Alles über Tanzen für Mädchen und Jungen
Kinder wollen sich bewegen und das sollen sie auch. In dem sie überall herumkrabbeln und später laufen, erfahren sie Unmengen über sich und ihr Umfeld. Sie lernen die Welt kennen, in der sie leben. Um diesem Bewegungsdrang Rechnung zu tragen, gibt es vielfältige Möglichkeiten. Eine davon ist der Tanz. Tanzen fördert das eigene Körpergefühl und verschafft somit eine andere, eine selbstbewusstere Art der Bewegung – auf dem Parkett und im alltäglichen Leben. Wer selbstbewusst durchs Leben tanzt und geht, der hat automatisch eine ganz andere Ausstrahlung auf andere Menschen, kann offener in Situationen gehen. Das sind nur wenige positive Nebeneffekte des Tanzes und des Tanzsports. Verschiedene entwicklungs- und neuropsychologische Ursachen und Zusammenhänge sorgen dafür, dass sich Tanz als intensive Art der Bewegung derartig auswirken kann.
Tanzen entwickelt das Gehirn
Kinder können sich tänzerisch eigene Räume schaffen. Sie können sich selbst erleben, körperlich ausdrücken und Empfindungen verarbeiten. Das ist kein Geheimnis, dass sich einzig und allein der Tanz zuschreiben kann – dabei handelt es sich um eine Eigenschaft, die vielen Sportarten und auch der Kunst inne wohnt, sei es Malerei, Poesie oder Ähnliches.
Vielleicht haben Sie und Ihr Partner (Ihre Partnerin) schon einmal gemeinsam einen Tanzkurs in Sachen Gesellschaftstanz besucht. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie dabei festgestellt hätten, dass die Damen immer mitführen möchten und die Herren sich irgendwann heillos überfordert zeigen. Das sollte Sie nicht abschrecken, nicht umsonst sagen viele Tanzlehrer gerne, dass die Damen einfach die Augen schließen und nichts weiter machen sollen, als sich führen lassen. Der Herr dagegen hat alle Hände voll zu tun: Tanzhaltung aufrecht erhalten (ordentliches Muskeltraining), Schritte merken (ordentliches Gehirntraining) und die Frau in den Armen auch noch führen (ordentliches Kommunikationstraining). Das sind nur ein paar Fallstricke. Sie sehen, wie schwer das Tanzen Erwachsenen fallen kann. Doch wie heißt es so schön: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Und da ist in diesem Falle viel Wahres dran. Zumal es beim Tanzen viel zu lernen gibt.
Wenn Sie sich als Eltern diesen facettenreichen Anspruch vorstellen, können Sie erahnen, dass die tänzerische Bewegung einige Anforderungen an das Gehirn stellt.
Das mit dem Tanzen enorme geistige Leistungen verbunden sind, bemerkte nicht zuletzt der amerikanische Gehirnforscher Steven Brown. Er überprüfte, welche Regionen im Gehirn aktiv werden, wenn der Körper tanzt. Dazu legte er Probanden in einen Kernspintomographen. Heraus kam, dass erwartungsgemäß die motorischen Regionen im menschlichen Gehirn aktiviert wurden. Darüber hinaus wurde eine starke Aktivität im Precuneus festgestellt. Dabei handelt es sich um den Bereich im Gehirn, der für die Orientierung und den Raumsinn eines Menschen wichtig ist. Ein Ergebnis dieser Studie war, dass Tänzer ein deutlich besseres Vermögen als Nicht-Tänzer besitzen, sich durch den Raum zu bewegen. Das wurde auch in weiteren Studien festgestellt. Elizabeth Spelke von der Harvard University setzt sogar noch einen oben drauf: Tanzende Kinder verfügen nach ihrer Studie über ein besseres räumliches Denken als ihre nicht-tanzenden Altersgenossen. Das macht sich auch in der Schule bemerkbar, zumindest in Geometrie. Kinder, die schon lange tanzen, haben auf diesem Gebiet weit bessere Noten. Der besonders positive Nebeneffekt bei tanzenden Kindern (und Erwachsenen) scheint zu sein, dass der Precuneus sehr eng mit anderen Hirnregionen zusammenarbeitet. Das wären zum Beispiel: Gedächtnis und Lernen sowie Emotionen und Sprachen. Küchenpsychologisch gesprochen kann also davon ausgegangen werden, dass tanzende Kinder besser lernen, kommunizieren, sich bewegen, geometrische Zusammenhänge begreifen und noch weitere Vorteile genießen.
