Erste Buchempfehlungen
Gerade beim Vorlesen in den ersten Jahren suchen und fragen Eltern oft nach den richtigen Büchern. Einige Buchempfehlungen werden Sie ab sofort nach Altersgruppen sortiert auf den Bücherseiten unseres lausebande-Magazins finden, übrigens auch von kritischen Kinder-Experten beurteilt. Im gut sortierten Buchhandel findet man ebenso Fachpersonal, das die passenden Bücher für jedes Alter kennt. Hervorzuheben ist aber auch hier eine Initiative der Stiftung Lesen: Lesestart – ein Projekt, das sich gerade der Förderung frühkindlichen Vorlesens in Familien verschrieben hat.
Beim Vorlesen sollten sich Eltern an den sieben goldenen Vorleseregeln der Stiftung Lesen orientieren:
1. Suchen Sie sich einen ruhigen, gemütlichen Ort, an dem Sie mit Ihren Kindern kuscheln können.
2. Wählen Sie einen günstigen Augenblick, eine Ruhephase am Tag oder den Abend. Am besten ritualisieren Sie das Vorlesen, d. h. es findet zu regelmäßigen Zeiten statt und wird in der Regel nicht gestört.
3. Haben Sie Geduld mit Ihren Kindern. Gehen Sie auf Zwischenfragen ein.
4. Lassen Sie auch Ihre Kinder Bücher auswählen.
5. Vermeiden Sie das „Runterleiern“, denn Kinder spüren, wenn Sie mit Ihren Gedanken woanders sind.
6. Am besten lesen Sie Bücher vor, die auch Ihnen gefallen. Auf diese Weise macht Ihnen das Vorlesen noch mehr Spaß.
7. Nehmen Sie sich Zeit, um nach dem Vorlesen mit Ihrem Kind zu sprechen.
Lesestart
Schon seit 2008 bemüht sich das Projekt Lesestart um die Förderung frühkindlichen Lesens bzw. Vorlesens in Familien. Mit der kostenfreien Handreichung von Büchern und wichtigen Hinweisen zum Vorlesen fördert und begleitet dieses Programm Kinder und Eltern in den entscheidenden frühen Jahren bis zum Eintritt in die Schule. Die Ausgabe von Büchern und Material erfolgte dabei bislang vorwiegend an Eltern mit einjährigen Kindern durch Kinderärzte im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen. Die Lausitz war in den ersten Jahren leider ein weißer Fleck auf der Projektlandkarte. Für das Jahr 2011 wird das Projekt allerdings unter dem Titel „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ als Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf ein breites Fundament gestellt. Ab Herbst 2011 fördert das Projekt das Lesen und Vorlesen in Familien in drei „Meilensteinen“, auch in der Lausitz: Lesestart 1 sensibilisiert Eltern einjähriger Kinder für die Bedeutung des Vorlesens aus Büchern. Ab Herbst 2011 bis 2013 erhalten sie im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U6 ein kostenloses Lesestart-Set, das u.a. ein Buch, einen Ratgeber und Lesetipps für Eltern enthält. Lesestart 2 beinhaltet ein Set, das sich in Kooperation mit Bibliotheken von Herbst 2013 bis 2016 an Eltern dreijähriger Kinder richtet und diese mit dem zentralen Ort des Lesens und Vorlesens zusammen bringt. Lesestart 3 richtet sich ab 2016 an Familien zur Einschulung, das überreichte Set motiviert Kinder zum Selber-Lesen und Eltern, ihr Kind in der Schlüsselphase des Lesen- Lernens besonder zu unterstützen. Laut Sabine Bonewitz (Projektleiterin Lesestart) werden die Sets der Meilensteine Lesestart 1 und Lesestart 2 bundesweit jeweils die Hälfte aller Kinder erhalten. Lesestart 3 erhalten dann alle Kinder mit der Einschulung. Die Sets werden bei allen Kinderärzten flächendeckend ausgegeben. Die Ausgabe der ersten Sets wird voraussichtlich im November 2011 erfolgen. Durch die Stiftung Lesen war allerdings zu erfahren, dass für das Land Brandenburg sogar an einer Ausweitung des Projekts gearbeitet wird.
