Nature first!

Datum: Donnerstag, 03. April 2025 17:56


Foto: Pawel Sosnowski

Ein Plädoyer für mehr Natur- und Artenschutz vor der eigenen Haustür

Ein Scharren, ein Schnaufen und genüssliches Schmatzen – das sind die Klänge eines riesigen Erfolgsprojektes. Mit seinem dicken braunen Fellmantel, einer robusten Haut, die an die 14 Millimeter dick werden kann und einem Gewicht von bis zu einer Tonne streift der Wisent in Freiheit durch Europas Wiesen und Wälder. Der bis zu 1,90 Meter große Europäische Bison ist heute das größte Landsäugetier unseres Kontinents – dabei galt er vor nicht allzu langer Zeit in der Wildnis als ausgestorben. Einst in ganz Europa verbreitet, nahm der Mensch ihm seinen Lebensraum. Einhergehend mit der Jagd war der Wisent zur Mitte des 20. Jahrhunderts nahezu ausgerottet. Eine kleine Gruppe engagierter Menschen, die 1923 eine Interessengemeinschaft zur Erhaltung des Europäischen Bisons gründete, schaffte dann doch noch das Unmögliche. Mit den 12 letzten ihrer Art gelang in einem Zuchtprogramm die Rettung des Wisents. Heute sind wieder rund 8.000 Wisente in den Naturlandschaften Europas zu Hause – etwa 130 davon sogar unweit der Lausitz, in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide bei Berlin. Zwar gilt der Europäische Bison noch immer als potenziell gefährdet, doch sein Bestand wächst weiter. Mit seiner Geschichte von Niedergang und Wiederkehr ist der Wisent ein Botschafter für ein globales Problem und gleichermaßen für dessen Lösung. Denn während er mit seiner fast gänzlichen Ausrottung ein mahnendes Beispiel für den nach wie vor dynamisch zunehmenden Rückgang der Artenvielfalt darstellt, spendet er gleichzeitig Hoffnung für eine Kehrtwende zu einer intakten Natur – und das durch einen menschgemachten, erfolgreichen Natur- und Artenschutz.

Natur- und Artenschutz bedeutet, die Vielfalt an Pflanzen und Tieren sowie an Lebensräumen zu bewahren und dem zunehmenden Verlust an Biodiversität entgegenzuwirken. All das können wir in diesem Titelthema mit einem Blick auf den aktuellen Zustand unserer Natur und ihrer Artenvielfalt nicht betrachten – deshalb widmen wir uns im Schwerpunkt vor allem der Fauna, also Tieren jedweder Art. Wir werden uns mit der Umweltproblematik des Artenschwundes und seinen Ursachen befassen – vor allem aber werden wir gemeinsam herausfinden, wie jeder von uns auch Teil der Lösung des Problems werden kann. Natur- und Artenschutz beginnt schließlich vor der eigenen Haustür – und sogar dort können wir zu Heldengeschichten wie der des Europäischen Bisons beitragen.

Von Glück und Unglück

Weniger Glück als der Wisent hatte der Auerochse, dessen spurloses Verschwinden der Mensch durch Bejagung und Vernichtung von Lebensraum bereits vor rund 500 Jahren verursacht hat. Sein Bestand schrumpfte in Deutschland bis 1470 auf einen einzigen Auerochsen, der schließlich im Neuburger Wald in Niederbayern abgeschossen wurde. Der letzte Vertreter seiner Art starb dann 1627 in Polen, heute gilt der europäische Auerochse offiziell als ausgestorben.
Auch wenn das Aussterben des Auerochsen bereits eine ganze Weile zurückliegt, macht er als einer von vielen Vertretern auf ein zunehmendes globales Problem aufmerksam: den Artenschwund. Die Wissenschaft dokumentiert diesen inzwischen sehr ausführlich. Von den rund 8 Millionen bekannten Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten verschwindet alle zehn Minuten eine Art – das sind in einem Jahrzehnt weit über 500.000 Arten. Eine Metastudie der Universität Belfast im Jahr 2023 ermittelte, dass bei knapp der Hälfte der über 70.000 untersuchten Wirbeltier- und Insektenarten teils stark schrumpfende Populationen auf einen schnelleren Niedergang der Artenvielfalt hinweisen, als bis dahin vermutet wurde. Im Alltag fast unbemerkt, befinden wir uns im größten Massenaussterben seit der Zeit der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Selbst vor unserer eigenen Haustür, in Europa, ist laut einer aktuellen Studie (vom Team des Nationalmuseums für Naturgeschichte in Luxemburg in Zusammenarbeit mit der Universität Trier) in den nächsten Jahrzehnten jede fünfte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht.


Wisentjunges in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide. Foto: Ingolf Koenig-Jablonski, Sielmann Stiftung


Menschgemachtes Massenaussterben

Skeptiker in Sachen Natur- und Artenschutz verweisen nicht selten darauf, dass es ein Massenaussterben der Arten und starke Veränderungen in Flora und Fauna in der Erdgeschichte schon mehrfach gab. Tatsächlich leben heute – bezogen auf die bislang erforschte Geschichte unseres Planeten – im Konsens der fachbezogenen Wissenschaft nur noch 1 Prozent der Arten, die es jemals auf der Erde gab – während 99 Prozent in vergangenen Erdzeitaltern bereits ausgestorben sind. Dabei sorgten teils langfristige geologische Abläufe, häufig aber auch zeitlich eng begrenzte Katastrophen samt klimatischer Veränderungen für einen immensen Artenschwund. Für die letzten rund 500 Millionen Jahre ist das heute sehr gut erforscht. Dabei ragen fünf Ereignisse besonders heraus, die man heute als die sogenannten „großen Fünf“ (auch Big Five) und als „Massenaussterben“ bezeichnet. Man schätzt, dass bei den großen Fünf der jeweilige Artenschwund bei wahrscheinlich 70 bis 75 Prozent oder zum Teil sogar darüber lag – im Einzelnen sind das:

  • das Ordovizische Massenaussterben vor 444 Mio. Jahren
  • das Kellwasser-Ereignis im Oberdevon vor 372 Mio. Jahren
  • das Ereignis an der Perm-Trias-Grenze vor 252 Mio. Jahren
  • die Krisenzeit an der Trias-Jura-Grenze vor 201 Mio. Jahren
  • das Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze vor 66 Mio. Jahren (bekannt als das Aussterben der Dinosaurier)


Darüber hinaus werden in der Wissenschaft weitere Ereignisse mit einem Artenschwund von bis zu über der Hälfte diskutiert. Während einige Massenaussterben im Zeitraum vieler Millionen Jahre durch Erderwärmung oder -abkühlung – also aufgrund von Klimawandel oder Veränderungen in den Ozeanen, wie wir sie heute auch beobachten – stattfanden, werden bei anderen Ereignissen Vulkanismus und Einschläge kosmischer Kleinkörper als Ursache gesehen.
Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass mit dem Menschen aktuell erstmals eine Art selbst ein Massenaussterben auslöst. Die Aussterberate der Arten liegt derzeit nach Schätzungen bis zu 1.000-fach über dem „normalen“ Hintergrundaussterben. Laut WWF hat sich die Artenvielfalt seit den 1970er-Jahren bei der Zahl der Säugetiere, Vögel, Reptilien und Fische im Schnitt halbiert, die Welt verliere demnach täglich sogar 380 Tier- und Pflanzenarten. Daten aus Studien sind alarmierend:

  • Der 2020 erstellte Living Planet Report („Lebender-Planet-Bericht“) des WWF meldete bei weltweit über 14.000 untersuchten Tierpopulationen einen Rückgang der Bestände um ca. 70 Prozent innerhalb von 50 Jahren.
  • Der Bericht 2016 dokumentierte bereits vier Jahre zuvor, dass die weltweiten Tierbestände in Flüssen und Seen im Schnitt um 81 Prozent abgenommen haben.
  • Nach einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES-Artenschutzkonferenz in Paris) vom Mai 2019 sind bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht – 500.000 davon werden als „dead species walking“ (sinngemäß lebende Tote) bezeichnet.