Die Auswirkungen lassen sich auch an anderen Beispielen festmachen: Tanzende Kinder haben in der Regel beim Erlernen eines Musikinstrumentes kaum Probleme, ebenso wie andersherum. Denn beim Tanzen und beim Erlernen eines Instrumentes werden gleiche sensomotorische Fähigkeiten verlangt.
Tanzen hilft darüber hinaus beim Imitieren. So aktiviert schon die Vorstellung zu Tanzen exakt die Regionen im Gehirn, die beim tatsächlichen Tanz angesprochen werden. Wer imitieren kann, kann von anderen lernen und andersherum auch anderen etwas zeigen und beibringen.
Im Jahr 2006 konnte der Psychologe Petrides feststellen, dass Ballett-Tänzer auch in emotionalen Bereichen bestens abschneiden. Je besser sie ihre Schritte beherrschen, umso ausgeprägter sind ihre charakterlichen Eigenschaften in Sachen Emotion und sozialen Fähigkeiten wie Empathie oder Eigenmotivation. Zudem wirkt sich der intensive Tanz in höherer Konzentration und einer besseren Aufmerksamkeitsspanne aus.
Wer sich auch in hohem Alter noch an diesen Artikel erinnern möchte, dem sei ebenfalls ein Besuch in der Tanzschule angeraten: Tanzen beugt dem Risiko vor, an Demenz zu erkranken. Weit besser, als ein Kreuzworträtsel zu lösen und das ein oder andere Buch zu lesen.
Hals- und Beinbruch
Was sich liest wie ein Wundermittel gegen alles und jeden, ist am Ende des Tages „nur“ ein Ergebnis von intensiver Beschäftigung, Begeisterung und Sport. Spaß muss es machen, ansonsten gibt es auch keine guten Noten in Geometrie. Hinzu kommt, dass die tänzerische Ausbildung, sei es zur reinen Freizeitbeschäftigung, sei es für höhere Ziele mit professioneller oder gar späterer beruflicher Perspektive, fundiert und professionell betreut werden sollte. Tanz beansprucht den ganzen Körper. Wie bei jedem Sport kann dabei sehr viel schief gehen, insbesondere bei Kindern im Wachstum. Schon die Liste der „Berufskrankheiten“ von Tänzern liest sich wie ein Gruselmärchen: Dabei ist von geschädigten Nerven in den Füßen, verdrehten Knien und Hüften, gestörtem Stoffwechsel, blockierten Wirbelsäulen und vielem mehr die Rede. Dass es tatsächlich zu körperlichen Schädigungen kommen kann, ist aber nicht für alle Kinder gleichermaßen der Fall. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel: Fitness des Kindes, Aufwärmen vorm Tanzen, Intensität des Trainings, etc.
Viele Eltern fragen sich, ab welchem Alter Kindern welcher Tanz zumutbar ist. Auch hier fällt die Antwort wie bei vielen anderen Sportarten aus: Das ist zum großen Teil vom Kind abhängig. Deshalb ist es gerade beim Tanzunterricht mit Kleinkindern wichtig, einen professionellen Tanzlehrer in Anspruch zu nehmen und auf seine Kinder zu hören. Kinder sind ehrlich und offenbahren Schmerzen und körperliche Probleme, wenn Eltern ihnen zuhören und das ernstnehmen.
Das richtige Tanzalter
Tanzen können Kinder von kleinauf. Die rhythmische Bewegung können Eltern nicht früh genug fördern. Die Frage nach dem Alter stellt sich aber spätestens dann, wenn es um die Anmeldung zu einem Tanzkurs geht oder zum Tanzsport geht.
Vor dem dritten Lebensjahr sollten Kinder keinesfalls mit dem Tanzsport beginnen. Wer noch nicht einmal sicher stehen und laufen kann, der sollte noch keinen außenseitigen Wechsel beim Walzer aufs Parkett zaubern. Der kindliche Körper muss sich soweit entwickelt und gefestigt haben, dass er solchen und schwereren Figuren gewachsen ist. Für die meisten Tanzarten gibt es zudem spezielle Schuhe. Auch hier ist es nicht sinnvoll, kleinen Ballerinas zu kleine, zu enge Schuhe an die Füße zu binden oder für den Gesellschaftstanz hohe Hacken im Tanzkinderkleiderschrank zu haben. Wenn Sie Zweifel haben, sprechen Sie am besten mit Ihrem Kinderarzt, er kann in jeder Fragestellung den passenden Experten einbinden.
