Early Shopping Queen

Datum: Dienstag, 02. Mai 2017 09:13

Nimm ein T-Shirt weniger

Interview mit Alexandra Perschau von Greenpeace. Seit 2001 befasst sie sich mit der Produktion nachhaltiger Baumwolle und dem Konsum ethischer Mode. Seit 2016 arbeitet sie bei Greenpeace für die Detox My Fashion-Kampagne, in der sich bereits 79 Modeunternehmen bereit erklärt haben, bis zum Jahr 2020 auf gefährliche Schadstoffe und Chemikalien in der Kleiderproduktion zu verzichten. Zudem gibt Alexandra Perschau Einkaufstipps für Kinderkleidung und erklärt, warum Flohmärkte die besseren Modegeschäfte sind.

Greenpeace setzt sich seit Jahren für giftfreie Textilien ein- müssen Eltern Angst haben, dass ihre Kinder durch Schadstoffe in der Kleidung krank werden?

Nein, akute Gesundheitsgefahr geht von neu gekaufter Kleidung in der Regel nicht aus. Vorgegebene Auflagen und Kontrollen sorgen dafür, dass Schadstoffe ganz verboten oder im Endprodukt nur in geringsten Mengen vorhanden sind. Nichtsdestotrotz empfehlen wir, gebrauchte Kleidung neu gekaufter Ware vorzuziehen. Zum einen sind in bereits getragener Kleidung mögliche Schadstoffe ausgewaschen. Zum anderen werden bereits vorhandene Kleidungsstücke genutzt, statt der Natur Rohstoffe zu entnehmen und in den Herstellungsländern Menschen und Umwelt zu belasten. Das Färben und Bedrucken von Textilien schadet der Gesundheit und belastet die Abwässer. Die Modefarben der Saison erkennt man dort oft genug an den Farben der Flüsse.

Warum sind die Bedingungen in der Textilproduktion überhaupt so problematisch?

Das liegt zum großen Teil am „Fast Fashion“-Modell und dem damit verbundenen übermäßigen Konsum. Bei uns in den Läden hängen ständig neue Kollektionen, die in hohem Tempo billig produziert wird. Schlussendlich fehlt die Wertschätzung für Kleidung. Darunter leiden die Umwelt, die Sozialstandards, die Arbeitsbedingungen. Und selbst wenn man an einzelnen Stellen Verbesserungen erreicht, zieht die Karawane weiter. Es gibt noch immer genug Orte in der Welt, wo man billig und weitgehend frei von Auflagen produzieren kann. Dazu kommt eine fehlende Transparenz in der Lieferkette.Lange Zeithaben die Händler nicht nachvollzogehen, wo und wie ihre Kleidung produziert wird. Zudem fehlt in vielen Fabriken, Nähereien und Färbereien einfach das Know-how und der Umsetzungswille für eine nachhaltige Produktion. Aber da setzt jetzt langsam ein Wandel ein, sicher auch mitbegründet in unserer Detox-Kampagne.

Die startete 2011 – was konnten Sie seitdem noch erreichen?

Seitdem haben sich 79 Unternehmen der Textilbranche Modemarken zu giftfreier Produktion bekannt. Das heißt sie haben zugesagt, in den kommenden Jahren bei der Herstellung ihrer Kleidung auf gefährliche Schadstoffe zu verzichten. Auf politischer Ebene konnten wir erreichen, dass beispielsweise China strengere Gesetze erlassen hat. Es ist eines der wichtigsten Produktionsländer von Kleidung. Das sehen wir als großen Erfolg der Kampagne. Außerdem sind weitere Initiativen entstanden, die sich ebenfalls für eine saubere Kleider-Produktion einsetzen. Eine unserer Aufgaben ist es, die Umsetzung der Detox-Verpflichtungen der 79 Unternehmen zu überprüfen. Bis 2020 soll das Ziel einer giftfreien Produktion erreicht sein. Wir sind auf einem guten Weg, aber wir wissen auch, dass es Zeit braucht, die Kleiderproduktion lässt sich nicht von heute auf morgen umkrempeln. Ohne unsere Kampagne sähe es noch deutlich schlimmer aus.

Die 79 Detox-Unternehmen erwirtschaften etwa 15 Prozent der globalen Textilproduktion – ist das der berühmte Tropfen auf den heißen Stein oder ist das die Avantgarde, der weitere folgen werden?

Natürlich wünschen wir uns, dass sich weitere Marken zu einer giftfreien Produktion bekennen. Diejenigen die sich zur Detox-Kampagne angeschlossen haben, nehmen wir jetzt in die Pflicht und schauen, ob sie ihre Zusagen wirklich einhalten. Viele Firmen haben lange behauptet, dass man gar nicht schadstoff-frei produzieren könne. Diejenigen Marken, welche die Kampagne bereits unterstützten, zeigen, dass es sehr wohl geht. Und das sind nicht nur Firmen aus einer kleinen Öko-Nische, sondern auch große Player wie H&M und Zara. Wir sehen jetzt auch die Politik in der Pflicht, nachdem wir einen Anstoß gegeben haben, indem sie beispielsweise strengere Auflagen für Textilien durchsetzen.

