Wischen, Klicken, Zocken

Datum: Dienstag, 30. April 2019 15:08

Digitale Freunde
Online und Offline lassen sich längst nicht mehr strikt trennen, die Grenzen verwischen, beide Bereiche überschneiden sich. Kinder setzen die Gespräche aus der Schule zu Hause via WhatsApp-Gruppenchat fort. Dennoch haben Kinder nicht unbedingt weniger soziale Kontakte oder Freunde als noch vor 20 Jahren. Nur die Kommunikation mit ihnen hat sich verändert – sie treffen sich und schwatzen miteinander, aber sie chatten eben auch miteinander, tauschen Fotos aus und schicken sich ihre Lieblingsvideos.

Kinder in der Pubertät, die sich von ihren Eltern abgrenzen wollen und ihre eigene Identität neu justieren, sehen in WhatsApp, SnapChat & Co. ein geeignetes Instrument dafür. Solange also der Nachwuchs auch noch echte Freunde hat und sich tatsächlich mit Gleichaltrigen trifft, können Eltern entspannt bleiben. Erst wenn sich Kinder völlig in die digitale Welt zurückziehen und ihr Zimmer kaum noch verlassen, läuft etwas schief.

Digitales Lernen: Tablet statt Schulbuch?
Gerade die Schulen und Lehrer sind beim Thema Medienkompetenz immer wieder gefragt. Eltern, die sich mit dem Thema überfordert fühlen, setzen ihre Hoffnungen in die Schulen. Dort möge man doch den Kindern die Kompetenz im Umgang mit Internet und Smartphone beibringen. Eben weil es immer wieder Kinder gibt, die das Internet unbegleitet von Eltern erforschen müssen bzw. dürfen – gerade in sozial benachteiligten Familien – fordern Experten spätestens mit Beginn der Grundschule eine umfassende, möglichst viele Fächer umfassende Medienkompetenz-Förderung. Dafür wiederum bräuchte es nicht nur passende pädagogische Konzepte, sondern auch eine entsprechende Qualifizierung der Lehrer.

Sind die Schulen denn überhaupt in der Lage, die Kinder fit zu machen im Umgang mit Medien? Studien zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich mit digitaler Technik eher unterdurchschnittlich ausgestattet ist. Dass es unter den Schulen bereits digitale Pioniere gibt, haben wir in der letzten lausebande-Ausgabe vorgestellt. Bei der Mehrheit der Grundschulen aber beschränkt sich der Einsatz von Bildschirmen auf gelegentliche Ausflüge ins Computerkabinett.

Mit dem kürzlich beschlossenen Digitalpakt könnte sich das Blatt wenden. Jetzt können alle Schulen von der Grundschule bis zur Oberstufe mit entsprechender Technik ausgerüstet werden. Spannend dabei ist die Frage: Haben sich die Schulen bereits Gedanken gemacht, wofür sie das Geld investieren wollen? Haben sie ein schlüssiges Konzept für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht? Es ist zu befürchten, dass nur ein Bruchteil der Schulen diese Fragen mit „ja“ beantworten kann.

Andere Länder haben die Schulbildung bereits viel stärker digitalisiert. In Südkorea verkündete die Regierung bereits vor gut zehn Jahren die Abkehr vom Schulbuch aus Papier. Doch die Einführung digitaler Schulbücher brachte nicht den erhofften Erfolg. Da die Motivation der Schüler nicht so groß war wie erhofft und auch die persönliche Kommunikation im Klassenraum unter der Technik litt, will man zunächst weiter auch auf Papier setzen.

Dabei fordern auch Medienpädagogen keineswegs eine Techniknutzung um jeden Preis. Sie sagen: Digitale Medien im Unterricht bringen den Schülern nur dann einen Mehrwert, wenn ein pädagogisches Konzept dahintersteht. Zudem sollte das Tablet oder Smartphone nur eines von vielen Unterrichtsmitteln sein. Digitale Technik darf den analogen Unterricht an geeigneter Stelle ergänzen, aber nicht ersetzen. Schreiben mit dem Füller, analoge Experimente und auch das Blättern in Büchern – diese Erfahrungen brauchen Kinder ebenfalls. Je mehr Sinne ein Kind beim Erlernen neuer Dinge einsetzt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch etwas davon hängen bleibt. Ganzheitliche Erfahrungen sind sehr viel prägender als eindimensionale, bei denen das Kind wenig selbst aktiv werden muss. Immerhin gibt es einen Pluspunkt für die digitale Technik: Sie erhöht die Motivation der Kinder. Intergralrechnung macht am PC eher Spaß, als auf dem Papier.