Noch nie in der Erdgeschichte ist ein Massenaussterben durch Veränderungen in Klima und Ozeanen in dieser Geschwindigkeit passiert – das menschgemachte Massenaussterben weist somit eher Parallelen zu geologischen Katastrophen auf. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von zerstörten Lebensräumen über Umwelt- und Lichtverschmutzung bis zu Überfischung, vermehrten Virusinfekten und zur Jagd. Aber es gibt auch Hoffnung – und der Mensch ist für sein eigenes Überleben letztendlich auf Artenvielfalt angewiesen, wenn er nicht selbst Teil des sechsten Massenaussterbens sein möchte. Denn – und das sollte uns zu denken geben – der Mensch ist trotz seiner Intelligenz bei Veränderungen in Klima und Natur nicht sehr anpassungsfähig und vielmehr auf eine halbwegs intakte Umwelt angewiesen.



Bis zu 9.000 Dungkäfer tummeln sich in einem einzigen Kothaufen des Wisents und zersetzen ihn zu wertvollem Humusboden. Foto: Ingolf Koenig-Jablonski, Sielmann Stiftung

Warum ist Artenvielfalt so wichtig?

Unsere Natur bildet ein riesiges Artengefüge, in dem jedes Tier und jede Pflanze ein Bindeglied darstellt. Einige Tier- und Pflanzenarten stehen in direkter Verbindung zueinander, während andere eher indirekt voneinander beeinflusst werden. Und einige gelten als sogenannte „Schlüsselarten“, ohne die sich ein gesamtes Ökosystem verändern kann. Ein gutes Beispiel ist der Wolf, um den sich auch in der Lausitz viele Diskussionen drehen. Als Spitze an der Nahrungskette regelt er quasi die Population anderer Wildtiere, die sich ansonsten ungehindert vermehren und ausbreiten können. Pflanzenfresser können durch ungehinderte Vermehrung ganze Landschaften aus dem Gleichgewicht bringen – ein Beispiel lieferte der Yellowstone Nationalpark in den USA, in dem unzählige Versuche der Menschen zur Minderung der Pflanzenfresser scheiterten und erst die Wiederansiedlung von Wölfen das Ökosystem ins Gleichgewicht brachte. Schlüsselarten können andererseits auch sehr klein sein und am Anfang der Nahrungskette stehen. Ohne Insekten sinkt die Population an Vögeln und Kleintieren, deren Zahl sich wiederum auf Beutegreifer und Aasfresser auswirkt. In Weltmeeren ist winziges Plankton ein Ausgangspunkt für mehr oder weniger Artenvielfalt. In begrenzten Ökosystemen induziert das Verschwinden einer Art den Rückgang oder das Verschwinden teils vieler Arten.

Der Wisent ist auch hier ein gutes Beispiel: Als großer Pflanzenfresser stutzt er in Wiesen- und Heidelandschaften Gräser, Kräuter und Sträucher und vertilgt so 30 bis 60 Kilogramm Pflanzenmasse pro Tag. Das Grün wächst umso dichter nach, er verbreitet Pollen und Samen unterschiedlichster Pflanzen in seinem zotteligen Fell und sorgt somit für deren Verbreitung – und erhält offene Landschaften, die für die Biodiversität unverzichtbar sind. Auch in Wäldern führt das Anknabbern von Trieben und Co. zu lichten Stellen, die Bodenpflanzen gute Bedingungen zum Gedeihen bieten und dadurch Nahrung und Lebensraum für viele Arten erzeugen. Der offene Lebensraum, den ein Wisent gestaltet, ist ein Schauplatz für ein erstaunlich wildes Treiben. Insekten und Kleintiere bis hin zu Hasen und Rehen leben vom schmackhaften Grün. In Tümpeln und Sandböden, die der Wisent mit seinen Schlamm- und Sandbädern erhält, machen es sich Urzeitkrebse und Wildbienen gemütlich. Die wohl größte Artenvielfalt spielt sich an einem sehr unerwarteten Ort ab – nämlich im Kot des Wisents. Insgesamt wurden bereits 35 verschiedene Dungkäfer-Arten in Wisentkot nachgewiesen, die sich in so manchem Haufen mit zu bis zu 9.000 Käfern zusammenfinden, Nahrung für andere Arten bilden und gleichzeitig den Dung zersetzen und wertvollen Humusboden schaffen.

Treibt man dieses kleine Gedankenspiel immer weiter, landet man bei den unterschiedlichsten kleinen und großen Tieren sowie Pflanzen an Land, in der Luft und unter Wasser, denn irgendwie sind eben alle Arten auf unserem Planeten miteinander verbunden. Mit jeder ausgestorbenen Art – egal ob Tier oder Pflanze – verliert unsere Natur damit nicht nur an Vielfalt, sondern auch immer einen Baustein, der sie intakt hält.

Doch inwiefern betrifft das uns Menschen? Auch wenn wir uns gerade im städtischen Raum immer weniger mit der Natur verbunden fühlen, ist sie in unserem Alltag doch immer präsent – auf unserem Esstisch, in unserem Medizinschränkchen und selbst in der Luft, die wir einatmen. Sauberes Wasser und frische Luft, Heilkräuter, unsere Nahrung und viele weitere, lebensnotwendige Rohstoffe beziehen wir aus der Natur. Dass wir uns auf all diese Ressourcen auch in Zukunft verlassen können, bedeutet jedoch, dass die Natur in einem intakten Zustand erhalten werden muss. Wie beim Klimawandel Kipppunkte befürchtet werden, ab denen bestimmte negative Entwicklungen sich selbst verstärken und unumkehrbar sind, kann auch der Artenschwund zu ähnlichen Entwicklungen führen, an deren Ende Lebensmittel und selbst saubere Luft knapp werden könnten. So vermindert das Fehlen großer Pflanzenfresser wie unseres Wisents den Bestand bestäubender Insekten wie Bienen, Hummeln oder Schmetterlinge – und damit das Nahrungsangebot. Wie stark uns das inzwischen beeinflusst, zeigt sich sehr gut am Beispiel unserer Agrarwirtschaft:

Infopapier Bestäuberleistung 

Die landwirtschaftlich genutzte Fläche macht in Deutschland mit stolzen 16,6 Millionen Hektar die Hälfte der gesamten Fläche unseres Landes aus. Sie liefert zuverlässig Nahrung und per Biomasse auch Energie. Beides ist lebensnotwendig, aber viele der angebauten Pflanzen bestäuben sich nicht von selbst. Eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften von 2020 verdeutlicht die Abhängigkeit unserer Agrarwirtschaft von der Artenvielfalt. Mit 87 von 115 der weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanzen überwiegt der Anteil an Pflanzen beträchtlich, die durch Tiere – vorwiegend Insekten – bestäubt werden müssen. Ob Äpfel, Birnen, Beeren und Gurken oder selbst Kaffee – unzählige Früchte sind wesentlich von kleinen Bestäubern abhängig, bei anderen sind sie entscheidend für gute Erträge.

Mit dem Wegfall bestäubender Arten würde laut Berechnungen jährlich ein wirtschaftlicher Schaden von 1,13 Milliarden Euro auf deutscher Ebene und 14,6 Milliarden Euro auf europäischer Ebene entstehen – Folgeeffekte von steigenden Lebensmittelpreisen bis zur Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sorgen für deutlich höhere gesellschaftliche Kosten. 2022 warnten Ökonomen unter anderem der Cambridge University in einem Bericht sogar davor, dass insbesondere Entwicklungsländern durch das Artensterben und fehlende Ökosystemleistungen wie das Bestäuben durch Insekten der Staatsbankrott drohen könnte. Inzwischen behilft sich die Agrarwirtschaft immer stärker mit dem nächstgelegenen Insekt, der Honigbiene. Wildbienen gewährleisten bei gleichem Arbeitsaufwand hingegen einen doppelt so hohen Fruchtansatz und somit viel höhere Erträge. Viele Nutzpflanzen sind zudem auf die Bestäubung durch ganz andere Insekten wie Mücken, Käfer oder Schmetterlinge angewiesen. Der Sinkflug der Artenvielfalt wirkt über Agrarflächen somit direkt auf unsere Lebensmittel. Wenn wir also Arten vom Insekt bis zum Wisent schützen, dann schützen wir damit auch uns selbst und vor allem künftige Generationen, denen wir ein sicheres und gesundes Leben auf unserem Planeten ermöglichen wollen.


