"Messer, Gabel, Schere, Licht"

Datum: Freitag, 22. März 2013 09:07

„Gemeinsam spielen ist wichtig“


Interview mit Dr. Timm Boldt
Dr. Timm Boldt ist psychologischer Psychotherapeut und Verhaltenstherapeut.


Was war Ihr Lieblingsspiel in Ihrer Kindheit?
Ich bin am liebsten im Wald rumgesprungen und habe Burgen gebaut. Fahrrad fahren und Indianer spielen, fand ich auch super. Außerdem habe ich hingebungsvoll Monopoly und Schiffe versenken gespielt.


Ist Spielen wichtig für die Entwicklung oder Zeitverschwendung?
Selbstredend ist Spielen wichtig. Das ist die einzige Form, mit der Kinder ihre Fähigkeiten ausbauen können. Im Wesentlichen kann man sagen, dass Kinder nach einer bestimmten Definition ihrer Rolle und den Handlungsoptionen auswählen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten können. Sie haben auf der einen Seite die Freiheit des Spiels und sind auf der anderen Seite aber in bestimmte Regeln und Muster eingebunden. So können Kinder miteinander interagieren und lernen den Umgang mit anderen.
Beim Spielen ist ein internes Motivationssystem vorhanden. Dadurch wird die Tätigkeit als solche als lustvoll erlebt. Das ist der Unterschied zur Triebbefriedigung. Ich habe auch wildere Kinder in Behandlung. Beim Spielen werden sie ruhig und konzentrieren sich.


Wie viel Zeit sollten Kinder pro Tag mit Spielen verbringen?
So viel wie möglich. Aber das sind praktische Erwägungen, was sich zwischen Schule, Essen und anderen Verpflichtungen realisieren lässt. Je jünger Kinder sind, umso eher ist es möglich. Es kommt auf das Alter an. Bei älteren Kindern werden andere Sachen für das Lernen wichtig. Für Jugendliche sind es die peer groups. Spiele sind dann meist nur noch ritualisierte Handlungen um einander kennenzulernen. Auch Erwachsene können spielen. Spiele sind ein intensives Medium, um Erfahrungen miteinander zu machen.


Was sollten Eltern beachten?
Es gibt unterschiedliche Arten von Spielen, die angeboten werden. Da sind die freien Spiele, die viele aus der eigenen Kindheit kennen: Buden bauen, im Sandkasten spielen, usw. Eine andere Kategorie ist das, was man kaufen kann. Da ist die Bandbreite groß. Es gibt die klassischen Brettspiele und mittlerweile die Computerspiele.
Man sollte die Lernziele der Spiele mit den Ansprüchen in Einklang bringen. Spiele, wie Lotti Karotti, wenden sich an spezielle Altersgruppen und machen den Kindern irre viel Spaß. Die Frage ist, wie viel sie dabei lernen. Andere Spiele, wie Memory sollen die Merkfähigkeit trainieren und können schon in jungen Jahren gespielt werden. Ich würde das Anspruchsniveau so hoch wie möglich wählen. Es ist aber auch wichtig, dass sich Kinder entspannen und aus diesem Anspruchsniveau heraus kommen. Wenn wir hochbegabte Kinder haben, müssen wir darauf achten, ob sie nicht mal etwas ganz einfaches spielen wollen, damit sie emotional wieder runterkommen. Ich habe in der Praxis eine große Spielesammlung, aus der sich die Kinder aussuchen können, was sie wollen.


Spielen Jungs anders als Mädchen?
Natürlich. Nimmt man die Klischees von Räuber und Indianer und der Puppenstube, sieht man die Unterschiede. Es gibt Überschneidungen, dass typische Jungsspiele auch von Mädchen gerne gespielt werden. Manchmal greifen Jungs auch in die Puppenkiste. Das passiert seltener. Ich denke, nichts davon sollte unterbunden werden, wenn es auftritt. Ich wäre dabei eher neugierig, was passiert. Jungs spielen anders mit Puppen, als Mädchen.


