Digitale Medien bieten Familien Herausforderungen und Chancen
Prof. Dr. Markus Appel studierte Psychologie und Kulturwissenschaften in Mainz und Berlin und promovierte im Fach Psychologie in Köln. Er forscht v.a. zu den Auswirkungen moderner Medien auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen. Seit 2017 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Universität Würzburg. Er warnt vor Pauschal-Urteilen und Schwarz-Weiß-Denken. Smartphones bergen durchaus Risiken, sagt er, verweist aber auch auf die Chancen, die sie Jugendlichen und ihren Familien bieten.
Smartphones und Tablets werden erst seit einigen Jahren sehr intensiv genutzt. Lässt sich überhaupt schon beurteilen, ob und welche Langzeitfolgen das auf Heranwachsende hat?
Erste Hinweise gibt es bereits. Dabei ist es sinnvoll, sowohl die Chancen als auch die Risiken zu betrachten. Soziale Netzwerkseiten etwa sprechen die Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben von Heranwachsenden an, zum Beispiel im Hinblick auf das Entwickeln von Freundschaften und der eigenen Identität („Wer bin ich?“). Chancen liegen hier etwa im Ausbilden eines stabilen sozialen Netzwerks, das auch Umzüge, Schulwechsel etc. verkraften kann. Cyberbullying (Cybermobbing), ungünstige soziale Vergleiche („andere haben viel tollere Erlebnisse“) und mangelnder Schlaf stellen Risikofaktoren dar.
Gibt es belastbare Aussagen dazu, mit welchen körperlichen Veränderungen die intensive Nutzung digitaler Medien einhergeht?
Ja und Nein. Alle psychologischen Wirkungen schlagen sich natürlich im Gehirn nieder, denn wo sonst findet Lernen, Denken und Fühlen statt? Aber gerade in Bezug auf körperliche Veränderungen werden von mancher Seite Ängste geschürt und Falschnachrichten verbreitet. Das erinnert fast schon an die Verirrungen von Impfgegnern. „Handystrahlung“ zum Beispiel hat nach aktuellem Erkenntnisstand keine negativen Auswirkungen.
Wie verändern digitale Medien das Sozialverhalten von Kindern?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Das Sozialverhalten im Netz ist so vielfältig wie das Sozialverhalten offline. Es kommt also darauf an, was Kinder mit digitalen Geräten tun. Und was das Sozialverhalten von Jugendlichen offline angeht – wie in vielen anderen Bereichen sind Eltern Vorbilder. Wenn die Eltern während eines Gesprächs am Küchentisch auf ihr Smartphone schauen, dann wird dies von Jugendlichen früher oder später nachgeahmt.
Wie haben digitale Medien in den vergangenen zehn Jahren das Familienleben verändert?
Digitale Medien stellen Herausforderungen und Chancen für Familien bereit. Für manche Familien ist dies ein Konfliktherd, an dem Themen wie Vertrauen und Autonomie bearbeitet werden. Für andere stehen die Chancen im Vordergrund, die Komplexität des Alltags zu bewältigen.
Die Empfehlungen zur Mediennutzung von Kindern variieren stark. Wie finden Eltern verlässlich Orientierung, die zugleich der Realität in Schulen und Kinderzimmern gerecht wird?
Eltern sollten ihre eigene Haltung in Erziehungsfragen auch in diesem Gebiet beibehalten. Und jedes Kind ist anders – auch was den Umgang mit Medien angeht. Allgemeine Hinweise und Tipps finden sich etwa auf www.klicksafe.de.
Je älter der Nachwuchs wird, desto mehr Zeit verbringt er vor dem Bildschirm. Eltern sorgen sich dann um fehlende analoge bzw. reale Erfahrungen. Ist diese Sorge berechtigt?
Die Online- und Offlinewelten verschmelzen immer mehr. Ob diese Sorge berechtigt ist, lässt sich nur im Einzelfall beantworten. Ich empfehle, den Kindern frühzeitig Alternativen zu Social Media, Fortnite & Co nahe zu bringen.
Mit dem kürzlich beschlossenen Digitalpakt werden digitale Medien zunehmend in die Schulen einziehen – ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Ja und Nein. Computerausstattung in Schulen alleine reicht nicht und kann kontraproduktiv sein. Es kommt darauf an, dass ein didaktisches Konzept verfolgt wird. Digitale Medien können und sollen klassischen Unterricht nicht ersetzen. Ein durch Medien angereicherter Unterricht kann aber neue Potenziale erschließen.
Was wäre wichtig, damit die digitale Technik, wenn sie einmal angeschafft ist, im Unterricht auch sinnvoll genutzt wird?
Ein didaktisches Konzept und gut geschulte sowie motivierte Lehrerinnen und Lehrer sind das A und O.
Über die Auswirkungen digitaler Medien auf Heranwachsende diskutieren in der Fachwelt v.a. Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Wären nicht auch Erkenntnisse von anderen Disziplinen wie Psychologie, Neurologie und Soziologie wichtig?
Ich selbst bin von Haus aus Psychologe und beobachte, dass der wissenschaftliche Sachstand aus den genannten Disziplinen zu selten an die Öffentlichkeit kommt. In TV-Talkshows und populärwissenschaftlichen Sachbüchern werden oft alarmistische Thesen vertreten – Stichwort „Erregungskultur“ – statt die Chancen und Risiken sachgerecht zu beleuchten.
Manfred Spitzer hat vor einigen Jahren den Begriff der digitalen Demenz geprägt. Lässt sich denn mittlerweile sagen, ob die digitalen Medien tatsächlich zu einem frühen geistigen Verfall führen?
Die Thesen rund um das Schlagwort „digitale Demenz“ sind wenig stichhaltig. Digitale Medien werden – ganz im Gegenteil – erfolgreich zur Prävention von geistigem Verfall bei älteren Menschen eingesetzt. Zudem können ältere Menschen, etwa über Skype oder WhatsApp Kontakt zu Familie und Freunden halten und mit Internet und altersgerechten Spielen geistig fit bleiben.