Der Vaquita gilt mit einer Population von zuletzt 6 bis 10 Individuen (noch) als Überlebenskünstler. Foto: Sportactive, istock


Artensterben im Zeitraffer

Dabei kann man vielen Tierarten bei ihrem Überlebenskampf tatsächlich zusehen – weltweit und vor der eigenen Haustür. Mit den Geschichten von fünf bedrohten Tierarten landen wir nach einer kleinen Weltreise in der Lausitz:
Der Vaquita ist mit seiner geringen Körperlänge von 1,5 Metern der kleinste Wal der Welt und wird dank seiner hell-dunklen Färbung auch gern als „Panda der Meere“ bezeichnet. Die scheuen Tümmler leben das ganze Jahr über im Golf von Kalifornien zwischen dem Festland Mexikos und der Halbinsel Niederkalifornien, wo sie sich von bodenlebenden Fischen, Tintenfischen und Garnelen ernähren. Das haben sie mit einem etwas größeren Fisch gemeinsam, hinter dem die Fischer an der Küste Mexikos her sind. So verfangen sich auch die Vaquitas in den Stellnetzen aus dünnem Nylon, können zum Luftholen nicht mehr an die Wasseroberfläche und ersticken kläglich. Innerhalb kürzester Zeit hat der Mensch den kleinen Säuger nahezu ausgerottet – 1997 wurden noch 600 Tiere gelistet, 2015 zählte ihr Bestand nur noch 60 Tiere, 2022 wurde der komplette Bestand auf eine Restpopulation von 6 bis 10 Individuen geschätzt. Der Vaquita gilt als bedrohtester Meeressäuger unserer Zeit und steht seit Jahren an der Schwelle zum Aussterben. Schutzbemühungen von Einfangen und Zucht bis Verbot der Fischerei blieben dennoch erfolglos. Selbst als die Regierung 2014 eine Ausgleichszahlung von 74 Millionen Dollar für das Fischereiverbot an die Fischer ausstellte, wurde das Geld in neue Boote und Motoren gesteckt und führte letztendlich zu einer weiteren Intensivierung der Fischerei im Golf. Forscher waren sich aufgrund des rapiden Rückgangs der Art über ein schnelles Aussterben sicher, doch der kleine Schweinswal überrascht noch immer alle und schafft es bis heute mit einer minimalen Zahl an Individuen, dem Aussterben zu entrinnen. Ein Überlebenskampf, den er allein gegen menschgemachte Fischerei führt.


Drastischer Insektenschwund in Deutschland: In den letzten 27 Jahren sind rund 75 Prozent der Insekten in Deutschland verschwunden, das ergaben Zählungen von Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden in einer veröffentlichten Studie bereits vor einigen Jahren. Monokulturen, Pestizide, Insektizide und andere Giftstoffe, Versiegelung der Böden und fehlende Blumenwiesen werden als Ursachen gesehen. Geschehen ist seitdem im Grunde nichts. Die Lobby der Landwirtschaft verhindert weitgehend das Verbot von Pestiziden – Blühstreifen entlang der Felder zum Artenschutz bleiben eine Ausnahme. Die Flächenversiegelung in Deutschland nimmt weiter zu, in den vergangenen vier Jahren um weitere über 100 Quadratkilometer. Ein sichtbares Zeichen, das selbst skeptische Boomer nicht negieren können, ist der Blick auf Autoscheiben in der warmen Jahreszeit. Noch vor 20 Jahren waren diese nach längeren Fahrten von Insektenrückständen übersät – heute findet man dort kaum noch Spuren von ihnen.


Springen wir von Amerika ans andere Ende der Welt – nach Australien. Dort tummelt sich in den Astgabeln grüner Eukalyptuswälder eine graue, flauschige Gestalt – der Koala. Das niedliche Beuteltier lebt ausschließlich an der Ostküste Australiens, um dort die Blätter und Rinde von den Bäumen zu naschen, wenn er nicht gerade schläft – das tut er nämlich bis zu 22 Stunden am Tag. Diese Zeit benötigt er, um die giftigen und nur schwer verdaulichen Eukalyptusblätter zu verarbeiten. Die restlichen zwei Stunden werden dann durchgefuttert und für Toilettengänge genutzt. Das Leben des Koalas ist geprägt von Ruhe, Sorglosigkeit und Unbeschwertheit – jedenfalls war es das, bis der Mensch in sein Leben trat. Als die Europäer Ende des 18. Jahrhunderts nach Australien kamen, wurden die damals noch rund zehn Millionen Tiere wegen ihres begehrten Pelzes im großen Stil bejagt. 1937 wurde der Koala schließlich unter Schutz gestellt – seine Population nimmt heute jedoch durch den menschengemachten Klimawandel und die Zerstörung seines Lebensraumes wieder beträchtlich ab. Seine Wälder weichen Straßen, die globale Erderwärmung vermehrt verheerende Buschbrände. Die australischen Buschfeuer des Sommers 2019/20 brachten nach einer 18-monatigen Dürreperiode für fast drei Milliarden Wirbeltiere den Tod – darunter über 60.000 Koalas. Mittlerweile hat der Koala 80 Prozent seiner Lebensräume verloren. Sein damaliger Bestand von zehn Millionen Tieren ist nun auf 40.000 bis 80.000 verbleibende Individuen zurückgegangen. Ohne konsequente Schutzmaßnahmen wird der Koala laut einer aktuellen Untersuchung bis 2050 ausgestorben sein.


 Foto: ea-4, istock

Noch weitaus gefährdeter ist ein mystischer Jäger in den Hochgebirgen Zentral- und Südostasiens. Als „Geist der Berge“ bekannt, schleicht er nahezu unbemerkt durch die karge, felsige Landschaft der Höhenlagen, um auf bis zu 5.000 Metern Höhe Jagd auf Steinböcke, Mufflons und Co. zu machen. Darin ist der Schneeleopard mit Sprüngen von bis zu 16 Metern ein wahrer Meister. Keine andere Großkatze kann in solch einer Höhe überleben. Leider schützt sie nicht vor dem Menschen. Wilderer haben es auf das Fell und nahezu alle Körperteile wie Knochen, Schädel, Zähne, Klauen oder Fleisch abgesehen, denen in der traditionellen chinesischen Medizin heilsame Eigenschaften beigemessen werden. Jährlich werden schätzungsweise zwischen 221 und 450 Schneeleoparden von Menschen getötet. Mehr als die Hälfte der Tötungen erfolgt inzwischen zum Schutz der Viehhaltung durch Menschen, die ihren Lebensraum immer weiter in die einstigen Reviere der Tiere ausbreiten. Für die Menschen vor Ort ist der Schneeleopard zu einem Kontrahenten geworden, der ihr Vieh gefährdet und den es zu bekämpfen gilt. Der Restbestand von ca. 4.000 bis 6.500 Tieren droht durch den Konflikt um Lebensraum mit dem Menschen in den kommenden zwei Jahrzehnten auf Null zu sinken.


Foto: Oy Siyanta, istock

Vaquita, Koala, Schneeleopard und auch unser Europäischer Bison sind nur vier Beispiele von unzähligen Vertretern rund um den Globus, die allesamt ähnliche Geschichten erzählen: Vertreibung, Bejagung, Lebensraumverlust, Klimakrise. Sie zeugen von der zerstörerischen Kraft unseres Wirkens. Denn wo sich der Mensch ansiedelt, muss Natur weichen – so lief es schon immer. Der Ausbau von Infrastruktur, der Zugriff auf natürliche Ressourcen wie Fisch, Holz und Co. und die Umweltverschmutzung sowie die menschengemachte Klimakrise sind Teil unseres Lebensstils und gleichermaßen die Ursache für die Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Genau das macht sich auch vor unserer Haustür immer deutlicher bemerkbar.


