Leider herrscht oft viel Unkenntnis zum Thema Stillen vor – zum Nachteil junger Mütter.
Wenn wir über das Stillen sprechen, sprechen wir auch immer gleichzeitig über das Nicht-Stillen, über Ersatznahrung, über Flaschenfütterung. Schließlich ist trotz aller politischen Bemühungen (Voll-)Stillen im europäischen Raum noch immer keine selbstverständliche Norm. Die meisten Babys werden innerhalb weniger Wochen nach der Geburt nur noch teilgestillt und noch vor Ende des ersten Lebenshalbjahres abgestillt. Gut also, dass es weiterhin Bemühungen um Aufklärung und Stillunterstützung allerorten gibt, so mag man sich denken. Müssten wir nicht sogar noch viel mehr für das Stillen werben? Zeigen nicht die Debatten um langzeitstillende Mütter oder unerwünschtes Stillen in der Öffentlichkeit, dass es noch immer schlecht um einen entspannten Umgang mit stillenden Müttern bestellt ist?
Stillförderung als Zwang? Neben dieser statistischen Realität existiert auch eine weitere, gefühlte Realität, gerne von Medienberichten aufgegriffen und dramatisiert dargestellt: Es scheint längst ein enormer Druck, wenn nicht gar Zwang auf jungen Müttern zu lasten, ihr Baby unbedingt stillen zu müssen.
Fachliche Kompetenz fehlt noch an vielen Stellen. Glücklicherweise liegt also heute fast überall ein Konsens darüber vor, dass Stillen gut und wichtig ist, Fachpersonal wie Öffentlichkeit ist im Grundsatz „stillwillig“. Wie sieht das jedoch umgesetzt in der Praxis aus? Was soll eine junge Mutter konkret tun, deren Kind nicht mustergültig an der Brust trinkt und deren Brustwarzen so sehr schmerzen, dass sie sich vor jeder Stillmahlzeit fürchtet? Welchen Rat werden ihr die medizinischen Fachpersonen in den ersten Wochen geben, wenn das Baby gefühlte 100 Mal täglich nach der Brust verlangt und in den Abendstunden typisches Dauerstillen zeigt? Erhält sie nach der Gewichtskontrolle des Babys die Information, dass dieses Verhalten normal ist, und wird sie ermutigt, sich darauf einzulassen? Oder wird die Angst geschürt, sie könnte zu wenig Milch haben, das Baby zu abhängig von sich machen oder ihrem Kind ein ungesundes Verhalten antrainieren? Erhält die Mutter mit den schmerzenden Brustwarzen hilfreiche Tipps zum Anlegen und beobachtet jemand aufmerksam eine Stillmahlzeit? Oder wird ihr rasch eine bestimmte Creme empfohlen, verbunden mit dem Tipp, das Kind nie länger als 10 Minuten anzulegen? Auch unter medizinischem Fachpersonal herrscht noch sehr viel Unkenntnis über die Praxis des Stillens – nur über die Vorteile (bzw. die Gefahren des Nicht-Stillens) unterrichtet zu sein, ist zu wenig!
Es braucht mehr als reine Fachkompetenz.
Unterdessen haben wir aber noch ein weiteres Problem: Selbst wenn wir fachlich gut ausgebildet und über die Praxis des Stillens informiert sind, stehen wir täglich vor der Aufgabe, diese Inhalte auch angemessen zu vermitteln. Offenbar gelingt uns dies jedoch nicht immer in der beabsichtigten Weise. Fehlen Achtsamkeit und ein individueller Blick auf die Situation der jungen Familie, kann es sein, dass Mütter sich unter Druck gesetzt, belehrt und übergangen fühlen. Sie sehen sich alleingelassen mit einem Paket von Anforderungen, welches sie nicht bewältigen können.
Wie also kann es uns gelingen, junge Mütter beim Stillen so zu begleiten, dass sie sich nicht bedrängt fühlen? Dass sie hilfreiche Informationen erhalten und genug Ermutigung erfahren, um nicht gleich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten aufzugeben?
Bunt Stillen! Es gibt viele Möglichkeiten zwischen Vollstillen und Abstillen. Wenn wir Müttern Mut machen, ihren eigenen, zu ihnen passenden Weg zu finden, gelingt es uns vielleicht besser, sie zu unterstützen. Dazu benötigen wir das Vertrauen in die aufrichtige Bemühung der Eltern, den besten Weg für Ihr Kind zu wählen.
Anja Heinze
Stillberaterin IBCLC
www.GLÜCKSKINDER-DREBKAU.de
Frau Heinze ist Patin im Netzwerk Gesunde Kinder und Kooperationspartnerin.