Jugendliche finden häufig über die Schule zum Ehrenamt
Interview mit Soziologin Martina Gille über das Engagement junger Leute. Martina Gille leitet im Deutschen Jugendinstitut das Kompetenzteam „Jugend“ im Projekt „AID:A Aufwachsen in Deutschland“. Aus ihren Forschungen weiß sie, wie sich Jugendliche für freiwilliges Engagement begeistern lassen und warum das für die Gesellschaft so wichtig ist.
Viele Vereine beklagen Nachwuchsmangel: Können Sie das bestätigen? Sind Kinder und Jugendliche vereinsmüde?
Was das Engagement Jugendlicher in Vereinen und Verbänden angeht, haben wir – seit Erhebungsbeginn Anfang der 1990er Jahre – eine weitgehende Konstanz. Der Wert ist über die Jahre weitgehend stabil geblieben. Aktuell sind etwa 67 Prozent der 12- bis 25-Jährigen mindestens in einem Verein aktiv und etwa 26 Prozent haben mindestens ein Ehrenamt inne. Dabei steht der Sport bei den Jüngeren an erster Stelle, das geht aber mit dem Alter stark zurück. Bei jungen Leuten spielen zudem Musik und Kultur sowie Kirche und religiöse Gruppen eine große Rolle. Auch die Freiwillige Feuerwehr ist für junge Leute relativ wichtig. Aktivitäten in Gewerkschaften werden erst mit Beginn der Ausbildung interessant.
Inwiefern unterscheiden sich Jugendliche und Erwachsene bei ehrenamtlichem Engagement?
Unterschiede gibt es vor allem hinsichtlich der Bereiche, in denen sich Jugendliche und Erwachsene engagieren. Erwachsene finden wir stärker im Bereich Politik, berufliche Interessenvertretung, Gesundheit und Soziales, also Themen, die für Jugendliche noch weiter weg sind. Die unterschiedlichen Geschlechterprofile, also dass Frauen eher in den Bereichen Kirche und Soziales und Männer eher bei Sport und Politik zu finden sind, findet sich bei Erwachsenen und Jugendlichen gleichermaßen.
Warum engagieren sich Jugendliche ehrenamtlich? Was sind die wichtigsten Motive?
Da bietet der Freiwilligensurvey eine ganz gute Datenbasis. Für fast alle Altersgruppen steht im Vordergrund: Das Ehrenamt soll Spaß machen. Wichtig ist auch die soziale Komponente, also mit anderen Menschen zusammen zu kommen. Für die Jugendlichen speziell ist zudem das Motiv der Qualifikationen wichtig, das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Darin drückt sich die Hoffnung aus, diese erworbenen Qualifikationen für das berufliche Vorankommen zu nutzen.
Laut Freiwilligensurvey 2014 ist der Anteil ehrenamtlich Engagierter unter Schülern mit knapp 55 Prozent besonders hoch. Warum engagieren sich Schüler stärker als andere Altersgruppen?
Schüler sind tatsächlich in Vereinen und in der Schule sehr aktiv und übernehmen da auch eher freiwillige Aufgaben. Allerdings lässt das mit dem Alter deutlich nach. Azubis beispielsweise haben sehr viel weniger Zeit als Schüler oder auch Studenten. Junge Menschen, die durch den Wechsel von der Schule in die Ausbildung oder zum Studium mobil sein müssen, fallen schnell aus dem Engagement raus. Für solche regional mobilen Jugendlichen, die auch mal den Wohnort wechseln, müsste es Angebote geben, die flexible Formen des Engagements ermöglichen.
Wovon hängt es ab, ob sich ein Jugendlicher ehrenamtlich engagiert oder nicht?
Eine Rolle spielen die Bildungsressourcen. Gymnasiasten sind deutlich engagierter als Schüler anderer Bildungsgänge. Auch Faktoren wie Mobilität, das Geschlecht, Migrationshintergrund und das Elternhaus, spielen eine Rolle dabei, wer sich engagiert und in welchem Bereich.
