Sprechzimmer statt Klassenzimmer

Datum: Donnerstag, 29. März 2018 15:33

Ambulante und stationäre Versorgung

Schlussendlich geht die Diagnose mit einem großen organisatorischen Aufwand einher. Man muss einen niedergelassenen Arzt finden, der das Kind regelmäßig behandelt und die Familie begleitet. Das kann der Kinderarzt sein oder aber auch ein Spezialist. Je nach Wohnort kann es erforderlich sein, in einer anderen Stadt oder an einem Klinikum nach dem passenden Arzt zu suchen. So gibt es beispielsweise in ganz Brandenburg nur vier Kinderrheumatologen. Cottbus ist mit zwei Spezialisten gut versorgt, aber wer außerhalb einer größeren Stadt wohnt, muss regelmäßig weite Wege auf sich nehmen. Üblicherweise müssen die kleinen Patienten mindestens einmal im Quartal zum Arzt, ggf. kommen noch Blutabnahmen hinzu, Ergotherapie oder Physiotherapie, oft mit Wartezeiten in den Praxen verbunden. Die Termine müssen mit den Sprechzeiten, den Arbeitszeiten der Eltern und bei Schulkindern mit den Unterrichtszeiten abgestimmt werden.

Je nach Schwere und Art der Erkrankung geht die Diagnose mit einem Klinikaufenthalt einher. Manchmal geht es dem Kind bereits so schlecht, dass es in die Klinik eingewiesen wird oder das Kind muss unter ärztlicher Aufsicht auf bestimmte Medikamente eingestellt werden. Manche Kinder müssen danach nie wieder ins Krankenhaus, bei anderen macht die Krankheit immer wieder Klinikaufenthalte erforderlich. Fast alle Kliniken ermöglichen es, dass ein Elternteil während dieser Zeit beim Kind bleiben kann, die Kosten dafür übernehmen bis zu einem bestimmten Alter die Krankenkassen. Sind noch jüngere Geschwisterkinder zu Hause zu betreuen, unterstützt ggf. ebenfalls die Krankenkasse mit einer Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung, im Idealfall können der andere Elternteil oder Großeltern aushelfen. Wenn möglich, sollten auch die Geschwisterkinder ihre/n kranken Schwester/Bruder besuchen dürfen.

Hinzu kommen Reha-Aufenthalte, die bei bestimmten Krankheitsbildern dem Kind und der Familie helfen können. Beantragt werden diese über die Krankenkasse. Etwa drei Prozent aller genehmigten Rehabilitationsmaßnahmen werden von Kindern oder Jugendlichen in Anspruch genommen. Besonders häufig fahren Kinder mit psychischen Auffälligkeiten, mit Asthma und Neurodermitis zur Kur.

Fast alle chronisch kranken Kinder brauchen eine medikamentöse Therapie. Das kann die Insulin-Gabe bei Diabetes sein, das Eincremen bei Neurodermitis oder in den meisten Fällen: die regelmäßige Einnahme von Tabletten. Während eines akuten Krankheitsschubs sorgen die Medikamente für ein Abklingen der Symptome. Während der Ruhephasen einer Erkrankung sollen sie dafür sorgen, dass die Krankheit nicht wieder akut ausbricht. Für Eltern und Kind bedeuten die Medikamente Fluch und Segen zugleich. Segensreich ist, dass die Medikamente den jungen Patienten trotz Krankheit ein halbwegs normales Leben ermöglichen: dass sie (fast) alles essen dürfen, dass sie ihren Hobbys nachgehen können, dass sie auf Ausflügen mitkommen können. Der Preis, den man dafür zahlt: Die Kinder müssen regelmäßig, in der Regel mindestens ein Mal täglich, Tabletten schlucken, sich spritzen oder sich eincremen. Unter Umständen ist es erforderlich, dass die Medikamente im Kindergarten oder in der Schule eingenommen werden. Ältere Kinder können das vielleicht schon selbstständig. Jüngere Kinder brauchen Unterstützung durch einen Erwachsenen. Für die Eltern selbst ist das nur schwer umsetzbar. Wenn die Möglichkeit besteht, sollte mit der Einrichtung eine Vereinbarung getroffen werden, dass der Lehrer oder Erzieher das Medikament verabreicht. Manchmal ist es auch nötig, dafür einen Pflegedienst oder eine Einzelfallhilfe zu beantragen.

