Neustart Bildung?

Datum: Montag, 02. September 2024 16:11


Foto: FotografieLink

Ein Ausblick auf das neue Schuljahr

In Deutschland hängt schulischer Erfolg noch immer stark vom Elternhaus ab. Kinder aus gutsituierten Familien bekommen bessere Noten und gehen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf ein Gymnasium als Kinder aus benachteiligten Familien, wie unter anderem die PISA-Studien belegen: „Die Entwicklung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Leistung scheint ein kumulativer Prozess zu sein, der lange vor der Grundschule beginnt und an Nahtstellen des Bildungssystems verstärkt wird.“ Dieses Zitat stammt nicht aus der jüngsten PISA-Studie, sondern aus der von 2000.

Gleiche Chancen für alle?

Der Fakt, dass Deutschland bei der Bildungsgerechtigkeit noch ziemlich viel Luft nach oben hat, ist seit mehr als 20 Jahren bekannt. Und er wird regelmäßig aufs Neue belegt. Hier ein paar Beispiele:

Laut IQB-Bildungstrend 2021 gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Kompetenzen von Viertklässlern und dem sozioökonomischen Status ihrer Familien: „Dabei haben sich die sozialen Disparitäten vor allem in den letzten fünf Jahren verstärkt.“

Laut IGLU-Studie 2021 können Grundschulkinder aus sozial privilegierten Haushalten besser lesen. Dieser Kompetenzvorsprung sei in Deutschland stark ausgeprägt. Das habe sich in den vergangenen 20 Jahren immerhin nicht verschlechtert, aber eben auch nicht gebessert: „In zwanzig Jahren hat sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland praktisch nichts verändert.“

Der Nationale Bildungsbericht 2024 bestätigt ebenfalls, dass Bildungserfolg in Deutschland stark abhängig ist von der sozialen Herkunft. Das bezieht sich auf die Lesekompetenzen, auf die Nutzung von Ganztagsangeboten und bildungsbezogenen Freizeitaktivitäten wie Musikschule oder Sportverein und auf den Übergang zur weiterführenden Schule: „Bei gleichen Leistungen und Noten gehen 44 % der Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien an ein Gymnasium über, während es unter Kindern aus privilegierten Familien 58 % sind.“ Es sind auch vermehrt Kinder aus sozial schwachen Familien, die ihre Schullaufbahn ohne Abschluss beenden.

Eine weitere große Baustelle, auf die der Bildungsbericht verweist, ist das Förderschulsystem. Diese Trennung wird kritisch gesehen, da dadurch vielen Kindern die Chance auf einen regulären Schulabschluss und damit die spätere Teilhabe am Arbeitsmarkt verwehrt wird. Knapp 75 Prozent der Kinder auf einer Förder- bzw. Sonderschule beenden ihre Schullaufbahn ohne Schulabschluss. Wenn Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf inklusiv an einer regulären Schule unterrichtet werden, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie einen Schulabschluss machen. Zudem fällt auf, dass die Zahl der Förderschulen seit Jahren auf einem hohen Niveau stagniert und dass immer häufiger Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten auf eine Förderschule wechseln.

Der Nationale Bildungsbericht offenbart weitere Schwächen des deutschen Bildungssystems und bestätigt das, was Schulkinder, Eltern und Lehrkräfte Tag für Tag selbst erleben. „Der Bildungsbericht zeigt, dass unser Bildungssystem vor großen Herausforderungen steht“, so das Fazit von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Das Leibniz-Institut für Bildungsforschung (DIPF), das an der Erarbeitung der Studie mitgewirkt hat, hat die größten Probleme zusammengefasst.


„Theresienstadt und ich“ – ein fächerübergreifendes Projekt

Ein Blick auf die zurückliegenden Europawahlen und die bevorstehenden Landtagswahlen zeigt, dass ein weiteres Bildungsthema stärker in Schulen verankert werden sollte: Demokratiebildung. Wie man Kindern Weltoffenheit, Toleranz und den Wert von Demokratie vermitteln kann, zeigt beispielhaft die Mosaik-Grundschule Peitz seit mehr als 20 Jahren mit dem Projekt „Theresienstadt und ich“. Entstanden ist es einst aus dem Musikunterricht heraus, als dort die Kinderoper „Brundibár“ Thema war. Das Stück hatte der tschechische Komponist Hans Krásas 1938 geschrieben, 1943 hatte es im KZ Theresienstadt Premiere. Krásas wurde ein Jahr später in Auschwitz ermordet. Auch viele der Kinder, die für die Aufführung auf der Bühne standen, starben später in Gaskammern. Aus der Beschäftigung mit der Oper und dem Buch „Die Kinder aus Theresienstadt“ von Kathy Kacer entstand ein fächerübergreifendes Projekt, das jedes Jahr die sechsten Klassen zu einer Studienfahrt nach Theresienstadt/Terezín und Prag führt. „Die Reise bereiten die Kinder vorher im Unterricht in mehreren Fächern vor. Vor Ort besuchen wir dann die Gedenkstätte, das Krematorium, die Kleine Festung (damals ein Gefängnis) sowie das jüdische Viertel in Prag samt Synagogen und altem jüdischen Friedhof. Diese authentischen Orte und die Berichte von Zeitzeugen haben eine ganz andere Wirkung auf die Kinder als der Text in einem Geschichtsbuch“, erläutert Schulleiter Sven-Olaf Kurzhals. Gut 80 Jahre nach der Brundibár-Aufführung gibt es kaum noch Zeitzeugen von damals, mittlerweile berichtet die zweite Generation und gibt die Erzählungen ihrer Eltern wieder. Die Teilnahme an der Studienfahrt ist freiwillig, doch fast alle Kinder des jeweiligen Jahrgangs nutzen diese Chance. Umso mehr ist dem Projekt eine langfristige Finanzierung zu wünschen. „Wir müssen jedes Jahr neue Mittel akquirieren. Fahrten zu Gedenkstätten werden zwar gefördert – Tschechien als Zielland ist aber bisher von einer Förderung ausgeschlossen“, so der Schulleiter.