Mehr dazu:
www.netzwerk-gesunde-kinder.de
Vorlesefalle Einschulung
Die Studien der Stiftung Lesen belegen einen großen Denkfehler: In vielen Familien gibt es zur Einschulung einen deutlichen Abwärts-Knick im Vorleseverhalten. In dem Gefühl, dass sich nun die Schule um die Lese- und Sprachentwicklung der Kinder kümmert, vernachlässigen viele Eltern ihre Vorlese-Rituale und lesen immer weniger vor. Aber ausgerechnet in diesem Alter, in dem Kinder Schritt für Schritt das Selber-Lesen entdecken, ist das Vorlesen zu Hause und das Gespräch mit den Eltern äußerst wichtig. Eine Studie der Stiftung Lesen ergab, dass nach der Einschulung 33% der Kinder, denen nicht vorgelesen wird, sich explizit Vorlesestunden wünschen. Nach der Einschulung steigt die Nachfrage der Kinder nach Vorlesen sogar, aber von den Eltern wird durchschnittlich deutlich weniger vorgelesen!
Lesen fördert die Gehirnstruktur
Während beim Vorlesen in den ersten Kinderjahren vor allem der Interaktion mit den Eltern und der Sprachentwicklung eine besondere Bedeutung zukommt, geht die Post im Gehirn beim selbständigen Lesen erst so richtig ab. Welche Entwicklungsimpulse Lesen verleiht, untersucht die Hirnforschung als recht junge Forschungsdisziplin. Sie lieferte ab Mitte der 90er Jahre erste Ergebnisse zu den erstaunlichen Vorgängen beim Lesen im Gehirn. Seitdem ist klar, dass Lesen DER zentrale referentielle Prozess zur Entwicklung des Gehirns ist. Einfach gesagt: Wer früh viel liest, dessen Gehirn wird leistungsfähiger als das von Nichtlesern. Die Prozesse beim Lesen im Gehirn lassen sich wie folgt erklären: Beim Lesen werden optische Reize in Form von Buchstaben von Sinneszellen im Auge in Informationen umgewandelt, die an Nervenzellen in das Gehirn weiter gegeben werden. Eine moderne Erkenntnis der Hirnforschung ist dabei, dass bereits diese Informationen im Gehirn räumlich verteilt werden, also von verschiedenen Regionen des Gehirns mit unterschiedlichen Kompetenzen verarbeitet werden. Durch „Zusammenarbeit“ dieser räumlich getrennten Kompetenzen entsteht dann beim Lesen die Wahrnehmung unterschiedlicher Buchstaben und Wörter. Aber damit nicht genug: Lesen integriert darüber hinaus im Gehirn ebenfalls räumlich verteilte Aktivitäten ganz unterschiedlicher Qualität. So laufen Informationsaufnahme, Speicherung und emotionale Bewertung des Gelesenen parallel ab. Lesen integriert dabei die Aktivitäten der linken Gehirnhälfte, die für die abstrakte Orientierung nach außen, also die Konzentration auf Texte, Informationsaufnahme und Informationsstrukturierung zuständig ist mit den Aktivitäten der rechten Gehirnhälfte, die eigene, innere Bilder erzeugt und die Phantasie bestimmt. Erstere macht aus den Strichen in einem Buch also die Information, dass wir z.B. Peter Pan lesen, während letztere uns im Geist über London und Nimmerland fliegen lässt. Lesen sorgt damit für einen regen Austausch unter diesen lokalen Kompetenzen im Gehirn. Dies bedarf äußerst komplexer Strukturen, die wiederum vor allem durch das Lesen (und die Sprachentwicklung) beeinflusst werden.
Kindern, die viel lesen,
fällt die Schule leicht.
