Hier gibt’s was auf die Ohren

Datum: Mittwoch, 11. Mai 2022 08:23

Ein Ratgeber rund um das kindliche Hören

Im Kino sehen wir den neuesten Film, im Zoo staunen wir über die Tiere, in der Werbung und im Supermarkt sehen wir die bunte Reklame, beim Waldspaziergang schauen wir, welche Tiere und Pflanzen wir entdecken. Aber wir gehen nicht auf die Suche nach typischen „Waldgeräuschen“. Visuelle Reize sind im Alltag einfach viel präsenter. Dabei ist der Hörsinn einer der wichtigsten für unsere Entwicklung. Dennoch wird er gern unterschätzt. Er ist viel feiner und leistungsfähiger als beispielsweise unsere Sehkraft. Wir können zehn Oktaven unterscheiden und Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 16 Herz und 20.000 Herz wahrnehmen. Theoretisch kann unser Gehör 400.000 verschiedene Töne wahrnehmen und lokalisieren.
Da wir uns aber mehr auf unsere visuelle Wahrnehmung konzentrieren, nutzen wir nur einen Teil unseres Hörvermögens. Ganz anders ist das bei blinden Menschen. Bei ihnen ersetzen die Ohren zumindest teilweise die Augen. Sie orientieren sich am Schall ihres Blindenstocks und können beim Einfahren einer Straßenbahn am Bremsengeräusch erkennen, wo sich die Tür befindet. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei blinden Menschen jener Bereich des Gehirns stärker ausgebildet ist, der für das Hören zuständig ist.

Das Ohr und was es kann
Schon die Anatomie der Ohren ist ziemlich spannend. Denn die Ohren beherbergen die kleinsten Knochen des menschlichen Körpers und deren Namen können sich sogar schon Kinder einprägen: Hammer, Amboss und Steigbügel. Diese drei Gehörknöchelchen sind zwischen drei und acht Millimeter winzig und damit kleiner als der Fingernagel unseres kleinsten Fingers. Ihre wichtige Aufgabe: Sie leiten jene Schallwellen weiter, die über unsere Ohrmuschel auf das Trommelfell treffen. Von den Gehörknöchelchen aus wird der Schall über winzig kleine Haarzellen durch die Ohrmuschel geleitet. Dort wiederum werden die Schallwellen in elektrische Impulse umgewandelt und ans Gehirn weitergeleitet.
Dieser Vorgang, der hier recht kompliziert klingt, spielt sich in tausendstel Sekunden ab, er ermöglicht, dass wir Musik genießen, dass wir uns über den schnarchenden Partner ärgern, dass wir nachts wach werden, wenn das Kleine weint, dass wir erschrecken, wenn es unerwartet knallt.

 
Wunderwerk der Natur: die Ohrmuschel.

Wer hört was?    Frequenz in Herz
Mensch                 16-20.000
Hund                     15-50.000
Katze                     60.-65.000
Fledermaus           20.-100.000

Noch feiner als das menschliche Gehör ist das
einiger Tiere. Sie nehmen auch Frequenzen im
Überschall-Bereich wahr.

So entwickelt sich das Hören bei Kindern
Schon im Mutterleib ist der Hörsinn der wichtigste, über den das ungeborene Kind seine Umgebung wahrnimmt. Etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche kann das Ungeborene Geräusche wahrnehmen. Das sind zunächst die Geräusche des Mutterleibs wie das Schlagen ihres Herzens, das Fließen ihres Blutes oder ihre Stimme. Später nimmt das Kind auch Geräusche von außerhalb wahr. Schwangere spüren das daran, dass das Kind auf unerwartete laute Geräusche reagiert. Manche Eltern spielen dem Baby im Bauch schon während er Schwangerschaft eine Spieluhr vor, damit es nach der Geburt mit der Melodie vertraut ist.

Wenn das Kind zur Welt kommt, ist das Ohr organisch bereits komplett. Das Hörvermögen allerdings muss im Laufe der kommenden Jahre noch ausreifen. Daher unterscheidet sich die kindliche Fähigkeit zu Hören von der Erwachsener. In den ersten Lebensmonaten lernt das Gehirn Hörsignale zu verfeinern und richtig zu deuten. Dafür braucht es verschiedene Anreize, weswegen es wichtig ist, schon mit einem Baby regelmäßig zu sprechen, ihm vorzusingen oder Musik vorzuspielen, es mit Rasseln spielen zu lassen.
Erst im Lauf der Grundschulzeit reift das Gehör vollständig. Vorher sind jüngere Kinder noch nicht in der Lage, Geräusche sicher zu unterscheiden und zu lokalisieren. Das kann man gut beim Versteckspielen sehen: Wenn das suchende Kind ruft: „Mäuschen, Mäuschen piep ein Mal“, hilft ihm das Piepsen des versteckten Kindes nicht weiter. Denn es kann nicht zuordnen, woher das Geräusch kommt. Auch mit Schall haben kleine Kinder noch Schwierigkeiten, sie können ihn nicht lokalisieren. Je nachdem, aus welcher Richtung er kommt, kann es sogar vorkommen, dass sie ihn ganz überhören.