Nationaler Bildungsbericht 2024 – die zentralen Herausforderungen für Schulen:

  • Mangel an Fachpersonal
  • unzureichende Finanzierung
  • Integration von Kindern mit Migrationshintergrund
  • hoher Transformationsbedarf
  • durch Digitalisierung
  • stagnierende und zum Teil sogar sinkende Schulleistungen
  • Rückgang der Lesekompetenz von Viertklässlern
  • viele Jugendliche ohne Schulabschluss
  • anhaltende soziale Ungleichheiten


Forscher Prof. Kai Maaz vom DIPF mahnt Anpassungen an, da das Bildungssystem schon jetzt vielerorts am Anschlag arbeite: „Verschiedene weitreichende Entwicklungen bringen zusätzlichen Anpassungsdruck mit sich. So stellt etwa die Integration von Personen mit Flucht- und Migrationserfahrung inzwischen eine Daueraufgabe und große Herausforderung dar, für die es bislang keine nachhaltigen Konzepte gibt. Bildungsprozesse müssen zudem vermehrt digital gestaltet und der Kulturwandel durch die Digitalisierung mitgedacht werden.“

Der Bildungsbericht legt zudem den Finger in eine bekannte Wunde: Die Kompetenzen von Schulkindern in Deutschland werden immer geringer – das gilt besonders für das Lesen. 19 Prozent der Kinder in Klasse 4 erreichen nicht die von der Kultusministerkonferenz festgelegten Mindeststandards, sie gelten somit als leseschwach. Bei den Jugendlichen in Klasse 9 betrifft es sogar 33 Prozent, bezogen auf die Mindeststandards für den Mittleren Schulabschluss. „Die hohen und zunehmenden Anteile von Schüler:innen, die den Mindeststandard im Lesen nicht erreichen, sowie der starke Zusammenhang zwischen Kompetenzen und sozialer Herkunft stellen erhebliche Herausforderungen dar“, heißt es im Bildungsbericht.

Migrationshintergrund oder Mittelschichtshabitus?

Die Studien zeigen auch, dass die Bildungsschere weniger beim Migrationshintergrund auseinandergeht, sondern beim sozioökonomischen Hintergrund. Das heißt: Kinder aus Migrationsfamilien sind nicht schlechter in der Schule, weil ihre Eltern zugewandert sind, sondern weil sie ganz oft aus der Arbeiterklasse kommen. Kinder, von denen wenigstens ein Elternteil studiert hat, gehen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf ein Gymnasium und studieren anschließend – unabhängig davon, ob ihre Muttersprache deutsch, syrisch, türkisch oder ukrainisch ist. „Die entscheidenden Faktoren für die Bildungschancen von Kindern in Deutschland sind Bildung und Einkommen der Eltern. Weniger bedeutend ist ein Migrationshintergrund“, sagte Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, im Deutschlandfunk. Im Mai hat er eine Studie veröffentlicht, die diese Bildungsungerechtigkeit auf Ebene der Bundesländer untersucht.


Das Zeugnis von Klasse 4 bzw. 6 entscheidet, auf welcher Schulform es weitergeht. Ob die Notenvergabe immer gerecht ist, darf bezweifelt werden.

Die Ursachen dafür sind unterschiedlich und derzeit noch mehr Mutmaßung als wissenschaftlich erwiesen. Ein Grund ist die fehlende Unterstützung aus dem Elternhaus. Manchen Eltern fehlt einfach die Zeit oder das Geld, um ihren Kindern Nachhilfe oder Ausflüge in Museen zu ermöglichen, andere sind aufgrund ihrer eigenen Bildungserfahrungen nicht in der Lage, ihren Kindern an weiterführenden Schulen zu helfen.

Eine weitere Hürde ist die Ungleichbehandlung von Kindern: Offensichtlich bekommen Kinder aus gutsituierten Familien bei gleichen Leistungen bessere Noten und häufiger eine Gymnasialempfehlung (siehe Infokasten). Wenn Kinder aus sozial schwachen Familien eine Gymnasialempfehlung bekommen, deren Eltern beide kein Abitur haben, dann werden sie häufiger trotzdem auf die Ober- oder Realschule geschickt. So haben die Eltern Sorge, dass sie ihre Kinder auf dem Gymnasium nicht schulisch unterstützen können. Für andere gelten Gymnasien als Schulen für Kinder von Ärztinnen und Anwälten. Die Bildungsforscherin Britta Klopsch spricht in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem Mittelschichtshabitus, der an vielen Schulen in Deutschland herrsche und es Kindern erschwere, die nicht aus der Mittelschicht kommen. Sie bekommen bewusst oder unbewusst das Gefühl vermittelt, dass sie dort nicht hingehören. Wer sich aber nicht wirklich wohlfühlt, sich nicht zugehörig fühlt, der wird auch kein schulischer Überflieger.

Schlechte Noten für dicke Kinder?

Studien deuten darauf hin, dass Lehrkräfte nicht immer objektiv benoten. Eine im Juli 2024 von den Universitäten Zürich und Bern veröffentlichte Untersuchung bestätigt das. Demnach haben Geschlecht, Übergewicht, Migrationshintergrund und Einkommen der Eltern Einfluss auf die Benotung. Der Trend verstärkt sich noch, wenn Kinder mehrere benachteiligende Merkmale auf sich vereinen. Sie erhalten unabhängig von ihren tatsächlichen Fähigkeiten deutlich schlechtere Noten als ihre Mitschülerinnen. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Notengebung sind in allen Fächern außer Chemie festzustellen. Mädchen haben einen Vorteil in Deutsch, Mathematik und Biologie, während die Jungen in Physik besser abschneiden. Ein höherer BMI, also Übergewicht, ist in jedem Fach mit schlechteren Noten verbunden. Kinder aus wohlhabenderen Familien erhalten im Allgemeinen bessere Noten, während solche aus einer ethnischen Minderheit in allen Fächern außer in Biologie schlechter abschneiden. Für die Studie wurden 14.000 Jugendliche untersucht, die eine 9. Klasse in Deutschland besuchen. Dazu wurden ihre Noten mit den Ergebnissen von standardisierten Kompetenztests verglichen und in Zusammenhang zu den genannten Merkmalen gesetzt.

Die Befunde also sind bekannt – und das schon ziemlich lange. Allein: Es ändert sich nichts. Wir wollen daher schauen, ob es andere Staaten besser machen und falls ja: Können wir von ihnen lernen? Zudem liegen schon reichlich Vorschläge von Fachleuten aus der Wissenschaft auf dem Tisch. Fangen wir damit an.

Längeres gemeinsames Lernen?

