Besondere Geschwisterkinder: Krankheit und Behinderung
Eine besondere Situation für Familien ist es, wenn Kinder mit einem schwerkranken oder behinderten Geschwisterkind aufwachsen. Die Eltern stehen vor der doppelten Herausforderung, einerseits die Pflegebedürftigkeit des einen Kindes anzunehmen und sie in den Familienalltag zu integrieren und andererseits dem gesunden Geschwisterkind gerecht zu werden. Die größte Gefahr dabei: Das gesunde Kind bekommt zu wenig Aufmerksamkeit, steht ungewollt und unbewusst in der zweiten Reihe. Die zeitlichen und auch finanziellen Ressourcen in jeder Familie sind begrenzt. Je mehr das erkrankte oder behinderte Kind braucht, desto weniger bleibt für sein Geschwisterkind.
Gleichwohl sehen betroffene Familien ihre besondere Situation als Chance, sie weisen Ressourcen auf, über die „normale“ Familien nicht verfügen, oder nur im geringen Maß: „Positiv ist, dass Familien mit einem kranken oder behinderten Kind meist stark zusammenhalten! Es wird berichtet, dass Geschwister kranker oder behinderter Kinder offener, empathischer, reifer und toleranter sind und nicht selten später soziale Berufe ergreifen. Oft zeigen sie auch mehr soziales Engagement und Selbständigkeit. Sie haben die Chance, viele Fähigkeiten zu erlernen und übernehmen verschiedene Rollen im Umgang mit ihren Geschwistern“, heißt es im Elternratgeber der Stiftung FamilienBande. Die Autorin Ilse Achilles fasst zusammen, wie sich ein gesundes Geschwisterkind idealerweise entwickelt:
- es hat überwiegend eine gute Beziehung zu dem behinderten Kind
- es geht so sicher und kompetent wie möglich mit dem behinderten Kind um
- es kann sich dem behinderten Kind gegenüber abgrenzen
- es kann auch negative Gefühle dem behinderten Kind gegenüber empfinden und äußern
- es schämt sich in der Öffentlichkeit nicht für das behinderte Kind
- es plant seine Zukunft unabhängig vom behinderten Geschwisterkind
Wenn Eltern diese Entwicklungsziele im Alltag im Hinterkopf behalten, ist schon viel gewonnen. Praktisch lässt sich das mit folgenden Tipps beherzigen: Seien Sie offen und erklären Sie dem gesunden Geschwisterkind die Besonderheit seines Bruders oder seiner Schwester möglichst altersgerecht. Beschönigen Sie dabei weder, noch sollten Sie die Situation dramatisieren. Beantworten Sie Fragen des gesunden Kindes rund um das Geschwisterkind offen und ehrlich, drängen Sie aber kein Gespräch auf.
Übrigens hat die Einstellung zur Behinderung einen ähnlich großen Einfluss auf das Familienleben wie die Behinderung selbst. Wenn Sie offen und optimistisch in die Zukunft blicken und versuchen, den Alltag so normal wie möglich zu gestalten, hilft das dem Geschwisterkind enorm. Statt einem „Warum muss es ausgerechnet uns treffen? So ein Unglück!“, wäre ein: „Nun ist es eben so, machen wir das Beste daraus!“ hilfreicher. Neben dem kräftezehrenden Alltag sind Krankenhaus- oder Rehaufenthalte eine zusätzliche Belastung für das Geschwisterkind. Betroffene Familien sollten von Beginn an versuchen, ein verlässliches Netzwerk aus Verwandten, Freunden und Nachbarn aufzubauen, die bei Bedarf unterstützen und sich um das gesunde Geschwisterkind kümmern können.
Nutzen Sie professionelle Unterstützung. Das können Pflegedienste sein oder die Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege, familienentlastende und familienunterstützende Dienstleistungen. Die Kosten werden in der Regel übernommen. Insbesondere für gesunde Geschwister gibt es mittlerweile verschiedene Angebote wie Seminare, Ausflüge oder mehrtägige Camps. Hier haben die Kinder die Gelegenheit zu einer Auszeit vom Familienalltag, vor allem können sie sich mit Gleichgesinnten austauschen, mit Kindern, die ebenfalls mit besonderen Geschwistern aufwachsen. Außerdem bekommen sie Methoden vermittelt, die ihnen im Alltag helfen, mit stressigen oder frustrierenden Situationen umzugehen. In der Lausitz gibt es mit dem Geschwisterclub Bärenbande des Johanniter-Kinderhauses „Pusteblume“ in Burg im Spreewald einen tollen Ort, bei dem Geschwisterkinder einfach mal abschalten können.
Buchempfehlungen für Kinder
- Ein Baby in Mamas Bauch, 2015, Anna Herzog, ab 5 Jahre
- Ein Geschwisterchen für die kleine Eule, 2017 Debi Gliori, ab 3 Jahre
- Ein Geschwisterchen für Pauli, 2015, Brigitte Weninger, ab 3 Jahre
- Wieso, weshalb, warum? Junior Bd. 12: Unser Baby, 2005, Angela Weinhold, ab 2 Jahre
Buchempfehlungen für Eltern
- Geschwister – eine ganz besondere Liebe: So gelingt es Eltern, jedem Kind gerecht zu werden, 2021, Jan-Uwe Rogge u.a.
- Geschwister: Vorbilder – Rivalen – Vertraute, 2020, Hartmut Kasten
- Ich mag dich – du nervst mich: Geschwister und ihre Bedeutung für das Leben, 2015, Jürg Frick
- „... und um mich kümmert sich keiner!“ Die Situation der Geschwister behinderter und chronisch kranker Kinder, 2018, Ilse Achilles
- Aus Stiefeltern werden Bonuseltern: Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien, 2015, Jesper Juul u. Knut Krüger
- Leben mit Zwillingen! Gut durch Trotzalter, Kindergarten und Grundschule, 2012, Petra Lersch u. Dorothee von Haugwitz