Foto: Oy Siyanta, istock

Das Auerhuhn ist der größte europäische Hühnervogel und besiedelte früher einen breiten Waldgürtel vom Spessart bis zum Thüringer Wald. Heute kommt es fast nur noch in den Mittel- und Hochgebirgen vor. Es lebt vor allem in lichten Wäldern und beansprucht ein Revier, das mit allen Mitteln verteidigt wird. Mit rund 50 Hektar ist es so groß wie 70 Fußballfelder – derart große, lichte Waldgebiete werden immer seltener. Inzwischen steht es schlecht um den ursprünglichen Charaktervogel des Schwarzwaldes. Schätzte man den Bestand dort 1995 noch auf rund 500 balzende Hähne, sind es nach der letzten Roten Liste der Vögel Baden-Württembergs noch höchstens 150 bis 300 Hähne. Intensive Forstwirtschaft oder Störung im Winter durch Skitourismus haben es inzwischen an den Rand des Aussterbens gebracht. In Brandenburg galt die Art bereits 1998 als verschollen. Nach mehr als 15 Jahren Vorbereitung wurde ab 2012 ein Projekt zur Wiederansiedlung des Hühnervogels in ausgewählten Waldgebieten in den Naturparks Niederlausitzer Heidelandschaft und Niederlausitzer Landrücken umgesetzt. Mit viel Glück kann man dem lauten und stolzen Vogel dort wieder begegnen.


Foto: Kerstin Hinze, Sielmann Stiftung

Vom Plagegeist zum Sorgenkind: Klein, dick und unfassbar niedlich war er schon immer – der Feldhamster. Und er kam zum Beginn des 20. Jahrhunderts allerorts in Deutschland massenhaft vor. Für die damalige Landwirtschaft wurde er zum ungern gesehenen Schädling. Die artenreichen, naturnahen Felder boten ihm ein perfektes Zuhause mit reichem Nahrungsangebot. Die Landwirte bekämpften den Feldhamster mit Gift und Hamsterjäger hoben seine Baue aus, um an sein Fell und sein gesammeltes Getreide zu kommen. Heute ist man froh über den Anblick der mittlerweile seltenen, in Brandenburg und Sachsen bereits verschollenen und insgesamt vom Aussterben bedrohten Art. Die Intensivierung der Landwirtschaft hat dem Feldhamster seinen Lebensraum fast gänzlich genommen. Vereinzelte Projekte versuchen nun, das Überleben der Art zu sichern – so zum Beispiel der Verein AG Feldhamsterschutz in Niedersachsen, welcher von der Heinz Sielmann Stiftung in seinem Vorhaben unterstützt wird.

Ein weiteres Beispiel vor der Haustür liefert der Fischotter, der ursprünglich im gesamten europäischen Raum vorkam. Wasserverschmutzung und Jagd haben seine Bestände stark dezimiert. Heute gibt es in Deutschland nur noch im Osten großflächig zusammenhängende Gebiete, in denen der scheue, dämmerungs- und nachtaktive Marder vorkommt. Brandenburg verfügt über die zahlenstärkste Population und trägt daher für den Fischotter eine besondere Verantwortung. Zuletzt ergab eine Zählung vor rund 30 Jahren ca. 1.300 Tiere in Brandenburg, während der Fischotter in vielen Bundesländern kaum noch vorkommt. Zu seinen bevorzugten Lebensräumen gehören neben Seen auch naturnahe Flüsse und Bäche mit einer vielfältigen Pflanzenwelt an den Ufern. Auch der Fischotter ist vor allem durch die Zerschneidung seines Lebensraumes durch Straßen gefährdet – meist wird er beim Überqueren dieser getötet oder ertrinkt in Fischreusen. In den Nationalen Naturlandschaften Brandenburgs kommt der Fischotter in sämtlichen Naturparks und dem Biosphärenreservat Spreewald vor und genießt einen besonderen Schutzstatus, mit dem ein Wachstum der Population unterstützt wird. Beim Fischotter wird durch den Einsatz engagierter Naturschützer also rechtzeitig verhindert, was beim Wisent nun mit viel Mühe wieder „repariert“ wird.


Warum wir nicht tun, was wir richtig und wichtig finden:

In Umfragen ist schon traditionell eine deutliche Mehrheit der Deutschen für Natur- und Umweltschutz – und auch wenn derzeit Themen rund um Wirtschaft, Sicherheit und Migration dominieren, befindet sich der Bereich Umwelt, Natur & Klima grundsätzlich auch unter den als am wichtigsten empfundenen Top 5 der aktuellen Herausforderungen. Wir finden Natur- und Umweltschutz also mehrheitlich richtig und wichtig. Warum handeln wir im Alltag und der Politik dennoch nicht mit dem notwendigen Nachdruck, um den bekannten Fakten zum Artenschwund und der Zerstörung der Natur zu begegnen?

Die Antwort liefert ein psychologisches Phänomen, das uns auch in vielen anderen Lebensbereichen begegnet, bei Themen rund um Natur- und Klimaschutz aber besonders stark ausgeprägt ist. Es geht um „Kognitive Dissonanz“. Sie beschreibt, wie Menschen widersprüchliche Überzeugungen, Gedanken oder Verhaltensweisen mit sich selbst in Einklang bringen. Einfach gesagt, wollen wir mit uns selbst stets im „Reinen“ sein. Wenn unser Handeln nun aber im Widerspruch zu unserem Wissen steht, kann das zu einem unangenehmen Gefühl führen, das als Dissonanz bezeichnet wird. Ein gutes Beispiel liefern viele Raucher, die sehr wohl wissen, dass Rauchen schädlich ist. Oder Fleischesser, die wissen, dass Fleischkonsum Tierleid und Klimaschäden verursacht. Der Widerspruch zwischen Wissen und Verhalten führt oft zu einem inneren Konflikt und einem Gefühl der Unruhe oder des Unbehagens. Menschen streben in der Regel aber nach Konsistenz in ihren Überzeugungen und Verhaltensweisen. So ändern sie ihre Überzeugungen – bezogen auf den Umweltschutz werden also die Risiken oder Gegenargumente heruntergespielt, oder sie suchen Bestätigung für ihr gewohntes Verhalten, indem sie dem Widerspruch weitere Informationen hinzufügen, die ihr Verhalten bestätigen. Das können Desinformationen beispielsweise zum fehlenden Einfluss des Menschen auf Umwelt und Natur sein. Wer weder Überzeugungen verändert noch Ausreden nutzt, müsste den Widerspruch durch eine Verhaltensänderung auflösen – was meist am schwersten fällt, wie der vergleichsweise geringe Anteil an aktiven Naturschützern zeigt. Eine Hilfe kann hierbei sein, sich den Widerspruch bewusst zu machen und in kleinen Schritten abzubauen. Möglichkeiten zur Reduktion der Dissonanz zeigen wir in diesem Thema auf – und geben Anregungen, durch Verhaltensänderungen ein Gefühl der Konsistenz und des Wohlbefindens wiederherzustellen. Also: nicht leugnen, sondern verändern!

Der erste Wisent in Deutschland – Peng statt Yippie!

Während der Wisent seit dem 18. Jahrhundert lange aus Deutschlands Wildnis verschwunden war, durfte er bei unseren polnischen Nachbarn frühzeitig wieder seinen Lebensraum beziehen. Ein besonders neugieriger Wisentbulle kam 2017 auf Entdeckungstour nach Deutschland und überquerte die polnische Grenze unweit unserer Lausitz. Was das Zeug zu einer schönen Geschichte für den Artenschutz hatte, endete als ein weiteres Mahnmal für unseren rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Denn der Wisent wurde nicht etwa freudig begrüßt, sondern ohne triftigen Grund erschossen.


Bedrohte Arten stellen sich vor

Wenn von bedrohten Arten die Rede ist, stehen meist Sympathieträger wie Elefant, Tiger, Eisbär oder Panda im Mittelpunkt. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie gehören zur Tierklasse der Säugetiere und wirken auf uns besonders empathisch. Dabei sind viele andere Tierklassen oder Pflanzen direkt vor unserer Haustür nicht weniger gefährdet. Heute gelten in Deutschland 50 Prozent der Amphibien und 43 Prozent der Vogelarten als gefährdet, der Insektenbestand hat sich hierzulande innerhalb von nur 27 Jahren um 75 Prozent verringert. Sie mögen vielleicht nicht so niedlich oder imposant aussehen wie jene Säugetiere, doch sie sind genauso auf unseren Schutz angewiesen. Deswegen: Bühne frei für drei regionale Underdogs!

