Dürfen Kinder die Grenzsetzung mitbestimmen?
Ich denke, dass Kinder durchaus mitreden können. Eltern bemerken neue Entwicklungen der Kinder nicht immer sofort. Wenn Kinder etwas Neues können und für sich wissen, ob sie ein Risiko eingehen und sich ausprobieren wollen, ist es nicht verkehrt, sie auch mitreden zu lassen. Man sollte aber aufpassen, dass man dem Kind nicht die Verantwortung für die Erziehung überreicht. Wenn das Kind Karies hat, kann man sich nicht hinstellen und sagen, dass es immer Brause trinken wollte und man nichts dafür kann. Die Verantwortung muss immer bei den Eltern liegen.
Ist es umgekehrt möglich, dass Kinder ihren Eltern Grenzen setzen?
Natürlich. Kinder haben eine Privatsphäre, auch den Eltern gegenüber. Sie dürfen auf jeden Fall klarstellen, wo die Grenze ist.
Was passiert, wenn man Kindern überhaupt keine Grenzen vorgibt?
Das wird sicher in einer Verwahrlosung enden. Grenzen sind nicht nur dafür da ein Regelwerk zu haben, damit man weiß, was richtig und was falsch ist. Sondern, damit man sich überhaupt in der Welt orientieren kann. Man lernt mit bestimmten Gefühlen umzugehen und sie zu ertragen, wenn man Grenzen gesetzt bekommt. Man erfährt, wie es ist, wenn man sich streitet und wie man sich verträgt. Das Erleben all dieser Zustände von Gefühlen wird Kindern, die keine Grenzen bekommen, gar nicht möglich sein. Es kann dazu führen, dass keine innere Struktur entwickelt wird, mit der man sein Leben erleben kann. Gar keine Grenzen zu setzen, kann zu erheblichem Schaden führen.
Wie kann man sich verhalten, wenn Kinder sich partout nicht an Grenzen halten wollen?
Es ist sinnvoll herauszufinden, was die Ursache für dieses Verhalten ist. Man sollte versuchen das Kind zu verstehen und sich selbst reflektieren. Häufige Ursache ist, dass Grenzen nicht eindeutig gesetzt werden. Eltern verbieten etwas und lächeln dabei oder relativieren das Verbot in einer ähnlichen Situation. So wird dem Kind natürlich nicht klar, wann ein Verbot gilt. Eine andere Ursache kann sein, dass das Kind auf etwas sehr, sehr zornig ist. Da können Geschwisterrivalitäten dahinter stecken oder das Kind fühlt sich von etwas überfordert. Da kann eine Mordswut auf den Eltern abgeladen werden, die vielleicht eine ganz andere Quelle hat. Wenn man sich trotz solcher Ursachenforschung nicht helfen kann, ist es nicht verkehrt, sich beratende Hilfe zu suchen.
Wo sollten die Grenzen zwischen anderen Erwachsenen und einem Kind liegen?
Diese Grenze sollten schon früh von den Eltern vorbereitet werden. Es ist eine weit verbreitete Unsitte, dass kleine Kinderfüßchen, die aus dem Kinderwagen herausragen, zum Anfassen freigegeben scheinen. Das sind schon Übergriffe und Eltern sollten ihre Kinder davor schützen. Das ist schwierig, zumal daraus ja auch innerhalb von Familien Kränkungen entstehen können. Aber, es muss klar sein, dass Kinder Rechte haben und dass man diese respektieren muss. Bei körperlichen Übergriffen muss eine Grenze gezogen werden.
Wie geht man damit um, wenn das Kind der Oma kein Küsschen geben möchte?
Auch Kinder dürfen Grenzen setzen. Der Austausch von Zärtlichkeiten ist nur möglich, wenn beide Seiten es wollen. Man sollte seinem Kind aber erklären, was andere Menschen von ihm erwarten. Genauso wie, was passiert, wenn es diese Erwartungen, also der Oma ein Küsschen zu geben, konsequent vernachlässigt. Aber man muss auch ein Gespür dafür entwickeln, ob das Kind diese Erwartungen überhaupt erfüllen kann. Manche Kinder haben Angst vor Kontakten und können oder wollen diese Forderung nicht erfüllen. In solchen Situationen kann man Teilschritte gehen, zum Beispiel der Oma zuwinken oder sie ansehen.
Sollten Eltern sich auch in die Grenzsetzung zwischen Kindern einbringen?
Das ist eine komplizierte Sache. Eltern, aber auch Lehrer und Erzieher sind gut beraten zu beobachten, ob Kinder das hinbekommen. Man kann ihnen auch manchmal helfen und ihnen zeigen, wie man zum Beispiel Konflikte lösen kann. Erwachsene sollten Kindern schon gängige Regeln im Miteinander erklären: Man schlägt sich nicht, man grenzt niemanden aus, man provoziert andere nicht solange, bis sie zurückschlagen, usw.
Hier ist es auch wieder eine Einzelfallentscheidung: Was können die Kinder untereinander regeln? Wobei brauchen sie Hilfe?
Vielen Dank für das Gespräch.