Je nach Alter und Phase wird sich das Kind auch mal gegen seine Medizin wehren, es wird wütend oder genervt sein oder kann die Tabletten einfach nicht mehr sehen. Die zweite Herausforderung: Jedes Medikament hat Nebenwirkungen, die je nach Wirkstoff, Dosierung und Dauer der Einnahme variieren. Ob und welche Nebenwirkungen tatsächlich eintreten, zeigt sich unter Umständen erst nach Jahren. Eltern können nach Alternativen Ausschau halten, doch in der Regel wissen die Ärzte ganz gut, welche Medikamente sich bewährt haben.

Aufgrund all dieser Schwierigkeiten, die mit einer chronischen Erkrankung einher gehen können, gehört zur reinen Basistherapie der Krankheit auch eine psychosoziale Betreuung der Familien. Viele Kinderkliniken arbeiten aus diesem Grund mit einem psychosozialen Dienst zusammen, der Familien nach der Diagnose zumindest phasenweise begleitet. In Beratungsgesprächen oder Therapien geht es darum, wie die Familie mit der Krankheit umgeht, wie sie ihr so viel Raum wie nötig und so wenig wie möglich einräumt, wie sie mit bestimmten Problemen wie Angst vor Spritzen oder Trennungsangst im Krankenhaus umgeht. Kinder, deren Erkrankung mit starken Schmerzen einher geht, können spezielle Schmerzbewältigungstherapien erlernen.

Weitere Unterstützung für Familien

Die Probleme und Fragen, vor denen Familien mit chronisch kranken Kindern stehen, können Ärzte nur bedingt lösen. Ihnen fehlt im Praxis- oder Klinikalltag einfach die Zeit. Daher sollten sich Familien weitere Unterstützung suchen: Erster Ansprechpartner sind Selbsthilfegruppen und Wohlfahrtsverbände, sie haben die richtigen Experten oder können an diese weitervermitteln. Der Vorteil einer Selbsthilfegruppe: Eltern und auch ältere Kinder können sich mit Betroffenen austauschen. Es kann ungemein helfen, wenn man weiß: Wir sind mit unseren Schwierigkeiten nicht allein, anderen geht es auch so. Man trifft auf Verständnis, welches im Umfeld sonst vielleicht fehlt. Den Kindern tut es gut zu sehen, dass es noch andere Kinder mit dieser Krankheit gibt. Da Eltern betroffener Kinder mit den Jahren zu Experten in eigener Sache werden, kennen Selbsthilfegruppen bewährte Behandlungsstrategien und -zentren, sie können bei der Beantragung sozialer Leistungen weiterhelfen. Es gibt für viele Krankheitsbilder Selbsthilfegruppen, oft auch spezialisiert auf Kinder.

Um für jede Familie ein optimales Fallmanagement mit allen relevanten Behandlungs- und Förderangeboten zu organisieren, fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte:

  • eine multiprofessionelle Behandlungs- und Förderplanung, damit chronisch kranke Kinder alle erforderlichen Leistungen in richtigem Umfang erhalten
  • eine bessere Verfügbarkeit und Qualität der pädagogischen und frühen Hilfen in Kitas und Schulen, in Selbsthilfegruppen und in den Beratungsstellen und Diensten der freien Wohlfahrt
  • Hilfe für die Koordinierungsleistungen durch andere Berufsgruppen, z. B. entsprechend geschulte Pflegekräfte oder Sozialpädagogen


Teilweise übernehmen diese Aufgabe schon die Selbsthilfegruppen oder die Wohlfahrtsverbände. Tatsächlich aber müssen sich Eltern selbst kümmern, um die für sie richtigen Ansprechpartner zu finden. Was bisher fehlt, ist eine Art neutrale Lotsenstelle, die Familien über ihre Rechte und Ansprüche informiert. Bisher gibt es eine selbst für Fachleute kaum überschaubare Vielzahl an Akteuren und Ansprechpartnern: Krankenkassen, Pflegekassen, Rentenversicherungsträger, Sozialversicherungsträger u.v.m..

Für einige Erkrankungen kann eine Patientenschulung sinnvoll sein. Diese gibt es z.B. für Asthma, Neurodermitis, Diabetes oder Rheuma. Dort erlernt die ganze Familie einen sicheren, möglichst selbständigen Umgang mit der Krankheit. Bei jüngeren Kindern richtet sich das Angebot stärker an die Eltern, ältere Kinder werden miteinbezogen in die Schulung. Sie werden altersgerecht über ihre Erkrankung aufgeklärt, sie erlernen den Umgang mit der Insulinspritze oder Peak-flow-Messungen bei Asthma. Sie lernen, mit dem Schmerz oder dem Juckreiz umzugehen. Ziel ist, dass die Kinder mit der Zeit immer eigenverantwortlicher mit der Erkrankung umgehen und besser bei der Therapie mitarbeiten.