"Das wichtigste ist Vielfalt"

Datum: Montag, 09. Juli 2012 12:18

Interview mit dem König der Kulturinsel, Jürgen Bergmann

Mit 55 Jahren sitzt Jürgen Bergmann entspannt in seinem Büro inmitten der Bäume der Kulturinsel Einsiedel. Unter uns liegt sein kleines Reich aus Werkstätten und einem immer weiter wachsenden Freizeitpark. Seine Firma baut inzwischen Freizeitwelten in ganz Europa, verrückte und ungewöhnliche Spielplätze, die so gar nicht dem bekannten Muster heute typischer Spiellandschaften in Wohngebieten entsprechen. Die größte Freizeitwelt ist sicher auf der Kulturinsel entstanden, wo jedes Jahr neue Ideen hinzukommen, so, wie neben vielen anderen Projekten eben Zeit bleibt. Was in Einsiedel einst als Ausstellung weniger Exponate begann, ist heute der kreativste Freizeitpark im Osten, mit unendlichen Tunnellybarinthen, Sachen zum Beklettern und Entdecken, Baumhaushotel und abendlichem Theaterspektakel. Inzwischen wird nebenan auf der polnischen Seite ein kleines Walddorf zum Erlebnisdorf umgebaut, entstehen ungewöhnliche Baumbetten und viele andere Sachen. Die Kulturinsel wird mit diesen Attraktionen samt Erdhaus und Tipi-Dorf immer mehr zu dem Familientipp für einen Kurzurlaub. Wir sprachen mit Jürgen Bergmann, der auf seiner Insel seine ganze eigene, verspielte Lebensvision umsetzt:


Wie kamen Sie zur Kulturinsel?
Angefangen habe ich auf diesem Gelände hier schon in den 80er Jahren, als ich aus Zittau hergezogen bin. Ich habe das Haus von Bauersleuten abgekauft, bei denen ich zuvor ein Praktikum gemacht hatte. Das war der Anfang.


Hat Sie das schon als Kind ausgemacht, Baumhaus bauen, Handwerken, mit Holzklötzern spielen?
Ja, definitiv. Meine Familie hatte damals eine Gärtnerei in Zittau und ich war total glücklich. Ich war schon als Kind sehr aktiv, immer unterwegs und wurde sehr ländlich und naturverbunden erzogen.


Wollten Sie immer „Spielplatzbauer“ werden?
Nein, ich wollte unbedingt im Forstbereich arbeiten. Leider gab es damals beim nächsten Forstbetrieb in Löbau keine Lehrstellen. So bin ich in Niesky gelandet. Wenn man zu Ostzeiten wirklich wusste, was man will, hat man es im Gegensatz zu heute leicht gehabt. Während der Lehre fing ich an zu schnitzen und merkte, dass ich das kann und mir das Spaß macht. Dann kam ich hierher und war im Forstbereich tätig, verkaufte aber meine Schnitzereien nebenher auf Wochenmärkten. Das lief so gut, dass ich immer weniger Zeit für die eigentliche Arbeit hatte. Studieren wollte ich nicht noch einmal für einen Ingenieursjob, also hab ich mir gesagt, ich mache mein Hobby zum Beruf und schlug dann die Künstlerlaufbahn ein.


War von Anfang an klar, dass es eher in die spielerische Richtung gehen wird?
Ich bin Autodidakt und habe damals in Dresden ein Symposium mit anderen Leuten gemacht, in dem wir gemeinsam einen Spielplatz gebaut haben. Der bestand aus Skulpturen und Figuren, da wurde mit schweren Motorsägen gearbeitet. Das lag mir durch meine Ausbildung natürlich sehr und dadurch gab es den ersten Kontakt mit dem Thema „Spielen“. Ich habe dann noch eine Bildhauerlehre abgeschlossen und mit kleinen kunsthandwerklichen Sachen angefangen. Mit dem Tag der Währungsunion haben wir dann unsere Firma „Künstlerische Holzgestaltung Jürgen Bergmann“ gegründet.


Und wie haben Sie angefangen?
Mit einem alten Freund aus dem Forstbereich und meiner Partnerin. Wir waren ganz klein und haben eher davon gelebt, unsere Holzgestaltungen auf Märkten zu verkaufen.