 
Foto: Ralf Donat, Sielmann Stiftung

„Hey, ich bin der Hirschkäfer. Mit einer Körperlänge von neun Zentimetern bin ich der größte Käfer in ganz Deutschland. Ist dir schon mein prächtiges „Geweih“ aufgefallen? Verdammt cool, oder? Meine langen Oberkiefer machen ein Drittel meiner gesamten Körperlänge aus. Zusammen mit meinen Artgenossen lebe ich in Waldgebieten, auch in der Lausitz. Langsam machen wir uns aber alle ganz schön Sorgen um die Zukunft unserer Art. Die Menschen bewirtschaften unseren Lebensraum immer stärker und entfernen alles Alt- und Totholz. Genau das brauchen wir aber, um unseren Nachwuchs großzuziehen. Ich möchte doch nur, dass meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können…“

Der Hirschkäfer gilt in Deutschland als stark gefährdet. Schutzprogramme führen seit einigen Jahren zu einer besseren Vermehrung. Da die Generationsfolge mit fünf bis acht Jahren sehr lang ist, sind merkbar mehr Tiere und eine Erholung der Population erst nach Jahrzehnten zu erwarten.


Foto: Sielmann Stiftung

„Quak - Quak - Hallo, ich bin die Wechselkröte. Ich mag zwar etwas glitschig aussehen, aber dafür habe ich Superkräfte. Mein Name ist nämlich Programm – je nach Umgebung kann ich meine beige Grundfarbe heller oder dunkler anpassen, um immer perfekt getarnt zu sein. In natürlichen Flussauen fühle ich mich besonders wohl. Sie bieten nicht nur Rückzugsorte für mich, sondern auch Laichgewässer, in denen mein Nachwuchs groß werden kann. Leider trocknen durch die steigenden Temperaturen immer mehr geeignete Gewässer aus. Da weiß ich gar nicht mehr, wo ich meinen Nachwuchs unterbringen soll. Außerdem machen sich Menschen zunehmend in meinem Lebensraum breit. Viele meiner Freunde wurden beim Überqueren von Straßen schon von Autos erfasst. Ich habe Angst, genau wie sie auf dem Asphalt zu enden…“

Die Wechselkröte verfügt insbesondere im Osten Deutschlands noch über stabile Bestände. Sie gilt als streng geschützt – und wird vor allem durch die Zerstörung oder Beeinträchtigung von Kleingewässern durch Zuschüttung oder Eintrag von Müll, Dünger und Umweltgiften gefährdet.


Foto: Ralf Donat, Sielmann Stiftung

„Na ihr? – Wer ich bin, ist doch wohl ganz klar – der Wiedehopf! Mit meiner gigantischen Federhaube und meinem langen Schnabel bin ich der König der Wiesen- und Weidelandschaften. Dort finde ich so viele schmackhafte Insekten – es ist ein wahres Schlaraffenland! Dummerweise muss ich immer wieder umziehen. Die letzten Wiesen und Weiden, die mein Zuhause waren, wurden in Ackerland verwandelt. Das bietet mir mit seinen gefährlichen Pestiziden aber keine Nahrung mehr. Hoffentlich verliere ich nicht noch mehr von meinem Lebensraum, ich möchte doch der König der offenen Landstriche bleiben…“

Der wärmeliebende Wiedehopf leidet besonders unter Klimaschwankungen. Er kommt in allen Ländern Mitteleuropas vor, sein Bestand ist hier jedoch auf wenige tausend Vögel zurückgegangen. In Deutschland brüten 800 bis 950 Paare. Schutzmaßnahmen u.a. in Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen und im NABU-Schutzgebiet „Grünhaus“ im Lausitzer Seenland haben zu einer erfreulichen Entwicklung der Population zumindest in unserer Region geführt.


So geht Natur- und Artenschutz: Strategien für eine bunte Welt

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war an Natur- und Artenschutz nicht zu denken. Nicht etwa, weil es damals noch kein Artensterben gab – die Menschen hatten schlichtweg einen anderen Bezug zur Natur. Natur galt als rau und unbarmherzig – voller gefährlicher Kreaturen, die in Haus und Hof nicht willkommen waren. Diese Wahrnehmung änderte sich erst, als mit der Industrialisierung die zuvor als lästig empfundene Natur Stück für Stück verschwand. Einzelne erkannten, wie wichtig der Erhalt von Lebensräumen und Artenvielfalt für den Menschen ist, sodass sich in den 1870er-Jahren die ersten Natur- und Tierschutzvereine gründeten. Für einige Arten wie den Braunbären oder den Ziesel kam diese Hilfe zu spät, für den Wisent war es hingegen die Rettung in letzter Sekunde.
Heute ist der Natur- und Artenschutz eine gesetzlich verankerte Selbstverständlichkeit, deren Bedeutung immer weiter steigt. Mit dem Ziel einer intakten, vielfältigen Natur wurden innerhalb der letzten Jahre eine Vielzahl an Projekten und Maßnahmen initiiert, die in der Regel in drei Schritten erfolgen:

  • Im ersten Schritt bilden immer Daten das Fundament – per Monitoring und Kartierung von Arten sowie Lebensräumen. So wird über einen langen Zeitraum ganz genau beobachtet und dokumentiert, wie häufig und wo ein bestimmter Lebensraum in der Natur vorkommt bzw. wie groß der Bestand und die Verbreitung einer bestimmten Art ist. Anhand der gesammelten Daten sind Aussagen zur Entwicklung und Gefährdung der Lebensräume und Arten möglich – sie werden heute umfangreich für alle Tiergruppen in der sogenannten Roten Liste geführt. Für den Wisent war es damals lebensentscheidend, da man ohne Wissen um den starken Rückgang seines Bestandes in ganz Europa Schutzmaßnahmen zu seiner Rettung sicher zu spät ergriffen hätte.
  • An das Monitoring und die Kartierung knüpft im zweiten Schritt die Forschung an. Sie betrachtet Lebensräume oder Arten wie den Wisent, welcher bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast vollständig ausgestorben war, und sucht nach den Gründen für den Rückgang seiner Art. Zudem ermitteln die Forscher auch die Bedeutung der jeweiligen Art für das Ökosystem – also ihren Einfluss auf die Tier- und Pflanzenarten in ihrer Umgebung sowie ihren Lebensraum.
  • Im dritten Schritt geht es dann an die praktische Umsetzung mit konkreten Maßnahmen zum Schutz von Natur und Artenvielfalt. Für unseren Wisent hieß das zunächst, dass sein Bestand in Gefangenschaft erhalten und vermehrt wurde, um die Tiere dann nach und nach in geeigneten Gebieten auszuwildern. Dafür braucht es eine gesetzliche Verankerung zum Schutz seiner Art sowie der Landschaft, in der er wieder angesiedelt wird – denn ohne einen gesetzlichen Schutz könnte eine potenziell gefährdete Art durch unkontrollierte menschliche Eingriffe schnell wieder zu einer vom Aussterben bedrohten Art werden. Für den Wisent stellt diesen Schutz zum einen die sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie dar und zum anderen der Schutzstatus der Naturschutzgebiete, in denen er heute lebt. So kann er seit 2004 im Naturschutzgebiet „Döberitzer Heide“ – etwa 120 Kilometer Luftlinie von unserer Lausitz entfernt – auf einer Fläche von 1.800 Hektar sorgenfrei umherstreifen.


