Einschlafen lernen
Es ist eine der größten Herausforderungen für junge Eltern: Wie lernt unser Kind das Einschlafen und später das Durchschlafen? Welche große Bedeutung dem Durchschlafen beigemessen wird, zeigt sich schon allein daran, wie oft junge Eltern die Frage beantworten müssen: „Und, schläft es schon durch?“
Daher zunächst zur Entwarnung: Babys kommen ohne Tages- und Nachtrhythmus, wie wir ihn kennen, auf die Welt. Den Unterschied zwischen Tag und Nacht müssen sie erst erlernen. Und das kann eben auch heißen, dass ein Neugeborenes nachts alle zwei Stunden wach wird und dann vielleicht erstmal wach bleiben will, weil es aus seiner Sicht ausgeschlafen ist. Den Unterschied zwischen Tag und Nacht lernen Babys zunächst über das Tageslicht. Dunkeln Sie das Schlafzimmer ab, wenn Sie das Kind abends hinlegen. Tagsüber – auch bei den Nickerchen am Tag kann es hell bleiben. Es ist auch nicht nötig, die Lautstärke drastisch zu reduzieren. Gesunde Babys schlafen in der Regel auch bei normalen Umgebungsgeräuschen ein. Übertriebene Rücksichtnahme ist weder nötig noch sinnvoll. Damit schränken Sie nur sich und mögliche Besucher ein. Und spätestens bei Kind Nummer zwei ist das ohnehin nicht mehr umsetzbar.
Machen Sie nachts zudem nicht zu viel Aufhebens. Sie sollten aufs Wickeln verzichten. Nur beim großen Geschäft ist eine frische Windel nötig, da sonst der Po wund werden könnte. Wenn das Kind Hunger hat, stillen Sie es oder geben das Fläschchen und legen es dann wieder schlafen. Spielen Sie nicht mit dem Kind und heben Sie es nicht aus dem Bett, um es wieder in den Schlaf zu wiegen. Solche vermeintlich einfachen (Wieder-)Einschlafhilfen sind nur sehr schwer wieder abzugewöhnen.
Stattdessen braucht das Kind eine gewisse Regelmäßigkeit und feste Einschlafrituale, die sowohl für das Kind als auch für Sie als Eltern lange beibehalten werden können. Dazu gehört nicht das Händchen halten, das auf dem Arm wiegen oder das auf die Brust legen. All diese Dinge mögen gerade in den faszinierenden ersten Lebenswochen für beide Seiten sehr schön sein, weil sie zwischen Eltern und Kind Nähe erzeugen.
Doch diese Nähe können Sie dem Kind auch am Tag geben. Die meisten Säuglinge finden allein oder mit nur wenigen Einschlafhilfen in den Schlaf. Dazu müssen sie satt, zufrieden und müde sein. Wenn sie bereits übermüdet sind, wird es schon schwierig. Geeignete und legitime Einschlafrituale können Vorsingen oder eine Spieluhr sein, ein Nuckel für das Saugbedürfnis, ein Kuscheltier oder Schnuffeltuch, wenn es so klein ist, dass es sich das Kind nachts nicht übers Gesicht ziehen kann. Wenn das Schnuffeltuch nach Mama riecht, weil sie es tagsüber getragen hat, kann das ebenfalls beruhigend wirken.
Im Idealfall legen Sie Ihr müdes Kind in sein Bettchen, singen ihm ein Lied vor, lassen ihm Schnuller oder Schnuffeltuch da und verlassen das Zimmer dann. Kinder können sehr wohl allein einschlafen, wenn sie es von Beginn an so lernen. Wenn das Baby doch noch mal weint, anstatt gleich einzuschlafen, gehen Sie zurück ins Zimmer und streicheln Sie ihm über den Kopf, sagen etwas Beruhigendes oder ziehen die Spieluhr erneut auf. Aber nehmen Sie das Kind nicht aus dem Bett, um es zu trösten. In der Regel setzen Sie so nur eine Spirale in den Gang, bei der das Kind immer lauter weint, wenn Sie es wieder zurück ins Bett zu legen versuchen. Selbst ältere Kinder finden immer wieder Ausreden, warum sie noch nicht schlafen wollen. Sie müssen noch mal zu Toilette, haben Durst, wollen Mama noch etwas ganz wichtiges sagen. Hier ist liebevolle Konsequenz der beste Ratgeber.