Im Mai hat das ifo-Institut eine Studie veröffentlicht, in der die Chancengerechtigkeit in den einzelnen Bundesländern untersucht wurde. Demnach gehört Sachsen zu den Ländern, wo die Chance auf einen Gymnasiumsbesuch besonders stark vom familiären Hintergrund abhängt, während in Brandenburg die Bildungsgerechtigkeit stärker ausgeprägt ist. Die Studie hat auch auf Unterschiede im jeweiligen Bildungssystem und in der Bevölkerungszusammensetzung geschaut, um mögliche Zusammenhänge herauszufinden. Das Ergebnis: Die Bildungsgerechtigkeit hängt nicht davon ab, wie viele Kinder eines Jahrgangs das Gymnasium besuchen, auch nicht von einem guten oder schlechten Abschneiden bei Bildungsstudien wie PISA. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung hat ebenfalls keinen Einfluss. Es gab nur einen einzigen Zusammenhang, der statistisch relevant war: längeres gemeinsames Lernen erhöht die Bildungsgerechtigkeit. Das frühe Trennen der Kinder nach vier Schuljahren, wie es in Deutschland alle Bundesländer außer Berlin und Brandenburg machen, verfestigt die Bildungsungerechtigkeit offenbar. Das zeigt auch ein Blick nach Skandinavien. Die Länder im Norden Europas landen bei Bildungsvergleichsstudien regelmäßig auf den vorderen Plätzen. In Schweden lernen die Kinder neun Jahre gemeinsam, dann endet die Schulpflicht und wer möchte, kann eine dreijährige weiterführende Schule besuchen, die in etwa unserem Gymnasium entspricht. Der dortige Abschluss bereitet wahlweise auf das Studium oder das Berufsleben vor. Ganztagsunterricht gibt es bis zum Schulabschluss. Frontalunterricht findet man dort nur selten, stattdessen Gruppen- und Projektarbeit. Noten gibt es erst ab der 6. Klasse. Schule, Lernmaterialien und Mittagessen sind für alle Kinder kostenlos. Ähnlich sieht es in Finnland aus. Dort lernen die Kinder gemeinsam bis zur 9. Klasse, auch hier werden Kinder in den ersten Jahren nicht benotet, stattdessen wird eigenständiges Lernen und Arbeiten gefördert. Die Kinder sollen das Lernen lernen. Auch ein Blick nach Kanada bestätigt, dass längeres gemeinsames Lernen positiv auf die Bildungsgerechtigkeit wirkt. Die Kinder lernen je nach Provinz sechs bis acht Jahre gemeinsam in der Grundschule. Anschließend folgt die für Alle verpflichtende Junior High School bis Klasse 9. Das heißt, auch hier erfolgt die Trennung der Kinder erst spät. Weitere Unterschiede zum deutschen Schulsystem: Die Schule beginnt erst ab 9 Uhr und bietet bis in die hohen Klassen Ganztagsbetreuung. An den Schulen gibt es neben den Lehrkräften weitere pädagogische Fachkräfte wie Sozialarbeiter, die eine individuelle Förderung und Betreuung in kleinen Gruppen ermöglichen.
Eine individuelle Förderung und langes gemeinsames Lernen scheinen also zwei wichtige Punkte für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sein. Daher fordert Anja Bensinger-Stolze vom Vorstand der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft: „Die KMK muss sich endlich ernsthaft damit befassen, das längere gemeinsame Lernen in den Mittelpunkt ihrer Planungen zu stellen.“

Ob und wie schnell das in Deutschland tatsächlich umsetzbar ist, bleibt fraglich. Hier kommt wieder der bereits erwähnte Mittelstandshabitus ins Spiel. Es sind gerade jene Eltern, deren Kinder gut durch das deutsche Schulsystem kommen, die einem längeren gemeinsamen Lernen skeptisch gegenüberstehen. Als Hamburg im Jahr 2010 die Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre verlängern wollte, hat eine Bürgerinitiative einen Volksentscheid dagegen auf den Weg gebracht: Tatsächlich konnte das Vorhaben der schwarz-grünen Regierung gekippt werden. Abgestimmt haben vor allem jene Eltern, deren Kinder gute Aussichten auf eine Gymnasialempfehlung haben. In den besseren Stadtteilen von Hamburg war die Wahlbeteiligung deutlich höher, als in jenen mit einem hohen Anteil an Migrationsfamilien und mit hoher Arbeitslosigkeit.

Es ist also ein dickes und hartes Brett, das hier zu bohren wäre. Das sagt auch Bildungsforscher Kai Maaz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation im Interview mit dem Deutschen Schulportal: „Ich halte es für unrealistisch, ein längeres gemeinsames Lernen hier schnell umzusetzen. Wichtiger finde ich, darüber zu diskutieren, wie guter Unterricht aussehen kann, welche zusätzlichen Qualifikationen Lehrpersonen brauchen und an welchen Stellen externe Expertise in den schulischen Kontext geholt werden sollte, um Kindern mit spezifischen Förderbedarfen Angebote zu machen.“


Ideen für gute und gerechte Bildung

Welche kleinen Stellschrauben könnten also kurz- und mittelfristig so angepasst werden, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen auf einen guten Schulabschluss haben? Schauen wir zunächst, was bereits versucht wird. Es gibt in Deutschland für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen seit 2011 das Bildungs- und Teilhabepaket. Familien können damit die Kostenübernahme für das Mittagessen, Nachhilfe, Klassenfahrten und Wandertage, Schulbedarf, Schülerbeförderung und Vereinsmitgliedschaft, Musikinstrument oder Sportgerät beantragen. Das Problem: Längst nicht alle Familien, die darauf Anspruch haben, beantragen diese Unterstützung auch. Eine Erhebung des Nachhilfe-Dienstleisters Studienkreis von 2022 kommt zu folgenden Zahlen: 2019 hatten in Deutschland theoretisch knapp 1,6 Millionen Kita- und Schulkinder Anspruch auf eine oder mehrere dieser Leistungen. Tatsächlich in Anspruch genommen werden sie im Schnitt nur von 10 bis 15 Prozent der Berechtigten. Dafür gibt es mehrere Gründe. So gibt es unterschiedliche Zuständigkeiten (Schule, Jobcenter, Sozialamt u.a.). Die Beantragung ist recht aufwändig. So muss bei einem Wandertag oder einer Klassenfahrt sowohl vor als auch nach der Fahrt ein Formular durch die Schule und durch die Eltern ausgefüllt werden, zudem Zahlungsbelege eingereicht werden. Wenn der Wandertag „nur“ mit 20 Euro zu Buche schlägt, dann verzichtet manche Familie lieber auf den Aufwand. Manche Familien wissen gar nicht, dass sie Anspruch auf diese Leistungen hätten, bei anderen spielt vielleicht Scham eine Rolle. Das Leistungspaket hat also ein hehres Ziel, verfehlt dieses aber.

In diesem Sommer hat der Bund nach zähen Verhandlungen mit den Ländern ein weiteres Programm aufgesetzt. Das Startchancen-Programm soll insbesondere sogenannte „Brennpunktschulen“, also Schulen in herausfordernder Lage, finanziell unterstützen.