Schwerhörigkeit erkennen
Der recht komplexe Vorgang des Hörens, den wir bis hier hin beschrieben haben, funktioniert nicht bei allen Menschen. Jedes Jahr kommen in Deutschland etwa 600 Kinder taub oder stark schwerhörig zur Welt, das sind etwa 0,1 Prozent der Neugeborenen.
Entweder wird die Schwerhörigkeit bei einem Hörtest festgestellt oder aber den Eltern fällt auf, dass ihr Kind auf bestimmte Geräusche nicht reagiert oder vielleicht undeutlich spricht. Der erste Hörtest, auf den seit 2009 jedes Kind in Deutschland Anspruch hat, ist das sogenannte Neugeborenen-Hörscreening. Dieser für das Kind schmerzfreie Test wird in den ersten 2 bis 4 Lebenstagen durchgeführt, meist noch in der Geburtsklinik. Er wird aber auch in ausgewählten Kliniken und Praxen als Kassenleistung angeboten. Durch das Screening werden jene Kinder mit schwerer Hörstörung frühzeitig erkannt und können zeitnah behandelt werden.
Ist der Screening-Befund auffällig, erfolgt zunächst zeitnah ein weiteres Hörscreening. Denn manchmal sorgt einfach noch verbliebenes Fruchtwasser im Ohr für einen falschen Befund. Wenn allerdings auch der zweite Test auffällig ist, werden weitere Untersuchungen bei Fachärzten veranlasst. Denn je früher eine Schwerhörigkeit behandelt wird, desto besser ist es für die sprachliche und geistige Entwicklung der Kinder.
Damit auch jene Kinder rechtzeitig behandelt werden, die nur leicht schwerhörig sind oder bei denen sich eine Schwerhörigkeit erst im Laufe der Kindheit entwickelt, sollten Eltern die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt wahrnehmen. Dort wird getestet, ob die Kinder auf Geräusche reagieren. Ein klassischer Hörtest mit Kopfhörern wird zur U8 – um den vierten Geburtstag herum – gemacht. Das ist relativ spät, wenn das Kind wirklich schlecht hört. Denn dann lernt es schlechter sprechen. Es ist daher gut, wenn Eltern im Alltag gelegentlich auf das Hörvermögen ihrer Kinder achten.
Hörtest zu Hause – unser Tipp: Bei Babys kann man Reiskörner in die leere gelbe Hülle von einem Überraschungsei füllen und mit dieser selbst gebauten Rassel aus unterschiedlichen Entfernungen vom Baby testen, ob es auf das Geräusch reagiert. Bei älteren Kindern ist der Schlüsseltest gut geeignet: Reagiert das Kind, wenn Papa oder Mama nach Feierabend heim kommen, auf das Drehen des Schlüssels im Türschloss? Wenn dieses relativ leise Geräusch an der Wohnungstür dafür sorgt, dass das Kind freudig zur Tür läuft, spricht das für ein gutes Hörvermögen.

Signale für Schwerhörigkeit
- Babys suchen keinen Blickkontakt
- kein Erschrecken bei lauten Geräuschen
- ab etwa 6 Monaten kein Brabbeln mehr
- keine altersgerechte Sprachentwicklung
- bei älteren Kindern häufiges Nachfragen oder Missverständnisse

