Puppen-Dr. Pille – Auf die sanfte Art

Datum: Dienstag, 05. Mai 2015 09:04


Was die Alternativmedizin leisten kann, was die Schulmedizin besser kann.

„Hatschi!“ – Kaum ist die Grippezeit vorbei, kündigt sich auch schon die Pollenzeit an. Ob nun Erkältung oder Heuschnupfen: Wenn die Kleinen leiden, stehen viele Eltern vor der Frage: Antiobiotika oder Globuli? Schulmedizin oder Alternativmedizin? Wir wollen Eltern einen Ratgeber an die Hand geben: Welche Möglichkeiten bietet die Alternativmedizin, wo sind ihre Grenzen? Wann sollte (zusätzlich) ein Schulmediziner zu Rate gezogen werden? Welche Verfahren bietet die Alternativmedizin und bei welchen Beschwerden sind sie geeignet? Wirken Homöopathie und Co. tatsächlich oder ist das alles Humbug? Egal für welche Behandlung sich Eltern entscheiden, wichtig ist in jedem Fall: Bei ernsten Beschwerden und Erkrankungen sollte immer auch ein Schulmediziner zu Rate gezogen werden.

Was ist Alternativmedizin?
Wer sich mit dem Thema Alternativmedizin etwas tiefer beschäftigt, wird schnell feststellen: Für die unterschiedlichsten Verfahren geistern verschiedene Begriffe durch Bücher und Medien. Es ist die Rede von Naturheilkunde oder Naturheilverfahren, von Alternativmedizin oder komplementärer Medizin. Ihnen allen ist gemein, dass sie in Abgrenzung zur klassischen Schulmedizin verwendet werden. Als Schulmedizin gilt die an den Universitäten gelehrte, in Arztpraxen und an Kliniken angewandte und wissenschaftlich nachweisbare Heilkunde. Davon lassen sich Heilmethoden und Verfahren abgrenzen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nur teilweise belegt ist, die häufig auf Erfahrungswissen und natürlichen Wirkstoffen beruhen und die ergänzend zur Schulmedizin angewandt werden. Wir werden im folgenden den Begriff Alternativmedizin verwenden, da er umfassender ist als Naturheilkunde. So gehört beispielsweise die Homöopathie nicht zu den klassischen Verfahren der Naturheilkunde.

Fast allen Verfahren der Alternativmedizin liegt ein ganzheitlicher Ansatz zu Grunde. Sie schauen sich nicht nur die aktuellen Beschwerden des Patienten an. Vielmehr geht einer alternativen Heilmethode zumeist ein ausführliches Erstgespräch zur Anamnese voraus, in der neben den Beschwerden auch die bisherige Krankheitsgeschichte erfragt wird, in dem körperliche Leiden ebenso wie seelische Leiden berücksichtigt werden. Der Therapeut will den Patienten in seiner Gesamtheit und in seiner aktuellen Lebenssituation mit beruflichem und privatem Umfeld erfassen. Erst darauf basierend wird nach einem geeigneten, individuell passenden Heilverfahren gesucht. Stärker noch als die Schulmedizin verlangt die Alternativmedizin Eigenverantwortung vom Patienten, insbesondere von chronisch Kranken. Er selbst soll an seiner Genesung aktiv mitwirken, beispielsweise durchmehr Bewegung und gesunde Ernährung. Er soll sich mit seiner Krankheit auseinandersetzen und die Wirkung bestimmter Lebensumstände und spezieller Heilverfahren beobachten und durch „richtiges“ Verhalten positiv beeinflussen. Im Idealfall und wo die knappe Zeit dies zulässt, berücksichtigen auch Schulmediziner die Lebensumstände des Patienten. Ein guter Hausarzt wird bei Erkältungsbeschwerden nicht einfach nur Hustensaft und Nasenspray aufschreiben, sondern zu gesunder Ernährung und Bettruhe raten – auch das gehört zu ganzheitlicher Medizin.

