Was kostet eine Zahnspange?
Kein Risiko, aber für manche Familien doch eine Hürde, sind die Kosten einer Zahnspangen-Behandlung. Gesetzlich krankenversicherte Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben bei schweren Zahnfehlstellungen (ab KIG 3) Anspruch auf eine komplett kassenfinanzierte Behandlung. Die Krankenkasse übernimmt zunächst 80 Prozent, bei Geschwisterkindern 90 Prozent der Kosten. Die restlichen 20 bzw. 10 Prozent müssen die Eltern zunächst selbst bezahlen, bekommen sie aber nach erfolgreichem Abschluss der Behandlung von der Kasse erstattet. Darüber hinaus zahlt die große Mehrheit der Eltern trotzdem zu – und zwar für private Zusatzleistungen von der Zahnversiegelung, über farbige Brackets bis hin zu zusätzlicher Fotodiagnostik. Laut Gesundheitsmonitor 2016 zahlten 85 Prozent der befragten Eltern für zusätzliche Leistungen – im Schnitt 1.200 Euro pro Kind.
Die Kieferorthopäden begründen die angebotenen Zusatzleistungen in der Regel mit einer kürzeren und schmerzärmeren Behandlung. Wer will das schon seinem Kind vorenthalten? Es gibt immer mal wieder Eltern, die sagen, sie fühlten sich vom Kieferorthopäden unter Druck gesetzt, diese Zusatzleistungen auch in Anspruch zu nehmen. Sonst sei die weitere Behandlung in der Praxis nicht möglich. Ob es solche Fälle tatsächlich gibt, ist nicht ganz klar. Rein rechtlich dürfte ein Kieferorthopäde natürlich nicht mit Behandlungsabbruch drohen, da die reine Kassenbehandlung jedem Kassenpatienten zusteht. Praktisch kann es auf einmal schwierig sein, Termine zu bekommen oder es gibt nur noch Vormittagstermine, was mit einem Schulkind kaum umsetzbar ist. Dieser Druck wird die Ausnahme sein, dass Eltern am Ende zuzahlen, ist aber nicht die Ausnahme – sondern die Regel.
Die Höhe der in Rechnung gestellten Zuzahlungen kann stark schwanken – 400 Euro sind ebenso möglich wie 2.000 Euro. Wer unsicher ist, ob und welche Zusatzleistungen sinnvoll sind, kann sich bei der Unabhängigen Patientenberatung Rat holen (siehe Interview) oder eine Zweitmeinung von einem Fachkollegen einholen. Die Kosten dafür trägt die Kasse. Wie unterschiedlich Erst- und Zweitmeinung nicht nur in Hinsicht auf die Kosten ausfallen können, zeigt eine Untersuchung von Stiftung Warentest 2010: Sie gingen mit drei Patienten zu je zwei Kieferorthopäden und ließen sich einen Behandlungs- und Kostenplan aufstellen. Die großen Unterschiede in Befund, Therapie und Kosten sind ernüchternd bis erschreckend. So soll derselbe Kreuzbiss einmal mit Zuzahlungen in Höhe von 700 Euro und einmal in Höhe von 4.000 Euro therapiert werden.
Folglich lautet ein Vorwurf, mit dem sich Kieferorthopäden – aber auch Zahnärzte allgemein – immer wieder konfrontiert sehen: Sie wollen mit ihren Patienten vor allem viel Geld verdienen. Aus diesem Grund versuchen sie auch möglichst viele Zusatzleistungen an den Mann bzw. das Kind zu bringen. Ein gewisser Preissprung beim Kieferorthopäden war nach 2004 zu verzeichnen. Seitdem zahlen die Krankenkassen weniger für kieferorthopädische Leistungen, die Gebührenordnung wurde angepasst, zuungunsten der Zahnärzte. Die fehlenden Einnahmen versuchen Kieferorthopäden – aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar – auf anderem Weg wieder einzuholen.
Die Unabhängige Patientenberatung weist darauf hin, dass zahnmedizinische Behandlungen generell sehr preisintensiv sind, dass es aber Gebührenordnungen gebe, nach denen sich die Ärzte zu richten hätten (siehe Interview). Die Zahnarzt-Rechnung setzt sich aus zwei großen Posten zusammen: 1. zahnärztliches Honorar 2. Material- und Laborkosten. Diese werden nach zwei unterschiedlichen Gebührenordnungen abgerechnet: Kassenleistungen werden bis auf die Laborkosten über den BEMA abgerechnet, den Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen. Seine Sätze sind niedriger als die privat abgerechneten. Privatleistungen werden über die „Gebührenordnung für Zahnärzte” (GOZ) abgerechnet. Die Laborleistungen und Materialkosten laufen separat. Ein weiterer Faktor, der zu sehr unterschiedlichen Behandlungskosten führen kann: Je nach Aufwand und Schwierigkeit der Behandlung, wird diese mit einem Faktor zwischen 1 und 3,5 multipliziert. Preistreiber auf der Zahnarztrechnung sind meist die Laborkosten und darauf hat der Patient fast keinen Einfluss. Die Laborpreise sind zum Teil reguliert, können aber stark variieren. In der Regel arbeitet eine Zahnarztpraxis mit einem bestimmten Labor zusammen. Auch aus diesem Grund kann sich eine Zweitmeinung lohnen. Wenn die zweite angefragte Praxis mit einem anderen Labor zusammenarbeitet, führt das zu anderen Preisen. Viele Kieferorthopäden haben allerdings ein eigenes Labor.
Zusatzversicherung: sinnvoll oder nicht?