Welchen Einfluss haben denn Eltern?
Das Elternhaus spielt eine ganz wichtige Rolle. Kinder, deren Eltern selbst ehrenamtlich tätig sind bzw. in ihrer Jugend tätig waren, finden eher selbst zum Engagement. Insofern haben Eltern eine Vorbild- und Unterstützerfunktion. Aber es gibt natürlich auch immer Jugendliche, die von sich aus ihr Engagement finden, unabhängig vom Elternhaus.
Wie könnten Eltern ihr Kind zu freiwilligem Engagement motivieren?
Eltern können ihr Kind indirekt unterstützen, indem sie es in einen Verein oder Verband anmelden. Denn wenn man in solche Strukturen eingebunden ist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit für ehrenamtliches Engagement. Da wird man eher mal angesprochen, ob man nicht Lust hätte, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen. Hilfreich ist es auch Interesse an Politik und am Zeitgeschehen allgemein zu zeigen.
Und welche Rolle spielt die Schule?
Die Schule hat eine wichtige Anregungsfunktion. Schulen bieten heute ja bereits eine ganze Menge an, auch für die Nachmittagsgestaltung. Über Kooperation können die Schüler Kontakt finden zu Vereinen und Institutionen und darüber zu einem Engagement finden. Gerade an Hauptschulen wäre eine direkte Ansprache und Information der Jugendlichen daher wichtig. Auch Universitäten und Ausbildungsbetriebe könnten solch eine Anregungsfunktion übernehmen, indem sie Möglichkeiten des Engagements aufzeigen und junge Leute direkt ansprechen.
Warum ist es überhaupt so wichtig, Menschen für ein Ehrenamt zu begeistern?
Beim Ehrenamt werden Kompetenzen entwickelt und gefördert, die der Gesellschaft und der Demokratie zugutekommen. Freiwilliges Engagement – ganz gleich welcher Art – trägt dazu bei, dass sich der Einzelne stärker für die Gesellschaft und den Staat interessiert, dass er politisch mobilisiert wird, er an Wahlen teilnimmt. Gerade in der heutigen Zeit halte ich das für sehr wichtig. Teilnahme sichert Interesse und Beteiligung, es stärkt die politische Kompetenz von jungen Leuten.
Wie kann es uns als Gesellschaft gelingen, mehr Jugendliche für das Ehrenamt zu begeistern?
Zum einen über die bereits erwähnte Anregungsfunktion der Schulen. Zudem haben wir festgestellt, dass junge Menschen, die ein freiwilliges Jahr absolviert haben, sich nach Ablauf des Jahres eher engagieren als andere, aufgrund ihrer positiven Erfahrungen. Auch solche Angebote haben eine mobilisierende Funktion. Weiterhin könnten niedrigschwellige Angebote helfen, die Hemmschwelle abzubauen. Engagement ist vielerorts an Vereinsdünkel und feste Strukturen gebunden, das schreckt den einen oder anderen vielleicht ab. Ehrenamt soll aber für alle da sein.
Welche Rolle spielt das Internet beim Thema Engagement?
Da ist die Datenlage nicht so gut. Wir wissen, dass das Internet auch für Engagement genutzt wird, aber wir wissen nicht, wie es genutzt wird. Auch die Frage, ob es reines Online-Engagement gibt, wird jetzt erst erforscht. Beispiele dafür sind Wikipedia, online-Seelsorge oder politische Petitionen. Noch ist unklar, ob solche reinen online-Formen auch tatsächlich mehr Menschen für Engagement mobilisieren können.
Laut Freiwilligensurvey engagieren sich Menschen auf dem Land eher als in der Großstadt – haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?
In ländlichen Bereichen ist das Vereinswesen noch stärker ausgeprägt als in der Stadt. Da sind die Menschen von Kindheit an über die Familie beispielsweise in den Trachten- oder Schützenverein eingebunden.