Für ein gesundes Zuhause

Datum: Mittwoch, 28. Oktober 2020 16:31


„Nachhaltig ist nicht immer wohngesund“

Warum das Thema gesundes Wohnen immer mehr Menschen wichtig ist und wieso Naturmaterialien nicht per se besser sind, verrät der Biologe Dr. Mario Blei im Interview. Der gebürtige Lausitzer ist Präsident der Gesellschaft für Wohnmedizin, Bauhygiene und Innenraumtoxikologie und Geschäftsführer eines Instituts für Innenraumtoxikologie in Jena.

Ihr Verein forscht und informiert seit gut 15 Jahren zu den Themen gesundes Wohnen und Schadstoffe in Innenräumen. Hat sich die Sensibilität der Bevölkerung für das Thema in dieser Zeit verändert?

In der Tat achten immer mehr Verbraucher auf das Thema. Das liegt zum einen an der verstärkten Berichterstattung durch die Medien, aber auch an der deutlichen Zunahme von Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten in den letzten Jahren. Wer eine Allergie hat, reagiert generell empfindlicher auf Stoffe in der Umgebung wie beispielsweise ätherische Öle aus Nadelholz. Auch wer Kinder bekommt, fängt an, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Leider werden die meisten Menschen erst aktiv, wenn das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist. Zu uns ans Institut kommen die Leute erst im Schadensfall und nicht präventiv.

Hat sich auch in der Bau- und Wohnungswirtschaft etwas verändert?

Durch den Druck der Verbraucher gibt es heute mehr Anbieter und Hersteller, die Wert legen auf emissionsarme Produkte und Materialien. Allerdings ist es für den Verbraucher schwierig, tatsächlich solche wohngesunden Produkte zu finden. Dafür ist der Markt zu unübersichtlich und das Thema zu komplex.

Wie kann ich mich als Kunde dennoch orientieren? Sind Gütesiegel hilfreich?

Es gibt eine Vielzahl an Gütesiegeln, von denen viele nicht halten, was sie versprechen. Hier sollte man sich vorab informieren, wer das Siegel vergibt und welche Kriterien gelten. Bei der Suche nach Handwerkern, Herstellern und Planern würde ich empfehlen, lokale Anbieter zu suchen, die Wert legen auf Wohngesundheit. Auch Produkttests, beispielsweise von Ökotest, können Orientierung bieten. Ein zweites Problem ist, dass viele Kunden die Themen Wohnmedizin und Baubiologie verwechseln. Ein Produkt, dass nachhaltig und ökologisch ist, ist nicht automatisch auch wohngesund und umgekehrt. Hier existiert viel Halbwissen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Es gibt viele Siegel für Teppiche. Ein Teppich aus Naturmaterialien wie Schurwolle ist aber nicht automatisch wohngesund. Denn um ihn vor Motten- und Käferbefall zu schützen, muss er mit Insektiziden behandelt werden. Sehr komplex ist ebenfalls das Thema Dämmung. Es gibt Naturdämmstoffe wie Hanf, Schafswolle, Holzfasern oder auch Popcorn. Bei einem Wasserschaden lassen sie sich unter Umständen nicht mehr sanieren, sondern müssen komplett entfernt werden. Wurden sie dann noch vermeintlich nachhaltig mit wasserlöslichen Holz- oder Flammschutzmitteln behandelt, müssen sie als Sondermüll entsorgt werden.

Wie ist es denn mit Holz? Das gilt ebenfalls als nachhaltiger, gesunder Baustoff. Ist das tatsächlich so?

Holz ist generell gut geeignet. Hier kommt es aber wieder darauf an, ob und womit es behandelt wurde. Massivholz ist immer besser als Spanplatten, die mit Leim und Bindemittel behandelt werden. Verwende ich Massivholz, sollte dieses möglichst unbehandelt oder natürlich behandelt sein. Noch wichtiger als das Material sind die Themen Feuchtigkeit und Belüftung.

