Musik und ihr Einfluss auf das Gehirn/
die körperliche und geistige Entwicklung
Der achtjährige Max bereitet sich auf seinen ersten Auftritt bei einem „Jugend musiziert“-Wettbewerb vor. Die dreijährige Sophie trällert beim Morgenkreis der Kita fröhlich „Der Kuckuck und der Esel, die hatten großen Streit…“ mit. Und die acht Monate alte Pauline schlägt strahlend mit dem Kochlöffel auf den Topf. Drei von hunderten Beispielen, wie Kinder jeden Tag mit Musik in Berührung kommen.
Musik ist wichtig. Für die körperliche, die geistige und die soziale Entwicklung von Kindern. Musik aktiviert im Gegensatz zu manch anderen Hobbys beide Hirnhälften. Die linke Hälfte, die für das logische Denken, die Sprache, für Fakten zuständig ist, ist zum Beispiel beim Notenlesen gefragt. Für Melodie und Rhythmus brauchen wir die rechte Hälfte, die für Gefühle, Intuition, Improvisation verantwortlich ist. Wer den Kopf eines Musiker im MRT darstellt, wird sehen: Beide Hirnhälften sind symmetrischer ausgebildet und die Verbindung zwischen ihnen ist stärker, als bei musisch weniger Aktiven. Singen und Musizieren sind sehr anspruchsvoll, weil sie mehrere Hirnbereiche zeitgleich in Anspruch nehmen. Das schafft neue Zellen und Nervenverbindungen, die grauen Zellen explodieren förmlich. Es wird vermutet, dass Musik einen wichtigen Anteil daran hat, dass und wie Babys erst brabbeln und dann anfangen zu sprechen. Musik und Sprache gehören zusammen. Kinder, denen viel vorgesungen wird und die später selbst viel singen, haben weniger Probleme beim Spracherwerb und ein besseres Wortgedächtnis.
Zudem sorgt Singen dafür, dass das Gehirn mehr Hormone ausschüttet – jene die für Glück und Empathie zuständig sind. Das Stresshormon Adrenalin hingegen wird beim Singen abgebaut. Das ist auch ein Grund, warum musikalische Erinnerungen und Erfahrungen oft mit starken Gefühlen verknüpft sind, z.B. ein besonderes Konzerterlebnis, der erste Auftritt vor Publikum oder das verhasste Singen im Musikunterricht.
Musikspiele in der frühen Kindheit fördern die Motorik, die Aufmerksamkeit, die Konzentration und das Gedächtnis. Sie regen Fantasie und Kreativität an. Tests haben gezeigt: Junge Musikschüler können bestimmte Dinge früher und besser als Altersgenossen, z.B. Puzzeln, Rechnen, Lesen. Befürworter von Musik führen nicht nur bessere Leistungen an, sondern auch ein besseres Miteinander. Gerade das gemeinsame Singen, Tanzen und Musizieren fördert – wie aber auch jede andere Gruppenaktivität – das Sozialverhalten der Kleinen. Sie entwickeln ein Gemeinschaftsgefühl. Sie lernen Rücksicht zu nehmen, zu warten, zu helfen, zu tauschen und zu teilen. Musik fördert die emotionale Intelligenz und stärkt das Selbstbewusstsein. Wer einmal Applaus für ein vorgetragenes Lied bekommen hat, der zehrt noch lange davon.
Kinder, die Musik machen, sind also geduldiger, aufmerksamer, entspannter, glücklicher. Oder wie der Musikwissenschaftler Dr. Gunter Kreutz einmal formuliert hat: Singen ist „eine Art Lachen in Zeitlupe.“ Und da Lachen bekanntlich gesund ist, gilt Musik auch als Heilmittel in der Medizin. Bestimmte Krankheitsbilder werden mit Musiktherapie behandelt. Aber auch Gesunde profitieren vom Singen, so die These: Angeblich fördert es die Abwehrkräfte und steigert die Lebenserwartung. Wer Musik macht, lebt gesünder.
Experten fordern daher mehr Musik im Alltag von klein auf. Denn, so die These, preiswerter und effizienter könne man den Nachwuchs nicht fördern.
Entwicklung des Gehörs
Viele Eltern stehen vor der Frage: Wann sollte die Förderung beginnen? Braucht das Baby schon im Bauch der Mutter Mozart und Beethoven? Ob Wolfgang Amadeus schon als Embryo mit Musik beschallt wurde, ist nicht überliefert. Tatsächlich hat er es später mit Begabung und Förderung zu großem Ruhm gebracht. Ob die ganz frühe „Förderung“ schon während der Schwangerschaft musikalische Begabung fördert, ist umstritten. Tatsache ist: Am Anfang ist das Hören, das Sehen kommt erst später. Das Hören ist bei Ungeborenen einer der ersten Sinne, die funktionieren. Etwa ab der 14. Woche bildet sich das Gehör aus, obwohl der Winzling keine zwei Zentimeter misst. Etwa zwischen dem 5. und dem 6. Monat kann das Ungeborene Geräusche wahrnehmen, zunächst den Herzschlag und das Magengrummeln der Mutter, später auch ihre Stimme oder Geräusche von außen. Schwangere merken das daran, dass das Baby auf Lärm mit Tritten reagiert. Etwa ab der 27. Schwangerschaftswoche reagieren Ungeborene auf bekannte Melodien, z.B. von einer Spieluhr, einer CD oder vom Vorsingen. Diese erkennen sie auch nach der Geburt noch wieder.
Sobald das Kleine auf der Welt ist, bleibt das Gehör einer der wichtigsten Sinne. Da das Neugeborene anfangs nur verschwommen sieht, erkennt es die Eltern zunächst vor allem an der Stimme und am Geruch. Das Gehör ist mit der Geburt organisch voll entwickelt, es muss aber noch das richtige Hören lernen. In den ersten Lebensjahren verfeinern und schärfen die Kleinen den Hörsinn. So müssen sie erst noch lernen, Geräusche zu orten. Wie alle anderen Sinne auch braucht das Gehör Reize und Anregungen von außen, um sich zu entwickeln. Eltern machen das oft intuitiv richtig, indem sie den Kleinen Vorsingen oder ihnen mit Babysprache, häufigem Wiederholen und einem bestimmten Singsang „antworten“. In den ersten 12 bis 18 Lebensmonaten reift das Gehör soweit, dass das Baby in der Lage ist, selbst Laute zu produzieren. Es brabbelt und plappert zunächst, bis zum ersten Wort dauert es dann nicht mehr lange.
Musik kann dabei durchaus helfen. Dabei spielt es anfangs kaum eine Rolle, was für Musik man den Kleinen vorspielt. So wurde festgestellt, dass Drei- bis Vierjährige noch nicht in der Lage sind, traurige von fröhlicher Musik zu unterscheiden oder sie mit Gefühlen wie Wut oder Freude in Verbindung zu bringen. Das gelingt dem Nachwuchs erst ab etwa fünf Jahren. Zunächst orientieren sie sich dabei am Tempo (langsam/traurig, schnell/fröhlich), später auch am Tongeschlecht (Moll/traurig, Dur/fröhlich). Wann Kinder Musik in ihrer ganzen Ästhetik wie Erwachsene empfinden, ist nicht ganz geklärt.