Ziemlich beste Geschwister

Datum: Dienstag, 06. September 2022 15:59

Alle Kinder gleich und gerecht behandeln?

Klassiker-Sätze einer Mehrkindfamilie: Der hat aber mehr! Wieso darf sie länger aufbleiben? Du bist zu ihr immer viel netter! Du bist so ungerecht! Mit ihm hast du aber länger gekuschelt! Wer zwei oder mehr Kinder hat, hat es nicht immer ganz einfach. Fast egal, wie man es macht, mindestens ein Kind fühlt sich ungerecht behandelt. Wenn Sie der großen Schwester und dem kleinen Bruder beim Mittagessen gleich viele Kartoffeln auftun, wird sich die große Schwester beschweren, warum der kleine Bruder genauso viel bekommt, obwohl er doch viel kleiner ist und gar nicht so viel schafft. Wenn Sie nun aber der großen Schwester mehr auftun, wird sich wiederum der kleine Bruder lautstark beschweren, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Bei der Verteilung von materiellen Gütern wie Smarties, Pommes, Erdbeeren werden Kinder zu Erbsenzählern. Es wird genau abgezählt und darauf geachtet, dass niemand mehr oder weniger bekommt. Beim Eingießen wird mit dem Lineal überprüft, ob auch keiner mehr hat als die oder der andere. Wie aber gehen Eltern am besten mit diesem sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn um?
Zunächst ein tröstlicher Gedanke: Dass Kinder ein Gerechtigkeitsempfinden haben, ist ja schon mal gut. Im Idealfall wenden sie das Ringen um Kompromisse nach ausgiebigem Einstudieren mit den Geschwistern später erfolgreich außerhalb der Familie an. Doch bis dahin ist es ein mühsamer von Streit und Frust übersäter Weg.

Alle Kinder einer Familie gleich zu behandeln, wird nicht funktionieren. Zu unterschiedlich sind die Ansprüche und Bedürfnisse, die Rechten und Pflichten, eben weil Kinder verschieden sind. Das Alter spielt dabei eine Rolle, ebenso Neigungen, Interessen und Temperamente. Insofern ist es sinnvoll und gerecht, wenn das große Geschwisterkind länger aufbleiben darf, mehr Taschengeld bekommt oder eben die größere Portion beim Essen. Entscheidender ist, diese scheinbare Ungleichheit den Kindern zu erklären. Erklären Sie dem kleinen Bruder, dass die große Schwester mehr Taschengeld bekommt, weil sie schon älter ist und sich dafür auch mehr Dinge allein kaufen muss. Erklären Sie, dass große Geschwister nicht nur mehr Rechte haben, sondern auch mehr Pflichten wie zum Beispiel beim Helfen im Haushalt. Und versprechen Sie dem jüngeren Kind, dass es später auch länger aufbleiben darf und größere Essensportionen bekommt.

Ansonsten können Kompromisse helfen: Der eine teilt den Kuchen, die andere sucht aus. Heute sitzt die eine neben Mama, morgen der andere. Heute kuschelt Papa zuerst mit dem einen und morgen zuerst mit der anderen. Heute sucht der eine die Vorlesegeschichte aus, morgen die andere. Seien Sie Vorbild: Kinder lernen bereitwilliger teilen, wenn sie sehen, dass auch andere Menschen in ihrer Umgebung gern Dinge abgeben. Wenn die Situation trotzdem mal wieder eskaliert, kann Humor helfen: Die Kinder zoffen sich lautstark um den letzten Keks? Schnappen Sie sich Ihren Mann und streiten Sie noch lauter um die Fernbedienung oder den Kaugummi.

„Ich habe leider keine Geschwister, wünsche mir aber eine Schwester. Mit ihr könnte ich dann spielen, am liebsten mit meinen Puppen. Das wäre schön.“

Zlata, 8

Haben Sie ein Lieblingskind?