5 menschgemachte Erfolgsgeschichten im Artenschutz

  1. Iberischer Luchs: 2001 stand der Iberische Luchs mit einem winzigen Restbestand an der Schwelle des Aussterbens. Dank intensiver Schutzprogramme gibt es heute in Spanien und Portugal wieder rund 2.000 Exemplare, sodass er in der Roten Liste von „Stark gefährdet“ auf „Gefährdet“ herabgestuft werden konnte.
  2. Unechte Karettschildkröte: Die Population der stark gefährdeten Meeresschildkröte konnte sich durch umfangreiche Schutzmaßnahmen wie der Reduzierung von Beifang und dem Erhalt von Niststränden erholen, 2024 wurde ein Rekord von über 1.200 Nestern an einem geschützten Niststrand in Griechenland gezählt.
  3. Seeadler: Der größte europäische Greifvogel war um 1900 nahezu ausgerottet. Durch intensive Schutzbemühungen wächst die Population heute wieder. Inzwischen leben in Deutschland rund 1.000 Brutpaare und sorgen dafür, dass sich der Greifvogel von Deutschland aus auch in Nachbarländern wie Dänemark und den Niederlanden wieder ansiedelt.
  4. Siam-Krokodil: Die kleine Krokodilart galt als stark vom Aussterben bedroht, als Ranger im Sommer 2024 rund 100 Eier fanden, aus denen schließlich 60 Kroko-Babys schlüpften. Es war der größte Nachweis der Fortpflanzung des Krokodils in freier Wildbahn seit zwei Jahrzehnten. Weltweit gibt es nur noch rund 1.000 freilebende Exemplare – aber für die Art besteht nun wieder Hoffnung.
  5. Tiger: Die größte Wildkatze wurde 2024 in Kasachstan neu ausgewildert, wo sie seit 70 Jahren als ausgestorben galt. Auch in Südostasien nimmt ihre Population wieder leicht zu. In Thailand wuchs der Bestand im Vergleich zur letzten Zählung von rund 150 Exemplaren auf rund 200 Exemplare – auch hier sind strenge Schutzbestimmungen der Grund für die Erholung der Art.



Offenlandschaften wie Heiden sind aufgrund ihrer hohen Biodiversität besonders wertvoll, insbesondere, wenn sie von Großtieren beweidet werden. Foto: Sielmann Stiftung

Je nach Art oder Lebensraum und den Ursachen ihrer Gefährdung können sich Schutzmaßnahmen sehr individuell gestalten. Während für den Wisent geeignete Lebensräume erhalten oder wiederhergestellt werden, hilft bedrohten Meerestieren die stärkere Regulierung der Fischerei und die gesetzliche Verankerung von Meeresschutzgebieten, in denen jegliche menschliche Eingriffe verboten sind. Andere Tier- und Pflanzenarten sind wiederum auf eine ökologische Landwirtschaft oder strukturreichere Wälder angewiesen. Die Bedürfnisse der einzelnen Arten mögen vielfältig sein, doch am Ende bleibt ein großes Ziel: Die Natur in ihrer Vielfalt an Arten und Lebensräumen zu stärken, um dem derzeitigen Artenschwund entgegenzuwirken. Da dies nur über Ländergrenzen hinweg und mit klaren Vorgaben gelingen kann, spielt die Politik beim Natur- und Artenschutz eine sehr wichtige Rolle.


Rote Liste der bedrohten Tierarten: Als Resultat des Artenmonitorings entstand ab 1966 die Rote Liste der gefährdeten Arten. Sie gibt als wissenschaftliches Fachgutachten mit einer Zuordnung in 10 Kategorien eine genaue Auskunft über den Gefährdungsstatus dokumentierter Arten – von „ungefährdet“ bis hin zu „gefährdet“ oder sogar „vom Aussterben bedroht“ und „ausgestorben oder verschollen“. Solch ein Überblick über die Gefährdungsstufe von Tier- und Pflanzenarten stellt vor allem für den Natur- und Artenschutz in Deutschland eine wichtige Orientierung und Hilfe für die Entwicklung spezifischer Schutzmaßnahmen dar. Steigt eine Art in ihrer Gefährdungsstufe, weist die Liste auf die verstärkte Notwendigkeit ihres Schutzes hin, während eine sinkende Gefährdungsstufe für eine Erholung des Artenbestandes spricht und Naturschützern zeigt, dass ihre Maßnahmen erfolgreich sind. Fünf Beispiele stehen stellvertretend für die am meisten gefährdeten Arten der Kategorie „vom Aussterben bedroht“, den gesamten Überblick mit Erläuterungen zum Erhebungs- und Bewertungsverfahren gibt es unter www.rote-liste-zentrum.de

  • Feldhamster
  • Große Hufeisennase
  • Nymphenfledermaus
  • Hausratte
  • Luchs


Der Feuersalamander gehört übrigens zu jenen besonders geschützten Arten, für deren weltweite Erhaltung Deutschland eine besondere Verantwortung hat. Er steht symbolisch für das Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“, in dessen Rahmen auch die Roten Listen erhoben werden. Alle Tiere, denen wir uns in den letzten Abschnitten gewidmet haben, sind übrigens im Register der Roten Liste zu finden.


Politik: Ziele und Kompromisse

Die Politik setzt sich – zumindest in den demokratischen Ländern der Erde – seit vielen Jahren große Ziele für den Schutz von Natur und Artenvielfalt. So hat die EU mit dem „Nature Restoration Law“ – übersetzt „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ – gesetzlich festgelegt, dass die EU-Staaten:

  • bis 2030 mindestens 30 Prozent,
  • bis 2040 mindestens 60 Prozent und
  • bis 2050 mindestens 90 Prozent


…ihrer geschädigten Land-, Küsten-, Meeres- und Süßwasserökosysteme wiederherstellen müssen. Die Verordnung ist nach einem zähen Ringen um Kompromisse im Sommer 2024 in Kraft getreten. Inwiefern Deutschland deren Ziele auch einhalten wird, muss sich erst noch zeigen – denn obwohl wir häufig das Gefühl haben, dass wir mit unseren Schutzgebieten, Umweltauflagen und Co. schon mehr als alle anderen Staaten für den Natur- und Artenschutz tun, hinken wir in Wirklichkeit meist weit hinterher. Gerade wenn es um den Schutz von Natur und Arten geht, steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern der EU schlecht dar. So ist nicht nur die Zahl strenger Schutzgebiete verschwindend gering – auch an die EU-Vogelschutzrichtlinie haben wir uns nicht gehalten. Dies zog sogar eine Klage der EU gegen Deutschland nach sich. 40 Jahre nach dem Beschluss der Richtlinie hat es Deutschland bis März 2024 immer noch nicht geschafft, Schutzgebiete für Feld- und Wiesenbrüter wiederherzustellen und zu erhalten. Das zeigt, wie wichtig das Engagement von Naturschützern auch im politischen Bereich ist, um bestehendem Recht für Natur und Arten auch zur Umsetzung zu verhelfen.

Eine 2023 veröffentlichte Studie der Universität Bologna zu streng geschützten Gebieten in der EU kommt ebenso zu denkbar schlechten Ergebnissen: hier belegt Deutschland mit nur 0,6 Prozent ausgewiesener Schutzfläche den drittletzten Platz der 27 EU-Staaten. Zwar gäbe es in Deutschland eine Vielzahl an Schutzgebieten, meist aber mit sehr niedrigem Schutzstatus und sogar landwirtschaftlicher Nutzung. Inzwischen laufen auf EU-Ebene zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Ausgerechnet die Lausitz soll Deutschland hier aus der Patsche helfen: das Naturschutz- und Wildnisgebiet Königsbrücker Heide in der Oberlausitz soll demnächst mit seinen knapp 7.000 Hektar unter strengen Schutz gestellt werden.

Noch schwieriger ist das Aushandeln von Kompromissen im globalen Maßstab. Es war eine positive Überraschung, dass sich rund 200 Teilnehmerländer bei der UN-Biodiversitätskonferenz COP16 in Rom zum Jahresbeginn 2025 auf eine Finanzierung des Artenschutzes bis zum Jahr 2030 einigen konnten. Bereits im Dezember 2022 hatten sich ärmere und reichere Staaten auf einen „Weltnaturvertrag“ mit Zielen verständigt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Dazu zählt, mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Zusätzlich sollen die beteiligten Industrieländer jährlich 20 Milliarden Dollar zum Schutz der Artenvielfalt für ärmere Länder als Ausgleich aufbringen, 2030 sollen es sogar 30 Milliarden sein.