Startchancen-Programm

  • Leistungsumfang: 20 Mrd. Euro
  • Finanzierung: je 50 % durch Bund und Länder
  • Laufzeit: 2024 bis 2034
  • Zielgruppe: 4.000 Schulen in herausfordernder Lage
  • 60 % für Grundschulen, 40 % für weiterführende & berufliche Schulen
  • 40 % lernförderliche Ausstattung, 30 % für zusätzl. Lernförderung, 30 % für multiprofessionelle Teams, z.B. Sozialarbeit


„Gemeinsam werden wir in den nächsten zehn Jahren 20 Milliarden Euro in die Hand nehmen und genau dorthin gehen, gezielt fördern, wo die Herausforderungen am größten sind“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger anlässlich der Unterzeichnung der Vereinbarung von Bund und Ländern zum Startchancen-Programm in Berlin. Das Startchancen-Programm sei damit das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik, so die Bundesbildungsministerin. Das Programm startete mit zunächst gut 2.100 Schulen, weitere sollen bis 2026 folgen.

Bisher ausgewählte Startchancen-Schulen in der Lausitz:

Grundschulen: Kleindehsa, Curie-GS Bautzen, Daubitz, Lindenschule Hoyerswerda, Geschwister-Scholl GS Weißwasser, GS am See Senftenberg, Regenbogen-GS Senftenberg, GutsMuths GS Großräschen, GS Kollerberg Spremberg, GS Forst Mitte, GS Nordstadt Forst, Hildebrandt GS Cottbus, Nevoigt GS Cottbus, Ströbitz, Blechen-GS Cottbus, Kolumbus-GS Cottbus, 21. GS Cottbus, Schröter-GS Guben, Friedensschule Guben, GS Nord Finsterwalde, GS Stadtmitte Finsterwalde, GS Finsterwalde-Nehesdorf, Elsterschulzentrum Elsterwerda

Weiterführende Schulen: Oberschule Innenstadt Görlitz, OS Hoyerswerda, Oberstufenzentrum Elbe-Elster, Elsterschulzentrum Elsterwerda, OS Lauchhammer, Oberstufenzentrum Lausitz, Kellermann-OS Senftenberg, Gutenberg OS Forst, Sachsendorfer OS Cottbus, Paul-Werner-OS Cottbus, Fontane Gesamtschule Cottbus, Oberstufenzentrum Cottbus, OS Schmellwitz, Curie OS Guben, OS Luckau, OS Finsterwalde

Das Startchancen-Programm wird von Beginn an wissenschaftlich begleitet, um herausfinden, welche Maßnahmen wie wirken. Dass diese Evaluierung hilfreich ist, zeigt ein Blick nach Hamburg. Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren in deutschen Bildungsrankings schrittweise nach oben gearbeitet. Dafür setzt sie stark auf Daten: Schon in der Kita wird erhoben, wo die Kinder stehen. Diese Datenerfassung und -auswertung zieht sich konsequent durch die spätere Schullaufbahn. So werden Defizite rechtzeitig erkannt und können gezielt behoben werden. Fachleute empfehlen zudem ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um Schule besser zu machen und allen Kindern die gleichen Chancen zu bieten.


Kleine Lerngruppen und gezielte Förderung, beispielsweise in Lesezirkeln, können die Bildungsgerechtigkeit verbessern. © Stiftung Lesen

Empfohlene Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit

  • frühkindliche Bildungsangebote für benachteiligte Kinder ausbauen
  • eine gezielte, früh einsetzende und umfassende Leseförderung
  • Familien benachteiligter Kinder bei der Erziehung unterstützen
  • die besten Lehrkräfte an Schulen mit vielen benachteiligten Kindern bringen
  • multiprofessionelle Teams an Schulen
  • Nachhilfeprogramme für benachteiligte Kinder früh und kostenfrei anbieten
  • längeres gemeinsames Lernen
  • Mentoring-Programme für benachteiligte Kinder fördern
  • Ganztagsangebote ausbauen und gezielt zur Förderung nutzen
  • mehr Inklusion, z.B. für Förderschüler
  • ein umfassendes Bildungsmonitoring ab der Kita
  • kleinere Klassen bzw. Lerngruppen


Die große Herausforderung besteht darin, das Geld nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern dafür zu sorgen, dass es wirklich jene Kitas, Schulen, Kinder und Familien erreicht, die es brauchen. Bisher mangelt es in Deutschland nicht an Geld und Programmen. Es gibt zahleiche Initiativen und Förderprogramme, die einzelne Schulen, Kommunen oder Landkreise adressieren. Was allerdings fehlt, ist ein Überblick: Welche Maßnahmen gibt es ? Was bewirken sie? Wo sind Doppelstrukturen vorhanden? Nehmen wir nur das Beispiel Schulsozialarbeit. An manchen Schulen werden sie durch den Träger finanziert, an anderen durch die Kommune, durch das Bildungsministerium oder das Sozialministerium. Einen Überblick, wie viel zusätzliches Personal dadurch geschaffen wurde und welchen Effekt es hat, gibt es nicht. Das will das Startchancen-Programm anders machen.

Es gibt weitere Ideen, die aber bisher nicht verfolgt wurden, weil sie zu stark in die Entscheidungsfreiheit von Eltern eingreifen, dazu gehören ein verpflichtendes Vorschuljahr und die bindende Wirkung der Bildungsempfehlung. Das hieße, das ein Kind mit Gymnasialempfehlung auch tatsächlich auf ein Gymnasium gehen muss. Denn wie oben bereits erwähnt, gibt es Eltern, die ihr Kind trotz sehr guter Leistungen lieber auf eine Oberschule schicken.


Digitalisierung als Lösung?

Können Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) Schule besser und gerechter machen? Was sie sicher nicht können: Lehrkräfte ersetzen. Was sie sehr wohl können: Lehrkräfte unterstützen – das beginnt bei der Stundenvorbereitung, die dank KI-Programmen einfacher und individueller möglich ist. Durch selbstlernende Programm ist es möglich, Kindern Aufgaben entsprechend ihres Lernlevels zu geben und sie dem Lernfortschritt anzupassen. Das kann eine Lehrerin für knapp 30 Kinder einfach nicht leisten – zumindest nicht in der Zeit, die ein Computerprogramm dafür braucht.