Schwerhörigkeit behandeln
Die Therapie erfolgt in Abhängigkeit von der Ursache. Wenn ein Kind bereits schwerhörig oder gehörlos zur Welt kommt, ist dies entweder genetisch veranlagt oder durch Komplikationen in der Schwangerschaft verursacht. Dazu gehören eine Röteln- oder Toxoplasmose-Erkrankung der werdenden Mutter, Antibiotika, Drogen, Alkohol oder bestimmte Medikamente. Auch ein Sauerstoffmangel unter der Geburt oder eine Frühgeburt kann zu Schädigungen des Gehörs führen. Im Kleinkindalter können Infektionen wie Paukenergüsse oder Mittelohrentzündungen, aber auch Mumps, Masern, Scharlach oder eine Hirnhautentzündung zu Hörproblemen führen. Auch Lärm kann je nach Intensität Probleme verursachen. Das können kurze, extrem laute Geräusche wie beispielsweise Knaller in der Silvesternacht oder häufiges Musikhören über Kopfhörer sein. Eine typische Folge davon ist Tinnitus.
Ist die Ursache eine Infektion, wird zunächst versucht, diese Ursache zu beheben. Manchmal kommen schlechte Ergebnisse beim Hörtest in der Kinderarztpraxis nur durch einen Infekt zu stande. Ist der abgeklungen, hört das Kind wieder normal. Doch nicht immer ist die Lösung so einfach. Wenn es bereits zu irreparablen Schäden am Ohr gekommen ist oder angeborene Fehlbildungen die Ursache sind, kann ein Hörgerät oder eine Hörprothese helfen.
Das Hörgerät wird im Ohr oder hinter dem Ohr befestigt. Es ist nur dann sinnvoll, wenn das Kind „nur“ schwerhörig ist, also zumindest noch Geräusche wahrnimmt. Denn das Hörgerät verstärkt die Schallwellen. Bei kompletter Gehörlosigkeit kann ein sogenanntes Cochlea-Implantat helfen. Es ersetzt die Funktion der Hörschnecke (Cochlea) und wandelt die Schallwellen in elektrische Signale um. Ist allerdings der Hörnerv im Gehirn geschädigt, hilft auch ein solches Implantat nicht. Dann gibt es die Option, ein sogenanntes auditorisches Hirnstammimplantat einzusetzen. Dieser Eingriff allerdings wird in der Regel nur bei Erwachsenen durchgeführt. Eine Alternative oder Ergänzung zum Cochlea-Implantat ist die Gebärdensprache oder das Lippenlesen.

Hörtest: In der Arztpraxis oder online?

 
Bei einem Hörtest wird mittels Kopfhörer die Hörfähigkeit beider Ohren überprüft.

Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihr Kind schlecht hört oder zumindest schlechter als gleichaltrige Kinder, dann sollten Sie das zeitnah abklären. Erster Ansprechpartner ist der behandelnde Kinderarzt. Der kann zunächst einen Hörtest in seiner Praxis machen und dann bei Bedarf an eine Fachärztin überweisen. Wenn Sie unsicher sind, können Sie zunächst auch einen Online-Hörtest am Bildschirm machen. Über die Google-Suche finden man viele kostenfreie Angebote. Beachten Sie aber, dass diese nur begrenzt aussagefähig und für Kinder nicht immer geeignet sind. Sie können aber einen ersten Anhaltspunkt geben, ob das Kind wirklich schlecht hört. Sie können aber nie den Hörtest in einer Praxis ersetzen.

Warum das Hören so wichtig ist
Dass seit 2009 jedem Neugeborenen ein Hörscreening angeboten wird, hat einen wichtigen Grund: Je früher die Schwerhörigkeit erkannt und behandelt wird, desto mehr profitiert das Kind bei seiner weiteren Entwicklung.
Denn um sprechen zu lernen, muss es hören können. Kinder lernen über Zuhören und Nachahmen ihre Muttersprache, können auf diese Weise auch weitere Sprachen erlernen. Als es das Hörscreening für Neugeborene noch nicht gab, ist eine Schwerhörigkeit bei Kindern oft erst im zweiten Lebensjahr festgestellt worden. Dann nämlich, wenn die Eltern merkten, dass ihr Kind noch nicht so viel spricht wie Gleichaltrige. Denn Kinder, die auf ihr Brabbeln keine Reaktion wahrnehmen, verstummen mit der Zeit.
Die weiteren Folgen einer unbehandelten Schwerhörigkeit: Das Hörvermögen verkümmert weiter, weil es nicht ausreichend Reize aufnimmt. Das Kind selbst hat nicht nur Probleme beim Sprechenlernen, es wird später auch Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen haben. Hinzu können Hürden bei der sozialen Entwicklung kommen, da sich das Kind zurückzieht und den Kontakt mit anderen meidet.
Nicht zuletzt ist ein gut funktionierendes Gehör wichtig, damit sich das Kind sicher im Straßenverkehr bewegen kann. Denn wir nutzen, wenn wir mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sind, nicht nur unsere Augen, sondern auch unsere Ohren. Das ist der Grund, warum E-Autos nur noch zugelassen werden dürfen, wenn sie bei bestimmten Geschwindigkeiten ein künstliches Motorgeräusch erzeugen. Denn ihr Vorteil war zugleich ein Nachteil: Das extrem leise Fahren ist für die Menschen im E-Auto sehr angenehm, für Fußgänger aber gefährlich, da sie das heranfahrende Auto nicht hören.

