Wie aus Wasserratten sichere Schwimmer werden
Einmal jährlich lädt die DLRG zu einem eher traurigen Pressegespräch. Anlass ist die Veröffentlichung der Badetoten. Vergangenes Jahr sind in Deutschland 378 Menschen ertrunken, die meisten von ihnen beim Baden in Seen oder Flüssen. In Sachsen starben 22 Menschen durch Ertrinken, in Brandenburg 24. Unter den Toten waren bundesweit 23 Kinder im Vorschul- oder Grundschulalter. „Hier ist sicherlich die bereits an sich zurückgehende Schwimmfertigkeit bei den Kindern eine Ursache, was das Corona-Jahr 2020 durch längerfristig geschlossene Bäder leider nur verschlimmert hat“, vermutet DLRG-Präsident Achim Haag, der zugleich beklagt: „Das Jahr 2020 war für die Schwimmausbildung ein verlorenes Jahr. Diese Entwicklung ist alarmierend und hat bereits vor der Pandemie begonnen. Fast 25 Prozent aller Grundschulen können keinen Schwimmunterricht mehr anbieten, weil ihnen kein Bad zur Verfügung steht und ausbildende Verbände wie die DLRG haben lange Wartelisten von ein bis zwei Jahren für einen Schwimmkurs.“
Die Pandemie hat ein ohnehin bestehendes Problem weiter verschärft. Nach DLRG-Angaben ist mehr als jeder zweite Grundschulabsolvent kein sicherer Schwimmer mehr. „Die Anstrengungen müssen deutlich intensiviert werden, um marode Bäder zu sanieren und Schulunterricht sicher zu stellen. Sobald die Bäder wieder öffnen können, gilt es, zusätzliche Wasserzeiten für die Ausbildung zu schaffen“, fordert Haag daher. Nach Schätzungen der Wasserretter ist die Zahl der Nichtschwimmer in Deutschland im vergangenen Jahr auf 1 Million Menschen gestiegen, 2021 dürfte diese Zahl nochmals deutlich wachsen. Im Vergleich dazu mag die Zahl von 23 ertrunkenen Kindern im vergangenen Jahr noch gering erscheinen. Aber: Die Zahl der Beinahe-Badeunfälle wird nicht erhoben. Jedes Jahr geraten Kinder zu lange unter Wasser, können zwar noch gerettet werden, tragen durch den Sauerstoffmangel aber erhebliche Folgeschäden davon. Die DLRG fordert daher Intensivkurse anzubieten, sobald die Schwimmbäder wieder öffnen dürfen, den Schwimmunterricht in Schulen zu stärken und die Bäderkapazitäten langfristig zu sichern und wieder zu erhöhen. In den vergangenen knapp 20 Jahren mussten in Deutschland 1.400 Bäder von einst 7.700 ihre Türen für immer schließen. Statistisch schließt damit alle vier Tage ein Schwimmbad irgendwo in Deutschland für immer seiner Pforten. Vielen Bädern droht die Schließung, hier wären dringend Sanierungen erforderlich – allein das Geld fehlt. Die Pandemie wird dieses Problem weiter verschärfen.
Die dramatischsten Folgen des Bädersterbens sind die steigende Zahl an Nichtschwimmern und ein Vereinssterben, weil einfach nicht mehr genügend Beckenkapazitäten vorhanden sind. Allein der Deutsche Schwimm-Verband hat seit Anfang der 2000er-Jahre etwa 80.000 Mitglieder und mehr als 200 Vereine verloren.
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG überwacht jährlich im Sommer viele Gewässer, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. © DLRG
Mitte März forderte der Deutsche Sportlehrerverband, die Schwimmbäder für Anfängerkurse und den Schulschwimmunterricht wieder zu öffnen. Der Verband warnt vor den langfristigen Folgen der monatelangen Schließzeit und des damit verbundenen Unterrichtsausfalls: „Mittlerweile sind davon zwei Schuljahrgänge erheblich betroffen und weiterführende Schulen müssen sich auf eine Generation von Schüler*innen einstellen, die nicht schwimmen kann.“ Der Verband rechnet in den neuen 5. Klassen mit etwa 50 bis 80 Prozent Nichtschwimmern: „Das Problem der mangelnden Schwimmfähigkeit war bereits vor der Corona-Pandemie akut und hat sich nun nochmals verschärft.“
Der Deutsche Schwimm-Verband appelliert ebenfalls an die Politik, bei der Pandemie-Bekämpfung endlich die Kinder stärker in den Blick zu nehmen. Verbandspräsident Marco Troll warnt: „Da ohnehin schon zu wenige Grundschüler*innen Schwimmen lernen und nun in einem Jahrgang fast gar keine Schwimmlernkurse mehr stattfinden können, wird es für die Kinder insgesamt dramatisch. Die Politik sollte nicht ignorieren, dass Schwimmen hier über den Sport hinaus auch ein Kulturgut ist, das insbesondere zur Gesund- und Lebenserhaltung dient. Unsere Gesellschaft sollte hier nicht weniger konsequent für Schutz sorgen als in anderen Bereichen.“
Virusübertragung im Schwimmbad?
Schwimmbäder sind seit Monaten geschlossen – wie fast alle Freizeit- und Sporteinrichtungen. Dabei gelten Hallenbäder als vergleichsweise sicher. Eine Virusübertragung scheint hier kaum möglich. Zum einen können sich die Viren bei der hohen Luftfeuchtigkeit und den warmen Temperaturen nur schwer ausbreiten. Zum anderen sorgen das Filtern und das Chlor im Wasser dafür, dass die Viren deaktiviert werden. Coronaviren sind behüllte Viren, die durch Desinfektionsverfahren leichter zu inaktivieren sind als unbehüllte Viren wie Noroviren. Das Umweltbundesamt bestätigte dies bereits im März 2020:
„Bei Bädern, die normgerecht gebaut und betrieben werden, in denen die Wasseraufbereitung den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und bei denen insbesondere die Durchströmung, Aufbereitung und Betriebskontrolle normgerecht erfolgen, kann davon ausgegangen werden, dass eine hygienisch einwandfreie Wasserbeschaffenheit erzielt wird und das Schwimm- und Badebeckenwasser gut gegen alle Viren, einschließlich Coronaviren, geschützt ist.“