Helden des Alltags

Datum: Montag, 28. Mai 2018 11:51


Von Feuerwehr bis Sportverein: Kinder im Ehrenamt

Sie sind die heimlichen Helden des Alltags. Während andere die Beine hochlegen und den Fernseher einschalten, trainieren sie die D-Jugend des lokalen Fußballclubs, trösten sie als Seelsorger Menschen in schweren Stunden, lesen sie in Kitas Bücher vor. Ehrenamtliche sind eine elementare Stütze unserer Gesellschaft. Ohne freiwilliges, unbezahltes Engagement würde unsere Gesellschaft nicht nur wackeln, vieles würde zusammenbrechen – auch bei uns in der Lausitz. Die Lokalzeitung in Weißwasser titelte kürzlich: „Ohne Ehrenamt sähe die Kulturlandschaft in Weißwasser nicht so vielfältig aus.“ Vor allem für die Sportvereine in der Region sind die ehrenamtlichen Trainer existenzsichernd. Allein für den Sportclub Hoyerswerda stehen Woche für Woche 150 ehrenamtliche Trainer am Spielfeldrand, die acht hauptamtlichen Trainer stemmen nur einen Bruchteil des Angebots. Beim Stadtsportbund Cottbus sind es sogar fast 1.000 ehrenamtliche Trainer.

Auch der Alltag von Familien ist stark durch ehrenamtliches Engagement geprägt: In der Kita und in der Schule bringen Mütter und Väter sich über den Elternrat mit ein. Wenn der Frühjahrsputz oder die Renovierung des Spielplatzes anstehen, sind fleißige Kinder- und Elternhände gefordert. Und fast jedes Sommerfest ist dank selbst gebackener Kuchen immer auch ein kulinarisches Vergnügen.

Würden also nicht immer wieder Mütter und Väter, aber auch Rentner, Arbeitslose und nicht zuletzt Kinder und Jugendliche mit anpacken, dann sähe die Vereins- und Freizeitlandschaft nicht nur in der Lausitz sehr viel ärmer aus.
Da sich der Staat mit dem Verweis auf leere Kassen immer weiter auf die dringend notwendige Daseinsfürsorge beschränkt, ist der engagierte Bürger immer mehr gefordert. Der bewusst von der Bundesregierung forcierte Paradigmenwechsel vom Sozialstaat hin zur Bürgergesellschaft zielt darauf, immer mehr Aufgaben an freiwillige Helfer zu übergeben. So heißt es im Abschlussbericht der eigens dafür eingesetzten Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ von 2002: „Unter dem Stichwort einer neuen Verantwortungsteilung wird in der Bürgergesellschaft mehr bürgerschaftliche Verantwortung von den Bürgerinnen und Bürgern erwartet (…) Formen der Selbstverpflichtung werden umso notwendiger, je stärker sich der Staat von geltenden Regelungsansprüchen zurückzieht und Aufgaben, die nicht staatlich geregelt werden müssen, bürgerschaftlichen Akteuren überantwortet.“
Die Gefahr dahinter: Der Staat zieht sich immer mehr zurück: „Die wichtige Ressource Engagement wird jedoch missbraucht, wenn sie – institutionalisiert und auf Dauer berechnet – dazu dient, die Löcher in den Etats der öffentlichen Daseinsvorsorge zu stopfen und Mängel lediglich zu verwalten, statt sie zu beheben“, warnt die Politologin und Journalistin Claudia Pinl in einem Aufsatz.

Daher ist es wichtig, dass Engagement freiwillig bleibt und keine regulären Arbeitsplätze ersetzt. Weil Ehrenamt trotz allem etwas Schönes ist, weil es zufrieden machen kann, weil gerade Kinder und Jugendliche daran wachsen können, wollen wir uns auf den kommenden Seiten genau diesem Thema widmen: Wo können sich Schüler engagieren? Was haben sie davon und was sollten sie dabei beachten?


Begriffsklärung

Der Begriff des Ehrenamts ist nicht ganz eindeutig, er konkurriert mit Begriffen wie Freiwilligenarbeit, bürgerschaftlichem bzw. zivilgesellschaftlichem Engagement. Je nach Definition werden auch Vereinsmitglieder ohne Amt oder Funktion dazugezählt. Darüber hinaus gibt es die gesetzlich geregelten Freiwilligendienste wie den Bundesfreiwilligendienst (Bufdi), das Freiwillige Soziale Jahr oder das Freiwillige Ökologische Jahr. Sie unterscheiden sich durch andere gesetzliche Grundlagen, die Zahlung eines Taschengeldes und die zeitliche Befristung vom klassischen Ehrenamt, das meist neben Schule oder Beruf ausgeübt wird, während Bufdis in der Regel eine Vollzeitstelle ausfüllen.
Wir verstehen im folgenden unter Ehrenamt jenes Engagement, das freiwillig, unentgeltlich, gemeinwohlorientiert erfolgt und über das reine Mitmachen im Verein hinausgeht. Nachbarschaftshilfe ist ebenfalls sehr wertvoll, fällt aber nicht unter diese Definition. In den meisten Fällen läuft Ehrenamt über Vereine, Verbände, Organisationen oder Institutionen. Eine Bezahlung erfolgt nicht, aber u.U. werden Ausgaben erstattet oder eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Eine Absicherung über die gesetzliche Unfallversicherung ist gegeben. Kinder beginnen mit einem solchen Ehrenamt in der Regel ab zwölf Jahren, in einigen Fällen, wie bei der Freiwilligen Feuerwehr, ist die Abgrenzung zwischen Hobby und Ehrenamt nicht ganz so klar zu ziehen.