Was können Hausbesitzer hier beachten?

Der größte Feind des Hauses ist Wasser. Daher ist es schon in der Bauphase sehr wichtig, dass alle Bauteile vom Putz, über die Dämmung bis zum Fußboden ausreichend lange austrocknen dürfen – gerade jetzt im Herbst. Feuchtigkeit kann zu Schimmel führen, aber auch wasserlösliche Chemikalien, wie sie heute vor allem verwendet werden, ausspülen. Neubauten sind heute so gut gedämmt, dass kein natürlicher Luftaustausch mehr vorkommt. Das begünstigt die Bildung von Feuchtigkeit und Schimmel. Daher brauchen diese Häuser unbedingt eine Lüftungsanlage.

Wie könnte denn die Politik aktiv werden? Würden Grenzwerte helfen?

Grenzwerte lassen sich kaum pauschal festlegen, da sie von vielen Parametern abhängig sind. Schwangere oder Kinder bräuchten andere Werte als gesunde Erwachsene. Würde man einen Grenzwert für Schimmelsporen festlegen, würde der je nach Witterung regelmäßig überschritten, da diese draußen in der Luft natürlich vorkommen. Wie schwerfällig die Politik im föderalen Deutschland ist, zeigt sich am Beispiel der Radon-Belastung, wo es trotz der Brisanz bis heute kein entschiedenes Vorgehen gibt. Nach langem Ringen hat man sich auf einen Grenzwert geeinigt, der drei Mal höher liegt als von der WHO empfohlen. Wünschenswert wäre, dass die Politik neutrale Fachgremien schafft und finanziert, die zu diesen Themen beraten. Auch die Forschung und Lehre an den Universitäten und Instituten muss gestärkt werden. Im Architektur-Studium spielt die Wohnmedizin kaum eine Rolle.

Mieter und Käufer gebrauchter Immobilien haben kaum Einfluss auf die Auswahl der verwendeten Baumaterialien. Was können sie dennoch für gesundes Wohnen tun?

Durch das deutsche Verbraucherrecht haben Mieter viele Rechte. Wenn hier ein Verdachts- oder Schadensfall besteht, können sie den Eigentümer zur Sanierung verpflichten und die Kosten für ein Schadensgutachten gegebenenfalls sogar von der Miete absetzen. Für Hauskäufer aber auch für private Bauherren würde ich unbedingt eine Prüfung durch einen Sachverständigen empfehlen. Der kann vor dem Einzug prüfen, ob es eventuelle Schadstoffe, zu viel Feuchtigkeit oder problematische Gerüche gibt und gezielt Proben entnehmen. Hier ist der richtige Zeitpunkt wichtig. Die Untersuchung sollte direkt nach der Bauabnahme oder noch vor dem Kauf passieren, so dass ausgeschlossen werden kann, dass mögliche Schadstoffe aus den eigenen Möbeln ausdünsten. Eine solche Untersuchung kostet einen drei- bis vierstelligen Eurobetrag, ist aber sehr sinnvoll. Wer so viel Geld für ein Haus ausgibt, der sollte auch noch dieses Geld investieren.

Wie finde ich einen guten Sachverständigen?

Das ist nicht ganz einfach. Jeder kann sich Baubiologe nennen, das ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Leider gibt es auch selbst ernannte Experten, die die Angst der Kunden ausnutzen und einen kleinen Schimmelbefall zum Anlass für eine Komplettsanierung nehmen. Da wird mit der Verbraucherangst Geld gemacht. Google ist hier sicher der falsche Weg, um gute Sachverständige zu finden. Stattdessen würde ich mich im Freundes- und Bekanntenkreis umhören oder bei den Kammern nachfragen. Dort sind öffentlich bestellte Sachverständige gelistet. Gerade im Schadens- und Streitfall ist es wichtig, einen guten Fachmann an der Seite zu haben.