Ein Blick in die Röhre

Datum: Dienstag, 26. Januar 2021 14:41

Gute Beispiele machen Schule: So funktioniert Distanzlernen

Wir haben uns umgeschaut, wo sich tolle Konzepte für den digitalen Fernunterricht finden. Dass dieser schon für Grundschüler umsetzbar ist, zeigt ein Blick nach Senftenberg an die Schlausitz-Grundschule Georg Heinisus von Mayenburg. Aber wir schauen auch über den Lausitzer Tellerrand. Der von der Robert-Bosch-Stiftung vergebene Deutsche Schulpreis würdigt in diesem Jahr innovative Konzepte für das Lernen in der Corona-Krise. Fast 370 Schulen haben sich beworben, 121 haben es in die Vorauswahl geschafft. Wir stellen drei von ihnen vor. Auffallend aber wenig überraschend ist, dass unter diesen Leuchttürmen viele freie Schulen in privater Trägerschaft sind. Wie so oft sind sie bei den Themen modernes Lernen und Schule der Zukunft besser aufgestellt. Wobei wir ausdrücklich darauf hinweisen möchten, dass es auch öffentliche Schulen mit innovativen Konzepten gibt. Entscheidend ist das Engagement des Kollegiums, aber auch der Eltern.

Schlausitz-Grundschule Georg Heinisus von Mayenburg, Senftenberg OT Brieske

Als an den Digitalpakt noch nicht mal zu denken war, spielte an der privat betriebenen Schlausitz-Grundschule im Senftenberger Ortsteil Brieske Kreide schon keine Rolle mehr. „Computer und Laptops nutzen wir bereits seit mehr als zehn Jahren“, berichtet Madlen Haß, Geschäftsführerin des Schulträgers Lausitzer Bildungsträger gGmbH. Die Kinder lernen Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben und Rechnen mit Hilfe interaktiver Whiteboards und spezieller Lernsoftware. Bereits Erstklässler haben die Möglichkeit, Lernwerkstätten am Computer zu nutzen. Ältere Schüler erarbeiten sich über Kindersuchmaschinen individuell ein Thema und lernen so den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien. Die Sorge, dass die Kinder zu viel Zeit am Bildschirm verbringen, ist allerdings unbegründet: „Wir legen Wert auf eine gute Mischung aus Digitalem und Haptik“, betont Madlen Haß. Im Unterricht und in Projekten erarbeiten sich die Kinder neue Themen mit allen Sinnen. Digitale Medien werden nur dort eingesetzt, wo es sinnvoll ist.

Doch der selbstverständliche Umgang schon der Sechs- und Siebenjährigen mit der Technik, hilft jetzt im Lockdown. Der Fernunterricht findet digital statt. Täglich 8.00 Uhr treffen sich die Lehrer mit ihren Kindern am Bildschirm. Die Schule nutzt dafür die Software Microsoft-Teams. Die Schul-cloud des Landes war bei der Suche nach einer geeigneten Plattform noch keine Option, da damals nur mit ausgewählten Pilotschulen zusammengearbeitet wurde.
Die jüngeren Schüler bekommen einen Tagesplan, die älteren einen Wochenplan. Die Sportlehrer haben kleine Videos mit Übungen gedreht. Die Kinder bearbeiten Aufgaben nach ihrem individuellen Lernstand. Am Ende der Woche wird der Lernerfolg in einem Test abgefragt, jeder Schüler erhält ein individuelles Feedback. „Die meisten Eltern sind sehr zufrieden, weil wir in dem Bereich tatsächlich Vorreiter sind“, berichtet Madlen Haß, die weiß, dass es an vielen Schulen anders läuft. Die Zeit seit dem Frühjahr hat man konsequent für Fortbildungen der Lehrer genutzt. Auch das Eltern-Feedback aus der ersten Schließzeit im Frühjahr wurde ausgewertet. Damals hatte man den digitalen Unterricht nur für die höheren Klassen anbieten können. Derzeit können alle Schüler von der 1. bis zur 6. Klasse die Möglichkeit nutzen – vorausgesetzt, die Eltern verfügen zu Hause über die technischen Voraussetzungen. In den wenigen Fällen, wo das nicht gegeben ist, finden sich individuelle Lösungen, die Lehrer bringen die Aufgaben beispielsweise persönlich vorbei. Der Fernunterricht funktioniert also gut. Nichtsdestotrotz wünscht sich Madlen Haß, dass sie alle Kinder bald wieder persönlich in der Schule begrüßen kann: „Es ist viel schöner, wenn wir die Kinder hier vor Ort haben. Und auch den Kindern fehlt das Miteinander.“