Mittelohrentzündung und Paukenerguss: Behandlung für kranke Ohren
Eben weil das Gehör so wichtig ist, sollten wir es so gut es geht schützen. Das fängt schon damit an, dass wir Erkrankungen des Ohrs vorbeugen und sie richtig behandeln. Der Klassiker ist die Mittelohrentzündung. Rein statistisch macht jedes Kind bis zur Einschulung mindestens eine solche Entzündung durch, davon die Hälfte schon vor dem ersten Geburtstag. Glücklicherweise ist eine Mittelohrentzündung meist gut behandelbar. Ursache für die Schmerzen im Ohr ist eine Entzündung der Schleimhaut im Mittelohr, die durch Viren oder Bakterien ausgelöst wird. Meist sind die Kinder erkältet und dann wandern die Viren sozusagen von der Nase oder vom Rachen weiter bis ins Ohr. Und weil Ohr und Gehörgang beim Kind noch nicht ausgereift sind, haben die Erreger dort vergleichsweise kurze Wege und leichtes Spiel. Das erklärt, warum Kinder deutlich häufiger unter Ohrenschmerzen leiden als Erwachsene.
Oft geht eine Mittelohrentzündung mit Fieber und Schlappheit einher. Wichtigste Behandlung ist daher zunächst Bettruhe. Bei sehr starken Schmerzen, sollten Eltern diese mit einem Schmerzmittel lindern, damit das Kind zur Ruhe kommt. Bei leichten Schmerzen können Hausmittel wie das Auflegen eines Zwiebelsäckchens helfen. Auch eine Rotlichtlampe oder ein Wärmekissen können guttun. Allerdings finden manche Kinder die Wärme unangenehm. Hat das Kind zusätzlich Schnupfen, können Eltern für maximal fünf Tage abschwellende Nasentropfen geben. Meist heilt eine Mittelohrentzündung innerhalb weniger Tage von allein. Einen Arzt sollten Eltern dann aufsuchen, wenn das Kind jünger als sechs Monate ist oder die Schmerzen nach zwei bis drei Tagen nicht besser werden. Dann ist unter Umständen die Gabe von Antibiotika notwendig. Komplikationen wie eine Hirnhautentzündung können vorkommen, aber nur sehr selten. Wichtig zu wissen: Während einer Mittelohrentzündung darf kein Wasser ins Ohr kommen, daher bitte in der akuten Phase auf Schwimmbadbesuche, Planschen am See oder in der Badewanne und auch auf das Duschen verzichten. Da muss für ein paar Tage die Katzenwäsche ausreichen.
Eine weitere klassische Kinderkrankheit am Ohr ist der Paukenerguss. Dabei sammelt sich in der Paukenhöhle direkt hinter dem Trommelfell Flüssigkeit, meist Sekret in Folge einer Erkältung, einer Mittelohrentzündung oder auch bei vergrößerten Rachenmandeln. Diese Flüssigkeitsansammlung nennt sich Paukenerguss und ist zunächst harmlos. Meist läuft die Flüssigkeit nach einigen Tagen oder Wochen von allein wieder ab. Daher können Eltern in Absprache mit dem Arzt zunächst abwarten.
Wenn jedoch die Hörfähigkeit des Kindes durch den Paukenerguss dauerhaft beeinträchtigt ist oder das Sekret nicht abfließt, kann man es in der Arztpraxis absaugen lassen. Leiden Kinder immer wieder unter einem Paukenerguss, kann das Legen eines Paukenröhrchen sinnvoll sein. Dazu wird über einen kleinen Schnitt im Trommelfell ein Kunststoff- oder Metallröhrchen ins Mittelohr gelegt. Darüber kann Flüssigkeit abfließen und das Ohr wird ausreichend belüftet. Das Röhrchen stößt sich nach mehreren Monaten von allein ab oder wird unter Kurznarkose entfernt. Die Studienlage zur Sinnhaftigkeit dieses Eingriffs ist unübersichtlich. Nicht jedes Kind profitiert von dem Eingriff und wie bei jeder OP gibt es Risiken, wenngleich diese sehr gering sind. Hier sollten Eltern zunächst abwarten, ob sich der Paukenerguss allein auflöst oder aber auf den Kinder- oder HNO-Arzt ihres Vertrauens hören.

 
Kleine Kinder sollten ihre Ohren in der kalten Jahreszeit mit einer Mütze schützen.