Dass die Digitalisierung nicht die Lösung aller Problemlagen an unseren Schulen sein wird, dass sie sogar neue Probleme schaffen könnte, zeigt ein Blick ins Ausland. Digitale Vorreiter wie Schweden und Dänemark haben jetzt einen Gang zurückgeschaltet. Das jeweils zuständige Ministerium hat empfohlen, die Nutzung von Smartphones während der Schulzeit komplett zu unterbinden und den Einsatz digitaler Medien im Unterricht genau zu prüfen. Sie sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn sie gegenüber analogen Medien einen Vorteil bringen. Schweden will zumindest an den Grundschulen wieder klassische Lehrbücher aus Papier anschaffen. In einer Studie des Karolinska Instituts in Stockholm kam heraus: Je mehr eine Schule ihren Unterricht auf digitale Medien stützt, desto schlechter ist die Leistung der Kinder, insbesondere in den Fächern Mathe und Deutsch.

Digitale Medien wird es auch weiterhin an Schulen geben – in Schweden und Dänemark genauso wie in Deutschland. Damit diese einen Mehrwert für Lehrende und Lernende haben, braucht es gute Konzepte und Programme, die tatsächlich einen Mehrwert im Vergleich zum analogen Arbeiten haben. Einen Text kann ich auch auf Papier lesen, ebenso einen Lückentext ausfüllen. Wenn ich aber ein Plakat zum Vortrag am Computer gestalte oder ein analog gelesenes Buch mit Hilfe von Power Point präsentiere, lerne ich den Umgang mit Hard- und Software und kann mehr Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Nicht zuletzt sollte Schule spätestens ab den weiterführenden Klassen Kindern beibringen, wie sie digitale Medien richtig nutzen, wie sie im Internet relevante und zuverlässige Quellen finden, wie sie Nachrichten von Fake News unterscheiden können und was die Vor- und Nachteile von KI-Programmen wie ChatGPT sind.

Kann Schule durch Digitalisierung gerechter werden und soziale Ungleichheiten mindern? Es gibt erste Vorschläge aus der Wissenschaft, computerbasierte Intelligenztests für die Bildungsempfehlung heranzuziehen – eben weil man weiß, dass Lehrkräfte nicht immer ganz objektiv bewerten.
Die UneS-Studie hat untersucht, wie es „Unerwartbar erfolgreichen Schulen“ (UneS) gelingt, trotz schwieriger Lage digitale Kompetenzen zu vermitteln. Die wichtigsten Ergebnisse: Sie sind erfolgreich, weil die Lehrkräfte strukturiert durch den Unterricht führen und dafür digitale Prozesse nutzen und im Sinne einer Vobildfunktion selbst digitale Medien nutzen. Zweitens fördern sie die Kinder individuell entsprechend ihres Lernstands und nutzen dafür Apps, Programme und ähnliche Tools. Drittens schaffen sie eine Kultur des Miteinanders und bieten zusätzliche Unterstützungsangebote an. Vieles davon lässt sich auch auf andere Lernbereiche abseits der digitalen Medienkompetenz übertragen und zeigt, wo Schulen ansetzen können.

Vielleicht ist es aber auch so, wie der Soziologe Hans-Peter Blossfeld im Interview mit der ZEIT sagt: „Wenn ein Problem so hartnäckig fortlebt, dürfte die Lösung komplizierter sein, als Politik, Öffentlichkeit, aber auch Wissenschaft meinen.“ Schnelle und einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Anpacken sollten wir es trotzdem – um unserer Kinder und ihrer Zukunft willen.


Lehre oder Leere?

Das Problem der Chancenungleichheit ist nicht neu, aber seit einigen Jahren kommt ein zweites nicht minder großes hinzu und es sorgt schon jetzt dafür, dass alle Kinder – unabhängig vom familiären Hintergrund – schlechtere Chancen auf Bildung haben: der Lehrkräftemangel. Wir haben in der lausebande schon häufig darüber berichtet, zuletzt in der Ausgabe September 2023. Zudem haben wir in der Ausgabe März 2024 über die Chancen und Herausforderungen in der frühkindlichen Bildung berichtet. Daher beschränken wir uns an dieser Stelle auf aktuelle Zahlen, die das Ausmaß des Mangels verdeutlichen und auf neu ergriffene Maßnahmen, mit denen mehr Personal für Schulen in Brandenburg und Sachsen gewonnen werden soll.

Im zurückliegenden Schuljahr fanden an sächsischen und Brandenburger Schulen je nach Zählweise und Definition sowie in Abhängigkeit von der Region und der Schulart zwischen 10 und 25 Prozent des Unterrichts nicht planmäßig statt. In einigen Ausnahmefällen musste sogar für ein Drittel der Stunden eine Vertretung gefunden werden. Die Stunden, die planmäßig (z.B. wegen Lehrkräftemangel) oder unplanmäßig (z.B. wegen Krankheit oder Streik) nicht gegeben werden konnten, wurden nur teilweise durch Vertretung aufgefangen. Das kann aber auch heißen, dass die Kinder Stillbeschäftigung hatten, dass fachfremder Unterricht erteilt wurde oder dass Klassen zusammengelegt wurden und eine Lehrerin 50 Kinder unterrichtet. Es gibt keine bundesweit einheitlichen Standards zur Erhebung von Unterrichtsausfall. Beispielsweise gibt es Bundesländer, die jene Stunden nicht als Ausfall erfassen, bei denen schon zu Schuljahresbeginn klar ist, dass sie nicht gegeben werden können – einfach weil das Personal fehlt. Daher sind die Zahlen für Sachsen und Brandenburg nur bedingt vergleichbar. Sie zeigen aber, welche Regionen und Schularten besonders betroffen sind.

Ein Hauptgrund für den häufigen Ausfall sind die fehlenden Lehrkräfte und der hohe Krankenstand. Das wird sich kurzfristig nicht bessern. Sachsen startet mit gut 1.000 Neueinstellungen ins neue Schuljahr – weniger als erhofft, wobei das Bildungsministerium keine Zahlen nennt, wie viele Lehrkräfte es gern eingestellt hätte. Stattdessen wird im Herbst der tatsächliche Bedarf an den Schulen erfragt und dann veröffentlicht. Im vergangenen Schuljahr gab es 1.120 Neueinstellungen, man hätte aber 2.200 gebraucht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht von einem Bedarf von etwa 3.500 Neueinstellungen für dieses Schuljahr aus – rechnet aber deutlich großzügiger als das Ministerium. In Brandenburg waren die Zahlen der Neueinstellungen zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Die Länder setzen weiterhin auf das Modell Seiteneinstieg, um die große Lücke zu füllen. Von den 1.033 Neueinstellungen in Sachsen haben 773 ein Lehramtsstudium abgeschlossen – das entspricht 75 Prozent.

