Möglichkeiten der Musikerfahrung
Musik kann also ungemein viel leisten und bewirken. Aber was ist Musik eigentlich? Nach enger Definition bedeutet Musik die Fähigkeit, Töne nach bestimmtem Rhythmus und Melodie zu einer Komposition anordnen zu können – sei es mit der eigenen Stimme oder auf einem Instrument. Wenn man Musik weiter fassen will, gehört zur Musik nicht nur das Singen, sondern auch das Spielen von Instrumenten, das Tanzen, das Erleben von Musik, z.B. im Konzert. Die meisten Kinder erleben Musik ganz aktiv spätestens in der Schule, oft auch schon im Kindergarten, manchmal auch zu Hause. Man geht davon aus, dass musikalische Erfahrungen der frühen Kindheit bis ins Jugend- und Erwachsenenalter nachwirken. Will heißen: Wer seine Eltern schon früh in klassische Konzerte begleitet hat, wird diese vermutlich auch später noch lieben. Wenn Musik in Familien nur nebenbei im Radio läuft, werden auch die Kleinen kaum ein ausgeprägtes Interesse an Musik entwickeln. Im Grunde ist es mit der Musik ähnlich wie mit dem Lesen, dem Interesse an Kunst oder dem Umgang mit Geld: Das Elternhaus prägt entscheidend die spätere Entwicklung.
Manch ein Erwachsener wird erst durch seine Kinder (wieder) musikalisch, traut sich auch außerhalb der Dusche zu singen, lernt Kinderlieder neu, besucht Konzerte für Kleine und Große. Wer als Kind schlechte oder wenig Erfahrung mit Musik gesammelt hat, für den kann der eigene Nachwuchs durchaus die Chance sein, wieder mehr Musik in sein Leben zu lassen. Auch wenn Eltern glauben, sie könnten nicht singen, Experten raten: Mit den Kindern lieber schief singen als gar nicht singen. Denn: Musikalisch sein heißt nicht, jeden Ton zu treffen oder beim Hören von Musik gar zu erkennen. Musikalisch sein heißt in erster Linie, sich auf Musik einzulassen, von ihr berührt zu werden, sie zu mögen. Und das ist üblicherweise bei fast allen Kindern gegeben, zumindest bis zur Schule.
Eine gewisse Musikalität im Sinne von Begabung steckt in jedem Neugeborenen. Was man daraus macht, ein Bandmitglied oder einen weltbekannten Tenor, das hängt ein Stück weit an der Musikerfahrung, die Kinder von Beginn an sammeln, sei es zu Hause, in der Kita, in der Schule oder im Konzert. Erste bewegende Musikerlebnisse haben die Kleinen oft außerhalb: Beim Stadtfest, beim Tag der offenen Tür an der Musikschule, beim Schülerkonzert oder bei einer öffentlichen Probe. Letztere hat den Vorteil, dass sie oft zeitig beginnt und es nicht auffällt, wenn man den Saal frühzeitig verlässt. Das alles sind Gelegenheiten, Musik mehr oder weniger passiv wahrzunehmen. Ebenso wichtig: selbst aktiv werden. Jedes Alter bietet dabei unterschiedliche Möglichkeiten, die kleinen Nachwuchs-Mozarts zu fördern und zu fordern. Einigkeit herrscht unter Experten, auch unter Verfechtern musikalischer Bildung: Zwang ist kontraproduktiv.
Musik und Babys
Wie wichtig Musik im Alltag schon vom ersten Lebenstag an ist, zeigt die wichtigste Einschlafhilfe für kleine Schreihälse: Ein Lied vorsingen und in den Schlaf schaukeln, sei es auf dem Arm, in der Wiege oder im Autositz. Dass Neugeborene auf rhythmisches Schaukeln reagieren, lernen sie übrigens auch schon in Mamas Bauch: Wenn sie sich in der Schwangerschaft bewegt, schläft das Kind oft. Setzt sie sich dagegen hin oder geht schlafen, wird das Baby wach. Wiegenlieder gibt es in allen Kulturen und Sprachen, aber eines haben sie gemeinsam: Melodie und Tonfolge ähneln sich. Die Melodie ist einfach, das Lied leise und harmonisch. Der Rhythmus gleicht dem Herzschlag aus Mamas Bauch. Studien haben gezeigt, dass schon Säuglinge bestimmte Melodien und Tonfolgen als solche wahrnehmen.
