Schreibschrift oder Grundschrift – wer gewinnt?
In der Schule lernen wir für unser Leben. In diesem beliebten Satz von Lehrern steckt viel Wahrheit. Doch manchmal ist später einiges ganz anders als in unzähligen Unterrichtsstunden und Hausaufgaben gelernt. Vielen Eltern ist zum Beispiel die neue deutsche Rechtschreibung noch immer nicht ganz geheuer. Auch wenn sie in die Schreibhefte ihrer Schulkinder schauen, scheint einiges irgendwie ungewohnt. Wo früher Schnörkel und Häkchen fast liebevoll die Buchstaben verbanden, stehen heute immer öfter A, B, C und Co. getrennt nebeneinander. Die neue Grundschrift macht sich auf den Weg, die altbekannte Schreibschrift an deutschen Grundschulen abzulösen. Während sich einige Lehrer darüber freuen, beschwören Kritiker den Untergang unserer Schriftkultur herauf. Doch was ist dran an der neuen Grundschrift, ist sie Segen oder Fluch?
Von den Druckbuchstaben zur persönlichen Handschrift
Um es gleich vorweg zu nehmen, eine definitive Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es ist vielmehr hilfreich, erst einmal die Ausgangslage an unseren Grundschulen zu beleuchten. Nach wie vor bleibt die Druckschrift die erste Schrift, die von den Kindern erlernt wird. Im Anschluss daran soll – wie auch bisher – eine gut lesbare, verbundene Schrift eingeübt werden. Im Schreibunterricht sollen sie dann ihre persönliche Handschrift entwickeln. Das ist alles andere als ein Kinderspiel, schließlich sehen die geschriebenen Buchstaben anders aus als die Druckbuchstaben. Um die Sache noch zu erschweren, gibt es mit der neuen Grundschrift vier unterschiedliche Schreibschriften. Egal welche Schreibschrift an der jeweiligen Grundschule unterrichtet wird, wichtig ist, dass die Handschrift flüssig geschrieben wird und gut lesbar ist. Schauen wir uns die vier Schreibschriften näher an.
Die Lateinische Ausgangsschrift
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Lateinische Ausgangsschrift in den 1950er Jahren eingeführt. Es ist eine sehr geschnörkelte Schrift und daher für manche Kinder anfangs kaum zu bewältigen. Ziel dieser Schreibschrift ist, dass möglichst alle Wörter in einem Zug geschrieben werden. So sollen die Kinder ohne Schreibdruck und Verkrampfungen schreiben. Die Lateinische Ausgangsschrift sieht keine „Haltestellen“ zur Entspannung der Schreibhand vor. Deshalb sollten die Kinder dabei unterstützt werden, bewusst individuell günstige Punkte zum Anhalten zwischen den Buchstaben zu finden.
Schulausgangsschrift
Die Schulausgangsschrift wurde 1968 in der DDR als verbindliche Schreibschrift eingeführt. Damals wurde großer Wert auf das Schönschreiben gelegt. Die Lehrer waren entsprechend ausgebildet und mussten selbst vorbildlich schreiben können. Die Großbuchstaben sind der Druckschrift angenähert und bieten dadurch den meisten Kindern keine besonderen Schwierigkeiten. Die Kleinbuchstaben jedoch haben einige potenzielle Problemstellen, u. a. durch die verschiedenen Verbindungsstriche, die zur Anbindung der unterschiedlichen Buchstaben in einem Wort notwendig sind. Darüber hinaus gibt es viele Deckstriche die exakt deckungsgleich geschrieben werden müssen, damit die jeweils definierende Buchstabenform erhalten bleibt.
Vereinfachte Schulausgangsschrift
Mit etwas weniger Schnörkeln wurde 1969 die Lateinische Ausgangsschrift vereinfacht. Die geschriebenen Buchstaben ähneln mehr den Druckbuchstaben. Bei der vereinfachten Ausgangsschrift sind die sogenannten „Haltepunkte“ immer wieder die Anfangspunkte der Buchstaben. Bei der Vereinfachten Ausgangsschrift beginnen und enden fast alle Kleinbuchstaben an der gleichen Stelle. Das Erlernen der Buchstabenverbindungen wird dadurch erleichtert. Unter den ruckweisen Übergängen leidet jedoch der Schreibfluss.
Die Grundschrift – (k)eine neue Schrift
Aus über 30 Jahren Erfahrungen im Schreibunterricht an Grundschulen machen sich seit 2011 Lehrer, Wissenschaftler und Studierende im Grundschulverband e.V. stark für eine vereinfachte Schreibschrift. Die Grundschrift möchte Vorteile der Druck- und Schreibschrift vereinen, so dass das Erlernen von zwei Schriften in Klasse 1 und 2 überflüssig wird. Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift aus entwickelten bisher die Kinder individuell ihre persönliche Handschrift. Die Grundschrift ist eine Buchstabenschrift, die die einzelnen Buchstaben beliebig miteinander verbindet. Ziel ist es, dass die Kinder dort abgeholt werden, wo sie schon stehen. Kinder entdecken schon vor ihrem ersten Schultag die Schrift: überall in ihrer Umwelt finden sie Schriften. Sie beobachten, wie größere Kinder und Erwachsene lesen und vorlesen, wie sie Notizen, Einkaufszettel, Unterschriften, SMS schreiben, wie ältere Geschwister ihre Hausaufgaben machen. Je alltäglicher die Kinder dies erfahren, desto eher beginnen sie auch, selber zu schreiben: Kritzelbriefe zuerst, abgemalte Buchstaben, ihren Namen, Wunschzettel, Briefe. Auffällig ist, dass sie dabei oft die gedruckten Großbuchstaben verwenden. So wie die Kinder ihren Weg in die Schrift begonnen haben, so sollte er in der Schule weitergeführt werden, sagen die Befürworter der Grundschrift. Entscheidend ist bei der Grundschrift nicht die Schriftform, sondern das pädagogische Konzept, das grundsätzlich auch mit anderen Formen der Druckschrift realisiert werden kann: Die persönliche Handschrift der Kinder wird direkt aus den Druckbuchstaben entwickelt – ohne Umweg über eine verbundene Ausgangsschrift. Die Grundschrift soll den Kindern dabei möglichst große Freiheit geben, wie sie die Buchstaben verbinden.