Kinder vor Lärm schützen
Neben der Behandlung von Infekten können Eltern noch etwas anderes für die Ohren ihrer Kleinen tun: Sie vor übermäßiger Lärmbelastung schützen. Lärm ist die häufigste Ursache für nichtangeborene Schwerhörigkeit. Schätzungen gehen davon aus, dass unter jungen Erwachsenen etwa 20 Prozent schlecht hören können. Ursache ist meist eine chronische Überlastung der Ohren. Praktisch heißt das: Wer zu oft, zu lange und zu laut Musik hört oder anderem Lärm ausgesetzt ist, beispielsweise beim Heimwerken ohne Lärmschutz, droht sein Ohr dauerhaft und irreparabel zu schädigen. Seltener sind sogenannte Knall-Traumata, auch akustische Traumata genannt, die Ursache. Durch ein sehr lautes, aber kurzes Geräusch wie eine Explosion, werden in diesem Fall die Haarzellen im Ohr geschädigt. Dann fegen die Schallwellen gleich einem Orkan über die feinen Haarzellen hinweg und können sie abbrechen. Sind sie einmal abgebrochen, können sie sich nicht mehr regenerieren. Zudem kann das Trommelfell platzen und das Mittelohr geschädigt werden. Direkte Folgen können ein Bluten aus dem Ohr sein, ein zeitweiliges Taubheitsgefühl und ein Tinnitus. Eine schnelle Infusionstherapie mit Kortison kann geschädigten, nicht gebrochenen Haarzellen helfen, sich zu regenerieren.
Sehr viel häufiger ist aber chronischer Lärm die Ursache für Schwerhörigkeit. Wenn das Ohr immer wieder über mehrere Stunden lauten Geräuschen ausgesetzt ist und keine Ruhepausen zur Erholung hat, wird man mit der Zeit schwerhörig. Die Haarzellen stellen die Arbeit ein und man kann irgendwann bestimmte Frequenzen nicht mehr wahrnehmen. Bei Erwachsenen ist Arbeitslärm ein Auslöser, bei Kindern und Jugendlichen Freizeitlärm. Der Deutsche Berufsverband der HNO-Ärzte vermeldete 2015 eine Verdopplung der Hörstörungen bei Kindern und Jugendlichen seit den 1990er-Jahren. Als eine der Hauptursachen gilt lautes Musikhören über Kopfhörer, in Discos und auf Konzerten. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, was als laut gilt. Bereits ab etwa 80 Dezibel kann das Gehör dauerhaft geschädigt werden. Das entspricht beispielsweise dem Lärm einer vielbefahrenen Straße oder eines Föhns. Wirklich gefährlich für das Gehör wird es ab 120 Dezibel. So laut ist ein startendes Flugzeug oder das Donnergrollen bei einem Gewitter in direkter Nähe. Wichtig für Eltern: Auch Kinderspielzeug kann ganz schön laut sein, vor allem, wenn das Kind es direkt ans Ohr hält. Dazu gehören die Rassel oder die Quietschente, die direkt am Ohr durchaus 90 Dezibel schaffen. Die Spielzeugpistole kann sogar mit 150 Dezibel auf Kinderohren einwirken. Singende Puppen, Polizeiautos mit Martinshorn und Trillerpfeifen sind vor diesem Hintergrund kritisch zu sehen. Wenn möglich, reduzieren Eltern lärmendes Spielzeug oder schränken dessen Nutzung ein.
Das ist auch deswegen so wichtig, weil das kindliche Gehör noch empfindlicher ist als das von Jugendlichen oder Erwachsenen. Es reagiert empfindlicher auf Lärm und braucht länger, um sich zu erholen.

 

Wenn die Kinder älter werden, kann die regelmäßige Nutzung von Kopfhörern, airpods und Smartphone problematisch werden. Ganz gleich, ob die Kopfhörer für das Gaming oder die Kommunikation genutzt werden: Sie sind eine zusätzliche Belastung für die Ohren. Kleinkinder sollten Kopfhörer gar nicht oder nur sehr selten benutzen. Denn sie müssen das richtige Hören erst noch lernen. Sie müssen im Alltag trainieren, unwichtige Nebengeräusche wie das Laufen der Waschmaschine auszublenden und wichtige Geräusch herauszufiltern. Dazu gehört beispielsweise die Stimme der Lehrerin in der lauten Klasse oder die Ansage am Bahnhof. Das geht am besten ohne Kopfhörer, denn die unterdrücken unerwünschte Nebengeräusche bereits.

Wenn der Nachwuchs Kopfhörer nutzt, sollten Eltern auf die richtige Laustärke achten. Empfohlen werden maximal 80 dB, besser weniger. Genauso wichtig ist die Dauer. Hören Jugendliche 40 Stunden pro Woche über Kopfhörer Musik mit einer Lautstärke von etwa 80 dB – und das ist nicht unüblich – können nach einigen Jahren Hörstörungen wie Tinnitus auftreten. Die 60/60-Regel gibt Orientierung, was noch okay ist, geht allerdings an der Lebenswirklichkeit vieler Familien vorbei. Sie besagt, dass man maximal 60 Minuten am Stück Musik über Kopfhörer hören sollte – mit 60 Prozent der maximal einstellbaren Lautstärke.