Um mehr Lehrkräfte zu gewinnen, haben beide Bundesländer in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen ergriffen. Dazu gehört u.a. ein höheres Gehalt, eine Verbeamtung und Stipendien für ländliche Regionen oder älteres Personal (Brandenburg). Die Stundentafeln wurden gekürzt und in Brandenburg zuletzt auch die Zahl der zu schreibenden Klassenarbeiten.


Lehrkräfteausbildung in der Lausitz

Im Landkreis Görlitz, der fast flächendeckend vom Mangel betroffen ist, startete im Frühjahr an zunächst zwei Oberschulen ein Pilotprojekt. In Kooperation mit der TU Dresden absolvieren Lehramtsstudierende ihren Praxisteil an einem Tag in der Woche in den Schulen und unterrichten dort gemeinsam mit weiteren Studierenden kleine Lerngruppen. Das Modellprojekt, das in diesem Schuljahr auf zunächst fünf Oberschulen ausgeweitet wird, scheint eine win-win-Situation zu sein. An besonders stark vom Lehrkräftemangel betroffenen Schulen fällt weniger Unterricht aus, die Studierenden können ab dem 2. Semester regelmäßig Praxiserfahrungen sammeln und in kleinen Lerngruppen innovative Lehrformate jenseits des Frontalunterrichts ausprobieren. Da die Praxistage über mehrere Monate ein Mal pro Woche stattfinden und nicht einmalig als Blockpraktikum, sammeln die angehenden Lehrkräfte schon frühzeitig Praxiserfahrungen. Das könnte die Abbrecherquote während des Referendariats reduzieren. Im Idealfall binden sie sich während der Praktikumstage an die Schule und die Stadt und bleiben nach ihrem Studium dort. Hat das Projekt Erfolg und ist eine langfristige Finanzierung gesichert, könnte es auf weitere Schulen und Regionen ausgedehnt werden.

Bisher kann in Sachsen nur in Dresden, Chemnitz und Leipzig auf Lehramt studiert werden und viele der jungen Menschen bleiben nach dem Studium gleich in der Großstadt. Weil aber der Mangel in den ländlichen Regionen besonders groß ist, wird es ab dem kommenden Schuljahr ein Lehramtsstudium in der Lausitz geben. Eine entsprechende Vereinbarung haben der Freistaat, die Hochschule Zittau/Görlitz und die Universität Leipzig im Mai unterzeichnet. Die Leipziger Uni ist mit im Boot, da man Lehramt in Deutschland nur an einer Universität studieren darf. Die Vorlesungen finden in Zittau und Görlitz statt, ergänzt um digitale Angebote der Universität Leipzig.

Eine Besonderheit des neuen Studienangebots: Es verbindet das Lehramtsstudium für Oberschulen mit dem Erweiterungsfach des sonderpädagogischen Förderschwerpunktes Lernen. „Durch die einzigartige Kooperation der Universität Leipzig und der Hochschule Zittau/Görlitz bringen wir das grundständige Lehramtsstudium nach Ostsachsen und damit in eine der Regionen, wo der Bedarf an Lehrkräften in Oberschulen und Förderschulen besonders groß ist“, so Kultusminister Christian Piwarz. Zunächst stehen 60 Studienplätze zur Verfügung, gewählt werden kann aus den Fächern Mathematik, Deutsch, Biologie und Wirtschaft, Technik, Haushalt/Soziales. Die studienbegleitenden Praktika sollen in Schulen in der Oberlausitz absolviert werden. Interessierte Schulen können sich bei der Hochschule Zittau/Görlitz melden. Schon jetzt sei das Interesse da, so Katrin Lyko von der Hochschule. Auch von künftigen Studierenden gebe es bereits Anfragen. Bis das Studium im Herbst 2025 starten kann, müssen noch die entsprechenden Professuren geschaffen werden.


Erfolgreiches Pilotprojekt in Zittau: Lehramtstudentinnen der TU Dresden arbeiten in kleinen Lerngruppen mit Schülerinnen aus Zittau. Fotos: Rafael Sampedro

Eine weitere Möglichkeit für angehende Lehrkräfte in der Oberlausitz zu studieren, gibt es bereits seit 2022 – ebenfalls an der Hochschule Zittau/Görlitz: Dort führt der Studiengang Ingenieurpädagogik in sieben Semestern zum Bachelor of Engineering. Er kombiniert Inhalte aus dem Maschinenbau mit pädagogischen und didaktischen Inhalten. Durch eine Kooperation mit der TU Dresden haben die Studierenden im Anschluss die Möglichkeit, in der Landeshauptstadt noch vier Semester Lehramt an berufsbildenden Schulen zu studieren und sich so für den staatlichen Schuldienst in Berufsschulen zu qualifizieren.

Eine dritte Säule, um mehr Lehrkräfte für die Oberlausitz zu gewinnen, hat das Kultusministerium in Löbau verankert. Dort werden seit diesem Schuljahr Referendare für Oberschulen und Sonderpädagogik ausgebildet. Bereits seit 2019 wird in Löbau angehenden Grundschullehrkräften während ihres Vorbereitungsdienstes die Theorie vermittelt. Löbau ist die einzige Lehrerausbildungsstätte in Ostsachsen, die nächstgelegene befindet sich in Dresden.

In Südbrandenburg hat das Wissenschaftsministerium im vergangenen Jahr ein neues Lehramtsstudium an der BTU Cottbus-Senftenberg etabliert (s. Interview). Das Interesse ist groß: Allein für das neue Wintersemester ab Oktober gab es bereits bis Ende Juli für die vorgesehenen 120 Plätze knapp 400 Bewerbungen – die meisten aus Brandenburg (60%), Sachsen (20%) und Berlin (10%), aber auch 5 Prozent aus den alten Bundesländern. „Alle geeigneten Bewerber*innen, die einen Antrag auf Immatrikulation stellen, erhalten einen Studienplatz“, verspricht Studiengangleiterin Prof. Dr. Juliane Noack Napoles. Nach dem Start mit der Kombination Mathe/Deutsch werden zum kommenden Wintersemester weitere vier Fächerkombinationen angeboten: Mathematik/Englisch, Mathematik/Sachunterricht mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt, Deutsch/Englisch, Deutsch/Sachunterricht mit gesellschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt. Für das Wintersemester 2025/26 laufen bereits die Planungen, um dann auch die Fächer Sport, Musik und Kunst studieren zu können.


