Digitale Bildung: Krise als Chance?
Corona offenbart die Schwächen des deutschen Schulsystems
Wenige Tage, bevor in Deutschland erneut die Schulen für mehrere Wochen geschlossen wurden, hielt Kanzlerin Merkel eine Rede. Darin sagte sie: „Ich halte es auch für richtig, die Schulen in dieser Zeit entweder durch Verlängerung der Ferien … zu schließen oder aber Digitalunterricht zu machen, was auch immer − das ist egal.“ Dieses „was auch immer“ ist die traurige Bankrotterklärung einer Bildungspolitik, die es in den letzten zehn Jahren versäumt hat, das deutsche Schulsystem zu modernisieren und zu digitalisieren.
Wir schauen uns in dieser lausebande daher das deutsche Schulsystem etwas ausführlicher an. Wie funktioniert es, wie steht es im internationalen Vergleich da? Und wie könnte im Gegensatz dazu moderne Schule aussehen? Wir schauen uns die Umsetzung des Digitalpakts im Detail an und betrachten im zweiten Teil, wie der Fernunterricht an den Schulen funktioniert. Gibt es Verbesserungen im Vergleich zum Frühjahr, inwiefern hilft die Digitalisierung an dieser Stelle? Anhand von ausgewählten Beispielschulen zeigen wir auf, wie guter, zukunftsfähiger Fernunterricht aussehen kann. Zum Schluss geht es um die Frage, ob die Corona-Krise auch als Chance zum Umbau des deutschen Schulsystems verstanden werden kann.
Deutsche Bildungspolitik: ungenügend
Schaut man sich internationale Vergleichsstudien zur Bildung an, landet Deutschland regelmäßig im hinteren Feld, das war lange bei PISA so und das gilt ganz besonders bei der Digitalisierung. Während in anderen Ländern digitale Technik selbstverständlich im Unterricht genutzt wird, ruht sich die Bundesregierung auf einem Digitalpakt aus, der so bürokratisch ist, dass die beantragten Technologien bei der Auslieferung schon wieder überholt sind.
Das deutsche Schulsystem funktioniert in weiten Teilen noch immer, wie es vor etwa 200 Jahren etabliert wurde: Die strikte Trennung in Elementar- und weiterführende Schule, Frontalunterricht mit einem Lehrer pro Klasse, Primat der Noten, fester Stundenplan und feste Ferienzeiten. Vieles davon war an die damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gesellschaft genknüpft. Schule fand vormittags statt, damit die Kinder nachmittags auf dem Feld helfen konnten, daher auch die lange schulfreie Zeit zur Ernte im Sommer. Unsere Gesellschaft hat sich seitdem verändert, die Schule jedoch nicht.
Die Rahmenbedingungen stimmen nicht: zu wenig Personal, mangelhafte technische Ausstattung, Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien, fehlende Konzepte für modernen Unterricht. Die Probleme sind nicht neu, aber durch Corona und den Distanzunterricht zuhause für jeden offensichtlich geworden.
Ideen für die Schule der Zukunft
Wie modernes Lernen aussehen kann, muss nicht erst erforscht werden. Es gibt erfolgreiche Konzepte in anderen Ländern, die Wissenschaft hat längst eruiert, welche Lernformen Kindern, Lehrern und der Gesellschaft guttäten. Die Bildungsforscherinnen Britta Klopsch und Anne Sliwka haben auf dem Deutschen Schulportal im August einen Beitrag zu einer neuen Grammatik der Schule veröffentlicht. Sie schlagen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse vier Leitlinien für eine moderne Schule vor:
- Regelmäßiges Feedback statt Leistungstests am Ende: Derzeit erhalten Schüler in der Regel eine Bewertung ihrer Leistung nur am Ende des durchgenommenen Lernstoffs – meist über einen Test. Wenn es den Test samt Noten zurückgibt, steckt die Klasse bereits im neuen Thema, eine wirkliche Auswertung ist nicht mehr sinnvoll und möglich. Die Wissenschaft empfiehlt stattdessen ein sogenanntes formatives Feedback. Dabei erhält der Schüler bereits im Lernprozess regelmäßig eine individuelle Rückmeldung zu seinem Lernstand.
- Kooperative Professionalität: An deutschen Schulen sind die Lehrer oft Einzelkämpfer. Eine wirklich tiefgreifende Kooperation, die über den Austausch im Lehrerzimmer hinausgeht, ist die Ausnahme. Um Schüler entsprechend ihres Lernstands zu unterstützen, sollten Lehrer intensiver zusammenarbeiten, sich vernetzen und gemeinsam und fächerübergreifend Konzepte für den Unterricht entwickeln – und dazu in einem angepassten Arbeitsmodell auch die entsprechenden Zeiten erhalten.
- Kooperation mit Eltern: Elternarbeit beschränkt sich an deutschen Schulen meist auf Elternabende ein Mal im Jahr, einen Elternbrief und vielleicht noch ein Elterngespräch. Die Wissenschaft fordert stattdessen eine enge Bildungspartnerschaft zwischen Schulen und Elternhaus. Davon würden die Kinder erheblich profitieren. Dazu allerdings braucht es ein Miteinander auf Augenhöhe.
- Wände aufbrechen: Im traditionellen deutschen Schulmodell findet Unterricht noch immer vorrangig im Klassenzimmer statt. Kinder lernen aber überall. Hier braucht es hybride Lernumgebungen innerhalb und außerhalb der Schule. Vernetzt mit der digitalen Welt kann eine solche „Schule ohne Wände“ neue Lernanreize schaffen.