Foto: Frau Schmitt
Reiten mit Respekt
Pferde brauchen nicht Peitsche und Gerte, sondern verständnisvolle, konsequente Reiter. Wie das praktisch funktioniert hat Franziska Görwitz bei dem als „Der Pferdeflüsterer“ berühmt gewordenen Ausbilder Monty Roberts gelernt. Heute gibt sie dieses Wissen am Institut Pferdezentrum Bad Saarow (Freie Universität Berlin) weiter.
Wer reitet eigentlich in Zeiten von Corona die Pferde des Pferdezentrums?
Es ist ja nicht so, dass Pferde unbedingt geritten werden wollen. Sie sollten zwar die Möglichkeit haben sich umfangreich zu bewegen, aber Pferde sind nicht zum Reiten gemacht. Sie genießen durchaus die Zeit ohne Arbeit, oder beispielsweise die einfache positive Zuwendung des Menschen.
Wissen Sie, ob das Corona-Virus auch für Pferde gefährlich werden kann?
Nein, derzeit besteht da keine Gefahr für Pferde, wenn sich das Virus nicht verändert. Aber trotzdem bringt die aktuelle Situation wieder das Thema Hygiene mehr auf den Schirm und das ist etwas, worauf Reiter generell achten sollten – unabhängig von Corona. Streicheln z.B. halten Reiter für ein Zeichen der Zuneigung, aber für die Pferde ist das eine Gefahr. Vor allem dann, wenn man von Pferd zu Pferd geht und jedes streichelt. Dann trägt man die Bakterien und Viren von einem Pferd zum nächsten.
Also sollten Kinder besser aufs Streicheln verzichten?
Wichtig ist vor allem das Einhalten von Hygienestandards. Dazu gehört z.B. das Händewäschen vor und nach dem Umgang mit jedem Pferd und eigenes Equipment für jedes Pferd, also eigenes Putzzeug, wenn möglich auch eigene Trensen und Sättel, wenigstens aber eigene Satteldecken. Alles sollte regelmäßig gereinigt werden. Daran erkennt man auch einen guten Stall. Wenn es aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, für jedes Pferd ein eigenes Equipment bereit zu stellen, dann sollte es wenigstens für jedes Pferd angepasst und gereinigt werden. Zu einer guten Haltung gehört auch, dass Pferde zwischendurch Pause machen können oder die verschwitzte Satteldecke nicht auf das nächste Pferd gelegt wird.
Gibt es weitere Anhaltspunkte, um eine gute Reitschule zu erkennen?
Die Richtlinien zum Tierschutz sollten eingehalten werden. Ein gutes Zeichen ist es, wenn die Pferde gesund aussehen, lahmfrei sind, keine tränenden Augen oder laufende Nase haben, wenn die Unterbringung der Tiere sauber, groß und hell ist, den Tieren mehrstündigen Auslauf am besten in der Gruppe mit viel Platz gewährt wird und die Tiere gelassen wirken.
Und was macht einen guten Reitlehrer aus?
Zu einer guten Haltung gehört für mich auch, dass das Personal weder Tieren noch Reitschülern gegenüber laut wird. Konsequenz ist durchaus wichtig, aber nicht mit verbaler oder körperlich Gewalt. Eine gute Reitschule zeichnet sich auch dadurch aus, dass nicht nur sinnvolle Regeln aufgestellt werden, sondern den Kindern vieles erklärt wird: der Umgang mit dem Pferd und sein Verhalten. Der Kontakt zum Tier sollte schon im Stall beginnen und nicht erst auf dem Pferderücken. Ich persönlich würde mein Kind auch nicht in eine Reitschule schicken, in der Kinder lernen, das Pferd mit Gewalt, also beispielsweise mit Hauen, Anschreien oder einem vehementen Gerteneinsatz zu behandeln. Eine gute Reitschule zu finden, ist wirklich das A und O. Dafür sollten Familien wenn nötig durchaus einen längeren Fahrtweg in Kauf nehmen.
Gibt es ein gutes Einstiegsalter für das Hobby Pferd?