Reichen die bisherigen Richtlinien und Grenzwerte nicht aus?

Mit den vorhandenen Richtlinien sind wir Verbraucher in Deutschland auf der sicheren Seite. Dennoch fordern wir eine Anpassung. Greenpeace möchte ja nicht nur die Konsumenten schützen, sondern auch die Menschen und die Umwelt in den Produktionsländern. Mit strengeren Richtlinien auf EU-Ebene ist das durchaus möglich. Denn wenn für das fertige Endprodukt sehr strenge Grenzwerte für Chemikalienrückstände gelten, sind die nur einzuhalten, wenn schon in der Produktion nur wenig oder keine Schadstoffe verwendet werden. Zweitens braucht es auch in den Produktionsländern entsprechende Gesetze und vor allem eine Überprüfung derselben. Da kann der Handel durchaus Druck ausüben.

Warum tun sich Luxuslabels so schwer mit der giftfreien Produktion – gerade sie müssten es sich doch finanziell leisten können, oder?

Der Preis eines Kleidungsstücks sagt herzlich wenig aus über die Produktionsbedingungen. Luxuslabel ruhen sich auf dieser falschen Annahme aus, dass ein hoher Preis eine gute Produktion ermöglicht. Auf der anderen Seite reden sie sich oft klein und behaupten: Als kleines Label mit relativ geringen Produktionsmengen könnten sie keinen Einfluss nehmen auf die Produktionsbedingungen. Insofern ist es ganz wichtig, dass wir mehr Transparenz in die Lieferketten bekommen.

Ist schadstoff-freie Kleidung überhaupt eine Frage des Geldes?

Prinzipiell ist es keine Frage des Geldes, sondern des bewussten Einkaufens. Kinderkleidung finde ich auf dem Flohmarkt ohnehin viel günstiger als im Laden. Aber nichtsdestotrotz kann ich davon ausgehen, dass superbillige Kleidung nicht unter fairen, nachhaltigen Bedingungen hergestellt wird.

Was können Eltern beim Erwerb von Kinderkleidung beachten – wie können sie bewusst einkaufen?

Zuerst sollten wir uns die Frage stellen: Muss ich wirklich immer alles neu kaufen und wie voll muss ein Kleiderschrank überhaupt sein? Braucht mein Kind wirklich zehn T-Shirts oder reichen nicht fünf? Gebrauchte, gut erhaltene Kindersachen bekommt man für wenig Geld. Vor allem kleine Größen sind kaum abgetragen. Wenn es doch mal etwas neu gekauftes sein soll, dann sollte man auf Siegel achten.

Sehr weit verbreitet ist das Öko-Tex-Siegel – können Kunden Kleidung mit diesem Siegel wirklich guten Gewissens kaufen?

Dieses Siegel haben wir lange Zeit kritisch gesehen, weil es nur das Endprodukt auf Schadstoffe untersucht, nicht jedoch die Produktion selbst. Insofern ist das Siegel nicht wirklich nachhaltig. Allerdings hat sich durch die Detox-Kampagne der Anspruch des Siegels erhöht. Kunden sind beim Kauf von Kleidung mit diesem Siegel zumindest gesundheitlich auf der sicheren Seite. Das perfekte Siegel gibt es leider nicht. Das GOTS-Siegel und der IVN-Best-Standard sind gute Orientierungshilfen.

Zur Kinderbekleidung gehören auch Schuhe – sollten Eltern bei deren Kauf auch auf bestimmte Siegel bzw. Materialien achten?

Schuhe sind ein schwieriges Thema. Auch hier ist eine nachhaltige Produktion eher die Ausnahme. Ein bestimmtes Material kann ich nicht empfehlen, jedes hat seine Probleme – Leder ebenso wie Kunststoff. Gebrauchte Schuhe sind zwar nachhaltiger, aber nicht unbedingt gesünder. Anders als bei der Kleidung waschen sich die Schadstoffe hier nicht raus. Es gibt auch bei Schuhen Siegel, die Orientierung bieten: vom TÜV Rheinland und vom IVN zum Beispiel.

Als besonders problematisch gilt Funktionsbekleidung wie Regen- und Matschjacken, die gerade von Kindern getragen werden – was raten Sie?

Hier raten wir derzeit klar ab von Gore-Tex-Materialien. Die werden immer noch mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) hergestellt, und erst in den kommenden Jahren wird das Unternehmen darauf schrittweise verzichten. Eine alltagstaugliche Wasserabweisung ohne die gefährlichen PFC bieten Sympatex-Materialien, oder regenfeste Kleidung, die mit ‚Bionic Finish Eco‘ oder ‚Ecorepel‘ gekennzeichnet sind. Und die findet man auch beim Discounter.