„Nur EIN Schluck ...“ (Kein) Alkohol in der Schwangerschaft

Datum: Montag, 13. Dezember 2021 11:25

Dass Kinder keinen Alkohol trinken dürfen, ist allen bekannt. Dass werdende Mütter keinen Alkohol trinken sollten, wird leider noch (zu) oft verharmlost. „Stoß wenigstens mit uns an!“, „Komm, nur ein Schluck...“, „Ein Gläschen in Ehren...“, „Das eine Glas macht doch nichts.“ „Ich habe auch während der Schwangerschaft mal ein Glas Wein getrunken und mein Kind ist gesund.“ Nicht jeder Schluck richtet sofort große Schäden beim Ungeborenen an, aber jeder Schluck beinhaltet dieses Risiko. Es ist wie Russisch Roulette. Ein Glas Alkohol kann irreparable Folgen für das Ungeborene haben, muss aber nicht.

Der 4-jährige Tobias* steht auf der Entwicklungsstufe eines 2-jährigen Kindes und kann nur Zwei-Wort-Sätze reden. Er ist schmerzunempfindlich. Dass ihn eine Biene in die Lippe gestochen hat, bemerkte die Pflegemutter zum Glück rechtzeitig...

Die 7-jährige Anna* kann kaum ihren Schulranzen tragen. Sie ist zu klein für ihr Alter und häufig müde, weil sie in der Schule überfordert ist und sich nur schwer konzentrieren kann...

Die 10-jährige Monika* ist in der Schule unauffällig und angepasst. Zu Hause dann ist sie aggressiv, kann keine Regeln einhalten und selbst einfachste Anweisungen nicht ausführen. Die Hausaufgaben dauern oft stundenlang, weil sie die Aufgaben nicht versteht und sich nicht konzentrieren kann...

Die 14-jährige Nadine* kann „Rechts“ und „Links“ nicht unterscheiden. Um Rechenaufgaben lösen zu können, benötigt sie noch ihre Finger, weil sie sich Zahlen anders nicht vorstellen kann. Sie wurde mit einer Gaumenspalte geboren und musste über eine Magensonde ernährt werden. „Omagesicht. Du bist zu klein. Du bist zu dünn.“ Dies muss sie sich häufig von ihren Mitschülern anhören...

Alle diese Kinder haben eine Gemeinsamkeit: ihre Mütter haben in der Schwangerschaft Alkohol getrunken. Die Mütter wollten ihren Kindern ganz bestimmt nicht schaden. Sie wussten wahrscheinlich nicht, welchen Schaden auch schon kleine Mengen Alkohol während der Schwangerschaft anrichten können.

Jede Stunde wird allein in Deutschland mindestens ein Kind mit einer vorgeburtlichen Alkoholschädigung (FASD = Fetal Alcohol Spectrum Disorder) geboren. Mindestens 850.000 Menschen sind durch Alkohol in der Schwangerschaft ihr Leben lang beeinträchtigt. Jeder Tropfen Alkohol während der Schwangerschaft kann bleibende Schäden beim Kind hinterlassen – körperlich, geistig, psychisch – die zu 100 % vermeidbar wären.

Trinkt eine schwangere Frau Alkohol, hat das Ungeborene in kürzester Zeit den gleichen Blutalkoholspiegel wie die Mutter. Das Ungeborene braucht zum Alkoholabbau jedoch zehnmal länger als die Mutter, da die kindliche Leber noch unreif ist und wichtige Enzyme zum Alkoholabbau nicht vorhanden sind. Somit bleibt es wesentlich länger alkoholisiert als die Mutter.

Auf Grund der speziellen Eigenschaften des Alkohols (wasser- und fettlöslich) ist die sonst schützende Plazentaschranke wirkungslos. Alkohol gelangt ungehindert zum Fetus und wirkt dort unmittelbar schädigend auf alle Zellen und deren Teilung, d.h. auf die gesamte Entwicklung des Kindes. Dabei kann der Alkohol jede Körperzelle in jedem Entwicklungsstadium schädigen. In den ersten Monaten, wenn die Organe entstehen, kann das Zellgift dafür sorgen, dass diese nicht ganz oder fehlerhaft angelegt werden. Viele Kinder mit FASD haben Herzfehler. Der Alkohol kann auch das Wachstum und die körperliche Entwicklung verzögern, so dass Kinder mit FASD deutlich kleiner und leichter als ihre Altersgenossen sind. Ca. 30 % der Kinder sieht man den vorgeburtlichen Alkoholkonsum der Mutter auch an: Sie haben einen kleinen Kopf, kleine Augen, die Nase ist kurz, die Oberlippe ist schmal und das Philtrum, die Einbuchtung in der Mitte der Oberlippe, fehlt.

Doch den größten Schaden verursacht der Alkohol im Gehirn. Bei Menschen mit FASD sind Hirnfunktion und -aufbau gestört: Sie ermüden deshalb oft schnell oder wirken antriebslos. Bei ihnen sind mehr Gehirnareale an einer Aufgabe beteiligt als bei neurotypischen Menschen, so dass Denkleistungen für Menschen mit FASD deutlich anstrengender und energieraubender sind.

Lernfähigkeit, Konzentration, Einschätzung von Situationen, Gefahren und Risiken, aus Fehlern lernen, Sozialverhalten sind oft beeinträchtigt. Auch zeigen viele Kinder und Jugendliche mit FASD ein stark herausforderndes Verhalten. Deshalb brauchen Menschen mit FASD enge Strukturen, Grenzen, Begleitung und Kontrolle – egal, in welchem Alter.

Es ist wichtig zu wissen, dass nicht nur eine alkoholkranke Mutter ihr Kind schädigen kann. Gerade Frauen, die den Alkohol aufgrund mangelnder Gewöhnung langsamer abbauen, rufen bei ihren Kindern möglicherweise größere Schäden hervor. Es gibt keine sichere Alkoholgrenze, bei der keine Schädigungen auftreten!

FASD Deutschland e.V. setzt sich ehrenamtlich für die Prävention der Fetalen Alkoholspektrum-störung (FASD), aber auch für die Menschen mit FASD ein. Seit mehr als 20 Jahren hat der Verein bundesweit eine Vorreiterrolle in der Hilfe und Selbsthilfe für Bezugspersonen und Menschen mit FASD und in der Lobbyarbeit als Patientenvertretung. Mehr Informationen zu FASD sowie Ansprechpartner, Hilfe und Beratung unter:

www.fasd-deutschland.de 

Die „IRIS“-Onlineberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt Schwangere beim Verzicht auf Alkoholkonsum und Rauchen in der Schwangerschaft.

www.iris-plattform.de

Für die Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern und Familien ist das Netzwerk Gesunde Kinder in Brandenburg aktiv und widmet sich verschiedensten Themen von A wie Alkohol bis Z wie Zahngesundheit.
Weitere Informationen unter:

www.netzwerk-gesunde-kinder.de/infopool 

www.kindergesundheit-info.de