Untypisch
Ob ein Junge tanzt oder ein Mädchen dribbelt – wenn es Spaß macht, ist alles erlaubt. Oftmals treten Erwachsene derartigen „Abweichungen“ mit Argwohn entgegen. Das wirkt sich auch auf die Kinder aus. Abgesehen davon, dass es sich um vermeintlich ungewöhnliche Verhaltensweisen handelt, ist auch eine gewisse Homophobie in vielen Köpfen verankert. Doch nur, weil die Interessen des eigenen Kindes nicht den gängigen Vorstellungen entsprechen, muss ein Synchronschwimmer noch lange nicht schwul sein. Und selbst wenn sich herausstellt, dass das Kind homosexuell ist, wird es dadurch nicht weniger männlich oder weniger weiblich. Es ist und bleibt das eigene Kind – und es ist gerade für diese Kinder wichtig, von ihren Eltern toleriert und unterstützt zu werden. Dieser Tipp hilft in nahezu allen Lebenslagen. Dabei müssen Eltern nicht übervorsichtig agieren. Abweichungen von der Erwartung der anderen machen noch lange nicht homosexuell. Angst vor Homosexualität sollte in keinem Fall die Erziehung eines Kindes beeinflussen. Es lässt sich ohnehin nicht „verhindern“. Wenn Eltern Probleme haben, Neigungen ihrer Kinder zu vermeintlich „untypischem“ Verhalten zu tolerieren, sollten sie sich einfach daran erinnern, in wen sie sich verliebt hatten – Man kann es sich nicht aussuchen. Es gibt immer wieder Eltern, die sich in dieser Beziehung Vorwürfe machen, in der Erziehung versagt zu haben. Sexuelle Einstellungen sind aber keine Erziehungsfrage, sondern eine Frage der Liebe.
Unabhängig von der sexuellen Orientierung, lässt sich feststellen, dass untypisches Verhalten bei Mädchen eher hingenommen wird. Ist ein Mädchen dominant, extrovertiert, mathematisch begabt, so besitzt sie damit Eigenschaften, die eher Jungs zugeschrieben werden. Und diese Eigenschaften werden gemeinhin als positiver angesehen als Schüchternheit, Introvertiertheit oder künstlerisches Talent. Wenn Jungen hingegen ein künstlerisches Talent aufweisen, sich für Mode und Musik interessieren und auch mal weinen, dann wird dieses Verhalten als weich und schwach ausgelegt. Es scheint, als sei die „Stärke“ das höchste Gut, dass Jungen zugeschrieben wird. Das ist aber Quatsch: Wenn ein Junge sich wehtut, physisch oder psychisch, warum sollte er dann nicht auch weinen dürfen und seinen Gefühlen Ausdruck verleihen? Mit Sprüchen wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Nur Mädchen weinen“, etc. nimmt man einem Kind Raum für den Ausdruck seiner Gefühle. Ein Junge bekommt damit das Gefühl vermittelt, sich schämen zu müssen, wenn er weint und wird das vor denjenigen, die diese Sprüche sagen, nicht mehr tun. Ein Stück Offenheit in der Beziehung zum Kind geht verloren. Kinder sollten für ihre Eigenschaften, Interessen und Vorlieben nicht ausgelacht werden. Der kleine Tobias sollte nicht gehänselt werden, nur weil er pink für die schönste Farbe der Welt hält – weder von Gleichaltrigen noch von Erwachsenen. Die kleine Susi wurde noch nie ausgelacht, weil sie am liebsten blau mag. Mädchen haben es in dieser Beziehung etwas einfacher – die Auswahl an weiblichen Rollenvorbildern ist groß: Von der Hausfrau und Mutter bis zur Managerin. Für Jungen kommen oft nur wenige Vorbilder in Frage: Starke, männliche Personen, die erfolgreich im Beruf und im Familienleben sein müssen. Hinzu kommt der immer größer werdende Mangel an männlichen Bezugspersonen im direkten Umfeld. Für Mädchen stehen ab dem Eintritt in den Kindergarten und schon früher jede Menge Erzieherinnen zur Identifikation zur Verfügung. Jungen orientieren sich dann meist am Hausmeister oder anderen männlichen Bezugspersonen. Lebt der Vater nicht mehr oder zu wenig mit in der Familie, fällt dieses Manko besonders schwer ins Gewicht. Jungen werden zwar auch „nur“ mit alleinerziehenden Müttern zu guten Erwachsenen, die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht fällt mit einer präsenten, männlichen Bezugsperson aber weit leichter.
