Mit Hand, Kopf und Herz

Datum: Freitag, 07. September 2018 14:02

Das deutsche Schulsystem

Im deutschen Schulsystem überwiegt noch immer Frontalunterricht statt individueller Förderung nach dem Leistungsniveau der Schüler. Individuelle Förderung heißt eben nicht: 25 Schüler lernen im selben Tempo die gleichen Dinge. Individueller Unterricht unterstützt weniger begabte Kinder ebenso, wie er fortgeschrittene Schüler beispielsweise in Leistungsgruppen fördert.

Dabei ist der deutsche Föderalismus, der sich auch im Bildungssystem widerspiegelt, Fluch und Segen zugleich. Er sorgt dafür, dass manche Schüler zwölf Jahre (z.B. in Sachsen) bis zum Abitur brauchen, andere 13 Jahre. Auch das gemeinsame Lernen variiert von Bundesland zu Bundesland. In Sachsen müssen sich Familien bereits nach der vierten Klasse für eine weiterführende Schule entscheiden, in Brandenburg lernen die Kinder bis zur sechsten Klasse gemeinsam. Spätestens, wenn ein Kind im Laufe seiner Schulzeit in ein anderes Bundesland zieht, fällt ihm der Bildungsföderalismus auf die Füße. Andererseits kann jede Schule selbst festlegen, nach welchem Konzept sie arbeitet und mit welchen Methoden. Es gibt einige grobe Vorgaben, wie den Bildungsplan, doch prinzipiell haben die Schulen relativ viel Freiheiten.

Eine ausführliche Beschreibung der deutschen Bildungslandschaft mit einem Exkurs über das Brandenburger Schulsystem findet sich in der lausebande-Ausgabe September 2013.

Leider nutzen die wenigsten Schulen diese Freiheit. Noch immer wird zu viel Wissen vermittelt und zu wenig Bildung und Methoden-Kompetenz. Und obwohl es eine Vielzahl an didaktischen Methoden gibt, um den Unterricht zu gestalten, finden etwa drei Viertel des Unterrichts als Frontalunterricht statt.

Frontalunterricht – Pro & Contra

An kaum einem pädagogischen Konzept scheiden sich die Bildungsgeister so sehr wie am Frontalunterricht. Sein Ruf ist vorsichtig formuliert nicht der beste. Wer das Wort Frontalunterricht hört, hat vermutlich den Lehrer vor Augen, der mit strengem Blick vor der Klasse steht und vor 30 Schülern doziert, die vor ihm sitzen, zuhören, mitschreiben aber wenig selbst aktiv werden. Dabei ist der Frontalunterricht eine der ältesten und verbreitetsten Unterrichtsmethoden nicht nur an deutschen Schulen. Belastbare Zahlen gibt es nicht, aber verschiedene Befragungen und Schätzungen lassen darauf schließen, dass an deutschen Schulen zwischen 60 und 80 Prozent des Unterrichts als Frontalunterricht bzw. direkter Unterricht stattfinden. Das heißt aber nicht, dass in vier von fünf Unterrichtsstunden der Lehrer vor der Klasse steht und doziert. Frontalunterricht ist aus wissenschaftlicher Sicht erst einmal nur eine von mehreren Sozialformen im Schulunterricht. Weitere Formen sind Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Einzelarbeit oder das freie Unterrichtsgespräch. Er unterscheidet sich zudem von offenen Unterrichtsformen wie dem Stationenlernen, der Projektarbeit oder dem Freilernen. Wesentliches Merkmal des Frontalunterrichts ist die dominierende Rolle des Lehrers. Er entscheidet, was gelernt wird und mit welcher Methode. Er bestimmt Verlauf und Organisation des Unterrichts sehr stark. Er leitet an, überwacht und kontrolliert die Lernfortschritte der Schüler. Die Kommunikation verläuft v.a. zwischen Lehrer und Schüler, weniger unter den Schülern. In der Regel ist der Blick der Schüler nach vorn (frontal) auf den Lehrer gerichtet.
Zunehmend setzt sich die Meinung durch, dass auch Frontalunterricht vielseitig sein kann, wenn verschiedene Methoden zum Einsatz kommen. Der Lehrer kann einen Vortrag halten, Diskussionen leiten oder er kann ein Rollenspiel anleiten. In jedem Fall – und das zeichnet Frontalunterricht aus – bleibt beim Lehrer die Rolle des Regisseurs. Frontalunterricht ist dann gut, wenn er als eine von vielen Methoden angewandt wird, wenn er sich mit Formen des selbständigen Erarbeitens von Wissen abwechselt, wenn er die vorhandene Vielfalt an didaktischen Methoden und Medien nutzt, wenn er – wie jeder Unterricht – gut vorbereitet wird. Da Frontalunterricht mit einer starken Rolle des Lehrers vor allem lernschwache Schüler besser mitnimmt und sich für die Vermittlung von neuem Lernstoff besonders eignet, hat er trotz aller Kritik noch immer seine Berechtigung im Klassenzimmer.

