Kinder und das Erlernen von Fremdsprachen
Wer eine Fremdsprach erlernen möchte, hat zumindest theoretisch eine sehr große Auswahl. Es gibt weltweit schätzungsweise zwischen 6.500 und 7.000 verschiedene Sprachen, in Europa etwa 150, Dialekte nicht eingerechnet. Das klingt viel. Schaut man aber zurück in die Geschichte, hat sich die Sprachenvielfalt bereits stark reduziert. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass es um 10.000 v. Chr. etwa 20.000 verschiedene Sprachen gab, im Jahr 1.000 n. Chr. noch 9.000. Ihre Zahl wird sich weiter reduzieren, da Sprachen immer wieder aussterben – wenn sie nur noch wenige Muttersprachler haben. Denn viele der knapp 7.000 Sprachen werden nur noch von wenigen Stämmen oder Völkern gesprochen. Etwa die Hälfte der Menschen weltweit spricht eine der zehn meistgesprochenen Sprachen, wobei Chinesisch aufgrund der großen Bevölkerung Chinas die meistgesprochene ist.
Wer sich in Deutschland an der Schule für eine Fremdsprache entscheidet, wählt meistens aus den Klassikern Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Latein und in der Lausitz Sorbisch. Die erste Fremdsprache wird in Deutschland spätestens ab der 3. Klasse der Grundschule gelehrt, zu 99 Prozent ist das Englisch. Mit Englisch kann man nicht viel falsch machen: Es ist vergleichsweise einfach zu erlernen und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man es im Laufe des späteren Lebens tatsächlich braucht. Wer Englisch beherrscht, kann sich in der Regel auch im Spanien- oder Polenurlaub halbwegs verständigen. Auch für den späteren Berufsweg kann es hilfreich sein: Viele Arbeitgeber fordern gute Englischkenntnisse von den Bewerbern. Bei der Wahl einer weiteren Fremdsprache, kommt es auf die Vorlieben und Interessen des Kindes an, manchmal hängt die Wahl auch einfach vom Angebot der Schule ab. Wenn z.B. schon klar ist, dass der Sohn/ die Tochter ein Auslandsjahr in Frankreich plant, wäre Französisch eine gute Wahl. Jeder zweite Schüler entscheidet sich für Französisch als zweite Fremdsprache.
Das Erlernen einer zweiten Fremdsprache bleibt aber die Ausnahme. In Deutschland lernen nur gut ein Drittel der Schüler mindestens zwei Fremdsprachen (34,5 %, EU-Durchschnitt: 59 %), in Luxemburg, Finnland und Italien lernt dagegen fast jedes Kind zwei Fremdsprachen. Diese Länder haben damit die Hausaufgaben der EU erfüllt: Bereits 2002 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten auf einer Tagung in Barcelona das Ziel vereinbart, dass EU-Bürger bereits im Kindesalter mindestens zwei Fremdsprachen erlernen sollen. Deutsche Schüler sind davon noch weit entfernt. Dabei gibt es gute Gründe, fremde Sprachen zu erlernen – und die gehen weit über Karrierechancen hinaus.
Die meistgesprochenen Sprachen:
Chinesisch 1,3 Mrd.
Englisch 510 Mio.
Spanisch 389 Mio.
Hindi 525 Mio.
Arabisch 290 Mio.
Portugiesisch 270 Mio.
Bengali 250 Mio.
Russisch 278 Mio.
Japanisch 127 Mio.
Deutsch 118 Mio.
Meistgewählte 2. Fremdsprache an Brandenburger Gymnasien
Französisch 50,3 %
Spanisch 21,1 %
Latein 13,5 %
Russisch 12 %
Polnisch 1,5 %
Englisch 0,1 %
Warum eine Fremdsprache lernen?
Kinder, die mit fremden Sprachen in Kontakt kommen, profitieren auf mehreren Ebenen: Wer fremde Sprachen kennenlernt, der befasst sich auch mit fremden Kulturen, Sitten, Bräuchen. Das fördert die Toleranz. Man lehnt nicht mehr automatisch ab, was anders ist oder was man nicht kennt bzw. versteht. Kommen Kinder häufig mit fremden Sprachen in Kontakt und haben sie Freunde aus anderen Kulturkreisen, dann werden sie weltoffener. Nicht umsonst gilt Mehrsprachigkeit als friedensstiftend. Kinder wagen durch fremde Sprachen den sprichwörtlichen Blick über den Tellerrand. Sie üben Einfühlungsvermögen, können sich eher in andere hineinversetzen.
Interkulturelle Kompetenz gilt ohnehin als Schlüsselqualifikation im späteren Berufsleben. Insofern profitieren sprachlich fitte Bewerber doppelt: Viele Arbeitgeber verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie mindestens eine Fremdsprache gut beherrschen, in der Regel Englisch. In bestimmten Branchen oder Regionen, wie der Lausitz, können auch andere Sprachen gefragt sein, z.B. Russisch oder Tschechisch.
Darüber hinaus deuten Studien darauf hin, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, durch den ständigen Wechsel zwischen zwei Sprachen auch in anderen Situationen mehrere Aufgaben parallel bewältigen können und dass sie später weniger an Alzheimer erkranken. Wer mehr als eine Sprache spricht, wird flexibler im Kopf. Fremdsprachen kitzeln eine Art kognitive Reserve hervor. Einige Studien deuten darauf hin, dass diese Kinder kreativer sind und eher in der Lage, abstrakt zu denken.
Das allgemeine Sprachbewusstsein wird ebenfalls geschult. Wer schon früh regelmäßig mit einer fremden Sprache in Kontakt kommt, entwickelt ein besseres Verständnis für sprachliche Strukturen wie grammatische Regeln. Das kann später das Erlernen weiterer Sprachen erleichtern.