In Deutschland ist der Natur- und Artenschutz in unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Übergeordnet gelten internationale Abkommen wie die UN-Biodiversitätskonvention und die Vogelschutz- sowie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union. Auf nationaler Ebene regelt das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) als zentrales Gesetz den Schutz von Biotopen, Lebensräumen und Arten. Zu den wichtigsten Zielen des BNatSchG gehören:

  • Erhalt der biologischen Vielfalt: Das Gesetz fördert den Schutz gefährdeter Arten und ihrer Lebensräume.
  • Schutz von Naturdenkmälern: Besondere natürliche Objekte wie alte Bäume oder geologische Formationen werden unter Schutz gestellt.
  • Schaffung von Naturschutzgebieten: Diese Gebiete sind besonders schützenswert und unterliegen strengen Regelungen.


Das Gesetz macht aber auch konkrete Vorgaben. So sollen Gebiete mit besonderem Schutzstatus für Natur und Arten insgesamt mindestens 10 Prozent der gesamten Landesfläche erreichen. Dazu zählen neben National- und Naturparks vor allem Biosphärenreservate und Landschaftsschutzgebiete. Eine aktuelle Studie der University of Europe for Applied Sciences (UE) aus dem Januar 2025 hat ergeben, dass in Deutschland mit nur 4,7 Prozent nicht einmal die Hälfte der vorgegebenen Fläche unter entsprechendem Schutz steht. In Hessen sind es lediglich 1,6 Prozent, in Bayern 2,4 Prozent. Brandenburg ist mit einem Anteil von 8,48 Prozent und 486 ausgewiesenen Naturschutzgebieten auf einem guten Weg – am besten steht Nordrhein-Westfalen mit 12,66 Prozent Landesfläche und 3.312 Schutzgebieten da.


Brandenburg ist mit über 8 Prozent Landesfläche für Schutzgebiete mit entsprechendem Schutzstatus auf einem guten Weg, das vorgegebene EU-Ziel bis 2030 zu erreichen. Hier ein Blick auf den Stiebsdorfer See in Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen. Foto: Ralf Donat, Sielmann Stiftung

Das zeigt, wie unterschiedlich Natur- und Artenschutz wiederum in den einzelnen Bundesländern geregelt ist. Meist gilt Umweltschutz hierzulande als Last und nicht als Investition in die Zukunft. Kein Wunder, dass im aktuellen Koalitionsvertrag Brandenburgs Umweltschutz weit hinten im vorletzten Kapitel geregelt wurde, danach folgt nur noch die Sammelkategorie Demokratie, Ehrenamt und Medien. Das ist bezeichnend. Beim Umwelt- und Naturschutz steht zudem die regionale Entwicklung der Siedlungsgebiete im Fokus, für Naturschützer dürften sich die insgesamt 19 Zeilen zum Umwelt- und Naturschutz nahtlos in Enttäuschungen vergangener Jahrzehnte einreihen.

Aktuell gerät der Umwelt- und Naturschutz zudem aus ganz verschiedenen Gründen unter enormen Druck. Zum einen steckt Deutschland in der Rezession und für einen wirtschaftlichen Aufbruch soll massiv in Infrastruktur und Industrie investiert werden. Zudem muss Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit ertüchtigen – auch das ist mit Industrie, Infrastruktur und verstärkter Nutzung von Naturflächen bis hin zu Übungsplätzen verbunden. Und alles muss und soll diesmal sehr schnell gehen. In der Politik mehren sich klare Vorgaben, dass der Ausbau der Wirtschaft im Einklang mit Klimazielen passieren soll, aber nur mit deutlichen Abstrichen in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu bewältigen ist. Es gibt also viele Gründe, sich ausgerechnet jetzt im Natur- und Artenschutz zu engagieren – und gerade in der ländlichen Lausitz mit ihren vielen Schutzgebieten gibt es unzählige Möglichkeiten, sich entsprechend zu informieren oder aktiv zu beteiligen.


Natur- & Artenschutz im Ehrenamt

Während es auf politischer Ebene noch an der erfolgreichen Umsetzung des Natur- und Artenschutzes hapert, zögern engagierte Verbände, Stiftungen und Privatpersonen nicht lange und nehmen den Schutz unserer Natur einfach selbst in die Hand. Der Schutz von Tieren, Pflanzen und Lebensräumen ist also nicht reine Sache des Staates. Es ist vor allem das Engagement von NGOs und Ehrenamtlichen, das der Artenkrise begegnet. Der Schlüssel dafür ist meist eine gute Umweltbildung – denn noch bevor wir uns mit dem Rückgang einer Art, ihrer Gefährdung oder ihrem Schutz ausein-andersetzen, muss zuerst das Bewusstsein vorhanden sein, dass jede Art und jeder Lebensraum wichtig und schützenswert ist. Es braucht Empathie mit den bedrohten Arten und das Wissen, dass wir mit dem Natur- und Artenschutz vor allem uns selbst sowie künftige Generationen schützen. Wie im Fall unseres Wisents.

Mit dem Lesen dieses Beitrags haben wir gemeinsam bereits ein Stück Umweltbildung gemeistert und hoffentlich ein Bewusstsein für den Schutz von Natur und Artenvielfalt entwickelt. Doch jetzt geht's erst so richtig los! Wir wollen schließlich nicht nur Artenschwund und Umweltzerstörung beleuchten, sondern auch aktiv etwas dagegen tun. In den anschließenden Beiträgen schauen wir uns deshalb genauer an, wie wir uns vor allem gemeinsam mit Kindern und Familien im Natur- und Artenschutz engagieren und so alle zu Naturschutzhelden werden können.


In der Lausitz zählt Sielmanns Naturlandschaft in Wanninchen zu den wenigen Schutzgebieten mit Besucherinformationszentrum und vielen Angeboten für Familien – sie feiert in diesem Jahr 25 Jahre Jubiläum. Foto: Ralf Donat, Sielmann Stiftung

Natur- und Artenschutz in der Lausitz

Die Lausitz bietet aufgrund ihrer Historie besondere Herausforderungen, aber auch Chancen. Kaum eine Region wurde derart oft verändert. Der Name „Lausitz“ ist dem Sorbischen entlehnt und steht für „sumpfige Wiesen“, die einst die Landschaft prägten. Für Acker und Vieh machte der Mensch daraus Felder und nutzbare Wiesen. Vor nunmehr 150 Jahren griff der Braunkohleabbau mit folgenden Industrien noch stärker in die Natur ein. Im Ergebnis gibt es ein geradezu extremes Nebeneinander von noch betriebenen und stillgelegten Kohlegruben, kultivierten Heidelandschaften, künstlichen Seen oder Parkanlagen. Kaum eine Region Deutschlands dürfte historisch so oft umgegraben und verändert worden sein wie die Lausitz. Mit dem Wandel der Industrie vollzieht sich in den vergangenen Jahrzehnten aber auch ein landschaftlicher Wandel, der Natur und Vielfalt neue Chancen bietet. Stillgelegte Tagebaulandschaften werden rekultiviert, und manchmal entsteht dabei ein neues Naturparadies. Die Heinz Sielmann Stiftung erwarb beispielsweise die Naturlandschaft rund um Wanninchen und etabliert dort eines der größten Vogelschutzgebiete Deutschlands auf 3.300 Hektar, das u.a. dem Wiedehopf eine neue Heimat bietet. Der NABU erwarb unweit des Industriedenkmals F60 ebenso rund 2.200 Hektar, auf denen sich seit 2003 neue Wildnis entwickelt. In Lieberose entsteht auf und rund um einen ehemaligen Truppenübungsplatz die Naturwelt Lieberoser Heide als „wildes Herz der Lausitz“. Die Renaturierungs- und Schutzprojekte in der Region sind vielfältig und beinhalten nicht nur die Bergbaufolgelandschaft, sondern mit ihr auch eine Menge weiterer essentieller Lebensräume. Eine Übersicht über wiederhergestellte und erhaltene Naturlandschaften sowie Naturschutzgroßprojekte finden Sie zum Abschluss des Themas.