Nur für wenige Ehrenämter ist eine spezielle Aus- oder Weiterbildung notwendig, vor allem in der Freiwilligen Feuerwehr und im Bereich der Rettungsdienste (z.B. THW oder DLRG) braucht es besondere Kenntnisse, die sich aber jeder in speziellen Lehrgängen und Schulungen aneignen kann.


Zahlen zum Ehrenamt

4,6 Mrd. Arbeitsstunden pro Jahr – diese eindrucksvolle Zahl hat die Prognos AG für 2009 zusammengerechnet, indem sie die unterschiedlichen Formen freiwilligen Engagements zusammengezählt hat. Die 4,6 Mrd. Arbeitsstunden entsprechen 3,4 Mio. Vollzeitstellen.

Geleistet werden sie nur von einem Teil der Gesellschaft: Etwa jeder dritte Deutsche engagiert sich ehrenamtlich. Je nach Zählweise und Definition von Ehrenamt schwankt der Anteil der Freiwilligen 

zwischen 28 und 44 Prozent. Die wichtigste Datenbasis zum Ehrenamt in Deutschland ist der Deutsche Freiwilligensurvey. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums wird seit 1999 regelmäßig im Abstand von fünf Jahren geschaut, wie es um das freiwillige Engagement der Menschen im Land steht. Die aktuellste Studie stammt von 2014. Demnach engagieren sich 43,6 Prozent der Deutschen freiwillig neben Job bzw. Schule/Studium und Familie, das entspricht fast 31 Millionen Menschen. Der Anteil der Menschen, die ein Ehrenamt ausüben, ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.

Männer (45,7%) engagieren sich etwas häufiger als Frauen (41,5%). Besonders niedrig ist die Quote bei Menschen ab 65 Jahren. Auffallend oft engagieren sich Schüler: 54,8 Prozent der befragten Schüler gaben an, sich freiwillig zu engagieren – das ist Rekord unter allen Befragten.

Dazu kommen jene Menschen, die sich ebenfalls freiwillig engagieren, aber informell, außerhalb von festen Strukturen. Sie kümmern sich z.B. ein Mal die Woche als Leihoma um die Kinder von Bekannten, sie helfen dem Gartennachbarn beim Baumverschnitt, sie hüten den Hund der Nachbarn oder helfen regelmäßig beim Einkauf, sie bringen den PC der besten Freundin auf Vordermann. Etwa jeder fünfte Befragte engagiert sich auf dieser informellen Ebene.

In der jüngsten Shell-Jugendstudie von 2015 gaben 34 Prozent der befragten Jugendlichen ab zwölf Jahren an, sich aktiv für andere zu engagieren. Die vom Deutschen Jugendinstitut erhobene Studie „AID:A Aufwachsen in Deutschland“ hat die Vereinstätigkeit von jungen Menschen zwischen 13 und 32 Jahren erfasst. Demnach sind 61 Prozent der Befragten in einem Verein aktiv und etwa 24 Prozent haben dort auch eine Funktion, üben also ein klassisches Ehrenamt aus. Dabei zeigt sich, dass das Engagement mit dem Übergang von der Schule zum Studium/ Beruf deutlich zurückgeht: Üben noch etwa 30 Prozent der Kinder ab 13 Jahren ein Amt im Verein aus, sind es nach Erreichen des Schulabschlusses nur noch etwa 20 Prozent.

Durch alle Altersgruppen und Studien zieht sich der Befund, dass Menschen mit höherem sozialen Status eher ein Ehrenamt übernehmen als andere. Abiturienten und Hochqualifizierte sind häufiger in Vereinsvorständen und auf Trainerbänken zu finden als Oberschüler oder Arbeitslose.

Die mit Abstand meisten Ehrenämtler finden sich in Sporthallen: als Übungsleiter trainieren sie nach Schul- oder Dienstschluss die Nachwuchssportler. Dass der Bereich Sport der bedeutendste für das Ehrenamt ist, bestätigen auch die Ergebnisse des Freiwilligensurvey, demnach engagieren sich 16,3 % aller Freiwilligen im Bereich Sport, es folgen Kita & Schule sowie Kultur & Musik:
Bei den Jugendlichen steht der Sportverein ebenfalls ganz oben auf der Hitliste der beliebtesten ehrenamtlichen Tätigkeiten, gefolgt von Kirche und Schule. Allerdings zeigt sich seit 1999 eine leichte Verschiebung des jugendlichen Engagements innerhalb der verschiedenen Tätigkeitsbereiche. Jugendliche übernehmen häufiger freiwillige Aufgaben im kirchlichen Umfeld und der Jugendarbeit und seltener im Sport und im Bereich Freizeit/Geselligkeit. Unterrepräsentiert sind Jugendliche in den Bereichen Politik, Selbsthilfe, Gesundheit/ Pflege, Nachbarschaftspflege. Jene Bereiche also, zu denen sie im Alltag (noch) wenig Berührungspunkte haben.