Das ist sehr individuell. Es gibt bestimmte Programme, die sich schon an Kleinkinder ab zwei Jahren richten. Dort erlernen die Kleinen spielerisch den Umgang mit dem Pferd. Dabei steht die Versorgung des Pferdes im Vordergrund und nicht das Reiten. Denn um den Trab oder Galopp ausgleichen zu können, muss die Wirbelsäule der Kinder stabil genug sein. Das ist erst zwischen vier und sechs Jahren der Fall. Daher ist davon abzuraten, jüngere Kinder regelmäßig oder länger als 10 Minuten reiten zu lassen. Wichtig ist ebenfalls, dass das Pferd zum Kind passt – von der Größe und vom Temperament her. Das Pferd darf auch nicht zu breit sein, weil das sonst zu Knieproblemen beim Kind führen kann. Ein kleineres Pferd hat zudem den Vorteil, dass das Kind sollten es doch mal zu einem Stutz kommen nicht so tief fällt.
Sind Stürze denn so häufig?
Natürlich kann es zu Stürzen, Remplern oder Tritten kommen. Eltern sollte bewusst sein, dass Reiten durchaus ein gefährliches Hobby sein kann. Ein Pferd ist eben kein Sportgerät, sondern ein Lebewesen. Da ist es wieder von Vorteil, wenn Kinder früh mit dem Reiten beginnen, weil sie so das Pferd und sein Verhalten früh kennen und einschätzen lernen. Und bei Kindern passiert aufgrund der Flexibilität in der Regel ja noch nicht so viel, wenn sie stürzen. Aber natürlich hat das Reiten auch viele tolle Komponenten.
Welche zum Beispiel?
Reiten ist unglaublich koordinativer Sport. Der Reiter muss lernen, mitzuschwingen, die Balance zu halten. Motorik und Reaktionsvermögen werden gestärkt. Es fördert die Selbständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein, Empathie und Konzentration.
Wie sind Sie selbst zum Reiten gekommen?
Ich war schon immer tieraffin und bin mit Pferden groß geworden. Meine Großmutter hatte eine Pferdezucht und das Thema hat mich nie losgelassen. Ich war auch bei Reitlehrern, die mit Peitsche und Gerte gearbeitet haben. Schon als Jugendliche habe ich mir gedacht: Das kann doch nicht der einzige Weg sein, um mit Pferden zusammenzuarbeiten. Mittlerweile bin ich sehr froh und dankbar, genau das selber erforschen und weitergeben zu können.
Und was sagen Ihre Erkenntnisse?
Wichtig ist, sich für das Lebewesen Pferd zu interessieren und sich in die Erkenntnisse der Verhaltensforschung von Pferden einzulesen. Wie fühlt ein Pferd, was spürt ein Pferd, wie hört es? Wie kann ich seine Körpersprache lesen? Wenn ich das weiß, kann ich mich in das Pferd hinein versetzen und auch aus dessen Sicht vorhersehbar handeln. Wenn ich Schmerz verursache, bin ich immer auf dem falschen Weg.
Was spricht gegen das Verwenden von Peitsche und Gerte?
Ich war lange beim US-amerikanischen „Pferdeflüsterer“ Monty Roberts in Ausbildung und arbeite noch immer mit ihm zusammen. Von ihm habe ich vor allem gelernt, dass Gewalt nie eine Lösung ist und auch nicht sein muss. Dass man dem Pferd immer mindestens einen Lösungsweg anbieten kann, den es von sich aus mitgehen würde. Und dieser Weg sollte dann so gestaltet sein, dass er im Ergebnis erzielt, was ich erreichen wollte.
Nehmen wir einen klassischen Konflikt: Ich reite mit dem Pferd durchs Gelände und auf einmal möchte es partout nicht weiter. Wie sieht eine gewaltfreie Lösung aus?