Schreibschrift, Druckschrift oder Tastatur?
Diskussionen entflammen immer wieder um das Erlernen der Handschrift. Müssen unsere Kinder in Zeiten von Smartphone und Tablet überhaupt noch die Handschrift erlernen? Einige Grundschulen sind zumindest davon abgekommen, sowohl Handschrift als auch Druckschrift zu lehren. Stattdessen sollen sich die Kinder aus einer Grundschrift die Handschrift selbst aneignen, indem sie die Buchstaben miteinander verbinden.
Kritiker entgegnen, dass sich Kinder durch das Erlernen der Handschrift wichtige motorische und neurologische Fähigkeiten aneignen. Was man mit dem Stift aufschreibt, so die These, bleibe besser im Gedächtnis haften, als das was man nur eintippt. Beim Schreiben sind im Gehirn sehr viel mehr Prozesse nötig als beim Tippen. Und nur ein Gehirn, das regelmäßig gefordert wird, entwickelt sich weiter. Nicht genutzte Synapsen verkümmern mit der Zeit.
Eine kürzlich veröffentlichte Befragung von Lehrern hat ergeben, dass die Handschrift der Schüler in den vergangenen Jahren immer schlechter geworden sei. Die Studie beruht auf der persönlichen Einschätzung der Lehrer. Ob sich die Handschrift in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich verschlechtert hat, dazu gibt es bisher keine verlässlichen Studien. Ganz unwahrscheinlich ist es nicht. Denn den Kindern fehlt vielfach die Routine. Selbst wenn sie Schreibschrift in der Schule lernen, wenden sie sie im Alltag kaum an. Wer schreibt heute noch Briefe und Postkarten?

Fazit: Ist die Digitalisierung Fluch oder Segen?
Wie sich im Text schon angedeutet hat, funktioniert schwarz-weiß-Denken nicht. Natürlich gibt es jene Warner, die sagen, digitale Medien sind für Kinder und Jugendliche ebenso schädlich wie Drogen oder Alkohol oder ebenso komplex wie Autofahren. Und das erlauben wir ihnen ja auch nicht vor der Zeit. Es gibt aber auch die Gegenseite und die sagt: Neue Erfindungen hatten es immer schon schwer, die Fahrt mit der Eisenbahn galt als ebenso gefährlich wie für Frauen das Lesen. Heute belächeln wir diese Sorgen. Vielleicht hilft es auch, sich daran zu erinnern, dass man als Kind ebenfalls erbittert mit den eigenen Eltern um die Nutzung von Fernseher, Gameboy oder Nintendo gestritten hat.

Bevor sie die Smartphones ihrer Kinder verfluchen, sollten sich Eltern fragen, woher der Nachwuchs die teuren Geräte hat. Oft sind es nämlich die Eltern, die ihre vermeintlich veralteten Geräte den Kindern überlassen oder ihnen ein Neugerät kaufen. Manchmal spielt dabei auch der Wunsch nach Kontrolle hinein. Denn dank des Smartphones lässt sich leichter überwachen, wo sich das Kind gerade befindet.
Natürlich sind die modernen Medien an mancher Stelle auch Segen: in Patchwork-Familien sind Absprachen schneller und unkomplizierter möglich. Weit entfernte Großeltern können dank Chat und Videotelefonie am Alltag der Enkel teilhaben. Kinder können ihre Urlaubsbekanntschaften auch nach Ferienende pflegen.

Wie es nun um die Folgen der Digitalisierung steht, wissen wir erst in einigen Jahrzehnten sicher. Eines eint Kritiker und Befürworter digitaler Medien im Kinderzimmer: Kinder brauchen auch analoge Erfahrungen, sie brauchen Spielzeug, sie müssen Zeit draußen verbringen, sie müssen sich mit ihren Freunden unterhalten. Die Zeit, die Kinder vor dem Bildschirm verbringen (egal ob Fernseher oder Smartphone), die fehlt ihnen für andere Erfahrungen. Daher sollte sie begrenzt sein. Wie stark, das muss jede Familie für sich entscheiden. Feste Hobbys wie Sport oder Musikunterricht, regelmäßige Ausflüge mit der Familie ins Grüne können helfen, die richtige Balance zu finden zwischen digital und analog.

Zum Schluss lassen wir noch zwei Experten mit gegensätzlichen Meinungen zu Wort kommen. Wir haben dem Psychiater Manfred Spitzer und dem Kommunikationspsychologen Markus Appel die gleichen Fragen gestellt. Ihre sehr unterschiedlichen Antworten lesen Sie auf den folgenden Seiten.