Dann brauchen die Ohren eine Pause. Die Haarzellen müssen die Möglichkeit haben, sich zu regenerieren. Je stärker die Lärmbelastung, desto länger die Ruhephase. Praktisch heißt das: Wer abends auf einem Konzert oder in einem Club mit sehr lauter Beschallung war, sollte seinen Ohren anschließend acht bis zehn Stunden Ruhe gönnen. Ruhe bedeutet in diesem Fall den Verzicht auf Telefonate, Verkehrslärm, Radio oder Staubsauger. Während der Stille verbessert sich die Durchblutung im Ohr, die Haarzellen können sich erholen.
Problematisch ist auch dauerhafter Verkehrslärm. Selbst nachts im Schlaf kann der nur unbewusst wahrgenommene Lärm von der naheliegenden Hauptstraße oder von einem Flughafen zu langfristigen Schäden führen. Daher sollten Familien, die an einer Hauptstraße wohnen, versuchen, die Schlafräume hin zu einer ruhigen Umgebung oder Straßenseite auszurichten. Denn ständiger Lärm schadet nicht nur dem Gehör, sondern auch Psyche und Herz-Kreislaufsystem. Er kann zu Schlafstörungen, einer geschwächten Immunabwehr und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

In ihren vor vier Jahren veröffentlichten Leitlinien für Umgebungslärm mahnt die Weltgesundheitsorganisation WHO: „Lärm ist ein wichtiges Thema im Bereich der öffentlichen Gesundheit und wird zu den führenden umweltbedingten Gesundheitsrisiken gezählt. Er hat negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden und wird in der Europäischen Region der WHO sowohl von der Bevölkerung als auch von der Politik zunehmend als problematisch angesehen. (...) Er hat negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden und wird in zunehmendem Maße zu einem Problem.“ Die WHO fürchtet, dass aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des steigenden Lärmpegels weltweit bis 2050 jeder vierte Mensch mit Hörstörungen zu kämpfen hat.

Lärm via App messen: Eine erste Orientierung, ob die tägliche Umgebung für die Ohren eine Belastung darstellt, kann eine App geben, welche die Umgebungsgeräusche misst und bewertet. In den Appstores von Apple und Google finden sich diverse solcher Apps. Kosten- und werbefrei ist die LärmApp des Berufsverbandes der HNO-Ärzte, sie erhält aber nur durchschnittliche Bewertungen. Da die Apps die Geräusche über das integrierte Mikro des Smartphones messen, sind sie nur bedingt aussagekräftig – je nach verwendeter Hardware. Aber sie bieten einen guten Richtwert, welchem Lärm man im Alltag ausgesetzt ist.

Tinnitus: Wenn es im Ohr pfeift
Als Tinnitus werden Ohrgeräusche wie Pfeifen, Klopfen, Klingeln oder Rauschen bezeichnet. Die Medizin unterscheidet einerseits zwischen einem objektiven und einem subjektiven Tinnitus, andererseits zwischen einem chronischen und einem akuten Tinnitus. Der akute Tinnitus tritt plötzlich auf und geht meist mit schlechtem Hören einher. Hier kann eine Kortisonbehandlung helfen. Chronischer Tinnitus tritt über einen langen Zeitraum von mindestens drei Monaten auf, wobei die Ohrgeräusche ständig oder mit Unterbrechungen wahrgenommen werden. Bei einem objektiven Tinnitus sind die Geräusche für Außenstehende wahrnehmbar. Hier liegt meist eine organische Ursache wie Gefäßverengung oder Muskelzuckungen zu Grunde. Dem wird die Therapie angepasst. Häufiger ist der subjektive Tinnitus, bei dem nur der oder die Betroffene die Geräusche wahrnimmt. Die Ursachen dafür sind noch nicht klar. Eine zu starke Lärmbelastung kommt ebenso in Frage wie Stress. So lange die Ursache unklar ist, gestaltet sich auch die Therapie als schwierig. Meist geht es darum, den Leidensdruck der Betroffenen zu senken. Beispielsweise über Verhaltenstherapie lernen sie, mit dem Tinnitus zu leben und diesen nicht länger als belastend wahrzunehmen.

