"Die tun doch nix"

Datum: Montag, 01. Oktober 2012 08:43

 

Mit Liebe kann man die besten Grenzen setzen.

FischerInterview mit Dr. med. Martin Fischer
Dr. Fischer ist Kinder- und Jugendarzt sowie Kinder und Jugendpsychotherapeut. Er arbeitet im BVKL Ausschuss für Psychosomatik und Psychotherapie.

Herr Fischer, warum sind Grenzen für Kinder überhaupt wichtig?
Sie sind in sofern wichtig, als dass sie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen dienen. Außerdem signalisieren Grenzen den Kindern, dass die Eltern sich um sie kümmern und sorgen. In der Grenzsetzung erfahren sie die Wertschätzung und Liebe ihrer Eltern.


Warum fällt es Eltern heutzutage immer schwerer Grenzen zu setzen?

Man kann sagen, dass das Hauptproblem von Eltern ist, dass sie nicht wissen, wo die richtigen Grenzen sind. Sie kennen die Kriterien nicht, an denen Grenzen gezogen werden sollten. Dazu kommt, dass es anstrengend ist, Grenzen zu setzen. Erziehung ist wirklich harte Arbeit. Manche sind schlicht zu bequem, um Grenzen zu setzen. Mindestens genauso häufig ist der Fall, dass Eltern sich einfach nicht trauen. Sie haben Angst, als autoritär da zustehen oder davor, von ihren Kindern kritisiert zu werden. Es spielt auch eine große Rolle, dass Eltern sich schämen würden, durch Szenen, die ihre Kinder ihnen in der Öffentlichkeit machen würden. Angst und Unsicherheit spielen eine große Rolle.


Woher weiß man, wann man Grenzen setzen sollte?

Eltern kennen ihre Kinder am besten: Die Frage nach den Grenzen sollte im Interesse des Kindes beantwortet werden. Hier geht es nicht in erster Linie um die Bedürfnisse von Eltern und anderen Erwachsenen. Aus meiner Sicht ist das tauglichste Kriterium die Liebe zum Kind. Man erlaubt all das, was dem Kind nicht schadet und verbietet all die Sachen, die sich nachteilig auf das Kind auswirken könnten. Das muss man darüber hinaus auch von der Situation abhängig machen. Ein Beispiel dafür sind Hausaufgaben. Wenn das Kind die nicht machen möchte, kommt es auf den Wochentag an. Sollen die Aufgaben zum nächsten Tag erledigt werden oder erst zur nächsten Woche? Diese Situation bestimmt mit, wie Sie Ihre Grenzen setzen, wie viel Freiheit Sie geben können.


Es gibt verschiedene Erziehungsstile. Ist es im Zweifel besser autoritär zu erziehen oder doch auf Grenzen zu verzichten?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, wie intensiv die Grenzen gestaltet wurden und wie das Kind darauf reagieren kann. Es gibt Kinder, die schon sehr früh einen starken Entdeckungsdrang entwickeln. So ziehen sie in die Welt und gefährden sich damit viel mehr, als Kinder, die weniger neugierig und offen sind. Diese Kinder brauchen sicher eine klarere Führung, als diejenigen, die aufmerksam die Signale ihrer Eltern registrieren und fast von selbst das machen, was die Eltern wollen. Ich erkläre das Eltern gerne an einem Beispiel: Manche Kinder haben eine Servolenkung, andere eben nicht. Deshalb kann man das nicht pauschal beantworten. Es kommt darauf an, wie das jeweilige Kind auf Grenzsetzungen reagiert.


Was muss man bei den einzelnen Altersgruppen beachten?

Es gibt einiges zu beachten, da nicht jedes Alter das Gleiche erfordert. Es hängt davon ab, dass man den Schutz eines Kindes so gestalten muss, dass da begrenzt wird, wo es überfordert wäre. Da Kinder sich im Laufe der Zeit immer weitere Kompetenzen aneignen, wird die Grenzziehung im Verlauf immer weniger sein. In höherem Alter kann man seinem Kind immer mehr Selbstständigkeiten und Freiheiten zutrauen. Kinder, die gerade frisch die Welt entdecken, sind natürlich am meisten gefährdet, sich dabei zu verletzen. Das bedeutet, dass die Grenzsetzung da am straffsten sein sollte. Sie müssen am meisten geschützt werden. Ein Kind, das Erfahrungen gesammelt hat und Gefahrenquellen kennt, bedarf nicht mehr eines so großen Schutzes. In der Pubertät wiederholen Kinder Entwicklungsstadien, die im Kleinkindalter schon einmal durchlaufen wurden. In diesem Alter wird noch einmal Macht erprobt, Grenzen ausgetestet und Rivalitäten erfahren. In der Pubertät hängt die Zahl der Grenzen davon ab, wie sicher das Regelwerk ist, dass die Kinder bis dahin schon bekommen und verinnerlicht haben. Für Eltern ist die Grenzsetzung in dieser Zeit schwierig, da die Kinder größer sind und sich stärker dagegen auflehnen können.


Ab welchem Alter sollte man anfangen seinem Kind Grenzen zu setzen?

Von Anfang an und immer. Grenzen setzen gehört immer zur Bindung von Eltern zu ihren Kindern. Wenn das Kind gerade geboren ist, kennt man sich noch nicht so gut. Da kommt es vor allem zunächst darauf an die Bedürfnisse des Kindes kennenzulernen und herauszufinden, was es alleine kann und wobei es Hilfe braucht. Neugeborene benötigen natürlich in den meisten Fällen Hilfe, um sich zu regulieren, aber auch sie können Dinge alleine. Zum Beispiel: Trägt man sein Kind auf dem Arm, bis es schläft oder kann es das alleine im Bett. Hier fängt Grenzsetzung schon an.