Wichtig ist beim großen Anspruch des Tanzes ans Gehirn, dass Kinder entsprechend aufnahmefähig sind. Je jünger das Kind ist, desto spielerischer sollte der Tanzunterricht aufgebaut sein. Ein Dreijähriger kann keine komplette, ausgefeilte, zehnminütige Choreographie verarbeiten – und wenn doch, verursacht das Stress und führt zur Überbeanspruchung. Das frustriert das Kind und bringt niemandem Spaß.
Eltern, die erwägen, ihre Kinder „ins Ballett“ zu geben, sollten einiges beachten. Empfehlenswert ist eine Schule dann, wenn die Person, die unterrichtet, eine (tanz)pädagogische Ausbildung hat, was leider nicht die Regel ist. Eltern sollten gemeinsam mit ihrem Kind die Schule auswählen und ruhig auch mal bei einem Training zuschauen. Wo jedoch ständig Eltern präsent sind, werden Kinder zu stark abgelenkt. Mit klassischem Ballett sollte zudem nicht vor der Einschulung begonnen werden, sondern erst etwa ab der zweiten oder dritten Jahrgangsstufe in der Grundschule. Davor können die Koordination und Musikalität durch andere Arten von Tanz, etwa den zeitgenössischen kreativen Kindertanz, geschult werden.
Spitzentanz darf erst aufgenommen werden, wenn die Knochen hart genug sind, also nicht vor dem elften Lebensjahr. Bevor ein Mädchen seine ersten Spitzenschuhe anzieht, muss es mindestens schon drei bis vier Jahre trainiert haben. Dreimal die Woche ein Training von ein bis anderthalb Stunden reicht für ein Kind aus. Es sollte maximal in Halbjahres- oder Jahresschritten gesteigert werden.
Entwickelt ein Mädchen den Wunsch, Tänzerin zu werden, sollten die Eltern es früh, mit 12 bis 14 Jahren, zu einer Eignungsprüfung an einer staatlichen Schule anmelden – auch um zu sehen, wo das Kind mit seiner bisherigen Ausbildung steht. Wichtig ist dabei auch eine gezielte medizinische Untersuchung, und, je nach Befund, mindestens eine Kontrolluntersuchung ein Jahr später.
Natürlich kann es sein, dass Kinder, Eltern und Trainer der Ehrgeiz packt. Doch viele von Ihnen werden sicher „Black Swan“ gesehen haben oder mit der Berichterstattung über die sogenannten „Eislaufmütter“ vertraut sein, die ihre eigenen vergeblichen Kindheitsträume auf ihre Kinder projizieren und mit übertriebenem Ehrgeiz und ohne das Dulden von Schwäche von einem Wettbewerb zum nächsten rennen. Dieses (kranke) Phänomen gibt es in jeder Sportart und in allen Bereichen, in denen ein Kind etwas „Großes“ erreichen kann. Wichtiger als sein Kind in eine Richtung zu drillen, ist es, ihm Freiräume zur eigenen Entwicklung zu geben und auf seine Wünsche zu hören. Wenn es Ballerina oder weltbester Breakdancer werden möchte – bitteschön. Es spricht nichts gegen Ehrgeiz und Disziplin, es sollte nur in gesunden Bahnen stattfinden. Wer etwas erreichen möchte, muss dafür natürlich arbeiten. Aber Kindern reichen meist schon kleine Erfolge für ihre Bemühungen. Wenn eine einstudierte Choreographie den Eltern vorgetanzt werden kann oder ein etwas größerer Auftritt vor fremden Menschen ansteht, fühlen sich die Kleinen meist schon wie ganz große Stars.
Elias (1) und Martin (27)
Elias ist noch sehr jung, aber natürlich stelle ich mir schon das eine oder andere Hobby für ihn vor. Trotzdem warte ich ab, wie sich seine Interessen entwickeln. Wir werden ihn zu nichts drängen. Seitdem er stehen kann, tanzen wir immer wieder miteinander – ein bisschen rumzappeln und mit dem Hintern wackeln, geht immer. Es gibt für mich, als Vater, angenehmere Vorstellungen, als einen Sohn, der Ballett tanzt. Wenn es sein Wunsch sein sollte, kann er das trotzdem mit meiner vollen Unterstützung machen.