Leonardo Da Vinci Campus Nauen

Für den Leonardo Da Vinci Campus ist es nicht die erste Teilnahme am Deutschen Schulpreis. Bereits 2018 hatte es die Schule in die Endrunde geschafft. Kein Wunder: Der Campus, der Kindern einen durchgängigen Bildungsweg von der Kita bis zum Schulabschluss ermöglicht, setzt von Beginn an auf modernes, mediengestütztes Lernen und gilt in Brandenburg als Leuchtturm. Klassischen Frontalunterricht findet man hier nicht mehr. Selbst die starren Fächergrenzen, wie man sie sonst vom Stundenplan kennt, werden hier zunehmend aufgehoben. Stattdessen wird Projektarbeit groß geschrieben. Die Schüler erarbeiten sich ein neues Thema nach einer Einleitungsphase fächerübergreifend und möglichst selbständig in kleinen Teams. „Durch den Einsatz digitaler Medien wurde der Projektunterricht unheimlich gestärkt, Ideen können ganz anders recherchiert werden, wenn alle Kinder jederzeit Zugriff auf Informationen weltweit haben“, berichtet Gesamtleiterin Dr. Irene Petrovic-Wettstädt.

Die selbstverständliche Einbindung digitaler Medien in den Unterricht, dort wo es sinnvoll ist, hilft der Schule jetzt in der Krise. Die Lehrer bleiben für Kinder und Eltern während der Schließung erreichbar. Am Gymnasium erfolgt Unterricht nach dem Stundenplan über die Plattform Microsoft-Teams und über selbständiges Arbeiten. Für den Schulpreis 2021 spezial nominiert sind die Grund- und die Gesamtschule. Letztere hat mit ihrem Konzept des digitalen Lernens über das Microsoft-Programm OneNote mit Endgerät ohne Schulbuch überzeugt. Dies wurde bereits vor Corona genutzt und konnte 1 : 1 in den Distanzunterricht überführt werden. Die Schüler erhalten Tagesaufgaben, die sie bis 16 Uhr erledigen können. Es gibt feste Zeitfenster zur Möglichkeit für Nachfragen und feste Sitzungen über die Plattform Teams. Wenn nötig, bilden die Schüler digitale Lerngruppen. In der Grundschule erhalten die Kinder Wochenplan-Aufgaben, pro Woche gibt es drei bis fünf feste Treffen mit dem Lehrer, ansonsten können die Kinder die Erledigung der Aufgaben zeitlich flexibel legen – auch aus Rücksicht auf das Homeoffice der Eltern. Für das Bereitstellen der Aufgaben und die Lehrer-Schüler-Kontakte arbeitet die Schule mit den Plattformen Padlet und Teams. Die Schüler wurden dafür eigens geschult – kein ganz leichtes Unterfangen bei Kindern, die das Lesen und Schreiben noch lernen müssen. Der Aufwand hat sich gelohnt und soll künftig in den Lehrplan überführt werden, so Dr. Irene Petrovic-Wettstädt: „Wir werden daraus ein Projekt für die 1. bis 3. Klassen entwickeln, in dem wir die Grundkompetenzen am Computer in ein Curriculum füllen, so dass die Kinder am Ende des Schreiblernprozesses auch das Arbeiten und Schreiben am Computer beherrschen.“

Die Rückmeldung der Eltern auf den Distanz-Unterricht ist durchweg positiv, so die Campus-Leiterin. Gleichwohl ist ihr klar, dass dieser den direkten Kontakt und das soziale Miteinander nicht ersetzen kann. Auch der Austausch der Lehrer und Erzieher untereinander findet zur Zeit vorrangig digital statt. Die sonst sehr enge Zusammenarbeit ist derzeit nicht möglich. Insofern hofft auch sie trotz aller guten Erfahrungen mit dem Fernunterricht, dass bald wieder mehr Kinder auf den Campus kommen dürfen.

