Klartext: Lausitzer Strukturwandel
Warum viele aktuelle Diskussionen ins Leere laufen.
Empfehlungen :: Seite 38
Seit Monaten ist klar, dass der Lausitz in Sa-
chen Braunkohle und Industrielandschaft
weitere negative Veränderungen bevorste-
hen. ImHerbst wird durch ein Gesetz der Bundesregie-
rung entschieden, wie gravierend sich der Einschnitt
mit der Einführung der sogenannten Kapazitätsreser-
ve in der Lausitz gestalten wird. Sicher ist schon jetzt,
dass die Lausitz wesentliche Einschränkungen hin-
nehmen muss, die sich nicht nur auf wirtschaftliche
Bereiche auswirken. Diese Entwicklung wird von im-
mer mehr Initiativen, Diskussionsforen und Medien-
berichten zu einem notwendigen Strukturwandel in
der Lausitz begleitet. In der öffentlichen Diskussion
manifestiert sich ein Bild, als müsse die Lausitz end-
lich aus ihrer Lethargie erwachen, sich von der Braun-
kohle verabschieden und wandeln. Aber was ist dran,
am notwendigen Strukturwandel?
Das Märchen vom notwendigen Strukturwandel
Wer sich die Mühe macht, die Entwicklung der Lausitz
seit der Wende auch nur oberflächlich zu analysieren,
der kann über den aktuellen Ruf nach einem Struktur-
wandel nur den Kopf schütteln. Seit 1990 haben über
200.000 Menschen die Lausitz verlassen. Städte wie
Hoyerswerda und Weißwasser haben seitdem mehr
als die Hälfte ihrer Einwohner verloren. Selbst Cottbus
hat ein Drittel seiner Bevölkerung verloren, was bereits
mit Eingemeindungen „schön gerechnet“ ist. Ganze
Industrien wie die Textilindustrie sind verschwunden,
vor allem aber Jobs in der Braunkohleindustrie. Wur-
den zur Wende im Osten noch jährlich 300.000 Ton-
nen Braunkohle gefördert und vorwiegend verstromt,
sind es heute nicht einmal mehr 70.000 Tonnen. Den
Bärenanteil an dieser Verringerung hat die Lausitz ge-
schultert und dabei zehntausende Arbeitsplätze abge-
baut. Es ist krass, was seit der Wende in der Lausitz be-
wältigt werden musste.
Da klingt es fast wie Hohn, wenn politische Entschei-
dungsträger und Bedenkenträger der Umweltverbände
jetzt nach einem notwendigen Strukturwandel rufen.
Wir stecken doch in der Lausitz seit 25 Jahren schon
mittendrin. Wir haben damit übrigens auch die Haupt-
last für ganz Deutschland geschultert, was die Einspa-
rung an CO2-Emissionen angeht. In Wahrheit ist der
überwiegende Teil der CO2-Ersparnis, mit der sich
Deutschland gern international zur Schau stellt, ein
Ergebnis der Deindustrialisierung des Ostens und des
Rückbaus der östlichen Bergbaureviere, insbesonde-
re in der Lausitz.
Wir brauchen also keinen „neuen“ Strukturwandel,
sondern einen realistischen Plan, wie der bereits seit
zweieinhalb Jahrzehnten laufende Strukturwandel
unter den erneuten politischen Einflüssen erfolgreich
fortgesetzt werden kann.
Denn genau hier steckt der offensichtliche Denkfehler
in der aktuellen Debatte: Der immense Strukturwan-
del seit der Wende hat nie an der grundlegenden Basis
der Lausitz gerüttelt. Die Braunkohleindustrie war der
Grundpfeiler für den Erfolg. Ihre Wertschöpfung half,
denWegfall anderer Industrien zu kompensieren. Zu-
dem flossen nach der Wende enorme finanzielle Mit-
tel über Transferleistungen in die Neuen Bundeslän-
der, von denen auch die Lausitz in vielen Bereichen,
insbesondere in der Verkehrsinfrastruktur, profitierte.
Der Strukturwandel in der Lausitz hat bis heute also er-
folgreich funktioniert, weil wir dieWertschöpfung aus
der heimischen Braunkohle hatten und durch enorme
Transferleistungen strukturell subventioniert wurden.
Das Märchen vom Plan B mit Neuansiedlungen
In der aktuellen Debatte wird gefordert, dass sich
die Lausitz industriell wandeln und Alternativen zur
Braunkohleindustrie ansiedeln soll. Hier hilft auch ein
Blick in die Nachwendezeit. Nie gab es so viele Sub-
ventionen für industrielle Ansiedlungen imOsten wie
in den Nachwendejahren – und es wird auch nie wie-
der diese enormen finanziellen Mittel dafür geben.
Wo sollen die auch herkommen? Die Lausitz hat sich
auch nie gegen Neuansiedlungen alternativer Indus-
trien gewehrt, ganz im Gegenteil. Trotzdem hat sich
in diesen 25 Jahren in der Lausitz keine nennenswerte
alternative Industrie angesiedelt. Über Ansiedlungen
entscheidet auch immer einWirtschaftsunternehmen.
Warum sollte ein solches ausgerechnet jetzt kommen,