Wenn Kinder erst einmal gelernt haben allein einzuschlafen, dann klappt es bei vielen von ihnen auch besser mit dem Durchschlafen. Denn dass wir nachts wach werden, ist ganz normal – bei Kindern wie Erwachsenen. „Säuglinge und Kleinkinder wachen nachts regelmäßig auf, oft sogar mehrmals. Dies geschieht beim Wechsel der Schlafphasen. Auch das ist normal und nicht krankhaft. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Eltern mit diesem nächtlichen Erwachen umgehen“, erklärt der Kinderarzt und Kinderschlafmediziner Prof. Dr. Thomas Erler.
Wenn ein Kind beim Einschlafen noch Mamas Finger in der Hand hielt oder beim Stillen an der Brust eingeschlafen ist, dann wird ihm genau das beim nächtlichen Aufwachen fehlen. In der Folge fordert es Mamas Nähe lautstark wieder ein. Findet es dagegen beim nächtlichen Aufwachen die gleiche Umgebung wie beim Einschlafen vor, ist alles beim Alten und es kann beruhigt weiterschlafen. Rein körperlich sind die meisten Kinder ab etwa sechs Monaten in der Lage durchzuschlafen, das heißt sechs bis acht Stunden am Stück ohne Mahlzeit. Aber natürlich gibt es auch Ausreißer nach oben und unten.
Ohne Frage wird es im Laufe der Zeit immer wieder Phasen geben, in denen das Einschlafen und Durchschlafen nicht mehr so gut klappt. Ursachen dafür können Infekte, Stress, einschneidende Ereignisse wie eine Trennung, ein Umzug oder ein Todesfall sein. Dann wird der Nachwuchs möglicherweise mehr Nähe und Geborgenheit brauchen als üblich. Die Kunst der Eltern besteht dann darin, diese eine Zeitlang zu geben, ohne in alte ungünstige Schlafgewohnheiten zurückzufallen.
„Jedes Kind kann schlafen lernen“ – umstritten aber erfolgreich
Kaum ein Ratgeber hat junge Eltern in den vergangenen Jahrzehnten so bewegt wie das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ der Kinderpsychologin Annette Kast-Zahn und des Kinderarztes Hartmut Morgenroth. Eine Online-Petition hat sogar versucht eine Neuauflage zu verhindern, da die vorgestellte Ferbermethode Kindern schade. Nichtsdestotrotz ist das Buch immer noch ein Bestseller, in der nunmehr 7. Auflage seit der Erstausgabe von 1995. Die Autoren stellen in dem Buch die nach einem amerikanischen Arzt benannte Ferbermethode vor, wonach jedes gesunde Kind ab sechs Monaten das selbständige Einschlafen und Durchschlafen lernen könne. Vereinfacht geht es darum, das Kind müde aber allein ins Bett zu legen und dann das Zimmer zu verlassen. Wenn es anfängt zu weinen, gehen die Eltern kurz zurück um es zu beruhigen, verlassen dann aber wieder das Zimmer. Die Zeiträume, in denen das Kind allein bleibt und schreit, werden immer länger, bis es irgendwann eingeschlafen ist. Erste Erfolge zeigen sich demnach nach wenigen Tagen, nach spätestens drei Wochen schläft das Kind allein ein – ohne Tränen. Während einige Eltern auf die Methode schwören, verurteilen andere sie als herzlos und brutal. Ohne Frage ist die Methode für Eltern sehr schwer, weil sie im Nebenzimmer stehen müssen, während ihr Kleines herzzerreißend schreit. Aber – und das betonen auch die Autoren: Wer das sich und seinem Kind nicht antun möchte, wer das nicht aushält, wer vielleicht noch nicht verzweifelt genug ist, der sollte diese Methode auch nicht durchführen. Wer sein Kind gern abends in den Schlaf schaukelt und nachts tröstet, braucht dieses Buch nicht. Für jene Eltern aber, die sich endlich wieder nach mehr als zwei Stunden Schlaf am Stück sehnen und wirklich nervlich am Ende sind, weil der Nachwuchs so schlecht schläft, für diese Eltern kann die Methode ein Segen sein. Im Übrigen gehen viele von Experten empfohlene Schlaftrainings für Kinder in die ähnliche Richtung, so auch der Patientenratgeber der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Die Kinder werden nicht ganz so lange allein gelassen, aber früher oder später sollen sie dennoch lernen ohne elterliche Hilfe einzuschlafen – ohne Tränen wird das nicht funktionieren.