Teatime im Vorgarten

Datum: Dienstag, 29. September 2020 14:16

Die Sehnsucht nach Überschaubarkeit und Regionalität nimmt zu 

Nicht erst seit Corona zieht es Familien wieder vermehrt ins Ländliche. Wie die Lausitz von diesem Trend profitieren kann und welche Rolle der Strukturwandel dabei spielt, darüber haben wir dem Politikberater und Trendforscher Dr. Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut gesprochen. Sein neues Buch heißt „Zukunftsintelligenz. Der Corona-Effekt auf unser Leben“ (LangenMüller). 

Welche Trends werden das Bauen und Wohnen in den kommenden Jahren prägen?

Die Corona-Pandemie bestärkt und beschleunigt eine Reihe von Trends, die sich vorher bereits abzeichneten. Dazu gehören Homeoffice, Wohnen auf dem Land und gemeinschaftliches Wohnen in der Stadt. Auch nach der Krise wollen die Menschen weiterhin von Zuhause aus arbeiten, sehnen sich nach dem ruhigen Landleben und suchen mehr Gemeinschaft.

Im Gespräch mit dem Business Insider im Februar sagten Sie eine Stadtflucht von Familien voraus. Hat Corona diese Voraussage bestätigt oder gar beschleunigt?

Ja, auch wenn ich das unabhängig von Corona prognostiziert habe. Viele Familien können sich Wohnraum nur außerhalb der großen Städte leisten. Die Pandemie wird den Trend zur Suburbanisierung verstärken, auch weil Corona eine Krise der großen Städte und Ballungsräume ist. Hier sind die Infektionszahlen höher und das Risiko der Ansteckung größer.

Warum zieht es vor allem Familien aufs Land?

Aus finanziellen und emotionalen Gründen. Viele Familien können sich Wohnraum nur außerhalb der großen Städte leisten. Die Sehnsucht nach mehr Überschaubarkeit und Regionalität nimmt zu, weil vor allem junge Familien und Eltern einen Gegenpol zur stressigen Arbeitswelt suchen.

In dem Gespräch ging es auch um Strukturwandel-Regionen wie die Lausitz. Wie müsste sich die Lausitz aufstellen, um mehr Zuzügler zu gewinnen und welche Akteure sehen Sie da vor allem in der Verantwortung?

Regionen, die einen Strukturwandel wie die Lausitz erleben, sind besonders spannend in Zeiten, in denen das ganze Land in Bewegung ist und nach Sicherheit im Wandel sucht. Zu den Gewinnern der Entwicklung werden nicht nur Klein- und Mittelstädte gehören, sondern auch Regionen, die sich in eine neue Zeit aufmachen und Tradition mit Innovation und Zukunft verbinden. Dabei kommt es entscheidend auf Bürgermeister, Landräte, Wirtschaftsförderung und Unternehmer an. Es geht um Netzwerke und Plattformen des Aufbruchs und des gemeinsamen Arbeitens für eine bessere Zukunft.

Was können die Gemeinden und Kommunen vor Ort dazu beitragen, dass wieder mehr Menschen dorthin ziehen?

Neben zukunftsfähigen Arbeitsplätzen kommt es vor allem auf eine attraktive soziale und kulturelle Infrastruktur an: Vereinsleben, Kindergärten, Schulen, Kneipen, Theater, Restaurants. Die Provinz ist oft progressiver als die große Stadt. Das muss sichtbar und gelebt werden. Menschen ziehen dorthin und bleiben, wo es gute Bildungseinrichtungen und Fachhochschulen, gutes Essen, ein tolerantes Miteinander und ein aktives Kultur- und Vereinsleben gibt. Es geht um zwei „T“ und zwei „K“: Talente, Toleranz, Kultur und Kulinarik.

Aus welchen Regionen könnte die Lausitz vor allem Zuzug generieren?

Eigentlich aus allen. Berlin bietet sich besonders an, aber auch die Schwarmstädte wie Leipzig, Halle und Dresden. Mehr Zuzug wird es aber nur mit mehr Zukunft geben. Und Zukunft braucht Zuversicht und Zutrauen vor Ort.