Raus in die Natur

Datum: Freitag, 24. Juni 2011 13:33


Ein Plädoyer für mehr Natur, Matsch und Bewegung an frischer Luft!

Als kleines Kind erlebte ich im geheimnisvollen „Draußen“ die ersten Abenteuer, die mir nachhaltig in Erinnerung blieben. Mit Kescher und Eimer gingen wir Knirpse am sumpfigen Graben auf Jagd nach Stichlingen und Kaulquappen, stromerten in den Gartenanlagen am Stadtrand herum, betreuten auf Wiesen Schnecken-Familien und siedelten in deren Nachbarschaft eine Regenwurm-Farm an, radelten in späteren Jahren zu den Eisenbahngleisen, wo wir auf nebenstehende Bäume kletterten, während Züge unter unserem tosenden Beifall unser Kleingeld platt fuhren. Ab und zu ging es sogar zur „verbotenen“ Müllkippe, auf die Suche nach verborgenen Schätzen. Erst wenn es dunkel wurde, ging es nach Hause, nicht selten mit schmutzgezeichneten Landkarten unserer Unternehmungen auf den Sachen. Erfahrungen, die wir allein oder mit gleichgesinnten Abenteurern aus dem „kleinen Volk“ sammeln durften – von elterlichem Schutzwahn keine Spur. Heute wirkt das wie ein Blick in eine längst vergangene Zeit. Viele Eltern lassen ihren Kindern kaum noch freien Lauf in der Natur, unsere natürlichen Schutzinstinkte sind immer mehr zu einer allumfassenden Abwehr eventuell vorstellbarer Gefahren ausgewachsen. Natürlich haben auch Infrastruktur und Verkehr unseren Lebensraum umgekrempelt, kaum ein verwildertes, frei zugängliches Grundstück findet sich in Stadträumen, selbst in abgelegenen Orten knattern tiefergelegte Autos über schmale Straßen. Neben elterlicher Fürsorge ist es in den meisten Familien aber die bloße Faulheit der Eltern, die Unternehmungen in der Natur kaum noch eine Rolle zukommen lässt. Immer mehr Kinder werden fettleibiger, verlieren sogar grundlegende motorische Fähigkeiten, büßen an sozialen Kompetenzen ein und neigen verstärkt zu Krankheitsbildern unserer  „Drinnen“-Gesellschaft. Wir haben in großem Maß das Bewusstsein für das Bündnis von Kindern und Natur verloren. Viele Eltern sagen zwar übereinstimmend, dass ihnen Erlebnisse an frischer Luft für ihre Kinder wichtig sind, nur handeln immer weniger danach. Die folgenden Seiten liefern Motivation und verschiedene Argumente, das Rad der Zeit mal wieder etwas zurück zu drehen: Raus in den Matsch mit euch, lasst die Kinder wieder unbehelligt toben, sich ausprobieren, vollmoddern, ihren eigenen Weg in der Natur gehen!

