Der Lehrer- und Erziehermangel beschäftigt viele Familien: Wir geben einen aktuellen Überblick
Es gibt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die warnt: „Der Lehrkräftemangel kann für viele OECD Länder in den kommenden Jahren zu einem Problem werden, da die Schüleranzahl steigt, während ältere Lehrer aus dem Schuldienst ausscheiden und nicht genug junge Leute in den Lehrberuf einsteigen.“ Das Bemerkenswerte an dieser Studie: Sie stammt aus dem Jahr 2003. In den vergangenen Jahren haben Experten immer wieder davor gewarnt, dass in Deutschland ein Lehrermangel droht. Gehört wurden sie nicht.
Der Deutsche Lehrerverband warnte 2012, als viele Lehrer keinen Job fanden: „Bis 2022 sind rund 400.000 der derzeit aktiven knapp 800.000 Lehrer in Deutschland aus Altersgründen nicht mehr im Dienst. Selbst bei unveränderten pädagogischen Rahmenbedingungen müssen diese Lehrer trotz leicht rückläufiger Schülerzahlenentwicklung zum größten Teil ersetzt werden.“ Der Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, ärgert sich über die Politik: „Mit Sicherheit haben viele Schulministerien in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht, also z.B. weder Geburtenstatistiken genau analysiert noch rechtzeitig auf den seit sieben Jahren beobachtbaren Geburtenanstieg reagiert.“ Statt mehr Lehrer auszubilden, hätten die Universitäten Studienplätze abgebaut.
Und auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat schon vor etwa zehn Jahren ein Umsteuern in der Ausbildung von Lehrern und in der Einstellungspolitik gefordert, wurde aber von den politisch Verantwortlichen nicht gehört. „Der Lehrermangel ist, wie der Personalmangel im öffentlichen Dienst, ein Ergebnis verfehlter Sparpolitik“, so Jens Risse, stellvertretender Vorsitzender der GEW Sachsen.
Die Konsequenzen dieser „verfehlten Sparpolitik“ müssen heute Schüler, Eltern und auch die Lehrer selbst ausbaden. Viele Schulen haben es nur unter großer Kraftanstrengung geschafft, dass zu Beginn des Schuljahres vor jeder Klasse ein Lehrer stand. Viele Schüler starteten ohne regulären Stundenplan ins Jahr. Da bis zum Schluss noch Personal auf die Schulen verteilt wurde, konnten die Schulen erst nach dem Start des Schuljahres die Stundenpläne fixieren. Wo es vertretbar ist, wurden Stunden gekürzt. Der Freistaat Sachsen hat sogar ganz offiziell eine reguläre Kürzung der Stundenpläne ab dem kommenden Schuljahr angekündigt. An vielen Kitas ist die Situation ähnlich kritisch, wie unser Exkurs zum Erziehermangel am Ende des Beitrags aufzeigt.
Seiteneinsteiger: Von der Notlösung zur Normalität
Vor vielen Klassen stehen heute Lehrer, die zuvor kein Lehramtsstudium absolviert haben. Quer- bzw. Seiteneinsteiger haben in einigen Bundesländern, allen voran Sachsen und Berlin, einen Großteil der Neueinstellungen ausgemacht. In Berlin hatte nur etwa jeder dritte neu eingestellte Lehrer ein klassisches Lehramtsstudium. Die meisten der 2.400 neu eingestellten Lehrer sind Quer- bzw. Seiteneinsteiger. In Brandenburg waren etwa 40 Prozent der neuen Lehrer Seiteneinsteiger, in Sachsen jeder Dritte. Seiteneinsteiger gab es schon immer, aber noch nie in dieser Größenordnung. Was eigentlich nur als Notlösung gedacht war, ist an vielen Stellen Normalität geworden. Kommen in der aktuellen Situation noch ungeplante Ausfälle z.B. durch Krankheit oder Mutterschutz hinzu, dann könnte die Lage an einigen Schulen prekär werden.
Eine Entspannung der aktuellen Situation ist derzeit nicht in Sicht. Im Gegenteil, Bildungsforscher Prof. Dr. Kai Maaz rechnet eher mit einer weiteren Verschärfung (s. Interview). Auch eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung prognostiziert, dass der Lehrerbedarf an Grundschulen in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Bis 2025 werden etwa 70.000 Absolventen ihr Lehramtsstudium beenden. Durch das Ausscheiden älterer Lehrer, durch steigende Schülerzahlen und durch den geplanten Ausbau von Ganztagsangeboten müssen aber etwa 105.000 Lehrer neu eingestellt werden – eine Lücke von 35.000 Lehrern.
Jetzt endlich haben die Landesregierungen reagiert: Das Wissenschaftsministeriun Brandenburg kündigte einen deutlichen Ausbau der Lehramtsstudienplätze an. „Die Studienkapazitäten der Universität Potsdam für das Lehramtsstudium werden 2019 und 2020 schrittweise auf bis zu 1.000 Plätze für Studienanfänger erhöht. Zudem unternimmt die Universität verstärkt Maßnahmen, um die Studienabbrecherquote nachhaltig zu verringern“, heißt es vom Bildungsministerium Brandenburg. Mit diesen Maßnahmen hofft man, dem steigenden Lehrkräftebedarf gerecht zu werden.
In Sachsen hat man bereits vor einigen Jahren die Zahl der Studienplätze erhöht. Ein weiterer Ausbau ist nach Angaben des Wissenschaftsministeriums vorerst nicht geplant.
In Brandenburg stellt das Land für den Ausbau in den kommenden zwei Jahren 16,5 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Das Geld wird u.a. für zusätzliche Mitarbeiter an der Universität gebraucht, allein die Berufung 20 neuer Professuren ist erforderlich. Zudem müssen neue Räumlichkeiten für die zusätzlichen Mitarbeiter und Studierenden geschaffen werden. Das geht nicht von heute auf morgen, so dass noch mal Zeit ins Land geht, in der sich die Schulen mit anderen Maßnahmen aushelfen müssen.