Babys reagieren also von Beginn an auf Musik, zunächst emotional, indem sie sich von Musik beruhigen oder auch anregen lassen. Kaum dass sich die Zwerge auf den Beinen halten können, fangen sie auch schon an mit zu wippen, wenn sie Musik hören. In dem Alter spielt es noch keine große Rolle, in welcher Form die Kleinen Musik erfahren, sondern vor allem, dass sie überhaupt unterschiedliche Musikerlebnisse sammeln können. Die meisten tun das zu Hause mit den Eltern, Krabbelgruppen können eine gute Ergänzung sein. Sie beginnen meist mit dem gemeinsamen Singen und integrieren Fingerspiele.
Musik im Kleinkindalter
Babys und Kleinkindern reicht an Musikerfahrung meist das, was sie zu Hause vorfinden. Anfangs die Rassel und die Spieluhr, später das Gute-Nacht-Lied, Hoppe-Reiter auf Papas Knien, eine CD mit Kinderliedern und kleine „Hausinstrumente“. Das kann ein Knallfrosch sein, eine Pfeife, der Brummkreisel oder die Glocke. Da Kinder unter drei Jahren in der Regel noch keine Musikvorlieben haben und für alles offen sind, sollte man ihnen unterschiedliche Musikrichtungen vorspielen – von Klassik bis Pop, von Rock bis Punk. In dem Alter hören sie alles gern und saugen mit Neugierde Neues auf. Natürlich tun sie das noch lieber, wenn Mama nicht nur die CD einlegt, sondern auch mitsingt und tanzt.
Für die musikalische Früherziehung in den ersten Lebensjahren reicht es daher, wenn Eltern und Erzieher in der Kita ihrer Intuition folgen. Sie merken meist schnell, welche Spiele, Verse und Lieder die Kleinen mögen. Leistung sollte im Kindergartenalter keine Rolle spielen. Eltern sollten das Interesse der Kleinen an jeglicher Form von Musik stattdessen nutzen und ihnen genug Freiraum und Anregung geben, ihren Drang nach Singen oder Tanzen auszuleben. Ein richtig oder falsch gibt es in diesem Alter nicht. Eben weil die Kleinen noch nicht wissen, was „schief“ klingt oder komisch aussieht, leben sie ihre Begeisterung für Musik offen aus. Sie tanzen wild und singen laut, ohne jede Scham.
Im oft stressigen Alltag mit Kleinkindern kann Singen ein wichtiger Helfer sein. Es kann Rituale begleiten, Kummer trösten und Konflikte entschärfen. Das funktioniert beim Aufräumen ebenso wie beim Zähneputzen oder zu-Bett-bringen. Auf langen Autofahrten kann die Lieder-CD das Quengeln von der Rücksitzbank für eine Weile unterbinden.
Musik im Kindergartenalter
Mit etwa drei bis vier Jahren ist das Kind körperlich und geistig so weit, dass es bei Interesse mit der musikalischen „Bildung“ beginnen kann. Musikschulen bieten bereits seit den 1970er Jahren musikalische Früherziehung für Kinder von etwa vier bis sechs Jahren an. Sie können sich – je nach Kursangebot mit oder ohne Eltern – an verschiedenen Instrumenten ausprobieren und lernen Musik in all ihren Facetten kennen. Die Theorie, wie das Lernen von Noten steht hier noch im Hintergrund. Vielmehr sollen die Kinder selbst praktisch Musik machen. Während der musikalischen Früherziehung lernen die Kleinen nicht nur unterschiedliche Instrumente kennen. Sie lernen auch das Zuhören: Sie merken, dass Musik mal schnell und mal langsam ist, dass es hohe und tiefe Töne gibt, was Rhythmus ist und wie man sich dazu bewegt.
Wer die Musikschule in dem Alter noch scheut, kann seinem Nachwuchs auch zu Hause oder in der Kita Anregungen geben. Die Instrumentenkiste daheim kann jetzt erweitert werden um die Triangel, das Xylophon oder die Flöte. CDs mit Kinderliedern können die Kleinen jetzt schon selbst einlegen und anhören. Idealerweise kommen Kinder von drei bis fünf Jahren täglich etwa eine halbe Stunde mit Musik in Kontakt. Je jünger sie sind, desto mehr sollte das Musizieren mit Bewegung verbunden sein. Die Musikrichtung spielt in dem Alter noch immer eine untergeordnete Rolle, vierjährige lassen sich auch noch von Klassik mitreißen. Je älter die Kinder werden, desto mehr bevorzugen sie bestimmte Musikrichtungen, meist ab der Grundschule.