Marie-Curie-Gymnasium Hohen Neuendorf

Bereits im Herbst wurde das Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf als eine von nur vier Schulen in Brandenburg als „Digitale Schule“ durch die Bundes-Initiative „MINT Zukunft schaffen“ ausgezeichnet. Das Gymnasium nördlich von Berlin hat sich als MINT-Schule profiliert, die Digitalisierung der Lehre ist ein zentraler Baustein. Bereits vor vier Jahren wurde eine AG etabliert, in der sich die Lehrkräfte zu den Chancen und Möglichkeiten digitaler Medien austauschen. Mittlerweile gibt es eine weitere Arbeitsgruppe – diese aktualisiert regelmäßig den Medienentwicklungsplan der Schule, auf dessen Grundlage wiederum die Digitalisierung in der Unterrichtspraxis umgesetzt wird.

Am Curie-Gymnasium hat man den Medienentwicklungsplan schon lange vor dem Digitalpakt aufgestellt, berichtet Schulleiter Thomas Meinecke: „Als ich an der Schule angefangen habe, gab es hier nur Papier. E-Mails wurden rudimentär genutzt. Digitalisierung war für viele Neuland.“ Heute ist die Schule digitaler Pionier und hat es in die Vorauswahl zum Deutschen Schulpreis geschafft. Davon profitieren Schüler und Lehrer nun während der erneuten Schulschließung, so Meinecke: „Es läuft besser als im März, Eltern und Schüler sind zufrieden.“ Im Frühjahr musste die Schule sehr kurzfristig reagieren, tat dies aber recht erfolgreich. Überregionale Medien wie der Spiegel oder die Zeit berichteten vom Erfolgsmodell in Hohen Neuendorf. Der Schule kam zu Gute, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr eine professionelle Online-Plattform von Google nutzte. „Mittlerweile können alle Kollegen damit arbeiten.“ Während des Hybrid-Unterrichts, bei dem die Klassen wechselweise zu Hause und in der Schule unterrichtet wurden, war das System ebenfalls Gold wert. Alle Schüler wurden erreicht. Jene, die zu Hause weder über Handy noch PC verfügen oder bei denen der Breitbandanschluss nicht ausreicht, werden über das Buddy-Prinzip durch einen Paten mit den Aufgaben versorgt.

Der Fernunterricht folgt einem festen Stundenplan mit Anwesenheitspflicht. Die Schüler erhalten ihre Aufgaben, die sie in einer bestimmten Zeit bearbeiten und abgeben müssen, der Lehrer steht für Fragen zur Verfügung.
Meinecke weiß, dass Google nicht von allen gern gesehen wird, ist aber dennoch von den Vorzügen überzeugt, Datenschutz spielt eine wichtige Rolle: „Die Arbeit mit Google wird durch die Fachlehrkräfte kritisch begleitet. Wir können so auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass junge Erwachsene in ihrer Freizeit nicht arg- und ahnungslos alles und jedes über Google „freigeben“, sondern erziehen sie im wahrsten Sinne des Wortes zu medienkritischen Nutzern.“ Die Schüler, so seine Erfahrung, gehen mittlerweile sehr routiniert und sensibel mit ihren Daten um. Selbst im Brandenburgischen Bildungsministerium ist man interessiert an den Erfahrungen aus Hohen Neuendorf und hat die Schule zum Erfahrungsaustausch eingeladen.