Verfahren der Alternativmedizin
Unter die Begriffe Alternativmedizin und Naturheilkunde fallen weit mehr als 100 Behandlungsmethoden, die fast alle Lebensbereiche umfassen. Die Diät oder Massage gehört ebenso dazu wie Wadenwickel und Zwiebelsäckchen, aber auch Akupunktur und Homöopathie. Manche können mit wenig Aufwand und ohne Anleitung zu Hause umgesetzt werden, andere sollten unbedingt von einem Therapeuten oder Arzt begleitet werden.
Die Verfahren der Naturheilkunde basieren auf aus der Natur kommenden Substanzen oder ahmen natürliche Prozesse nach. Sie arbeiten mit den Elementen Licht, Wärme, Kälte, Wasser, Luft und Erde. Zu den „klassischen“ Naturheilverfahren gehören:

Hydrotherapie: Die Hydrotherapie setzt auf die heilende Kraft des Wassers. Mit der Anwendung von Wasser in allen Formen (flüssig, Eis, Dampf) sollen die Selbstheilungskräfte des Körpers angeregt werden. Die Hydrotherapie eignet sich zur Vorbeugung und Abhärtung sowie unterstützend zur Rehabilitation. Zu den typischen Anwendungen zählen Heilbäder, Wickel, Kneipp’sche Güsse, Saunabesuche. Entscheidend ist dabei die unterschiedliche Temperatur des Wassers: kalte und heiße Reize lösen bestimmte Reaktionen im Körper aus. Generell werden kalte Reize eher für akute Beschwerden (z.B. Fieber) und warme Reize eher bei chronischen Beschwerden (z.B. Rheuma) eingesetzt. Gerade bei Kindern sollte man nicht zu starke Reize nutzen, so sollte ein Wadenwickel nicht deutlich kälter als die Körpertemperatur des Kindes sein.

Bewegungstherapie: Zur Bewegungstherapie gehören Massagen und Krankengymnastik, die vor allem bei Beschwerden des Bewegungsapparates auch vom Arzt verschrieben werden.  Massagen können eine bessere Durchblutung des Körpers bewirken. Gezielte Übungen können die Beweglichkeit, die Koordination, die Ausdauer und die Muskulatur stärken. Die Bewegungstherapie wird vorbeugend, aber auch zur Behandlung von Krankheiten und zur Rehabilitation eingesetzt.

Ernährungstherapie: Diese Therapieform versucht mit Hilfe bestimmter Ernährung akute Krankheiten (z.B. Durchfall) oder chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes, Bluthochdruck) positiv zu beeinflussen. So kann das Weglassen einzelner Lebensmittel oder der verstärkte Konsum bestimmter Lebensmittelgruppen Beschwerden lindern. Diäten gehören ebenso dazu wie das Fasten. Die Ernährungstherapie geht meist einher mit einer klassischen medizinischen Behandlung und sollte von einem Arzt oder Therapeut begleitet werden, um einseitige Ernährung zu vermeiden.

Pflanzenheilkunde: Die Pflanzenheilkunde, auch Phytotherapie genannt, setzt auf die Heilkraft der Pflanzen. Während die Schulmedizin nur mit isolierten Wirkstoffen bestimmter Pflanzen arbeitet, wird bei der Phytotherapie die ganze Pflanze genutzt. Demnach helfen bei bestimmten Beschwerden bestimmte Kräuter – Thymian bei Husten, Johanniskraut bei Depressionen. Die Pflanzenwirkstoffe können in vielen Formen verabreicht werden: Kräutertee, Tabletten, Saft, Salbe, Öl oder Badezusatz. Bestimmte Öle, wie Menthol, sind allerdings für Babys und Kleinkinder tabu. Wegen möglicher Nebenwirkungen und der Frage der Dosierung, sollte ein Experte zu Rate gezogen werden.

Darüber hinaus gibt es weitere Verfahren der Alternativmedizin, die nicht zur engeren Definition der Naturheilkunde zählen:

Bach-Blütentherapie: Diese setzt noch stärker als andere alternative Heilverfahren auf das Gleichgewicht von Körper und Seele. Der britische Homöopath Edward Bach (1896-1936) entwickelte aus Blüten Essenzen für 38 verschiedene Gemütszustände sowie ein Akutmittel aus fünf Essenzen, die sogenannten Notfalltropfen, die bei akuten Angstzuständen helfen sollen. Die Essenzen sollen negative Stimmungen wie Angst oder Neid beseitigen und dadurch auch körperliche Beschwerden lindern. Bei der Anwendung bei Kindern ist zu beachten, dass die meisten Essenzen Alkohol enthalten.