Natur und Bewegung:
Von Purzelbäumen und Baumvölkern
Heute haben immer mehr Kinder Probleme mit Purzelbäumen – einen vernünftigen Radschlag oder Handstand beherrschen inzwischen die wenigsten, in Kindergärten tut sich unser Nachwuchs manchmal schon beim Armkreisen schwer. Statt vor Energie zu strotzen, werden immer mehr Kinder zu Stubenhockern. Sind wir früher in und mit der Natur groß geworden, findet die Sozialisierung der Kinder heute immer mehr in geschlossenen Räumen statt, in einem Universum aus Playstation, Yu-Gi-Oh! und dauerflimmernder Mattscheibe. Besonders ehrgeizige Eltern planen die Freizeit zwischen Musikunterricht, Kreativkursen und unzähligen Unternehmungen in vermeintlich tollen Familienausflügen. Einfach nur ausgelassen toben kommt im Leben der Kinder immer seltener vor. Studien haben bewiesen, dass bei vielen Kindern grundlegende motorische Fähigkeiten durch das fehlende Spielen im Freien deutlich schlechter ausgeprägt sind als bei früheren Generationen. So trägt das Buddeln im Sand, das Graben nach Schätzen im Modder zur Beweglichkeit und besseren Koordination des Körpers bei. Das Klettern auf Bäume lässt Kinder nicht nur ihre Grenzen ausloten, sie erhalten Selbstbewusstsein, erlangen ein Körpergefühl. Neben Körpergefühl entwickeln Kinder eine Intuition, lernen Situationen, Gefahren und Chancen einzuschätzen. Etwas allein zu bewältigen, bringt Erfolgserlebnisse, die für die kindliche Psyche und die gesamte Entwicklung prägend sind. Auch Misserfolge oder der Erfolg erst nach vielen Versuchen, all das sind wesentliche Bestandteile der Entwicklung eines Menschen, die heutigen Kindern oft vorenthalten werden. Machen Kinder solche Erfahrungen in bestimmten Altersstufen nicht, wird das Defizit Jahre später immer deutlicher spürbar. Wer heute den Sportunterricht einer durchschnittlichen mittleren Klassenstufe einer Stadtschule besucht und Jungen wie Mädchen bei Übungen wie Stangenklettern oder Balancieren zuschaut, wird das Ausmaß schnell erkennen. Kinder müssen sich austoben, ausprobieren, auch mal auf die Nase fallen, sich eine Schramme holen. Sie vor allem beschützen zu wollen heißt vor allem, ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu nehmen, sich selbst und ihren Körper kennen und beherrschen zu lernen. Wenn wir sie also schon nicht allein auf Bäume oder Mauern klettern oder Berge mit Purzelbäumen herunterrollen lassen wollen – dann sollten wir den Spaß wenigstens mit Ihnen teilen und als Eltern diese Entwicklung mit Lachen und Spaß begleiten. Na ja, soweit unsere müden Knochen das auch mit machen. Wenn Jungs heute draußen spielen, sind sie oft auf Fußball fixiert oder ziehen sich dann nach drinnen zur Playstation zurück. Es wird immer wichtiger, Kinder zum Toben zu animieren. Auf Wohngebiets-Spielplätzen ist heute auch ein interessanter Effekt zu beobachten, der dieses Problem ebenso zur Grundlage hat. Wenn Sonntagseltern bei bestem Wetter mal zum Spielplatz schreiten und den Nachwuchs zum Alibi an die frische Luft ausführen, sind naturentfremdete Kinder schnell ganz oben auf Kletterspinnen und –gerüsten und rufen dann weinend nach Hilfe. Sie haben es nicht gelernt, sich einzuschätzen, Gefahren zu erkennen.

Natur und Durchatmen:
Frische Luft für kleine Forscher
An frischer Luft so richtig Dampf abzulassen oder auf einer Wiese einfach nur zu träumen ist für Kinder gleich aus mehreren Gründen gesund. Erzieher und Mediziner empfehlen täglich mindestens zwei Stunden Aufenthalt an frischer Luft, unabhängig vom Wetter. Dabei sollen Kinder auch mal toben und aus der Puste kommen, denn Spielen bis zur Erschöpfung stärkt das Immunsystem. Die spielerische Belastung leistet einen Beitrag zur Entwicklung der Lunge, des gesamten Bronchialsystems und der Atmung, durch die Anstrengung wird zudem der ganze Körper und vor allem das Gehirn extrem gut durchblutet. Aktivität in der Natur hat somit Auswirkungen auf die grundlegende körperliche Entwicklung. Aber Unternehmungen an frischer Luft haben auch psychische Aspekte: Gerade Kindergartenkinder können im Freien Stress abbauen, der sich durch Konflikte mit der Gruppe in beengten Räumen aufbaut, sie können hier ihre Grenzen ausloten und so auch den Kopf von kindlichen Sorgen frei bekommen. Johlen,
Schreien, alles Rauslassen – das sollte man bei Kindern in der Natur nicht unterdrücken.