Eben weil die Zahnmedizin so preisintensiv ist, verdienen nicht nur Zahnärzte und Labore gut daran. Noch eine dritte Gruppe profitiert vom Wunsch nach schönen Zähnen: die Versicherungen. Laut Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) hatten 2015 knapp 15 Millionen Bundesbürger eine private Zahnzusatzversicherung abgeschlossen. Die Zahl wächst stetig: Jedes Jahr kommen etwa 500.000 Neuverträge hinzu. Je nach Vertrag sichern diese kieferorthopädische Behandlungen oder Implantate ab. Einige Versicherer bieten auch Zusatztarife speziell als Absicherung für eine mögliche kieferorthopädische Behandlung von Kindern an, Nachteil: In der Regel werden nur Kinder im Alter bis zu fünf Jahren versichert. War die Diagnose bei Versicherungsabschluss bereits bekannt, zahlt die Versicherung nicht mehr. Das heißt zum Beispiel: Ist bei Vorschulkindern auf dem Röntgenbild eine Zahnfehlstellung erkennbar oder überweist der Zahnarzt zum Kieferorthopäden, ist es für den Abschluss einer Versicherung zu spät. Die Branche selbst rät dazu, bereits vor dem 3. Geburtstag eine kieferorthopädische Zahnzusatzversicherung für den Nachwuchs abzuschließen. Das ist für Eltern eine Investition ins Blaue, die sich in der Regel vor allem für die Versicherung lohnt. Die Policen kosten um die 15 Euro im Monat. Wer diese Versicherung für sein vierjähriges Kind abschließt und die Versicherung vielleicht im Alter von neun Jahren in Anspruch nimmt, hat bis dato 900 Euro eingezahlt. Nicht eben wenig Geld. Eltern sollten gut abwägen, ob es gut angelegtes Geld ist. Gerade Eltern mit mehr als einem Kind können so auf hohe Zusatzkosten kommen. Erstattet werden auch nicht die gesamten Kosten der Behandlung bzw. der anfallenden Privatleistungen, sondern nur ein Teil. Meist ist die Erstattung gedeckelt.
Alternativen zur Zahnspange?
Nachdem wir also die Vor- und Nachteile einer Zahnspangen-Behandlung betrachtet haben, wollen wir zum Schluss die Frage beantworten: Welche Alternativen gibt es zur Zahnspange?
Zunächst sei nochmals klar gestellt: Bei sehr schweren Zahnfehlstellungen gibt es keine Alternative. Diese sollten unbedingt kieferorthopädisch behandelt werden. Die Alternative ist der Verzicht auf eine Zahnspangenbehandlung oder das Abwarten. Je nach Alter und Fortschreiten des Zahnwechsels kann es sich lohnen, das natürliche Wachstum von Kiefern und Zähnen abzuwarten. Vielleicht schieben sie sich noch von allein zurecht. Gleichwohl raten Kieferorthopäden nur selten zum Abwarten. Ein Hauptgrund – auch für die Eltern – liegt darin, dass die Krankenkasse nur für Kinder und Jugendliche zahlt. Ab 18 Jahren muss man für ein perfektes Lächeln selbst zahlen. Insofern sollten Eltern und Kinder gemeinsam die Vor- und Nachteile und auch die Risiken abwägen. Ist uns ein schönes Lächeln wirklich so wichtig, dass wir diese sehr lange, sehr teure Behandlung in einer so schwierigen Lebensphase wie der Pubertät auf uns nehmen wollen? Ohne Frage sind gesunde, gerade, weiße Zähne in unserer Gesellschaft ein wichtiges Aushängeschild. Dass man es auch ohne perfekte Zahnreihe bis nach Hollywood schaffen kann, zeigen prominente Beispiele wie Madonna, Jürgen Vogel oder Woody Harrelson. Sie alle haben ein sympathisches Lächeln, bei dem manch ein Kieferorthopäde vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Das Schlusswort wollen wir aus diesem Grund jemandem überlassen, der die Entwicklung der Zahnmedizin hin zum Schönheitsdienstleister sehr kritisch sieht, dem Mediziner und Philosoph Giovanni Maio: „In einer Kultur, in der so viele Gebisse nach ästhetischen Gesichtspunkten medizinisch modifiziert werden, wird am Ende auch das durchschnittliche Gebiss als mangelhaft empfunden werden. Durch das Anbieten von ästhetischen Eingriffen sorgt die Medizin erst dafür, dass eine Nachfrage geschaffen wird, die ohne die Medizin selbst nicht aufgekommen wäre. […] So ist der moderne Dienstleisterarzt und Wunscherfüller mit dafür verantwortlich, dass junge (und zunehmend auch alte) Menschen glauben, ihre Zähne ästhetisch verändern zu müssen, um Anerkennung zu finden. ... Was ist das für eine Vorstellung vom Menschen, wenn man davon ausgeht, dass man nur mit einem gleichmäßigen Gebiss ein lebenswertes Leben führen kann? Eine solche Medizin hat sich von ihrem ureigensten Auftrag, eine Hilfe für krank gewordene, für in Not geratene Menschen zu sein, verabschiedet und sich dazu herabgelassen, Erfüllungsgehilfin einer mit Ideologien behafteten Konsumgesellschaft zu werden. Sie ist zuweilen nicht mehr als eine Dienerin der Beauty-Industrie. Daher wird die ästhetische Zahnmedizin als Medizin nur dann eine Zukunft haben können, wenn sie das bewahrt, was ihr größtes Pfand ist, nämlich das Vertrauen in ihre moralische Integrität.“ (Vortrag 2007: Die Zahnmedizin zwischen Heilkunde und Beauty-Industrie)