Mit Bügel oder ohne? Ratgeber für den Kauf von Kopfhörern 
Welche Kopfhörer dürfen es sein? Das hängt vor allem davon ab, welche Ansprüche man hat. Zum einen gibt es kabellose und solche mit Kabel. Für das Gehör entscheidender ist aber die Frage, ob das Modell im oder auf dem Ohr sitzt. Die bei Jugendlichen so beliebten In-ear-Kopfhörer sitzen in der Ohrmuschel, sie fallen also im Alltag kaum auf und sind aufgrund ihrer geringen Größe ideal für unterwegs. Ihr Nachteil: Sie sitzen sehr nah am Trommelfell. Der Schall trifft also ungehindert auf das Innenohr, was ab einer gewissen Lautstärke zu Schädigungen führen kann. Zudem sind diese Kopfhörer eine mechanische Belastung für das Innenohr. Mediziner empfehlen daher eher Over-ear- oder On-ear-Kopfhörer mit Bügel. Over-ears bedecken das komplette Ohr. Dadurch können sie Umgebungsgeräusche besser ausblenden. In warmer Umgebung kann es mangels Luftzirkulation aber schnell unangenehm warm werden. Dagegen liegen On-ears nur teilweise auf dem Ohr auf und lassen noch Luft und Umgebungsgeräusche an das Ohr. Der Klang ist bei beiden Modellen besser als bei in-ears. Wichtig für alle drei Modelle: Achten Sie darauf, dass die Kopfhörer über eine noise-cancelling-Funktion verfügen. Sie blendet Umgebungsgeräusche aus. Und wählen Sie die ideale Passform. In-ears sollten gut im Ohr sitzen, ohne zu drücken oder herauszufallen. Bei On-ears und Over-ears sollten Sie den Bügel so einstellen, dass die Ohrmuscheln nicht am Kopf drücken. 

Das Gehör schulen – Tipps für Zuhause
Familien müssen also den goldenen Mittelweg finden zwischen Ruhepausen und anregenden Geräuschen, die dem Gehör guttun oder es sogar schulen. Wenn Eltern wie dargestellt auf Lärmschutz achten, wo er nötig ist und die Kinder gesund sind, dann entwickelt sich das Gehör zwar auch von allein ganz normal. Aber ein paar spielerische Hörschulungen können dafür sorgen, den Hörsinn zu schärfen – und mit ihm Aufmerksamkeit und Konzentration. Daher geben wir zum Abschluss noch ein paar Anregungen, wie Familien im Alltag den Ohren etwas Gutes tun können. Einige der Tipps haben wir auf den Onlineportalen Schule des Hörens und Auditorix gefunden, die wir auch Eltern und Kindern zum Stöbern ans Herz legen.

Geräuschebingo
Packen Sie für den nächsten Ausflug Zettel und Stift und vielleicht noch ein Halstuch zum Augenverbinden ein. Je nachdem, wohin es geht, überlegen Sie sich gemeinsam mit dem Nachwuchs acht bis zehn typische Geräusche, die es zu erhören gilt und schreiben oder malen sie gemeinsam auf das Blatt. Jetzt geht es darum, wer zuerst fünf der Geräusche entdeckt hat. Sie können sich dazu wahlweise die Augen verbinden. Dann aber sollte man sich zum Hören auf eine Bank oder Picknickdecke setzen, um Unfälle zu vermeiden. Gut geeignete Ort für dieses Spiel sind: Wald, Park, Schwimmbad, See, Tierpark, Spielplatz. Hier ein paar Ideen für Geräusche, wobei Ihnen sicher noch viel mehr einfallen: Vogelgezwitscher, klopfender Specht, Knacken eines Stocks, Kindergeschrei, Tierlaute, Bienensummen, Flussrauschen, Papierrascheln, Flugzeug, Blätterrascheln.

 
Draußen auf Feld und Wiese nehmen wir ganz andere Geräusche wahr als zu Hause oder in der Schule. Hier können Eltern ihre Kinder zum bewussten Hinhören animieren.

Blinde Kuh mal anders
Beim Kinderspiel „Blinde Kuh“ ist ein Kind der Fänger und muss mit verbundenen Augen die anderen Mitspieler fangen. Wir stellen eine abgewandelte Variante vor, bei der sich die Kinder noch stärker auf ihr Gehör verlassen müssen. Dafür braucht es am besten fünf Personen. Ein Kind ist die „Blinde Kuh“ und verbindet sich die Augen. Irgendwo im Raum wird ein Ziel vereinbart, beispielsweise ein Stuhl. Die anderen vier Mitspieler stellen sich jeder in eine Ecke und müssen die „Blinde Kuh“ von der Raummitte aus durch Rufen zum Ziel lotsen. Die „Blinde Kuh“ läuft so lange in Richtung der rufenden Person, bis diese „Stop“ ruft, dann ist eine andere Person dran und die „Blinde Kuh“ muss sich jetzt an diesem Rufen im Raum orientieren. Das Spiel endet, wenn der Stuhl erreicht wurde. Abwandeln lässt sich das Spiel, in dem die vier Lotsen nicht rufen, sondern Geräusche wie Pfeifen oder Klatschen machen. Das Spiel lässt sich auch draußen auf der Wiese spielen. Ziel kann hier ein Baum sein oder ein Ball.