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das Pferd etwas sieht, was ihm Angst macht. Die natürliche und daher vorhersehbare Reaktion ist, dass es stehenbleibt oder abdreht. Darüber muss ich mich also weder ärgern, noch es mit der Gerte zum Weitergehen drängen. Eine bessere Lösung wäre, das Pferd in Bewegung zu halten, indem ich Kreise oder Achten reite. So bleibe ich dort, wo es Angst bekommen hat, ohne es über das Mittel Schmerz weiter zu drängen. Ich bleibe zudem Herr über die Lage, indem ich Geschwindigkeit und Richtung weiter bestimme. Zudem komme ich dem natürlichen Verhalten von Pferden noch weiter entgegen. So kann das Pferd nämlich aus sicherer Entfernung seine Art zu Sehen bedienen, sich über die gerittene oder geführte Figur sukzessive dem Hindernis annähern und darüber seine Angst verlieren.
Also sollte der Reiter das Pferd führen oder mit ihm im Team zusammenarbeiten?
In den letzten Jahren ist ein Trend entstanden, wonach der Mensch das Leittier sein soll, z.B. beim Natural Horsemanship. Es stimmt natürlich, dass wir als Mensch dem Pferd als soziallebendes Lebewesen Schutz und Sicherheit bieten können und sollten. Ebenso wichtig ist, dass uns das Pferd vertraut und das gelingt am ehesten durch vorhersehbares Verhalten, dem gekonnten Einsatz von Körpersprache und Verzicht auf Gewalt. Nichtsdestotrotz wird der Mensch für das Pferd immer artfremd bleiben und sich im Zweifelsfall eher Artgenossen zuwenden. Reiter und Mensch können ein Team sein, aber es funktioniert nicht, die Partnerschaft zu vermenschlichen.
Inwiefern vermenschlichen wir die Beziehung zum Pferd?
Ein typisches Beispiel ist, wenn ich als Reiter glaube, das Pferd versteht ganz genau, was ich sage. Das kann ein Pferd aber nicht. Auch das obligatorische Füttern von Leckerlis gehört dazu. Wenn man erstmal verstanden hat, wie Pferde lernen, weiß man, dass es so viel mehr Möglichkeiten gibt für das positive Verstärken von richtigem Verhalten, z.B. Kraulen oder das Geben von Pausen. Anders als das Füttern aus der Hand entspricht das auch eher ihrem natürlichen Verhalten. Beim Füttern lernen viele Pferde stattdessen, dass sie am Menschen nur lang genug suchen müssen um Futter zu finden.
Gibt es weitere typische Fehler im Umgang mit Pferden?
Auch Inkonsequenz ist ein großer Fehler. Damit ist aber nicht gemeint, dass ich besonders hart bin und das Pferd richtig rannehme. Es geht stattdessen darum, konsequent und für das Pferd vorhersehbar zu handeln. Viele Konflikte entstehen tatsächlich, weil der Mensch aus Sicht des Pferdes sehr unvorhersehbar handelt. Vermeiden sollte man Wut, Schmerz und Gewalt. Natürlich gibt es Pferde, die vom Gemüt her anspruchsvoll sind. Aber fast immer ist der Mensch das eigentliche Problem, weil er versucht sie mit Gewalt gefügig zu machen, wenn er nicht weiter weiß, was aber immer nur zu einer Negativspirale führt.
In Ihren Lehrgängen und Studiengängen überwiegen Frauen und Mädchen, wie in so vielen Reitställen. Woher kommt diese Faszination gerade junger Mädchen für Pferde?
Da spielen viele Komponenten eine Rolle. Zum einen das Freiheitsgefühl: Wenn ich über die Wiese galoppiere, ist das nicht nur ein Gefühl von Freiheit, sondern auch von Schwerelosigkeit, vielleicht ähnlich wie beim Schaukeln. Aber beim Reiten kommt noch das Soziale hinzu. Gerade Mädchen kümmern sich gern und suchen Körperkontakt, das bietet das Pferd. Das Pferd ist einerseits ein sehr großes und starkes Lebewesen und braucht zugleich unseren Schutz und unsere Hilfe. Dies ist auch eine Chance: Ich als Kind darf mich jetzt um das Pferd kümmern, ich bin für das Tier da. Da kann ein Pferd auch eine Konstante sein: Eltern trennen sich, Freunde kommen und gehen, aber das Pferd bleibt. Es lügt und betrügt nicht und es akzeptiert mich unabhängig von Äußerlichkeiten.