Gibt es das perfekte Alter zum Sprachenlernen?
Es gibt also jede Menge guter Argumente für das Sprachenlernen. Wann aber sollte es damit losgehen? Hier ist die Wissenschaft uneins. Es gibt jene Forscher, die sagen: Je früher ein Kind mit dem Sprachenlernen beginnt, desto besser wird es diese später beherrschen. Einige meinen sogar, dass nur Kinder, die schon vor dem ersten Geburtstag regelmäßig mit einer zweiten Sprache in Kontakt kommen, diese später so gut wie ein Muttersprachler beherrschen. Alle anderen würden immer an ihrem Akzent erkannt.
Dem gegenüber stehen jene Forscher, die sagen: Es ist zunächst einmal wichtig, dass das Kind in seiner Muttersprache gefestigt ist, damit es am Ende nicht zwei „Halbsprachen“ spricht, von denen es keine vollkommen beherrscht. Diese Forscher meinen ebenfalls: Entscheidender als das Alter ist die Intensität, mit der man eine Sprache lernt. Je mehr und intensiver man Kontakt hat mit der zu erlernenden Fremdsprache, desto größer die Lernerfolge. Will heißen: Wer mit 25 in Mexiko seine große Liebe findet und dort bleibt, wird nach einigen Jahren besser Spanisch sprechen als Kinder, die bereits seit dem Kindergartenalter Spanisch lernen, denen aber der regelmäßige Kontakt zu Muttersprachlern fehlt.
Auch die Frage nach einem „Sprachlernfenster“, das sich irgendwann schließt, wird kontrovers diskutiert. Studien deuten darauf hin, dass es sensible Phasen in der frühen Kindheit gibt, in denen das Erlernen einer Fremdsprache einfacher gelingt. Gegner dieser Theorie sagen: Kleinkinder lernen Fremdsprachen nur deswegen so gut, weil sie dies in einer perfekten Umgebung tun können. Sie müssen sich nicht noch um andere Dinge wie Schule oder Arbeit kümmern, sie haben einen hervorragenden Betreuungsschlüssel und viel Zeit.
Einige Wissenschaftler sagen, dass man vor dem 6. Geburtstag mit dem Erlernen einer Fremdsprache beginnen sollte, um sie möglichst perfekt zu beherrschen. Die Fähigkeit, eine Fremdsprache akzentfrei zu erlernen, würden Kinder schon sehr früh verlernen, spätestens mit ca. 18 Monaten, vermutlich schon eher. Das Gehirn nimmt dann feine Unterschiede in der Aussprache nur in der ihm vertrauten Sprache wahr. Das erklärt z.B., warum Chinesen „l“ und „r“ nicht unterscheiden können. In ihrer Sprache ist es einfach nicht notwendig.
Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass die Kinder mit zunehmendem Alter bestimmte Dinge schwieriger lernen: Das ist zunächst die Aussprache, etwa ab der Pubertät fällt auch das Erlernen von Grammatikregeln schwerer. Vokabeln pauken dagegen schaffen auch Erwachsene noch gut. Einig ist sich die Wissenschaft auch, dass das menschliche Gehirn durchaus dafür gemacht ist, mehrere Sprachen zu lernen – bei Bedarf auch mehrere gleichzeitig.
Spätlerner, die erst im Erwachsenenalter mit einer neuen Fremdsprache beginnen, haben Kindern gegenüber zumindest einen Vorteil: Sie machen schnellere Lernfortschritte, da sie in ihrem Leben bereits verschiedene Lernstrategien ausprobiert und entwickelt haben. Anders als Kinder können sie z.B. Wortverwandtschaften erkennen, sie entwickeln einen anderen Zugang zur Sprache.
Der Vorteil von Frühstartern: Kleine Kinder sind noch sehr offen und neugierig, sie lernen eine Sprache spielerisch, je nach Methode fast nebenbei. Und sie sind entspannter im Umgang mit Fehlern. Anders als Jugendliche oder Erwachsene scheuen sie sich nicht vor falschen Formulierungen, sie plappern einfach drauf los.
Zusammengefasst kann man sagen:
Ein Kleinkind schon im Krippen- oder Kindergartenalter eine Fremdsprache lernen zu lassen, nur damit es später bessere Chancen in der Schule oder im Beruf hat, ist vielleicht nicht die optimale Motivation. Kleinkinder lernen in ihrer Entwicklung ohnehin so viel Neues jeden Tag, dass man sie nicht ohne Not auch noch eine Fremdsprache lernen lassen sollte.
Etwas anderes ist es, wenn das Kind einen Bezug zur erlernten Fremdsprache hat. Das können die sorbischen Nachbarn und Bräuche im Heimatdorf sein. Das kann die polnische Oma sein, die regelmäßig zu Besuch kommt.
Wer sich dafür entscheidet, dass der Nachwuchs schon früh eine Fremdsprache lernt, sollte sie so auswählen, dass sichergestellt ist, dass das Kind regelmäßig die Sprache sprechen kann – z.B. im Kindergarten und dass die Fremdsprache auch über die Kita-Zeit hinaus gelehrt wird. Der beste Sorbisch-Unterricht bringt nicht viel, wenn das Kind nach der Kita- oder Grundschulzeit nicht weiterlernt. Eine so früh erlernte Fremdsprache kann, wenn sie nicht regelmäßig genutzt wird, noch verlernt werden. Anders bei Erwachsenen: Wer eine Fremdsprache bis zum Schulabschluss passabel gelernt hat, wird sie auch nach mehrjähriger Pause wieder auffrischen können. Wenn das Kind die Muttersprache gut beherrscht, dann wird eine zweite Sprache zumindest nicht schaden.