Was macht die Digitalisierung mit unseren Kindern?
Es ist ein Thema, das fast täglich in Familien diskutiert wird, das mit jeder neu veröffentlichten Studie und jeder Bucherscheinung die alten Debatten neu entfacht: Wie viel digitale Medien brauchen unsere Kinder? Was macht die zunehmende Digitalisierung von Kinderzimmer, Schule und Familienalltag mit ihnen? Wo birgt sie Chancen, wo schadet sie?
Einfache Antworten auf diese Fragen, gibt es nicht – so viel vorneweg. Es ist ein unfassbar komplexes Thema. Fragt man drei Experten, erhält man unter Umständen drei völlig unterschiedliche Antworten. Zudem ist es ein vergleichsweise junges Phänomen: Während Handys und Internet in der Kindheit und Jugend der heutigen Elterngeneration kaum eine Rolle spielten, werden die Kinder heute quasi damit groß. Das führt zu zwei Problemen: Erstens fühlen sich viele Eltern überfordert, weil ihnen ihre Kinder oft genug technisch überlegen sind. Zweitens lässt sich noch gar nicht sagen, was die digitale Kindheit mit unserem Nachwuchs macht. Ob die Sorgen und Warnungen von Experten berechtigt oder übertrieben waren, werden wir vermutlich erst in 20 Jahren wissen.
Und diese Warner gibt es sehr wohl. Der prominenteste von ihnen ist der Psychiater Manfred Spitzer. Er hat mehrere Bestseller veröffentlicht, die vor den Gefahren von Smartphone & Co. warnen, jüngst erschien sein Buch „Die Smartphone-Epidemie“. Spitzer warnt in seinen Büchern, die fast immer die Bestseller-Listen erobern, vor den körperlichen, psychischen und sozialen Langzeitschäden durch die Nutzung digitaler Medien in Kindheit und Jugend: Kurzsichtigkeit, Depression, Empathielosigkeit, Fettleibigkeit, Diabetes. In seiner Argumentation ist er so konsequent wie in seiner Schlussfolgerung: Kinder und Jugendliche unter 18 brauchen keine Smartphones, da der Schaden einen möglichen Nutzen bei weitem überwiegt.
Spitzer findet in der Fachwelt mit seinen Thesen nicht nur Zustimmung, es gibt viele Medienforscher, die seine Pauschalkritik für übertrieben oder gar gefährlich halten: Schließlich sind digitale Medien ständig und überall verfügbar. Wer Kindern und Jugendlichen nicht schon frühzeitig den Umgang damit ermöglicht, der verwehre ihnen Chancen. Denn in Maßen genutzt und begleitet von Eltern bzw. Lehrern, könnten die Kinder durchaus davon profitieren.
Einigkeit besteht nur darüber – und das bestätigen fast alle Studien: Die Nutzung digitaler Medien von Smartphone über Tablets bis hin zu PC-Spielen und sozialen Netzwerken hat in den vergangenen zehn Jahren rasant zugenommen.
Kurzsichtigkeit – eine Folge digitaler Medien?
Das ständige Starren auf einen Bildschirm führt zu Kurzsichtigkeit, so eine These von Manfred Spitzer. Was ist dran? Tatsächlich hat die Kurzsichtigkeit unter Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren stark zugenommen, v.a. in asiatischen Ländern mit hohem Bildungsanspruch wie China, Südkorea oder Taiwan. Schüler verbringen dort deutlich mehr Zeit über Büchern und Tablets, meist in geschlossenen Räumen. Die Folge: 90 bis 95 Prozent der jungen Generation leiden bereits unter Kurzsichtigkeit. Wissenschaftler haben mittlerweile die Ursachen dafür erforscht: Es sind nicht nur Veranlagung und das häufige Sehen auf kurzer Distanz wie beim Lesen, sondern v.a. fehlendes Tageslicht. Je weniger Zeit Kinder draußen verbringen, desto weniger wird der Augapfel am Wachstum gehemmt. Die Folge ist Kurzsichtigkeit. Ärzte warnen davor, dies nicht als harmlose Sehschwäche abzutun. Frühe und stark ausgeprägte Kurzsichtigkeit könne später zu schweren Sehstörungen wie grauem Star oder gar Erblindung führen.
Digitale Kindheit
Wie sehr prägt das Smartphone heute die Kindheit? Wenn man ganz an den Anfang gehen will, dann könnte man sogar behaupten: Schon bei der Zeugung von Kindern kommt das Smartphone zum Einsatz. Spezielle Apps ermöglichen die Berechnung der fruchtbaren Tage. Und wenn es dann geklappt hat, gibt es Apps, welche die werdenden Eltern mit Ratschlägen durch die gesamte Schwangerschaft begleiten. Die Geburt wird mit dem Smartphone festgehalten und das erste Bild des neuen Erdenbürgers via WhatsApp, Facebook und Instagram stolz der Netzgemeinde präsentiert. Dieser kurze Abriss ist sicher ein wenig überspitzt, aber auch nicht völlig von der Wirklichkeit entfernt. Zum Beruhigen von Babys gibt es Apps, die das Geräusch eines Föhns oder Staubsaugers abspielen. Smarte Strampler melden den besorgten Eltern, wenn Babys Temperatur steigt. Und schon anderthalbjährige Kleinkinder wissen, wie sie übers Smartphone wischen müssen, um bewegte Bilder zu erzeugen.
Unabhängig davon, wie intensiv Eltern schon Babys in die Mediennutzung einbeziehen, wachsen Kinder heute wie selbstverständlich umgeben von Bildschirmen auf. Ab etwa dem Vorschulalter ziehen immer mehr digitale Spielzeuge ins Kinderzimmer ein: Bilderbuch-Apps, Tiptois, Gesellschaftsspiele mit digitalen Funktionen, programmierbare Roboter, smarte Puppen und Kuscheltiere. Die Versprechen der Hersteller smarter Spielzeuge klingen verlockend: Die Kinder lernen schneller und leichter Neues, sie sind nicht so passiv wie beim Fernsehschauen und Eltern werden entlastet, wenn das Kind sich neues Wissen mehr oder weniger selbständig aneignet. Und natürlich – das wissen Eltern – lieben schon kleine Kinder Spielzeug, das blinkt und Geräusche macht. Deswegen sind sie für smarte Spielsachen leicht zu begeistern.