Begrüßung die ersten Studierenden im neuen Studiengang „Lehramt Primarstufe“ im Oktober 2023. © BTU, Ralf Schuster

Die Lehrkräfteausbildung in der Lausitz ist ohne Frage der richtige Schritt, allein: Er kommt für die meisten Kinder, die jetzt zur Schule gehen, zu spät. Da parallel die Zahl der Kinder an den Schulen noch immer ansteigt – insbesondere an den weiterführenden Schulen – werden Themen wie Unterrichtskürzung, Stundenausfall und Vertretung Familien noch für einige Jahre begleiten. Es liegt also nicht zuletzt an uns Eltern, unsere Kinder durch diese Mangelzeit zu begleiten und wenigstens einige der drohenden Lernlücken zu stopfen. Daher geben wir zum Abschluss dieses Titelthemas noch einige Anregungen für (spielerische) Bildung zu Hause.


Wie können Eltern ihre Kinder fördern? Praxistipps für zu Hause

Kinder kann man bereits ab dem ersten Lebensjahr fördern – indem man mit ihnen redet, ihnen eine anregungsreiche Umgebung schafft, mit ihnen Reime und Fingerspiele macht, ihnen vorsingt und vorliest. Je älter die Kinder werden, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich. Ein einfaches Mittel, das auch bei begrenztem Familienbudget möglich ist, sind gemeinsames Basteln und Experimentieren. Hier gibt es unzählige Anregungen und Ideen im Internet (z.B. über Haus der kleinen Forscher oder Geolino). Außerdem bekommen Kinder viele neue Eindrücke und Anregungen, sobald sie das Haus verlassen: im Garten oder Park, auf dem Spielplatz oder Fußballplatz, im Wald oder Zoo, im Museum und Konzert, im Theater oder Zirkus, im Schwimmbad oder Kletterpark, im Planetarium oder Escape Room, beim Wandern oder Geocaching. Bei solchen Aktivitäten werden nicht nur kognitive Leistungen gefördert, sondern auch motorische und soziale. Tipps, wohin der nächste Familienausflug gehen kann, finden sich unter: www.familien-ferien-lausitz-spreewald.de.

Motivieren Sie Ihr Kind, sich etwa ab dem Grundschulalter ein Hobby in einem Verein oder bei einem freien Träger zu suchen. Wenn Kinder etwas gefunden haben, das sie wirklich interessiert, sind sie in der Regel auch engagiert dabei. Kinder, die es in der Schule etwas schwerer haben, können bei einem solchen Hobby wichtige Erfolgserlebnisse sammeln.

Vorlesen & Lesen

Einer der Punkte, der uns als lausebande besonders am Herzen liegt, ist die Leseförderung. Die erste Ausgabe der lausebande, die im April 2011 erschienen ist, hat sich genau mit diesem Thema beschäftigt und bis heute veröffentlichen wir in jedem Magazin Lesetipps für Kinder und Jugendliche. Dass Lesen eine Grundkompetenz für Erfolg in der Schule (nicht nur in Deutsch, sondern in fast allen Fächern) und im späteren Berufsleben ist, darüber sind sich Fachleute einig. Angesichts der teils katastrophalen Ergebnisse bei der Lesekompetenz in den letzten Bildungsstudien fordern einige von ihnen einen Fokus genau darauf: Kinder sollen besser lesen lernen. Das Land Sachsen hat darauf bereits reagiert und mit Beginn dieses Schuljahres eine zusätzliche Deutschstunde pro Woche für Zweitklässler angeordnet. Sie haben jetzt 7 statt 6 Stunden Deutschunterricht pro Woche. Im kommenden Schuljahr sollen weitere Anpassungen erfolgen.


Die Stiftung Lesen engagiert sich seit Jahren dafür, dass Kindern regelmäßig vorgelesen wird – am besten durch die Eltern. © Stiftung Lesen_BMBF_Tamara Jung-König

Zusätzlich braucht es die Unterstützung aus dem Elternhaus. Die sollte schon beginnen, bevor das Kind überhaupt weiß, was Buchstaben sind. Regelmäßiges Vorlesen gilt als ein Indikator für bessere Leseleistungen in der Schule. Spätestens, wenn die Kinder in der Schule das fließende Lesen von Texten lernen, heißt es: üben, üben, üben. Nur durch regelmäßiges lautes Lesen – und das heißt im Idealfall zehn Minuten pro Tag – werden Kinder mit der Zeit zu guten Lesern. Das brauchen sie nicht nur, um irgendwann selbständig Bücher zu lesen, sondern um Textaufgaben in Mathe, Biologie und Geschichte zu verstehen und bearbeiten zu können. Am Anfang kann ein Belohnungssystem den Kindern helfen, motiviert dran zu bleiben. Teilweise bieten das die Grundschulen in Form von Lesepass oder Leseraupe an, ansonsten kann man das einfach zu Hause umsetzen. Hier sind zwei Ideen: Auf ein A4-Blatt 21 Kästchen malen. Für jedes Mal zehn Minuten Lesen darf das Kind einen Stempel auf ein Kästchen machen. Nach sieben Stempeln gibt es eine kleine Belohnung. Für die zweite Idee braucht es einen Pfeifenputzer/Chenilledraht oder ein dickes Stück Geschenkband und ein paar Perlen. Für jede erfolgreiche Leseeinheit darf das Kind eine Perle auffädeln und erhält nach sieben Perlen eine kleine Überraschung. Zusätzlich hilft es, anfangs spezielle Leselern-Bücher zu nutzen. Diese verwenden besonders große Schrift, trennen die Silben graphisch und arbeiten teilweise mit Bildern statt Worten. Manchmal hilft es auch schon, wenn Kind und Elternteil immer im Wechsel vorlesen – auch dafür gibt es spezielle Bücher – mit großer Schrift für die Kleinen und kleiner Schrift für die Großen. Nicht zuletzt hilft es ungemein, wenn Sie sich gemeinsam mit Ihrem Kind spannende Bücher aussuchen. Es gibt eine große Auswahl an Leselern-Büchern zu fast allen Interessensgebieten. Hier lohnt ein Besuch in der örtlichen Bibliothek. Neben der so wichtigen Kompetenz des Lesens und Verstehens hat das Lesen viele weitere positive Nebenwirkungen: es vergrößert den Wortschatz, verbessert Rechtschreibung und Grammatik, fördert die Kreativität, Phantasie und Konzentration – und bei der richtigen Lektüre das Allgemeinwissen. Es erweitert den Horizont und hilft bei Stressabbau. Um größere Kinder und Jugendliche zum Lesen zu motivieren, können Comics oder Mangas helfen. Auch hier ist die Auswahl groß. Comic-Romanreihen wie Gregs Tagebuch oder Lotta-Leben erreichen selbst Lesemuffel. Sogar das Tagebuch der Anne Frank gibt es mittlerweile in einer Version mit Sprechblasen. Übrigens: Wenn auch die Eltern ab und zu mal in einem Buch schmökern, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch das Kind früher oder später Interesse am Buchlesen zeigt. Studien zeigen, dass Kinder aus Haushalten mit vielen Büchern besser lesen können. Noch ein Tipp zum Schluss: Stellen Sie das Vorlesen nicht ein, sobald Ihr Kind selbst lesen kann. Wenn alle weiterhin Freude daran haben, spricht nichts dagegen, auch älteren Kindern noch regelmäßig vorzulesen.


