Krieg der Sternchen

Datum: Montag, 13. Dezember 2021 11:46

Aber lehnt nicht die Mehrheit Gendersprache ab?

Tatsächlich ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland gegen das Gendern in der Sprache. Zwei Drittel halten Gendersternchen und ähnliche Formen für unnötig und überflüssig. Entsprechende Ergebnisse brachte eine im Sommer veröffentlichte Umfrage von infratest dimap zu Tage. In Auftrag gegeben hat sie die „Welt am Sonntag“. Ein Jahr zuvor war die gleiche Umfrage schon ein Mal durchgeführt worden. Innerhalb dieses einen Jahres ist Ablehnung von gendergerechter Sprache sogar noch gewachsen. Wenig überraschend: Unter denen, welche die Partei die Grünen wählen, befürworten deutlich mehr das Gendern als unter jenen, die der AFD zugeneigt sind. Zudem zeigt die Umfrage, dass Frauen und Jüngere eine gendergerechte Sprache etwas stärker befürworten, ebenso Menschen mit einem hohen Bildungsgrad.

Hier wird sich in den kommenden Jahren, vielleicht auch erst Jahrzehnten zeigen, ob sich für gendergerechte Sprache eine Mehrheit findet oder ob es das Herzensprojekt einer engagierten, aber kleinen Minderheit bleibt.
Wir hätten gern noch eine kleine Umfrage unter Lausebanden veröffentlicht und haben uns dazu auf der Straße umgehört. Die Familien, die wir befragt haben, hielten Gendern durchweg für Blödsinn. Allerdings war keine von ihnen bereit, diese Meinung mit Name oder gar Foto in der lausebande zu veröffentlichen.

Stört Gendern den Textfluss?

Ein Grund für diese starke Ablehnung ist das Sprachgefühl. Viele Menschen stören sich daran, dass Texte mit Genderstern, Doppelpunkt, Binnen-I oder auch der Doppelform weniger verständlich sind. Der Lesefluss ist gestört, die Gender-Zeichen lenken bisweilen vom Inhalt des Textes ab. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere wenn in einem Text sehr konsequent die Doppelform Leser und Leserinnen genutzt wird, kann das zu deutlich mehr Textlänge führen. Vermutlich ist es auch genau diese Form des Genderns, die viele abschreckt und die ganze Thematik etwas elitär wirken lässt. Dabei gibt es mittlerweile sprachliche Alternativen wie die Nutzung von neutralen Begriffen, z.B. Studierende statt Student*innen oder Redaktion statt Redakteur*innen. Am Ende dieses Artikels stellen wir einige dieser Möglichkeiten vor.

Kann Sprache zu mehr Gleichberechtigung führen?

Warum sollten wir überhaupt beim Sprechen und Schreiben gendern oder auch nicht? Ein Argument, das sowohl von der pro- als auch der contra-Seite gern zitiert wird, ist die Gleichstellung der Frau. Die eine Seite sagt: Viel wichtiger als gendergerechte Sprache sei die reale Gleichstellung von Frauen, also bessere Bezahlung, gleiche Jobchancen, vielleicht sogar eine Frauenquote. Was bringe es Frauen beim Sprechen explizit mit zu nennen, wenn sich doch in der Realität ohnehin nichts an der Benachteiligung von Frauen ändere? Wie weit der Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Realität noch ist, haben wir in der Februarausgabe 2021 der „lausebande“ aufgezeigt und empfehlen dieses Spezial an dieser Stelle gern zum Nachlesen (siehe hier).

Die Gegenseite wiederum argumentiert: Gendergerechte Sprache ist ein Mosaikstein in der Debatte um Gleichstellung. Erst wenn wir Frauen explizit mit nennen und nicht nur mit meinen, werden sie in Artikeln, Reden, Fernsehsendungen sicht- und hörbar. Und genau diese veränderte Wahrnehmung kann langfristig auch die Wirklichkeit verändern. Dass das tatsächlich so ist, darauf deuten Studien hin. So wurden in einer Untersuchung der FU Berlin knapp 600 Grundschulkindern Berufe vorgelesen. Anschließend sollten die Kinder einen Fragebogen beantworten, z.B. wie viel sie in dem Beruf verdienen können, ob er schwer zu erlernen oder auszuführen ist und ob sie selbst ihn sich zutrauen. Wurde sowohl die männliche als auch die weibliche Berufsbezeichnung genannt, dann interessierten sich mehr Mädchen für jene Berufe, die typischerweise eher von Jungs gewählt werden und trauten sich diese eher zu. Wurde nur die männliche Variante vorgelesen, fehlte dieser Effekt.

Spannend ist ein weiterer Befund der Wissenschaft. Demnach hat Sprachstruktur sehr wohl Einfluss auf die reale Gleichstellung der Geschlechter. Mehrere Studien haben jene Länder miteinander verglichen, in denen die Grammatik zwischen den Geschlechtern unterscheidet, mit jenen, wo das nicht passiert. In diesen Ländern sind die Frauen geringer am Erwerbsleben beteiligt, ebenso politisch weniger stark vertreten und selbst in der Schule werden Mädchen von Jungs abgehängt. Zudem sind Menschen, die eine Sprache mit grammatischem Geschlecht sprechen, tendenziell eher traditionellen Geschlechterzuschreibungen verhaftet. Sie stimmen beispielsweise eher Aussagen zu wie „Insgesamt sind Männer bessere Führungskräfte in der Wirtschaft als Frauen“. Um auszuschließen, dass diese Unterschiede tatsächlich in der Sprache begründet liegen, wurden auch solche Länder untersucht, in denen mehrere Sprachen mit unterschiedlichen Strukturen gesprochen werden (z.B. Indien, Kenia, Nigeria). Auch dort wurden diese Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen festgestellt. Sprache hat also durchaus Einfluss auf unser Denken und Handeln.