Jungs sollen sich auch mal prügeln dürfen
Interview mit Sozialpädagoge Jörn Meyer
Geschäftsführer der Jugendhilfe Cottbus e.V. & gemeinnützige GmbH. Jörn Meyer ist studierter Sozialpädagoge und Erzieher. 1991 war er Mitgründer der Jugendhilfe Cottbus e.V. & gGmbH.
Herr Meyer, wo verläuft Ihres Erachtens bei einer Schulhofrangelei die Grenze zwischen einer harmlosen Rauferei und ernstzunehmender, körperlicher Gewalt?
Die Grenze kann immer nur dort sein, wo der andere es nicht mehr erträgt und „Stopp“ sagt. Da muss man schauen, ob es Vereinbarungen und Verabredungen gibt. Man sucht ja sein ganzes Leben lang Grenzen, um dann einen Schritt darüber hinaus zugehen. Das gehört auch zum kindlichen Heranwachsen dazu. In jedem Fall sollten Kinder wissen, wenn derjenige
es nicht mehr will und das deutlich signalisiert, dann muss aufgehört werden.
Wie schafft ein Kind es, diese Signale auch deutlich zu senden?
Natürlich über das „Nein“. Aber im wesentlichen darüber, dass Kinder früh lernen zu äußern, wie es ihnen dabei geht. Dass Kinder damit auch Gehör finden. Diese Sachen können Eltern mit ihren eigenen Kindern schon im Babyalter anfangen. Auch wenn sie sich noch nicht klar verbalisieren können, geben sie doch Signale, auf die man achten muss.
Man hat den Eindruck, dass Gewalt, vor allem zwischen Kindern und Jugendlichen, immer mehr zunimmt. Ist das tatsächlich so oder täuscht das eher?
Ich habe nicht das Gefühl, dass die Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen zugenommen hat. Ich denke, dass unser Leben weitaus gewaltfreier geworden ist. Wir sind aufmerksamer geworden, wir gucken genauer hin und sind auch bei kleinen Anzeichen von Gewalt alarmiert. Das ist gut. Auch, dass die Medien darüber berichten. Aber da muss man unterscheiden, was die Medien darstellen, um Zuschauer zu gewinnen – und wie die Realität wirklich aussieht.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass durch die hohe Aufmerksamkeit schneller bei kleinen Raufereien eingeschritten wird? Und brauchen nicht Kinder, vor allem Jungs, Balgereien, um sich in ihren Peer Groups zu positionieren?
Das ist richtig. Jungs wollen sich auch mal prügeln und sich schubsen. Jungs wollen ihre Kräfte messen und das ist völlig in Ordnung. Das sollte ihnen gestattet werden, auch den Mädchen. Bei ihnen ist es aber untypischer. Ich finde, man sollte sie nicht dazu auffordern. Sie müssen nur merken, wann der Gegenüber, an dem sie sich messen, sagt „Stopp“ und
dann auch aufhören können.
Wie messen Mädchen ihre Kräfte?
Ich glaube Mädchen messen ihre Kräfte, indem sie Aufmerksamkeit suchen. Bei ihnen geht es oft darum, welches Mädchen mehr Aufmerksamkeit erhält. Das ist im Grundschulalter zu beobachten, in dem sie noch für die Lehrerin lernen. Für die Aufmerksamkeit der Lehrerin tun sie etwas. Jungs dagegen beginnen relativ zeitig, so spätestens in der 6. Klasse, sich dagegen zu positionieren. Deswegen sind Mädchen auch oft besser in der Schule.
Kann man pauschalisieren, dass Mädchen eher zu verbaler und Jungs eher zu körperlicher Gewalt neigen?
Das ist vor allem im Jugendalter und auf der Straße zu beobachten. Schaut man dort, was Jungs machen und was Mädchen machen, fällt auf, dass Jungs eher mit den Fäusten sprechen. Mädchen sind um Verbalität bemüht. Es gibt wenige Mädchen, die sich prügeln.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Meyer.