Bäcker sind keine Sattmacher mehr, sondern Luxusproduzenten
Bäckermeister Roland Ermer ist Präsident des Sächsischen Handwerkstages und Inhaber einer Bäckerei mit drei Filialen in der Lausitz. Im Interview spricht er über Brot als Luxusartikel, über den Mythos vom ungesunden Weißbrot und darüber, warum die Auswahl des Belags wichtiger ist, als die des Brotes.
Die deutsche Brotkultur ist als Kulturerbe geschützt, es gibt im Land 3.200 Brotsorten und ein Brotmuseum. Haben Sie eine Idee, warum ausgerechnet die Deutschen so „brotversessen“ sind?
Die Brotvielfalt ist nicht nur ein Phänomen in Deutschland, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es eine große Auswahl an Brotsorten. Warum das so ist, kann ich nur vermuten. Sicher hat es etwas mit der Handwerkstradition zu tun, die sich hier entwickelt hat. Viele Jahrhunderte war es auch wichtig, die Bevölkerung satt zu kriegen ohne Fleisch. Dafür eignet sich Brot – übrigens noch heute – wunderbar. Mittlerweile ist Brot zum Luxusartikel geworden. Zum satt werden brauchen wir Brot heute nicht mehr. Wer genug Geld verdient, greift eben auf andere, vermeintlich höherwertige Lebensmittel zurück. Wir haben Fleisch und andere Lebensmittel im Überfluss. Aber ein gut gemachtes, ofenfrisches Brot ist eben mehr: Es bedeutet Lebensqualität, Genuss, Heimat. Daher ist Brot der preiswerteste „Luxusartikel“, den Sie kaufen können. Wenn Sie nur den Hunger stillen müssen, reicht auch Haferbrei.
Was bedeutet das für Sie als Bäcker, wenn Brot zum Luxusartikel wird?
Natürlich hat sich über die Jahrzehnte unsere Arbeit verändert. Wir sind heute keine Sattmacher mehr, wir können uns nicht darauf verlassen, dass jeder täglich Brot isst und bei uns kauft. Aber wir können ein Genussmittel herstellen, Brot wird oft unterschätzt. Dabei ist es nahrhaft und unglaublich vielfältig. 3.000 Brotsorten – das ist ja auch ein Zeichen dafür, wie kreativ Bäcker sind. Ich denke, das Urbedürfnis nach Brot braucht wieder eine Renaissance. Wenn man sieht, wie viele Menschen auf der Welt hungern müssen, werden wir dahin zurückgehen müssen, weniger Fleisch zu essen und dafür mehr Getreideprodukte. Hinzu kommt, dass Brot auch in Familien ein Stück weit an Bedeutung verliert. Brotbüchsen, werden wenn überhaupt noch, mit anderen Dingen als belegten Broten gefüllt. Wie viele Familien versammeln sich noch gemeinsam zum Abendbrot am Tisch?
Wie wollen Sie die davon überzeugen, wieder mehr Brot beim Bäcker zu kaufen?
Indem wir deutlich und transparent machen, was wir leisten: Wir Bäcker produzieren traditionell von Hand mit Zutaten aus der Region tolle Brote. Genau das müssen wir kommunizieren: Mensch, schaut mal, was für ein tolles Produkt sich aus so einem einfachen Rohstoff, der um die Ecke wächst, machen lässt. Die Brötchen vom Bäcker sind nicht vergleichbar mit den anonymen Teilchen vom Discounter, bei denen ich nicht weiß: Wer hat das gemacht? Wo kommt es her? Was ist da drin?
Das ist vielleicht anonym, aber unschlagbar preiswert… Ohne Frage. Aber woran liegt das?
Wir haben noch sehr viel Handarbeit. Beim traditionellen Bäcker von nebenan backen noch Menschen, nicht Maschinen. Unsere Brötchen haben einen Lohnkostenanteil von etwa 50 Prozent, die vom Backautomaten von 3 bis 6 Prozent. Durch die riesigen Mengen, die für die Discounter produziert werden, können sie mit ganz anderen Einkaufspreisen kalkulieren. Bei uns stellen vier Mann 2.000 Brötchen pro Stunde her, beim Industrie-Großbäcker bedient einer die Maschinen, die 150.000 Brötchen pro Stunde produzieren. Dazu kommt, dass man beim Bäcker noch bedient wird. Diesen Service, einschließlich Beratung, bekommen Sie nicht beim Discounter. Schlussendlich schmeckt ein Brot ganz anders, das genügend Zeit zum Reifen hatte und das mit regionalen ausgewählten Zutaten gebacken wird.
Ist diese Billig-Konkurrenz die größte Herausforderung für Lausitzer Bäcker?
