Heilung to go

Datum: Montag, 02. März 2020 14:45


Zum Konzept gehören Gesprächsangebote und der Austausch mit „Gleichgesinnten“ (Foto: © Reha Vita).

Ambulante Kinder-Reha in Cottbus

Diesen Raum nutzen jetzt regelmäßig die Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer ambulanten Reha. Im Sommer wurde das Gesundheitszentrum Ostrow eröffnet. Im Januar dieses Jahres startete dann eine erste Gruppe übergewichtiger Kinder und Jugendlicher mit der ambulanten Kinder- und Jugendrehabilitation. Sie werden während der Therapien von einem interdisziplinären Team aus Fachleuten betreut und begleitet: Kinderärzte, Psychologen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Diätassistenten und sowie Sport- und Physiotherapeuten. Den Kindern und Therapeuten steht mit dem Gesundheitszentrum Ostrow ein modernes Gebäude mit umfangreicher Ausstattung zur Verfügung: unterschiedliche Therapieräume, ein großes, mit unterschiedlichen Wassertiefen ausgestattetes Bewegungsbad, Zirkel- und drei großzügige Gymnastikräume und ein Seminarraum. Eines der Highlights für die Kids ist die große, modern eingerichtete Kochschule, in der sie gemeinsam mit einem Profi-und angehenden Diätkoch und ihren Eltern gesunde Mahlzeiten zubereiten und probieren können. Denn zum Konzept gehört es, den Alltag der teilnehmenden Familien positiv zu beeinflussen und gesunde Lebensweise nachhaltig im Alltag zu verankern.

Die betroffenen Kinder werden in überschaubaren Gruppen und vom Alter her zusammenpassend über insgesamt mindestens drei Monate therapiert und begleitet. Dann kann sich ein ebenfalls mehrmonatiges Reha-Nachsorgeprogramm anschließen. Los geht es mit einer fünftägigen Intensivwoche, in der die Kinder mit ihren Eltern täglich fünf bis sechs Stunden in der Reha-Einrichtung sind. Schulbesuch und Arbeit bzw. Ausbildung sind in dieser Zeit nicht möglich. Eltern können sich unbezahlt freistellen lasse und einen Lohnausgleich beim Rententräger beantragen, Fahrtkosten werden ebenfalls übernommen. Die Schulen stimmen einer Freistellung in der Regel ebenfalls unkompliziert zu. Unter Anwesenheit der Eltern erfolgen in dieser ersten Woche die Eingangsuntersuchungen durch die Kinderärztin, Psychotherapeutin, Sporttherapeuten und Diätassistenten. Ziel ist es, Kenntnisse über den aktuellen Gesundheits- und Fitnessstand der Kinder und Jugendlichen zu erhalten, mögliche Begleiterkrankungen zu ermitteln sowie Einblicke in die Ess- und Ernährungsgewohnheiten zu gewinnen. Daneben sind theoretische und vor allem praktische Schulungen Schwerpunkte der ersten Woche, wie z.B. ein Einkaufstraining im Supermarkt für Eltern, gemeinsame Sporteinheiten für Eltern und Kinder oder gemeinsames Kochen und Portionieren der zubereiteten Mahlzeit.

Eltern als Vorbild

„Eltern haben eine entscheidende Vorbildfunktion. Sie sind wichtiger Einflussfaktor, wenn es um Änderungen des alltäglichen Bewegungsablaufs oder der Ernährung ihrer Kinder geht. Die gute Einbeziehung der Eltern ist für den Erfolg der ambulanten Reha-Maßnahme von maßgeblicher Bedeutung“, betont Reha Vita-Geschäftsführer Christian Seifert. „Daher sieht unser medizinisches Konzept vor, dass Eltern als sogenannte ‚Co-Rehabilitanden‘ aktiv teilnehmen und auch unabhängig von ihren Kindern Schulungen und Bewegungsprogramme erhalten.“

Nach der Intensivwoche folgt eine 12-wöchige schul- und ausbildungsbegleitende Phase, in der die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern zweimal wöchentlich am Nachmittag in Gruppen Therapiemaßnahmen wahrnehmen. Dazu zählen z.B. Eltern-Kind-Kochen in der neuen Kochschule, Sporteinheiten im Zirkelraum bzw. in den Kursräumen mit Funktionswänden, Vorträge zu Bewegung und gesundheitsbewusster Ernährung, diverse Entspannungsangebote sowie die Betreuung durch Physio- und Ergotherapeuten.

Da Übergewicht nicht nur zu körperlichen Problemen führt, sondern mit der Zeit auch zu seelischen, wird auch auf mentaler Ebene gearbeitet: „Wir möchten das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen steigern. In einem Selbstbehauptungstraining sollen die jungen Heranwachsenden lernen, mit verbalen Anfeindungen und Mobbing umzugehen. Adäquat dazu werden Eltern einen Vortrag besuchen, indem sie beispielsweise lernen, Ängste ihrer Kinder wahrzunehmen und auf Gefahren zu reagieren“, erläutert Christian Seifert.