Spielt man heute anders, als vor zwanzig Jahren?
Computerspiele haben einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Auch diese Spiele haben unterschiedliche Anreize. Dabei muss man aufpassen, dass es einen Suchtcharakter gibt. Damit müssen sich viele auseinander setzen. Meist sind es Menschen, die sich von sozialen Kontakten zurückziehen und dann nur noch in Computerwelten auftauchen. Die Nutzung neuer Medien sollte minimiert werden, wenn sie ausufert. Kinder sollten nur eine bestimmte Zeit am Tag damit verbringen. Pro Tag empfiehlt sich eine Medienzeit von insgesamt einer Stunde. Auf der anderen Seite, können Kinder, Thema Hochintelligenz, von der Computernutzung profitieren und eine bessere Lernumgebung schaffen. Das kann man nicht verallgemeinern. Wichtig ist der kritische Umgang der Eltern mit den neuen Medien. Am besten spielen Eltern die Computerspiele ihrer Kinder selbst einmal durch. Miteinander spielen ist wichtig.


Wie kann man die ganze Familie zum Spielen zusammenführen?
Eltern sollten sich Zeiten dafür freihalten. Ein bis zwei Mal die Woche wird ein Spieleabend gemacht. So, wie es passt. Es soll ja Spaß machen. Es gibt Kinder, die in den verschiedensten Therapien sind: Von Psycho-, über Physio- hin zu Ergotherapie. Dabei würde gemeinsames Zusammensitzen und miteinander spielen eine Menge bringen.


Gibt es per se schlechtes Spielzeug?
Es gibt vielleicht Spielzeug, mit dem per se nicht viel Sinnvolles gemacht werden kann. Indes kann man jeden Gegenstand zum Spielzeug machen. Spiele, die Gewalt verherrlichen sind äußerst bedenklich. Die Freigaben sprechen Bände. Eltern sollten diese Altersbeschränkungen beachten. Ich frage mich allerdings auch, ob diese Spiele für Erwachsene gut sind. Es gibt so viele spielsüchtige Erwachsene.


Ein Kind will nicht mit anderen Kindern spielen? Ist das schlecht für die Entwicklung?
Das Kind ist noch nicht in den Brunnen gefallen. Man kann zusammen üben. Das Ziel sollte sein, dass das Kind sich so viel wie möglich mit anderen Kindern auseinandersetzt. Wenn das überhaupt nicht möglich ist, muss man davon ausgehen, dass bestimmte Fähigkeiten nicht vorhanden sind. Ab einem gewissen Punkt, sollte man eine Therapie in Betracht ziehen. Man kann modellhaft mit seinem Kind zusammenspielen und immer wieder andere Kinder hinzuziehen. Es ist ja zu fragen, warum das Kind nicht mit anderen spielen möchte: Eine Niederlage, die nicht verkraftet wurde? Ist es ein sehr zaghaftes Wesen oder sehr Ich-bezogen? Jedes Kind hat seine Persönlichkeit.


Wie kann man Kindern am besten Gewinnen und Verlieren beibringen, ohne, dass es zu Größenwahn oder Tränen kommt?
Beim gemeinsamen Spielen sollten Kinder nicht zu oft verlieren, aber das Leistungslevel sollte schon so hoch sein, dass sie sich anstrengen müssen zu gewinnen. Ist eine Spielsituation so, dass das Kind nicht weiterkommt und frustriert ist, muss man sich zusammensetzen und das Ganze einmal durchsprechen. Es handelt sich nur um ein Spiel, dass muss deutlich sein. An sich ist es nicht schlecht, wenn Kinder einen hohen Ehrgeiz entwickeln. Dann wollen sie etwas erreichen. Man muss nur aufpassen, dass es nicht zu emotionalen Exzessen kommt.

Danke für das Interview.