Warum fühlen sich Geschwisterkinder überhaupt ungerecht behandelt oder glauben, zu kurz zu kommen? Vielleicht weil sie um die Zuneigung der Eltern rivalisieren und das Gefühl haben, Mama oder Papa bevorzugen ein Kind, haben den Bruder oder die Schwester lieber. Auch wenn sich das wohl nur die wenigsten Eltern eingestehen, so bestätigen Fachleute dieses Gefühl: Zumindest phasenweise bevorzugen wir Eltern ein Kind. Das kann daran liegen, dass ein Kind etwas anstrengender ist, dass nur ein Kind ein wirkliches Wunschkind war, dass ein Kind gerade besonders tolle Erfolge mit nach Hause bringt. Vielleicht beruhigt es Eltern zu wissen, dass es normal ist, wenn man phasenweise einem Kind nähersteht. Das Problem: Kinder haben für so etwas sehr feine Antennen. „Sie spüren sehr genau, wenn sie benachteiligt werden. Wenn das beständig der Fall ist, wirkt sich das nicht nur negativ aus auf ihre Beziehung zum Geschwisterkind, sondern träufelt wie Gift in ihre Seele, beeinträchtigt ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre Fähigkeit, ein glückliches Leben zu führen“, warnt Hartmut Kasten. Dauerhaft benachteiligte Kinder entwickeln kein Selbstwertgefühl, ihnen fehlt ein positives Selbstbild und das Vertrauen in ihre eigenen Möglichkeiten. Auch den Lieblingskindern tut die dauerhafte Bevorzugung nicht gut, so Kasten: „Sie erwarten oftmals eine bevorzugte Behandlung auch von anderen Menschen, mit denen sie es zu tun bekommen. Wenn diese ihnen nicht zuteil wird, ziehen sie sich zurück und sind unglücklich. Ihre unrealistische Erwartungshaltung steht ihnen oft im Weg und erschwert ihnen, glücklich zu leben.“

Daher ist es wichtig, dass Sie als Eltern sich bewusst machen, ob und warum Sie ein Kind gerade etwas lieber haben und dann aktiv dagegen steuern. Das kann eine extra Kuscheleinheit für das „benachteiligte“ Kind sein oder exklusive Mama-Zeit. Schwierig wird es, wenn der Nachwuchs fragt: „Wen von uns hast du lieber?“ oder „Hast du uns alle gleich lieb?“ Zum einen sollten Eltern herausfinden, ob die Frage einen ernsten Hintergrund hat oder nur aus Neugier kommt. Hier kann die Gegenfrage helfen: „Wieso möchtest du das wissen?“ oder „Was ist denn dein Gefühl? Findest du, dass ich ein Kind lieber habe?“

Ansonsten kann eine differenzierte Antwort dem Kind zeigen, dass Sie es mit seinen Gefühlen ernst nehmen. Sie können klar machen, dass sie jedes Kind ganz doll lieb haben, aber dass sie an dem Kind besonders seine Malkünste schätzen und an dem anderen die lustigen Einfälle. So machen Sie klar, dass jedes Kind etwas Besonderes ist, seine Stärken hat und nicht mit seinen Geschwistern konkurrieren muss.

Bitte keine Vergleiche!

Das ist ohnehin eine der wichtigsten Regeln für Eltern von mehreren Kindern: Bitte vergleichen Sie Ihre Kinder nicht miteinander. Gift für jede Geschwisterbeziehung sind solche Sätze: „Schau mal, wie gut dein Bruder schon Schnürsenkel binden kann.“ „Deine Schwester ist schon angezogen, warum dauert das bei dir so lange?“ „Dein Bruder konnte schon viel eher Fahrrad fahren.“ „Schau mal, deine Schwester hat in Mathe eine 1 bekommen.“ „Nimm dir doch mal ein Beispiel an deinem Bruder!“

Dass Geschwister unterschiedliche Talente und Interessen haben, ist richtig und gut so. Das gilt für alle Kinder. Leider gibt es in unserer Leistungsgesellschaft, die schon ab der ersten Klasse Kinder mit Zensuren vergleicht, den Trend, immer alles besser machen zu müssen. Das spüren auch unsere Kinder. Umso schöner ist es, wenn sie zu Hause so sein können wie sie sind, ohne Vergleiche und Maßstäbe, ohne Leistungsstreben.

Fördern Sie stattdessen die Talente, Interessen und Stärken jedes einzelnen Kindes. Geschwister versuchen sich ohnehin voneinander abzugrenzen und ihre eigene Identität zu finden. Um aus diesem ständigen Vergleichs- und Konkurrenzdenken herauszukommen, sollten Geschwister ihre Nischen haben, in denen nur sie glänzen können und ihre Erfolge erzielen. Bei ausgeprägter Rivalität ist es daher wenig ratsam, dass Geschwister dem gleichen Hobby nachkommen. Das gleiche Hobby kann einerseits den Alltag stressfreier machen, weil so weniger Fahrten im Elterntaxi und Termine anfallen. Aber der direkte Vergleich bei Wettkämpfen oder Auftritten kann für das unterlegene Geschwisterkind ziemlich frustrierend sein.

Geschwister vergleichen sich ohnehin ständig: Sie achten ganz genau darauf, ob die elterliche Zuneigung gleich verteilt ist, ob einer größere Geschenke zu Weihnachten bekommt, ob eine das größere Stück Kuchen bekommt. Dieses Vergleichen sollten Eltern nicht noch befördern, sondern allen Kindern immer wieder klar machen, dass sie sie genau so mögen, wie sie sind.