Konzept mit nachhaltiger Wirkung

Auch wenn es bei der Diagnose Adipositas langfristig darum geht, Gewicht zu reduzieren, wird der Erfolg der ambulanten Kinder- und Jugendlichenrehabilitation nicht allein auf der Waage gemessen. „Adipositas ist eine chronische – sprich eine länger andauernde, schwer heilbare – Erkrankung und als solche erkennen wir diese an. Wir möchten keinen Wettbewerb unter den Kindern und Jugendlichen entfachen, sondern ihnen helfen, nachhaltig Freude an Bewegung und gesunder Ernährung zu entwickeln und sie motivieren, dass Gelernte langfristig im Alltag umzusetzen“, beschreibt Christian Seifert die Ziele der ambulanten Kinder- und Jugendlichenrehabilitation.

Praktisch heißt das, dass die Familien auch mal Hausaufgaben bekommen, so Seifert: „Sie sollen beispielsweise am Wochenende gemeinsam eine gesunde Mahlzeit zubereiten oder einen Ausflug unternehmen.“ Praktische Alltagshelfer wie Schrittzähler, ein Ernährungstagebuch oder eine Rezeptesammlung helfen ebenfalls dabei, das in der Reha Erlernte auch zu Hause umzusetzen. Zudem werden die Kinder in Sportvereine vermittelt, damit sie auch nach der Reha regelmäßig in Bewegung bleiben.

Denn nach einer klassischen stationären Reha ist es häufig so, dass die neu erlernten Gewohnheiten im oft stressigen Familienalltag abhanden kommen. Um das zu vermeiden, bietet die Reha Vita ein sechsmonatiges Reha-Nachsorgeprogramm an, bei dem einmal wöchentlich Ernährung und Bewegung im Fokus stehen. Zudem arbeitet die Reha Vita eng mit den hiesigen Kinderärzten und Psychotherapeuten zusammen. Das Konzept der ambulanten Reha wurde den Medizinern im Herbst vorgestellt. Die Resonanz ist positiv, der Bedarf hoch.

 

Die Cottbuser Kinderärztin Regina Berndt begleitet das Konzept als Ärztliche Leiterin: „Die Vorteile der ambulanten Kinder- und Jugendlichen-Rehabilitation der Reha Vita liegen auf der Hand: Das umfassende multimodale Konzept beinhaltet nicht nur Sporttherapien, sondern auch Ernährungsberatung inklusive Einkaufs- und Kochtraining, medizinische Begleitung durch Ärzte und unterstützende Betreuung durch Psychotherapeuten. Gleichzeitig vermittelt das Gruppensetting Akzeptanz und Sicherheit durch das Gefühl „nicht allein“ mit dem Problem zu sein. Die wohnortnahe ambulante Durchführung der Reha-Maßnahme unter starker Einbeziehung der Eltern erleichtert zudem die langanhaltende Etablierung eines gesünderen Lebensstils im Alltag jeder betroffenen Familie.“

Künftig können in Cottbus neben der Diagnose Übergewicht bzw. Adipositas auch psychische Störungen wie AD(H)S behandelt werden. Christian Seifert ergänzt: „Zunächst beschränken wir uns mit der ambulanten Reha noch auf diese zwei Diagnosen. Perspektivisch ist eine Ausweitung auf weitere Diagnosen denkbar. So behandeln wir im Rahmen der Heilmitteltherapie bereits seit vielen Jahren Kinder mit sprachlichen oder neuropädiatrischen Problemen und haben hier sehr gut qualifizierte Therapeuten.“

Noch gibt es nach Ansicht von Alwin Baumann viel zu wenig ambulante Angebote wie in Cottbus. Von den knapp 33.000 über die DRV durchgeführten Kinder-Rehabilitationen waren nur wenige ambulant. Baumann vermutet, dass bei einer Ausweitung des Angebotes auch deutlich mehr Familien eine ambulante Reha beantragen würden: „Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren etwa zehn bis 15 Einrichtungen in Deutschland haben werden, die eine ambulante Reha anbieten.“ Dazu kämen die Kliniken, die ambulante ganztägige Reha-Angebote unterbreiten.

Für die Familien ist das Cottbuser Pilotprojekt schon jetzt ein Gewinn, berichtet Ines Busch von der Reha-Vita: „Die Bereitschaft der Eltern ist sehr groß, sie nehmen sogar weite Fahrtwege in Kauf, um ihren Kindern zu helfen.“ So wie die Eltern von Neele, die einen gut 40 km langen Anfahrtsweg haben und dafür auch auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind: „Wie wir es erwartet haben, ist die Belastung für Neele und uns sehr hoch, aber nicht stressig“, berichtet ihre Mutter. Durch gute Absprachen innerhalb der Familie und das Verständnis von Schule und Arbeitgeber, lasse sich die Reha gut in den Alltag integrieren. Ihr Fazit fällt daher schon nach wenigen Wochen rundum positiv aus: „Neele und ich als Mama fahren sehr gern zur Reha, wir sind immer noch sehr motiviert und freuen uns auf die anderen Kinder und ihre Eltern.“