Schlaf Kindlein schlaf

Datum: Dienstag, 03. Dezember 2019 15:42


Meist haben die Eltern Schlafstörungen und nicht die Kinder

Wir sprachen mit Kinderärztin und Schlafmedizinerin Barbara Schneider über die Rolle der Eltern beim Einschlafen und Durchschlafen der Kinder. Sie leitet die Schlafambulanz der Kinderklinik Landshut. Im Interview verrät sie, welche kreativen Einschlafhilfen Eltern verwenden, damit das Baby schläft und wie man genau diese Hilfen wieder abgewöhnt.

Mit welchen Problemen kommen Eltern typischerweise zu Ihnen an die Schlafambulanz?

In den ersten Lebensjahren sind die Klassiker Einschlaf- und/oder Durchschlafprobleme. Im Grundschulalter haben wir mehr mit Kindern zu tun, die nachts unruhig sind oder schnarchen. Im jugendlichen Alter wiederum verschiebt sich alles nach hinten. Jugendliche haben einen späteren Schlafbeginn, aber leider keinen späteren Schulbeginn und sind dann tagsüber sehr müde.

Was hilft in diesem Fall?

Zunächst lassen wir uns von den Eltern und Jugendlichen die Situation zu Hause schildern. Wenn wir keine organischen Schlafstörungen vermuten, versuchen wir den Jugendlichen Ratschläge zur Schlafhygiene zu geben. Dazu gehört es, abends auf Medien mit blauwelligem Licht zu verzichten, also nicht mehr aufs Smartphone zu schauen oder ab dem Nachmittag keine koffeinhaltigen Getränke wie Cola oder Spezi zu trinken.

Und würde ein späterer Unterrichtsbeginn helfen, wie es schon oft diskutiert wurde?

Im Grundschulalter ist das noch nicht relevant. Aber spätestens wenn die Pubertät beginnt, also in den höheren Klassen, wäre es tatsächlich empfehlenswert, mit dem Unterricht später zu beginnen. Man muss sich nur mal eines vor Augen führen: Kinder mit einem langen Schulweg, die vielleicht schon morgens um 6 Uhr starten müssen, befinden sich aus schlafphysiologischer Sicht noch in ihrer Mitternacht.

Was passiert in der Schlafambulanz?

Vor dem ersten Beratungstermin füllen die Eltern einen Fragebogen aus, um organische oder psychische Ursachen erkennen zu können. Zudem bitten wir die Familien für zwei bis drei Wochen ein 24-Stunden-Schlafprotokoll zu führen. Anhand der detaillierten Aufzeichnung erkennen wir bereits, wo das Problem liegen könnte. Beim Verdacht organischer Probleme übernachten die Kinder bei uns im Schlaflabor. Wenn das Problem eher in der Schlafregulation liegt, bieten wir eine Beratung zur Schlafhygiene an. Zuvor befragen wir die Eltern und die Kinder. Denn interessanterweise erleben wir es relativ häufig, dass die Kinder ihren Schlaf anders erleben als die Eltern.

Inwiefern?

Gerade Grundschulkinder schlafen allein und die Eltern bekommen gar nicht mit, wie ihr Kind ein- oder durchschläft. Sie sind dann überrascht, wenn das Kind uns erzählt, es werde nachts wach und gehe auf Toilette oder träume oft schlecht.

Ab welchem Alter kann man überhaupt von Schlafstörungen sprechen?

In den ersten Lebensmonaten ist es ganz normal, dass ein Baby alle paar Stunden wach wird. Das passiert schon allein aufgrund des kleinen Magens, der gar nicht so viel Nahrung aufnehmen kann. Ab etwa dem sechsten Lebensmonat sind Kinder theoretisch in der Lage durchzuschlafen. Das heißt, dass sie sechs Stunden am Stück zusammenhängend schlafen können. Und je nachdem, wann das Kind schlafen geht und wann die Eltern, ist die Wahrnehmung dann ganz unterschiedlich.

Für viele junge Eltern besteht die Herausforderung in den ersten Lebensmonaten des Kindes darin, dass es allein ein- und durchschläft. Wie können Eltern das fördern?

Es gibt Kinder, die schlafen von Beginn an ohne Probleme ein. Andere Kinder weinen einfach, weil sie müde sind. Nicht alle Kinder finden das Gefühl des Einschlafens angenehm. Sie wehren sich dagegen. Viele ungünstige Hilfestellungen haben die Eltern dann aus lauter Verzweiflung eingeführt, um die Regulation des Kindes zu unterstützten. Natürlich hilft es erst einmal Geräusche zu machen oder es zu wiegen, denn sie lenken das Kind vom unangenehmen Gefühl der Müdigkeit ab.