Hardtschule Durmersheim


© pasio Design

Die Hardtschule im baden-württembergischen Durmersheim gehörte bereits 2020 zu den Preisträgern des Deutschen Schulpreises. Die Gesamtschule überzeugte die Jury mit ihrem pädagogischen Konzept. Die Kinder werden von Beginn an auf das selbständige Lernen vorbereitet. Das Kollegium sieht sich nicht als Lehrer, sondern als Lernbegleiter und Coach. Neuer Stoff wird nicht im Klassenzimmer erarbeitet, sondern im Lernatelier. Noten gibt es nur für die Abschlussklassen, alle anderen Schüler erhalten regelmäßig Kompetenzbeurteilungen. Ältere Schüler sind in der Auswahl der Themen, die sie sich erarbeiten möchten und in der Wahl des Arbeitsplatzes und der Pausenzeiten weitgehend frei. Frontalunterricht spielt keine Rolle. Schule wird hier modern gedacht und so umgesetzt, wie es die Wissenschaft empfiehlt und wie es bildungsstarke Länder längst vormachen.

Als die Schulen im Frühjahr 2020 erstmals geschlossen wurden, konnte die Hardtschule unkompliziert auf digitalen Fernunterricht umswitchen. Zum einen waren die Kinder das selbständige Lernen ohnehin gewohnt. Zum anderen nutzte die Schule bereits digitale Medien, darunter die Plattform LEARNscape, mit der die Schüler entsprechend ihres individuellen Niveaus arbeiten und lernen können. Lernfortschritte werden digital dokumentiert. Der direkte Austausch der Schüler und Lehrer untereinander erfolgt über Videokonferenzen und die Messeneger-App Threema-Work. Der Tag im Homeschooling beginnt und endet mit einem Video-Meeting zu festgelegten Zeiten. In der Zeit dazwischen erarbeiten sich die Schüler über die Lernplattform den selbst festgelegten Lernstoff, ein Lernbegleiter steht bei Fragen jederzeit zur Verfügung. Schüler, die an den virtuellen Treffen nicht teilnahmen, wurden durch Schulsozialarbeiter aufgesucht, so dass kein Kind während der Schließung abgehängt wird.

Die regelmäßigen Videokonferenzen sollten auch das Miteinander über die Distanz retten. Denn die Kinder und Jugendlichen leiden unter der sozialen Isolation. Um dennoch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl zu bewahren, stehen Lernbegleiter und Coaches im regelmäßigen Austausch mit ihren Schülern. Kleine Challenges für die Schüler sind ebenfalls Teil der digitalen Beziehungsarbeit. So bestand eine Challenge darin, Mitschüler anzurufen und ihnen Komplimente zu machen, eine andere forderte dazu auf, Indoor-Sportarten zu erfinden und zu teilen.

Das erfolgreiche Konzept des digitalen Fernunterrichts hat bereits eine weitere Neuerung ins Spiel gebracht: Da das individuelle Lernen so gut klappt, wird nun darüber nachgedacht, den festen Stundenplan nach Öffnung der Schule etwas zu lockern. Es ist am Ende das, was das Erfolgskonzept der Schule ausmacht: Die Kinder als Individuen wahrnehmen, ihnen eigenverantwortliches Handeln ermöglichen und sie bei diesem Prozess so weit wie nötig begleiten.


Digitale Technik soll praktischen Unterricht nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. (c) raxpixel.com Freepik

Digitale Bildung im intern. Vergleich

Die internationale Vergleichsstudie ICILS (International Computer and Information Literacy Study) hat 2018 zum zweiten Mal auf die digitalen Kompetenzen von Schülern und Lehrern und auf die technische Ausstattung an Schulen geschaut. Während deutsche Achtklässler bei den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen überdurchschnittlich gut abschneiden, ist bei der technischen Ausstattung und der Nutzung digitaler Technik noch viel Luft nach oben. In Deutschland teilen sich 9,7 Schüler ein digitales Gerät, in den USA 1,6 Schüler, in Finnland 3,4 und in Dänemark 4,6 Schüler. Während in Dänemark 90 Prozent der Schüler ein eigenes Endgerät mit in den Unterricht bringen, sind es in Deutschland 15 Prozent. Nur 26 Prozent der Achtklässler besuchen eine Schule mit guter WLAN-Ausstattung für Lehrer und Schüler, EU-weit sind es 67 Prozent der Schüler.