Osteopathie: Diese Behandlungsmethode setzt auf Heilung durch Berührung. Demnach ist der Körper ein komplexes System, in dem Organe, Muskeln und Gelenke miteinander verbunden sind. Wenn diese Verbindungen gestört sind, kommt es zu Beschwerden. Durch den sanften Druck der Hände und gezielte Griffe sollen Blockaden im Körper gelöst und der innere Selbstheilungsprozess aktiviert werden. Patienten, die den Osteopathen aufsuchen, haben oft Rücken-, Nacken- oder Kopfschmerzen. Bei Kleinkindern kommt die Osteopathie vor allem bei starker Unruhe, bei Verdauungsproblemen und bei häufigem Schreien zum Einsatz.

Ayurveda: Dabei handelt es sich nicht um ein Heilverfahren im eigentlichen Sinn. Vielmehr handelt es sich um 3.000 Jahre alte Heilkunst aus dem indischen Raum mit einer eigenen Philosophie. Ähnlich wie bei der TCM liegt dem Ayurveda-Prinzip ein ganzheitliches Denken zu Grunde, bei dem die Lebensenergie des Körpers eine zentrale Rolle spielt. Demnach wird der Mensch von drei Bioenergien, den sogenannten Doshas, gesteuert: Vata (Kreislauf und Nerven), Pitta (Stoffwechsel und Verdauung) und Kapha (Gelenk und Immunsystem). Jeder Mensch ist durch eine individuelle Zusammensetzung dieser Doshas geprägt. Stress oder falsche Ernährung können das Gleichgewicht dieser Energien stören und Krankheiten verursachen. Ayurveda bietet mehr als hundert verschiedene Verfahren an, um das Gleichgewicht der Bioenergien wieder herzustellen. Am Anfang einer Behandlung sollte immer zunächst die Anamnese und Diagnostik stehen, dann werden die passenden Verfahren ausgewählt. Zu den Verfahren der Ayurveda-Heilkunst gehören Ölgüsse, Heilpflanzen, Massagen, Yoga und Ernährungstherapien. Angewandt werden sie vor allem bei Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Bluthochdruck, begleitend auch bei schweren Erkrankungen wie Krebs oder Multipler Sklerose.

Traditionelle Chinesische Medizin: Ähnlich wie Ayurveda in Indien basiert die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in China auf einem eigenen Weltbild. Grundlage ist die Einteilung aller Dinge in die Urkräfte Yin und Yang. Geraten diese aus dem Gleichgewicht, wir der Mensch krank. Eine weitere zentrale Bedeutung hat der Begriff Qi,der vereinfacht mit „Lebensenergie“ übersetzt werden kann. Wenn diese nicht mehr ungehindert fließen kann, wird die TCM zu Rate gezogen. Einer eingehenden Diagnostik folgt eine individuelle Therapie. Die TCM mit ihrer mehr als 2.000 Jahre alten Tradition kann auf eine Vielzahl an Arzneimitteln und Heilverfahren zurückgreifen. Die in Westeuropa gängigsten sind die Kräuterheilkunde, Heilmassagen wie Tuina, Bewegungstherapie (Tai-Chi, Qigong) oder Akupunktur und Akupressur. Bei der Akupressur werden an speziellen Punkten des Körpers keine Nadeln gesetzt, sondern Druck mit Daumen und Zeigefinger ausgeübt. Laien sollten eine Akupressur erst nach professioneller Anleitung selbst anwenden.