Aber das Beruhigen hilft nur kurz und spätestens, wenn die Eltern versuchen es abzulegen, geht es wieder von vorn los …

Ja, man muss daher aufpassen, dass man rechtzeitig die Kurve kriegt. Ich habe oft Eltern hier sitzen, die sagen, dass sie den Punkt versäumt haben, wo sie sich relativ einfach hätten zurückziehen können. Das sind tatsächlich keine Schlafstörungen von seiten des Kindes. Das fühlt sich ja nicht unwohl, wenn es in den Schlaf geschaukelt wird. Die Schlafstörung haben die Eltern, weil ihr Schlaf nachts in der Folge ständig unterbrochen wird.

Und was hilft dann?

Wenn der Leidensdruck sehr groß ist und die Eltern so erschöpft und verzweifelt sind, dass es ihnen zunehmend schwer fällt, liebevoll mit ihren Kindern zu sein, dann sollten sie sich tatsächlich professionelle Unterstützung suchen. Wir schauen uns zunächst die Belastungssituation der Eltern an. Wenn Eltern es nicht schaffen, schwierige Einschlafgewohnheiten zu Hause allein zu verändern, bieten wir ihnen Unterstützung an und laden sie auch mal für eine Woche zu uns in die Klinik ein.

Was machen Sie dort?

Das Kind hat möglicherweise eine falsche Verknüpfung gelernt, z.B. verbindet es das Fläschchen mit dem Einschlafen. Wenn es dann nachts wach wird, sucht es die gleiche Situation, um wieder einzuschlafen und fordert das Fläschchen wieder ein – unabhängig davon, ob es hungrig ist. Wir versuchen die falsche Verknüpfung wieder zu lösen. Wenn ich bei dem Beispiel bleibe, dann versuchen wir zunächst das Trinken und das Einschlafen zeitlich und räumlich voneinander zu trennen. Das Fläschchen gibt es also schon eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen und nicht im Schlafzimmer. Das geht nicht von heute auf morgen, das ist ein längerer Prozess, bei dem das Kind unter Umständen auch Widerstand leisten wird. Denn von Seiten des Kindes gab es ja keinen Grund etwas zu ändern.

Beim Thema Schlaf werden Eltern oft kreativ. Welche Fälle aus Ihrer Arbeit sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Da gibt es tatsächlich sehr phantasievolle Geschichten: auf dem Pezziball wippen, durch die Wohnung tragen, Staubsauger, Föhn oder Waschmaschine laufen lassen. Es gibt tausend Sachen, die Eltern in ihrer Verzweiflung probiert haben und die auch erst einmal funktionieren. Aber wenn man das die ganze Nacht immer wieder machen muss, damit das Kind schläft, dann geht den Eltern oft die Kraft aus.

Was empfehlen Sie also stattdessen?

Eigentlich ist der Schlüssel zum Ziel: weniger ist mehr. Je langweiliger, desto besser. Außenreize reduzieren, das Zimmer abdunkeln und den Kindern zeigen: Ich bin für dich da, du kannst jetzt zur Ruhe kommen. Denn Schlaf hat auch etwas mit Geborgenheit und Sicherheit zu tun. Natürlich spüren Babys, wenn die Eltern nervös sind und kommen dann ebenfalls nicht zur Ruhe, das kann eine problematische Spirale in Gang setzen.

Gibt es empfehlenswerte Einschlafrituale wie Nuckel oder Spieluhr?

Je selbständiger das Kind einschläft, desto leichter fällt es ihm nachts wieder allein zur Ruhe zu kommen. Zuwendung und Nähe, aber am besten mit so wenig Hilfsmittel wie möglich. Natürlich gibt es auch mal Phasen, wo es ohne Nuckel oder auf dem Arm wiegen nicht geht, aber sie sollten nicht zur Dauerlösung werden.

Vermutlich ist Ihnen der Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“ in Ihrer Arbeit schon begegnet…

Ja, fast alle Eltern, die zu uns kommen, haben ihn zumindest schon in der Hand gehabt. Problematisch an Schlafratgebern finde ich grundsätzlich, dass eine Methode für alle Kinder empfohlen wird. Kinder sind aber sehr unterschiedlich, in ihrem Bindungsverhalten, in ihrem Regulationsvermögen. Generell erlebe ich es leider immer wieder, dass Eltern sich nicht mehr auf ihr Bauchgefühl verlassen. Sie lassen sich von Ratgebern oder Ratschlägen von Bekannten verunsichern und wissen nicht, was ihr Kind eigentlich braucht.

Hat sich denn das Schlafverhalten von Kindern in den letzten Jahren verändert?

Wenn man sich die Studienlage anschaut, verändert sich insgesamt in unserer Gesellschaft das Schlafverhalten. Wir schlafen tendenziell kürzer, als wir es machen würden, wenn wir nicht so eingespannt wären durch unseren Alltag. Das trifft v.a. die Erwachsenen, hat aber auch Einfluss auf die Kinder, weil sie vom Verhalten der Erwachsenen lernen.

Schlafen Sie eigentlich gut?

Ich bin eine klassische Eule, was sich leider nicht so gut mit meinen Arbeitszeiten verträgt. Aber wenn ich einmal im Bett liege, dann schlafe ich sehr gut.

Vielen Dank für das Gespräch.