Begleitung während der Schulzeit

Wenn das (erste) Kind in die Schule kommt, ändert sich vieles im Familienalltag. Es kommen neue Aufgaben hinzu wie das Ranzenpacken, das Erledigen von Hausaufgaben und das Lernen für Arbeiten. Hier müssen Eltern einen gesunden Mittelweg zwischen Selbständigkeit und Unterstützung finden. Die Hausaufgaben und Vorträge sollen schließlich von den Kindern erledigt werden, nicht von den Eltern. Idealerweise wird die Begleitung und Hilfestellung während der Grundschulzeit immer weniger, so dass die Kinder ab der weiterführenden Schule ihre Schulaufgaben weitgehend allein bewältigen.

So können Eltern Schulkinder unterstützen:

  • eine ordentliche Lernumgebung schaffen (z.B. eigener, aufgeräumter Schreibtisch)
  • bei Bedarf bei den Hausaufgaben helfen
  • Hausaufgaben kontrollieren
  • lautes Lesen üben
  • ab Klasse 2 das kleine Einmaleins
  • auswendig lernen
  • vor Tests und Klassenarbeiten abfragen
  • nicht verstandenen Unterrichtsstoff erklären
  • bei Bedarf bei Vorträgen und Projektarbeit unterstützen
  • Kindern zeigen, wie und wo sie im Internet relevante und zuverlässige Informationen finden
  • Bildung von Lerngruppen mit Mitschülern unterstützen
  • Einkaufszettel oder Postkarten schreiben lassen, um das Schreibenlernen zu fördern


Spielerisches Lernen: Projekte für Zuhause

Am besten lernen Kinder, wenn sie für ein Thema brennen und wenn sie gar nicht merken, dass sie lernen. Dieses spielerische Nebenher-Lernen greifen Kitas auf, in den Schulen geht es durch den Frontalunterricht leider oft verloren. Familien können die positiven Effekte des Nebenher-Lernens für kleine Projekte zu Hause nutzen. Hier ein paar Anregungen, die sehr einfach umsetzbar sind:

Gartenprojekt: Pflanzen Sie im Garten, auf dem Balkon oder Fensterbrett ein paar Blumen und Obst oder Gemüse ein. Lassen Sie die Kinder vom Samen bis zur Frucht verfolgen, wie eine Pflanze entsteht. Testen Sie, was passiert, wenn Sie nicht gießen oder die Pflanze kein Licht bekommt.

Papierflieger: Falten Sie aus weißem oder buntem Papier Flieger in unterschiedlichen Varianten und testen Sie anschließend, welcher Flieger am weitesten fliegt. Anleitungen dazu findet man im Internet.

Kuchenbacken: Wenn das Kind beim gemeinsamen Backen die Zutaten abwiegen oder abmessen und verrühren darf, lernt es nebenher Größen und Gewichte kennen. Wenn man Muffins statt Kuchen bäckt, dann ist der Effekt noch größer, da der Teig gleichmäßig auf mehrere Förmchen verteilt werden muss.

Theateraufführung: Lassen Sie die Kinder ihr Lieblingsmärchen oder ihre Lieblingsserie nachspielen. Dazu braucht es nicht viele Utensilien, vieles davon findet sich im Kinderzimmer oder in der Küche. Das passende Kostüm wird aus der Faschingskiste oder aus dem Kleiderschrank geholt. Nach den Proben wird das Stück den (Groß-)Eltern im heimischen Wohnzimmer oder Garten aufgeführt.

Turmchallenge: Wer schafft es, den höchsten Turm zu bauen. Bei diesem Wettstreit können Eltern und Kinder oder Geschwister gegeneinander antreten. Geeignetes Baumaterial können Legosteine, Holzbausteine, Steine, Stöcker, leere Toilettenpapier-Rollen oder Zahnstocher sein.

Instrumentenbau: Das ist einfacher, als es klingt. Aus einer leeren Tempo-Box, um die ein paar Haushaltsgummis gespannt werden, wird eine Gitarre. Aus einem Dutzend Plastikstrohhalmen, die immer etwas kürzer geschnitten und dann mit Klebestreifen der Größe nach nebeneinander befestigt werden, wird eine Panflöte. Eine Rassel lässt sich herstellen, indem ein leeres gelbes Ü-Ei, eine Butterdose oder eine zugeklebte leere Küchenrolle mit Reiskörnern oder Linsen gefüllt und anschließend gestaltet wird.

Wenn die Zeit für solche Projekte knapp ist, gibt es noch die digitalen Helferlein. Es gibt zahlreiche gute Internetseiten und Apps, mit denen Kinder altersgerecht lernen können. Eine Übersicht über gute Seiten haben wir zuletzt in der Ausgabe Juni 2024 der lausebande veröffentlicht:

Zur Übersicht

Nachhilfe als Alternative

Die eben aufgelisteten Tipps helfen natürlich nicht bei schweren Problemen in der Schule, bei großen Lernrückständen und Wissenslücken. Unabhängig davon, ob diese durch Unterrichtsausfall entstanden sind, kann hier externe Unterstützung die entspanntere Alternative für alle Beteiligten sein. Dort können gezielt punktuelle Lücken gefüllt, Themen vertieft oder Verständnisfragen geklärt werden. Studienkreis und Schülerhilfe sind zwei der größeren Anbieter mit Standorten in vielen Städten. Es lohnt sich aber auch, vor Ort nach alternativen Anbietern zu schauen. Familien, die Anspruch auf die oben erwähnten Leistungen für Bildung und Teilhabe haben, können die Kostenübernahme für die externe Nachhilfe beantragen. Eine flexiblere Alternative ist Online-Nachhilfe. Anbieter sind beispielsweise neben o.g. Instituten Lernigo, HeyTimi und Easy-Tutor. Außerdem bieten einige Schulen Förderunterricht, Nachhilfe oder Lernpatenschaften an.


Grafik: © Studienkreis