Akupunktur: Bei diesem Heilverfahren der TCM sollen Nadelstiche an bestimmten Punkten des Körpers Heilung und Schmerzlinderung bringen. Die Tradition der Akupunktur geht über 2000 Jahre zurück. Nach alter chinesischer Vorstellung wird der menschliche Körper von Bahnen der Lebensenergie, sogenannten Meridianen, durchzogen. Ist der Energiefluss, das Qi, des Menschen und damit sein inneres Gleichgewicht gestört, können Nadelstiche an bestimmten Punkten entlang der Meridiane dieses Gleichgewicht wieder herstellen. Während der Behandlung werden nach einer kurzen Massage der Einstichstelle meist zwischen 10 und 20 Nadeln gesetzt. Nach 10 bis 30 Minuten werden die Nadeln wieder entfernt. Eine Therapie umfasst in der Regel 10 bis 15 Sitzungen. Besonders beliebt ist die Akupunktur bei Kopf-, Schulter- und Knieschmerzen, aber auch bei Heuschnupfen und anderen Allergien. Bei Kindern kann die Akupunktur ab etwa acht Jahren eingesetzt werden, dann mit sehr feinen Nadeln.

Schüßler-Salze: Die Biochemie nach Wilhelm Heinrich Schüßler (1821-1898) geht davon aus, dass für die meisten Beschwerden ein gestörter Salzhaushalt des Körpers die Ursache ist. Schüßler war Anhänger der Homöopathie, fand aber die Vielzahl von Wirkstoffen zu unübersichtlich. Stattdessen beschränkte er sich auf zwölf Mineralsalze (auch Funktionsmittel genannt), die den Mineralhaushalt wieder regulieren und so bei bestimmten Beschwerden helfen sollen. Wie bei der Homöopathie werden die Wirkstoffe verdünnt (potenziert) und in Tablettenform verabreicht. Schüßler-Salze werden häufig bei Zahnungs- und Verdauungsbeschwerden und bei Erkältungen angewandt. Bei schweren Erkrankungen oder bei Nierenproblemen sind sie ungeeignet.

Homöopathie: Die Homöopathie ist eines der am weitesten verbreiteten aber auch eines der umstrittensten Verfahren. Begründet wurde die Homöopathie vom Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843). Das Verfahren beruht auf zwei Prinzipien. Erstens: Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt, zweitens: die Heilmittel werden verdünnt bzw. potenziert. Das Ähnlichkeitsprinzip besagt, dass Substanzen, die bei gesunden Menschen bestimmte Symptome hervorrufen, diese Symptome bei Kranken lindern können. Ein Beispiel dafür ist die Zwiebel. Sie bringt die Augen zum Tränen und die Nase zum Laufen. Als homöopathisches Mittel soll sie gegen Schnupfen wirken. Die Heilmittel werden aus Ursubstanzen, wie Pflanzen, Tieren, Mineralien, hergestellt. Diese werden zerkleinert und in einer Alkohol-Wasser-Lösung verdünnt, mindestens im Verhältnis 1 zu 10, wodurch die Potenz D1 entsteht. Dabei gilt: je stärker die Verdünnung, desto höher die Wirksamkeit. Am Ende entstehen sogenannte Globuli. Auch die Homöopathie als Heilverfahren nimmt den Patienten ganzheitlich in den Blick.  Die Diagnose beschränkt sich nicht auf einzelne Organe oder Beschwerden, sondern auf den jeweiligen Menschen mit seiner Lebensgeschichte. Jeder Patient bekommt ein individuelles Heilmittel, das speziell auf seine Beschwerden abgestimmt ist. Das homöopathische Mittel soll die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen und so zur Linderung oder Heilung von Beschwerden führen.
Kaum ein Verfahren ist so umstritten wie die Homöopathie. Kritiker bemängeln sowohl das Ähnlichkeits- als auch das Verdünnungsprinzip. Gerade letzteres widerspreche jeglichen naturwissenschaftlichen Grundlagen aus Physik, Chemie und Biologie. Bei besonders extremer Verdünnung ist kein Molekül der Wirksubstanz mehr nachweisbar. Homöopathen glauben dennoch an die Wirkung: Die Ursubstanz hat durch das Verschütteln und Verdünnen ihre Information bzw. ihre Energie auf das Wasser übertragen und kann so auf den Körper wirken.