfahrungen – all das gehört dazu. Als Eltern wissen wir, dass Süßigkeiten schlecht für Kinder sind. Sie machen dick, hippelig, können zu Konzentrationsstörungen, Übergewicht, Depressionen und sozialer Ausgrenzung führen. Dennoch gehören Süßigkeiten zum Leben dazu. Die hier dargestellten Auswirkungen und der Einfluss digitaler Medien gehen weit über den Vergleich der Süßigkeiten hinaus. Hier muss jeder selbst beurteilen, wie viel ihm an der Zukunft seines Kindes liegt.