Gemeinsam für den Natur- und Artenschutz

Die besten Maßnahmen für Natur- und Artenschutz im Familienalltag sind gleichzeitig Maßnahmen, die gut fürs Klima sind. Letztendlich ist der Klimawandel die zentrale Ursache, die Naturräume und Artenvielfalt auf lange Sicht am stärksten gefährdet. Hier kann eine Top 10 für Klima- und Umweltschutz mit vielen kleinen Maßnahmen untersetzt werden, die zum Alltag der Familie, der Eltern oder Kinder passen:

Checkliste: Top 10

  • weniger Fleisch und stattdessen pflanzliche Kost: 1 kg Rindfleisch verursacht ca. 100 kg, 1 kg Tofu nur ca. 3 kg CO2-Emissionen (Quelle: science.sciencemag.org)
  • regionale Produkte, am besten Bio
  • Second Hand: bei Mode und Gebrauchsgütern, und lieber reparieren als konsumieren
  • öffentliche Verkehrsmittel nutzen
  • Plastikmüll reduzieren
  • umweltschonende Putzmittel verwenden
  • Strom & Wärme sparen (Verbrauch bei Licht & Heizung mindern)
  • Urlaub in der Region statt per Flugzeug im Ausland
  • Naturgarten anlegen (geht auch ohne Grundstück auf dem Balkon, siehe Garten-Spezial)

Ein entscheidender Hebel für mehr Natur- und Artenschutz ist also das eigene Konsumverhalten. Hier kann man beim wöchentlichen Lebensmitteleinkauf auch gezielt nachhaltige und ökologische Landwirtschaft unterstützen, um das Artensterben in der Agrarindustrie zu mindern. Wer ein Haus mit Garten hat, kann mit kleinen Maßnahmen tatsächlich unmittelbar und nachhaltig Natur und Arten fördern – wie man einen naturnahen Garten anlegt, warum man dazu auf Zuchtpflanzen und getrimmten Rasen verzichten sollte – all das beschreibt unser Garten-Spezial im Anschluss an dieses Titelthema. Egal ob Grundstück oder Balkon – mit den passenden Vogelhäusern sowie Futter- und Trinkstationen ist Artenschutz ein Kinderspiel und wird auch noch mit besonderen, tierischen Erlebnissen belohnt.

Aber nicht jede gut gemeinte Maßnahme hilft Natur und Arten. Zu den Top 10 unserer Empfehlungen gibt es deshalb auch eine kleine Top 5 mit dem Prädikat „Finger weg!“

Checkliste: Finger weg von…

  • Insektenhotels aus dem Baumarkt: sind meist nicht artgerecht und werden oft zur Insektenfalle
  • „bienenfreundlichen“ Pflanzen aus Super- und Baumärkten: meist eine klare Verbrauchertäuschung und vollkommen ungeeignet für heimische Insektenarten, meist schaden sie ihnen mehr als sie nützen
  • Entenfüttern: Brotkrümel sind für Enten ungesund und können schlecht verdaut werden, wird der Nachwuchs damit gefüttert, kann er daran ersticken
  • vermeintlicher Tierrettung: gerade im Frühjahr allein gesichtete Jungtiere (Vögel, Rehkitz etc.) nicht mitnehmen und berühren, sondern erst recherchieren und bei NABU oder Wildtierrettungen in der Nähe erkundigen
  • Zoobesuchen: Naturschutz und Artenvielfalt fördert man nicht mit eingesperrten Arten in nicht artgerechter Umgebung, Umweltbildung für Kinder liefern unzählige Einrichtungen viel besser, die im nachfolgenden Kapitel aufgeführt sind


Wer sich aktiv im Natur- und Artenschutz engagieren möchte, der braucht nicht lange zu suchen. In der Lausitz verfügt jede größere Ortschaft über eine Ortsgruppe des Naturschutzbundes (NABU), zudem sind in der Region mehrere Gruppen des BUND aktiv – darüber hinaus gibt es viele Naturschutzprojekte. Eine schöne Gelegenheit für die ganze Familie ist die Teilnahme beim Artenmonitoring wie Vogelzählungen – so läuft vom 9. bis 11. Mai die „Stunde der Gartenvögel“, bei der im vergangenen Jahr über 58.000 Menschen rund 1,2 Millionen Vogelbeobachtungen meldeten. Am besten nutzen Sie dazu die kostenlose App „Vogelwelt“ mit Bestimmungsfunktion und ausführlichen Artenporträts. Am Beginn jeder „Naturschutzkarriere“ steht aber in der Regel die Umweltbildung – und die kann man in der Lausitz entweder mit dem Besuch in einem der vielen Umweltbildungszentren mit professioneller Information oder auf individuellen Ausflügen in eines der vielen Naturschutzgebiete oder auf einem Naturlehrpfad wahrnehmen. Eine Orientierung liefert unsere ausführliche Übersicht im Anschluss an Fazit und Experteninterview.

Für Erwachsene und Familien – NABU-Gruppen vor Ort

Für Kinder, Jugendliche und Familien – NAJU-Gruppen vor Ort

Übersicht über Gruppen des BUND

Mitmachaktionen im Bereich Natur- und Artenschutz im Online-Portal GoNature



Erobert er künftig auch wieder die Lausitz? Die Rückkehr des Wisents könnte auch hier einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Biodiversität liefern. Foto: Ingolf Koenig-Jablonski, Sielmann Stiftung

Fazit

Während wir in rund einer halben Stunde Lesezeit bis hierhin den Geschichten der unterschiedlichsten bedrohten Arten gelauscht und so einiges über den aktiven Natur- und Artenschutz gelernt haben, sind drei Arten von unserem Planeten verschwunden, Regenwald mit einer Fläche von 900 Fußballfeldern wurde zerstört und Plastikmüll im Umfang von über einer Million Plastikflaschen ist allein im Mittelmeer gelandet, die anderen Weltmeere nicht einmal mitbetrachtet. Während dieser Lesezeit sind Tiere und Pflanzen für immer ausgestorben, wichtige Lebensräume wurden zerstört und verschmutzt und der Klimawandel ist weiter vorangeschritten. In der gleichen Zeit wurden jedoch mit etwas Glück auch ein bis zwei neue Arten entdeckt, bedrohte Tiere, Pflanzen und Lebensräume wurden erforscht, die Artenvielfalt wurde durch die Umsetzung von Naturschutzprojekten vorangetrieben und engagierte Menschen rund um den Globus haben sich für den Schutz unserer Natur eingesetzt.

Die Frage, die wir uns nun stellen sollten, ist: Auf welcher Seite wollen wir stehen? Wollen wir die Zerstörung der Natur und damit die Gefährdung unserer eigenen Zukunft einfach weiter hinnehmen oder wollen wir uns aktiv an einer besseren Zukunft beteiligen und uns für den Schutz von Natur und Artenvielfalt starkmachen. Die vielen Geschichten von bedrohten Arten und zerstörten Lebensräumen machen eines klar: Die Natur ist auf unsere Unterstützung angewiesen. Aber noch viel mehr als das sind wir selbst auf die Natur angewiesen. Wenn wir am Ende also wieder bei der Heldengeschichte unseres Wisents landen, das für fruchtbare Böden und Artenvielfalt sorgt – dann sprechen wir hier nicht nur von der Rettung eines Wildtiers. Denn jede Erfolgsgeschichte im Natur- und Artenschutz ist letztendlich ein Beitrag für ein sicheres Leben auf unserem Planeten – ein Beitrag zum Schutz der Art „Mensch“. Hoffentlich gelingt uns ja doch noch der ein oder andere große Wurf – und vielleicht streift der Wisent irgendwann auch wieder durch unsere Lausitz.

Natur- und Artenschutz: Ausflugsziele in der Lausitz

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Zur Autorin: Neela-Medea Löder ist engagierte Natur- und Artenschützerin und studiert derzeit Geoökologie. Sie ist Mitglied im NABU und interessiert sich vor allem für den Erhalt von Arten und Offenlandschaften als Booster für Biodiversität. Beim Thema unterstützte Herausgeber Jens Taschenberger.