Die Backautomaten vom Discounter sind tatsächlich eine große Herausforderung. Mit den Preisen können wir einfach nicht mithalten. Aber unser größtes Problem ist der fehlende Nachwuchs. Es ist sehr schwer, Auszubildende zu finden und vor allem Bäcker, die bereit sind, einen Betrieb zu übernehmen, sich selbständig zu machen.
Woran liegt das?
Zum einen ist es ein quantitatives Problem. Wo weniger Menschen leben, finden sich auch weniger Fachkräfte. Es ist aber auch ein gesellschaftliches Problem. Viele junge Leute entscheiden sich lieber zum Studium anstatt für eine handwerkliche Ausbildung. Und Unternehmer haben ein ganz schlechtes Image. Sie werden als Ausbeuter der Gesellschaft gesehen, nicht als Menschen, die Arbeitsplätze schaffen. Sich selbständig zu machen, gilt nicht mehr als attraktiv. Daran muss die Politik arbeiten, das ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wie können Eltern dafür sorgen, dass der Inhalt der Brotbüchse attraktiver wird?
Wichtig ist es zuerst einmal, dass die Brotbüchse tatsächlich Brot enthält und nicht nur irgendwelche Riegel und Snacks. Wenn Eltern wollen, dass es auch tatsächlich gegessen wird, sollten sie die Kinder mit einbeziehen. Was brauchen sie, was schmeckt ihnen? Welches Brot essen sie gern, welchen Belag? Das kann natürlich auch mal Nutella sein. Aber es gibt noch so viele Alternativen.
Weizenmehl hat mittlerweile einen schlechten Ruf. Sind helle Brötchen und Weißbrot tatsächlich so ungesund?
Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Weizen ist nicht schlechter als andere Getreidearten. Selbst Vollkornbrote werden von Experten nicht als gesünder bezeichnet, nur als ernährungsphysiologisch günstiger. Schauen Sie sich doch die Franzosen oder Spanier an, die essen nur Weizenbrot. Leben die ungesünder? Im Gegenteil, ihre gesunde Lebensweise wird immer wieder betont. Unsere Fehlernährung kommt nicht vom Brot, sondern vom falschen Belag. Wir legen zu viel und das falsche aufs Brot. Bei den Franzosen gibt es zum Baguette mageren Schinken oder Gemüsequark, bei uns gibt es zum Brötchen Bockwurst oder Leberkäse. In meiner Kindheit gab es ein Mal pro Woche Fleisch. Heute essen wir Unmengen an Fleisch und Wurst. Ich halte auch Diätratgeber für problematisch, die empfehlen auf Getreideprodukte wie Brot zu verzichten. Der Mensch ist ein „Allesfresser“, er sollte von allem essen – nur eben in Maßen.
Wie sehen Sie den Trend zum Selberbacken von Brot?
Das finde ich gut. Wer sein Brot auch mal selber bäckt, der beschäftigt sich mit Lebensmitteln, der weiß, was in so einem Brot drin steckt, was für ein hochwertiges Lebensmittel das eigentlich ist. Vor allem merkt er, wieviel Arbeit in so einem Brot steckt. Brot backen ist ein sehr komplexer Vorgang, das schafft keiner so gut wie ein ausgebildeter Bäcker mit den entsprechenden technischen Voraussetzungen einer Backstube, das fängt beim Ofen an. Aus meiner Erfahrung scheuen viele, die es mal ausprobiert haben, den Aufwand und gehen langfristig doch lieber zum Bäcker Ihres Vertrauens.
Wie finde ich den am besten?
Da kann ich die Brot-Test-App empfehlen, ein Bäckerei-Finder, der jene Bäcker anzeigt, deren Brot und Brötchen bei einem Test für gut oder sehr gut befunden wurden. Wer nicht so internetaffin ist, sollte beim Bäcker nachfragen, wie dort produziert wird oder einfach mal Bekannte fragen, welchen Bäcker sie empfehlen würden. Auch die Empfehlungen des Magazins „Der Feinschmecker“ geben einen Anhaltspunkt. Dort werden regelmäßig Bäckereien getestet und die Auswahl veröffentlicht. Wir als Bäckerei haben die Auszeichnung jetzt zum zweiten Mal bekommen. Das macht uns durchaus stolz, da es eine Bestätigung für unsere gute Arbeit ist. Es ist schon eine Leistung, bei deutschlandweit 13.000 Bäckereien unter die 600 ausgewählten zu kommen.
Welches Brot kommt bei Ihnen zu Hause vorzugsweise auf den Esstisch?
Während meine Frau eher kompakte Vollkornbrote mag, ziehe ich ein gutes Mischbrot vor. Zum Frühstück gibt’s für mich nichts besseres als ein knuspriges frisches helles Brötchen.
Vielen Dank für das Interview!