Eine Erkenntnis, die viele überraschen dürfte: Die notwendigen Strukturen für diese komplexen Vorgänge sind im kindlichen Gehirn nicht genetisch bedingt, sondern lediglich ermöglicht. Das bedeutet, dass im Gehirn unzählige netzartige Verbindungen zwischen einzelnen Gehirnzellen angelegt sind. Diese stehen im Gehirn aber nur dann langfristig für die Informationsverarbeitung bereit, wenn sie durch Nutzung in der Entwicklungsphase des Gehirns bestätigt werden – entfällt die Bestätigung durch Nutzung, gehen diese natürlich angelegten neuronalen Möglichkeiten verloren. Gerade Lesen (und Vorlesen) wirkt sich wie ein Dauerfeuer auf die neuronalen Strukturen innerhalb der einzelnen und vor allem zwischen beiden Gehirnhälften aus und schafft unzählige neuronale Netze. Je jünger ein kindliches Gehirn, desto stärker wirkt sich Lesen auf die Bildung dieser neuronalen Netze aus. Bei bildhaften Medien wie dem Fernsehen werden lediglich Bilder verarbeitet, keine abstrakten Informationen. Diese Aktivitäten finden in der rechten Gehirnhälfte statt, Informationen werden lediglich bildhaft und episodisch verarbeitet, es entsteht kein strukturiertes Wissen mit der Möglichkeit, neue abstrakte Informationen einzuordnen und zu strukturieren. Es werden weniger Verbindungen der neuronalen Netze bestätigt und aktiviert. Lesen verändert also die Mikrostruktur des Gehirns. Diese Entwicklungsprozesse sind im Alter von 15 Jahren abgeschlossen, die neuronalen Strukturen im Gehirn sind dann nicht mehr veränderbar. Die resultierenden Strukturen bilden die Grundlage für logisches Denkvermögen und dafür, das Informationen wie Texte, Bilder, Grafiken strukturiert und an internes Wissen angeschlossen werden können. Da verwundert eines der zentralen Ergebnisse der bundesweit größten Lesestudie aus dem Jahr 2008 nicht: Kindern, die viel lesen, fällt die Schule leicht.
Vielleser - die Medienprofis
Die Ausführungen zu den Vorgängen beim Lesen im Gehirn machen klar, dass Kinder, die von Klein auf viel lesen, für ihr ganzes Leben einen klaren Vorteil bei der Verarbeitung und Strukturierung von Wissen haben. Das macht deutlich, wie wichtig neben dem Vorlesen in den ersten Jahren, der allgemeinen Vorbildwirkung der Eltern durch das Lesen von Büchern und das Sprechen mit Kindern über Bücher vor allem eine dritte Einflussmöglichkeit ist: Das aktive Motivieren der Kinder nach der Einschulung bzw. in der Jugend zum Lesen. Mit 15 Jahren ist die Bildung der neuronalen Strukturen abgeschlossen und Lesen ist der maßgebliche Prozess, diese herauszubilden. In der Realität messen Eltern aber der Auseinandersetzung mit anderen Medien weitaus größere Bedeutung zu – und nehmen mehr Einfluss z.B. auf die Art und Dauer der Computernutzung, die Nutzung von Handys oder anderen elektronischen Medien. Auf das Leseverhalten der Kinder wird deutlich weniger Einfluss genommen, weil es im Vergleich zu anderen Medien als „ungefährlicher“ wahrgenommen wird. Dass dies ein Irrglaube ist, bestätigt ebenfalls eine Studie der Stiftung Lesen: Denn Vielleser nutzen elektronische Medien wie Internet genauso intensiv wie Nichtleser, aber sie nutzen sie grundverschieden. Während sich Nichtleser Computerspielen widmen, suchen gleichaltrige Bücherfreunde vorwiegend nach Informationen, die sie natürlich auch besser verarbeiten können. Gleiches gilt für die Nutzung des TV. Im Ergebnis ist ein aktiver Einfluss auf das Leseverhalten die beste Vorbeugung für eine sinnvolle Nutzung elektronischer Medien. Vielleser werden somit zu den Gewinnern unserer Mediengesellschaft. Eltern sollten ihre Kinder lieber zu Viellesern erziehen und hier eine klare Priorität setzen, weil sie damit gleichzeitig den wichtigsten Einfluss auf den Konsum anderer Medien nehmen.
Das Redaktionsteam der lausebande bedankt sich bei der Stiftung Lesen, unter anderem bei Herrn Reuter, Frau Blähr und Frau Bonewitz für die Unterstützung bei der Erstellung des Titelthemas „Höher hinaus mit Lesen“