Weder noch und andersherum
Die vorangegangenen Schilderungen beziehen sich auf Mädchen und Jungen. Doch was tun, wenn ein Kind ohne ein eindeutiges Geschlecht geboren wird? Der Fachbegriff für dieses Phänomen lautet Intersexualität. Umgangssprachlich und nicht selten abwertend werden auch die Begriffe „Hermaphrodit“ und „Zwitter“ benutzt. Zunächst stellt diese Situation ein Problem für die Eltern dar: Soll das Kind als Junge oder als Mädchen aufwachsen? Und schon greifen wieder Stereotype. Obwohl es schätzungsweise 80.000 bis 120.000 intersexuelle Menschen in Deutschland gibt, handelt es sich auch heute noch um ein Tabuthema. Diese Tabuisierung wirkt sich früher oder später auch auf die Kinder aus. Haben Eltern eine Entscheidung getroffen, wie das Kind aufwachsen soll, stellt sich die Frage, ob das Kind später der gleichen Meinung ist. Der gesellschaftliche Druck in Sachen Geschlechtsrollen und –identität ist groß. Das zeigt sich nicht zuletzt an diesem Thema. Eine Entscheidung muss gefällt werden, Operationen werden angeboten, die „Normalität“ versprechen – eine geschlechtsneutrale Erziehung und Entwicklung scheint nicht möglich.
Intersexualität darf nicht mit Transsexualität verwechselt werden. Bei Intersexualität handelt es sich um Menschen mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen. Bei Transsexualität sind eindeutige Geschlechtsmerkmale gegeben, das Kind fühlt sich jedoch, lapidar gesagt, im falschen Körper. Ob inter- oder transsexuell – auf alle Beteiligten kommen schwierige Zeiten hinzu.Kinder nehmen ihr Geschlecht zwischen zwei und drei Jahren bewusst wahr und somit auch die damit einhergehenden Rollen- und Identitätszuschreibungen. Gehen diese beiden Wahrnehmungen auseinander, fühlt sich Ihr Kind also anders, als es die Geschlechtszuordnung „vorgibt“, sind Sie gefragt. Behalten Sie diesen Wunsch nach einem Leben im anderen Körper im Auge, suchen Sie das Gespräch und suchen Sie sich selbst Rückhalt. Sowohl bei Inter-, als auch bei Transsexualität handelt es sich nicht um alltägliche Situationen für Eltern. In diesen Belangen kann keine Krabbelgruppe helfen. Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe aufzusuchen – für Ihr Kind, aber auch für sich. Wir haben den Luxus in einer relativ weltoffenen und toleranten Welt zu leben. Sollte sich Ihr Kind nicht „typisch...“ verhalten, haben Sie als Eltern in keinster Weise versagt. Egal, was auf Sie zukommt – versuchen Sie Ihr Kind zu einem ebenso toleranten und weltoffenen Menschen zu erziehen. Am Ende des Tages sollten allen alle Türen offen stehen.
Hans (5):
"Mädchen tragen immer rosa Anziehsachen und spielen mit Puppen."
Felicitas (6):
"Jungs ärgern Mädchen manchmal und passen in der Schule nicht immer auf."
Adrian (11):
"Mädchen sind zickig und nachtragend."
Kathleen (12):
Jungs sind schlechte Verlierer und geben oft an, sie können aber auch lustig sein."