Wie gut oder schlecht er für den einzelnen Schüler ist, gilt auch in der Forschung als umstritten. Einig ist man sich aber: Frontalunterricht hat in bestimmten Lernsituationen ebenso seine Berechtigung wie Formen des selbständigen Lernens. Wir fassen die wichtigsten Argumente der Befürworter und Gegner zusammen.

Pro: Frontalunterricht ist effektiv und beliebt

  • Klassischer Frontalunterricht ist sehr effektiv und ist daher zeit- und kostensparend. Es ist weniger aufwendig, eine Aufgabe für die Klasse vorzubereiten als Arbeitsaufträge für mehrere Gruppen.
  • Für die reine Wissensvermittlung ist Frontalunterricht daher besonders geeignet, v.a. solange eine Unterrichtsstunde nur 45 Minuten dauert.
  • Frontalunterricht eignet sich besonders für die Vermittlung von Grundkompetenzen, wenn die Schüler kaum Vorwissen zu einem Thema haben, aber auch für die Vermittlung von Zusammenhängen.
  • Frontalunterricht lässt sich gut planen und vorbereiten, Alternativen für den Unterrichtsverlauf können vorher überlegt werden.
  • Im Frontalunterricht ist die Rückkopplung zwischen Lehrer und Schülern direkter und einfacher möglich, als in selbständiger Gruppen- oder Projektarbeit. V.a. der Blickkontakt zwischen Lehrer und Schülern ermöglicht ein schnelles Reagieren z.B. bei Verständnisproblemen.
  • Frontalunterricht ist nach anstrengenden Arbeitsphasen mit hoher Eigenverantwortung eine Entlastung für die Schüler, da Führung und Verantwortung für den Unterricht nun wieder beim Lehrer liegen.
  • Vielleicht auch aus diesem Grund ist Frontalunterricht bei Schülern sehr beliebt.
  • Frontalunterricht ist vielfältiger als sein Ruf. Er ermöglicht eine breite Palette an Unterrichtsmethoden: Demonstrieren, Veranschaulichen, komplexe Sachverhalte zerlegen, Rollenspiel, verschiedene Fragearten, Kontroversen und Diskussionen, u.a.m.


Contra: Frontalunterricht ist undemokratisch und langweilig

  • Frontalunterricht kann sehr schnell einseitig und langweilig werden, wenn die reine Wissensvermittlung unter Nutzung weniger Methoden praktiziert wird. Das geht auf Kosten des selbständigen, entdeckenden Lernens.
  • Frontalunterricht läuft Gefahr, das Lehren durch den Lehrer mit dem Lernen des Schülers gleichzusetzen. Nicht alles, was der Lehrer sagt, kommt auch wirklich beim Schüler an.
  • Beim Frontalunterricht kommen soziale Kompetenzen wie Kooperationsfähigkeit, Eigeninitiative und Selbständigkeit zu kurz.
  • Frontalunterricht ist undemokratisch, er fördert Anpassung, Gehorsam, Ruhe und Ordnung, vernachlässigt aber demokratische Werte wie Mitbestimmung.
  • Frontalunterricht ist Lernen im Gleichschritt, er wird der Individualität der Schüler nicht gerecht und berücksichtigt nicht ausreichend die Unterschiede in Lerntempo und Auffassungsgabe.
  • Im Frontalunterricht nehmen die Schüler in der Regel eine eher passive Rolle ein, die Aktivitäten liegen vor allem beim Lehrer. Die Gefahr ist größer, dass der Schüler abschaltet und dem Unterricht nicht mehr folgt.
  • Frontalunterricht eignet sich dann weniger, wenn es um die Vertiefung oder Anwendung von erworbenem Wissen geht. Sind bereits Vorkenntnisse vorhanden, sollten lieber Unterrichtsmethoden gewählt werden, in denen sich die Schüler selbständig mit einem Thema auseinandersetzen.