Ziemlich beste Geschwister

Datum: Dienstag, 06. September 2022 15:59


So innig ist die Geschwisterbeziehung nicht immer. Dann braucht es Geduld und Gelassenheit.

Streit und Rivalität: schlichten oder richten?

Wer mehrere Kinder hat, kennt die gesamte Spielwiese geschwisterlicher Hassliebe: Sie können sich aneinander reiben, streiten bis es Tränen gibt, um kurz darauf einträchtig miteinander ein Lego-Haus aufzubauen, sie können sich gemeinsam gegen die Eltern verbünden, sie können auf dem Schulhof aufeinander achtgeben. Der kleine Bruder kann heute tierisch nerven und morgen bester Kumpel sein.

Kaum eine Beziehung ist so facettenreich wie die von Geschwistern und wohl in kaum einer anderen Beziehung vollzieht sich der Wechsel zwischen Zwist und Zusammenhalt so oft und so schnell wie unter Geschwistern. Sind sich die beiden eben noch fast an die Gurgel gegangen, spielen sie zwei Minuten später einträchtig miteinander. Für Eltern kann das durchaus nervenaufreibend sein. Denn beim Streit wird es oft laut, da fliegen schon mal Spielzeugautos oder Türen – und nie weiß man so genau: Sollte ich jetzt eingreifen oder regeln die Beiden das unter sich?

Die Antwort von Fachleuten ist recht eindeutig: streiten lassen. So lange nicht ein Kind deutlich körperlich unterlegen ist oder kein Blut fließt, halten sich Eltern besser heraus. Der Versuch des Schlichtens oder gar des Richtens scheitert meist ohnehin. Wenn wir vergebens versuchen, den Schuldigen zu finden oder herauszubekommen, wer denn nun angefangen hat, hilft das keinem der Beteiligten weiter. Wenn wir trotzdem das Gefühl haben, dazwischen gehen zu müssen oder wenn sich eines der Kinder lautstark bei uns über sein Geschwisterkind beschwert, sollten wir die Streithähne ermuntern, selbst eine Lösung zu finden: „Was schlagt ihr vor, was ihr jetzt machen könntet, damit ihr weiterspielen könnt?“ So unterstützt man Kinder, eine Streitkultur zu erlernen. Manchmal hilft es schon zu trösten und eines der Kinder aus der Situation herauszunehmen. Noch mehr Tipps für den Umgang mit Geschwisterstreit finden Sie am Ende des Themas im Interview mit dem Sozialpädagogen Ulric Ritzer-Sachs.

Im Idealfall kommen die Kinder mit der Zeit immer seltener „petzen“ und einigen sich allein. Das so im geschützten Raum der Familien erlernte Verhandlungsgeschick kann später außerhalb der Familie nützlich sein. Denn einen Vorteil hat das Streiten mit Geschwistern: Egal wie böse der Zoff war, man kann sich ziemlich sicher sein, dass man einander verzeiht. Freundschaften dagegen können an einem Streit im Zweifel auch zerbrechen, Geschwisterbande aber bleibt.

Trotzdem kann es hilfreich sein, ein paar grundlegende Streitregeln einzuführen, die für alle Familienmitglieder gelten. Wie streng diese sind, hängt vom Temperament der Kinder (und auch Eltern) ab und von dem, was für Sie als Eltern noch tolerierbar ist. Die Psychologin und Buchautorin Helga Gürtler schlägt folgende Regeln vor:

  • Niemals mehrere auf einen.
  • Niemals mit einem harten Gegenstand in der Hand schlagen.
  • Niemals mit Schuhen an den Füßen treten.
  • Wenn einer weint oder sich nicht mehr wehren kann, muss Schluss sein.


Manchen Eltern sind vielleicht irritiert, weil sie Gewalt am liebsten ganz ausschließen möchten. Das aber, so Gürtler, ist ziemlich praxisfern. Und die Familie bietet sich als Übungsplatz dafür an, selbst bei großer Wut bestimmte Regeln einzuhalten. Nicht zuletzt sollten Eltern ihr eigenes Verhalten überprüfen: Wie reagieren Sie bei Wut? Knallen Sie mit den Türen? Schreien Sie? Benutzen Sie Schimpfwörter? Werfen Sie mit Dingen? Kinder lernen vor allem durch Nachahmen.

„Mit meiner kleinen Schwester kann ich so schön kuscheln. Außerdem ist es toll, wenn wir zusammen in den Stall gehen können. Wir wohnen nämlich auf einem Bauernhof.“

Johannes, 5

Tipps für (mehr) Geschwisterliebe

Streiten gehört also unweigerlich zu jeder Geschwisterbeziehung dazu, mal weniger ausgeprägt, mal intensiver. Das werden Eltern nicht verhindern können, sie sollten die positiven Aspekte der erlernten Streitkultur sehen. Nichtsdestotrotz können sich Eltern bemühen, mit kleinen Ritualen die Geschwisterbeziehung zu stärken. Daher haben wir ein paar Tipps zusammengestellt, die sich im Alltag gut umsetzen lassen.

Familienzeit: Gemeinsame Zeit stärkt die Familienbande, sowohl die zwischen Eltern und Kindern als auch unter den Geschwistern. Nehmen Sie sich bewusst Zeit für kleine Familienrituale wie die gemeinsame Mahlzeit, eine Kitzelrunde auf dem Sofa, eine Kissenschlacht oder eine gemeinsame Vorlesezeit. Auch Ausflüge und gemeinsamer Urlaub stärken den Zusammenhalt. Je älter die Kinder werden, je mehr Hobbys sie haben, desto schwieriger wird es, im Familienkalender solche gemeinsamen Zeitfenster zu finden, in denen wirklich alle da sind.

Geschwister-Projekte: Motivieren Sie Ihre Kinder, kleine Projekte und Herausforderungen gemeinsam (und möglichst ohne Hilfe der Eltern) anzugehen. Das kann die Planung der Wandertour fürs kommende Wochenende oder für den nächsten Urlaub sein. Oder ein kleines Kunstwerk, oder ein Kuchen für Papas Geburtstag. Oder Sie lassen die Kids ein Märchenstück einstudieren, dass sie der Familie am Weihnachtsabend vorführen. Selbst der Bau eines kleinen Zoos aus Legosteinen und Schleichtieren oder das Vollenden eines anspruchsvollen Puzzles kann die Geschwisterbande stärken, wenn die Kinder gemeinsam ihr Ziel erreicht haben.

Kleine Geschenke: Das Kind hat Geburtstag, ein Turnier gewonnen oder eine 1 in einer schweren Klassenarbeit bekommen? Ermuntern Sie das Geschwisterkind, seinem Bruder oder seiner Schwester dafür ein kleines Geschenk zu machen. Das kann ein selbstgemaltes Bild, eine Süßigkeit oder ein selbstgepflückter Blumenstrauß sein. Solche kleinen Aufmerksamkeiten können wahre Wunder wirken.

Nette Gesten: Achten Sie im Alltag darauf, dass die Geschwister liebevoll miteinander umgehen. Ist ein Kind krank, könnte das andere ihm die Wärmflasche oder das Lieblingskuscheltier holen. Hat sich die große Schwester das Knie aufgeschlagen, könnte der kleine Bruder das Pflaster bringen. Steht für ein Kind eine Prüfung oder Klassenarbeit an, sollten sowohl die Eltern als auch die Geschwister viel Erfolg wünschen.