Geräusche nachmachen
Überlegen Sie gemeinsam mit Ihren Kindern, wie man bestimmte Geräusche für einen Film oder ein Hörbuch am besten nachstellt. Wie erzeugt man prasselnden Regen, knisterndes Feuer, Herzklopfen, ein heulendes Gespenst oder das Pfeifen des Windes? In einem zweiten Schritt können Sie ausprobieren, ob die Ideen tatsächlich funktionieren und die Geräusche mit dem Handy aufnehmen. Jede Menge „Geräuschrezepte“ finden sich auf dem Portal www.auditorix.de.

Rätsel für die Ohren
Unter www.auditorix.de finden Kinder unter dem Menüpunkt Spiele kurzweilige Aufgaben für das Gehör. Beim Geräusche-Memory müssen sie zum Bild das passende Geräusch zuordnen, beispielsweise Schritte über einen schneebedeckten Weg oder das Anzünden eines Streichholzes. Etwas einfacher ist der Geräusche-Krimi „Wo ist Mister X?“ Hier werden Anrufe von Mister X abgespielt und die Kinder müssen am Hintergrundgeräusch erkennen, wo er sich befindet und das Geräusch dem passenden Bild zuordnen.

Instrument spielen
Singen und das Spielen bzw. Erlernen eines Musikinstruments sind ein ideales Training für das Gehör. Bei Babys und Kleinkindern fängt es damit an, dass Sie ihnen Lieder vorsingen – bitte auch, wenn Sie glauben, nicht gut singen zu können. Etwa ab dem Vorschulalter kann man das Kind in der Musikschule anmelden, wenn es Interesse an Musik zeigt. Die Wahl des Instrumentes hängt vom Alter des Kindes und von seinen Neigungen ab. Dort lernen sie später auch die Noten und Tonleitern. Etwa 1 von 10.000 Menschen hat ein absolutes Gehör, sie können genau sagen, um welche Tonhöhe es sich handelt, wenn ein Ton erklingt. Die Wissenschaft ist noch uneins, ob das absolute Gehör angeboren oder trainiert ist, vermutlich ist es eine Kombination aus beidem. Kinder, die mit einem absoluten Gehör zur Welt kommen, sollten dieses schon in früher Kindheit trainieren – beispielsweise über Instrumentalunterricht – da es sonst verkümmert.

Hörbücher
Sie können eine bequeme Alternative zum Vorlesen sein oder auch zur Bildschirmzeit. Geeignete Medien sind CD-Spieler oder Tonie-Boxen und natürlich das Internet. Dort finden sich mittlerweile jede Menge Hörbücher, die man übers Smartphone oder Tablet abspielen kann. Wichtig ist hier, dass die Lautstärke nicht zu laut aufgedreht wird. Ein gutes Hörbuch zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschichte nicht einfach nur vorgelesen wird, sondern auch Musik und Geräusche eine tragende Rolle in der Geschichte spielen. Ob eine oder mehrere Personen die Geschichte erzählen, ist zweitrangig, solange die unterschiedlichen Figuren unterschiedlich gesprochen werden. Ganz wichtig ist natürlich, dass sich das Kind für das Thema bzw. die Geschichte interessiert, sonst nützt auch ein fabelhaft umgesetztes Hörbuch nichts. Kostenfreie Hörgeschichten finden Familien unter anderem hier: www.vorleser.net, www.diekurzgeschichte.de,
www.ohrka.de sowie in den Mediatheken von ARD und anderen öffentlich-rechtlichen Sendern.

Vorlesen
Kinder lieben es, wenn ihnen Geschichten vorgelesen werden. Machen Sie die nächste Geschichte zum Hörspiel, indem Sie beim Vorlesen die Lautstärke und die Tonalität Ihrer Stimme anpassen. Flüstern Sie, wenn es der Protagonist tut, grummeln Sie, wenn er wütend ist. Versuchen Sie, Kinder-, Frauen- und Männerstimmen zu imitieren. Einfache Geräusche wie das Klopfen an der Tür, ein Pfeifen oder das Rascheln des Laubs können Sie imitieren. Achten Sie auch auf Pausen. Ältere Kinder, die selbst schon lesen können, können eine Stimme in der Geschichte übernehmen.