Haben sie damals schon auf der heutigen Kulturinsel gelebt?
Ja. Wir haben ja hier wie Einsiedler gelebt und damals noch ein Stück dazugekauft, weil wir Angst um unsere Einsiedelei hatten – damals wurden ja überall Tankstellen an die Straßen gesetzt. Aber mittlerweile hat das ja bei den vielen Besuchern und Mitarbeitern eigentlich nichts mehr mit Einsiedelei zu tun.

Wie sehr bestimmt die Familie das Geschäftliche?
Wir haben hier eine verlässliche Struktur entwickelt. Meine Partnerin ist Chefin der Holzgestaltungsfirma. Meine Schwester leitet mit einer weiteren Person den Freizeitpark – und ich bin zuständig für die Akquise- und die Firmenentwicklung. Das, was ich am liebsten mache, mache ich so gut es geht noch alleine, und für alles andere haben wir uns Mitarbeiter gesucht. Im Grunde sind wir aber ein Familienbetrieb – und das soll auch so bleiben.


Wie kommen Sie mit dem Spagat von der ursprünglichen Einsiedelei zum heutigen Freizeitpark und größeren Wirtschaftsbetrieb zurecht?
Das ist nicht einfach, aber es hat sich so entwickelt. Natürlich steigt der Druck enorm, aber ich kann auch meine Ideen ganz anders verwirklichen.


Fühlen Sie sich eigentlich noch als Kind bei all dem, was sie täglich machen?
Ja. Das sag ich zumindest nach außen. Aber das stimmt nicht ganz. Die Verantwortung ist inzwischen enorm groß. Wir haben allein in der Holzverarbeitung inzwischen 150 Mitarbeiter. Da wird man oft über längere Zeit von Sorgen gedrückt und kann sich so gar nicht als Kind fühlen. Ich finde es aber toll, dass ich immer ein Stück voraus träume und mir meine Träume dann erfülle. Das ist für mich eine andere Definition von „Noch-Kind-sein“. Im Holzgestaltungsbereich machen wir auch so viele verrückte Dinge, erfinden Unikate – da kann ich mich schön „ausspielen“. Insofern bin ich definitiv noch ein Kind.


Apropos Kind: Wie viele Kinder haben Sie?
Meine älteste Tochter ist 27 und hat mich gerade zum Opa gemacht, meine zweite Tochter ist 25, die nächste 14 und unser Kleiner ist jetzt 6 Jahre alt.


Entwickeln und inspirieren Ihre Kinder Sie bei der Arbeit?
Als Unternehmerfamilie kann man das ja gar nicht trennen, da ist alles eins. Ich weiß nicht, ob mein Sohn mich inspirieren muss. Wir schaffen ja Freizeitwelten und haben uns über viele Jahre eine enorme Kompetenz aufgebaut, da gibt es kaum neue Erkenntnisse. Wir haben in dieser Zeit viele Sachen regelrecht erfunden und einige Patente angemeldet. Wir haben begriffen, dass die Spielplätze, die bei uns die Regel sind, keine Spielplätze sind, sondern Sportanlagen.

Wie meinen Sie das?
Die Natur hat es so angelegt, dass Tier- und auch Menschenkinder in ihrer Kindheit durch Spielen die Erwachsenenwelt kennenlernen. Dazu sind unsere Spielplätze nicht mehr geeignet. Kindern fehlt heute durch lange Lernzeiten, viel TV und Technik immer mehr Zeit zum Spielen. Dann sagen ja Eltern, Lehrer und Politiker, dass Kinder zum Ausgleich Bewegung brauchen und Sport machen müssen. Genauso sehen unsere Spielplätze aus. Würde man genauer hinschauen, in welchen Fantasiewelten sich die Kinder im Fernsehen und Computer bewegen und dann mal einen Blick auf unsere Spielplätze werfen, müsste der krasse Gegensatz jedem auffallen. Da können Kinder meist an ein paar Geräten turnen, fast immer gibt es eine Rutsche als „Leuchtturm“, aber kaum Räume, die man immer wieder neu entdecken und mit anderen Kindern gestalten kann. Wenn ich aber will, dass die Kinder draußen spielen und vor allem miteinander spielen, muss ich sie herauslocken. Ein Spielplatz sollte als erste Funktion ein Treffpunkt sein. Dafür schaffen wir jetzt Rollenspielwelten – ein Spielhaus wie eine große Puppenstube. Darauf haben wir gerade ein Patent angemeldet und ein Exponat steht auch schon auf der Kulturinsel.